Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluß des Rekursgerichtes, der hinsichtlich der Entscheidung über den Rekurs des Vaters als unangefochten unberührt bleibt, wird im übrigen aufgehoben und dem Rekursgericht eine neue Entscheidung aufgetragen.
Die als "Urkundenvorlage" und "Ersuchen" bezeichnete Revisionsrekursbeantwortung der väterlichen Großeltern Hermine und Wolfgang K***** wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Der am 29.11.1990 geborene Fabio R***** ist das außereheliche Kind der Hedda ***** R***** und des Berthold K*****.
Am 9.6.1995 stellten die väterlichen Großeltern Hermine und Wolfgang K***** den Antrag, der Kindesmutter die Obsorge hinsichtlich Fabio zu entziehen und ihnen zu übertragen. Sie brachten dazu vor, daß der Minderjährige seit seiner Geburt von ihnen betreut werde, die Kindesmutter habe ihre Wohnung verloren und sei unterstandslos, darüber hinaus sei sie Sektenmitglied. Da Fabio seine Mutter im letzten Jahr nur zweimal gesehen habe, habe er keine Beziehung zu ihr. Fabio sei an seine Großeltern gewöhnt und besuche auch in Wien den Kindergarten. Würde ihn die Mutter aus seiner gewohnten Umgebung herausreißen, wäre sein Wohl gefährdet.
Mit Beschluß vom 9.6.1995 wurde die Obsorge vorläufig den Großeltern väterlicherseits zugewiesen.
Die Mutter sprach sich gegen den Antrag der väterlichen Großeltern aus und brachte vor, daß Fabio erst seit 1994 von ihnen betreut werde; der Minderjährige habe aber immer regelmäßigen, zumindest telefonischen Kontakt mit ihr gehabt; es sei auch nicht richtig, daß sie unterstandslos sei; sie sei nur einfaches Mitglied der Scientology, doch habe diese Mitgliedschaft auf die Entwicklung und das Wohlergehen von Fabio sicher keinen negativen Einfluß. Da sie beabsichtige, in nächster Zeit zu heiraten, könne Fabio in einer intakten Familie aufwachsen.
Mit Schriftsatz vom 4.12.1995 beantragte auch der Vater Berthold K***** ihm die alleinige Obsorge zu übertragen.
Das Erstgericht wies den Antrag der väterlichen Großeltern, der Kindesmutter Hedda R***** die Obsorge zu entziehen und ihnen zu übertragen ab; ebenso wurde der Antrag des Kindesvaters, ihm die alleinige Obsorge zu übertragen, abgewiesen. Die väterlichen Großeltern wurden aufgefordert, den mj.Fabio R***** unverzüglich der Mutter zu übergeben und wurde der Kindesmutter der Auftrag erteilt, Fabio bis zu seiner Volljährigkeit an keinerlei scientologischen Tätigkeiten teilnehmen zu lassen. Gemäß § 12 AußStrG wurde dieser Beschluß sogleich in Vollzug gesetzt.
Dabei traf das Erstgericht aufgrund der Einvernahme der Eltern und der Großeltern, der Stellungnahme des Amtes für Jugend und Familie *****Bezirk, die auch auf einer psychologischen Stellungnahme Dris.W***** basiert, des Berichtes des Allgemeinen Sozialdienstes München, des Gutachtens der Sachverständigen Dr.Angelika G***** und der vorgelegten Urkunden folgende Feststellungen:
Die Eltern des mj.Fabio lebten mit diesem in ***** Wien, G*****gasse *****. Die Wohnung der väterlichen Großeltern ist im selben Haus im selben Stock gelegen. Nach der Geburt wurde das Kind überwiegend von der Mutter betreut. Fabio wurde von seiner Mutter sehr gut gepflegt, umsorgt und gefördert. Wegen Drogenproblemen konnte der Vater finanziell nichts zum Unterhalt seiner Lebensgefährtin und des Kindes beitragen. Aus diesem Grund geriet die Kindesmutter immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten und mußte teilweise Gelegenheitsarbeiten nachgehen. Im Februar 1994 beendeten die Kindeseltern ihre Lebensgemeinschaft.
Wegen der Drogenprobleme des Vaters fuhren die Eltern mit dem Kind zu einer Therapie nach Deutschland, wo sie bis zum Abbruch der Therapie durch den Vater im März 1994 blieben. Im April 1994 fuhr die Mutter mit Fabio zu ihren Eltern nach Bregenz und suchte eine Wohnung in München, wohin sie mit Fabio Anfang Mai 1994 übersiedelte. Die beiden wohnten bei einer Familie, Mitgliedern von Scientology. Fabio war ganztägig im Kindergarten untergebracht, die Kindesmutter begann an der Scientology-Akademie ein Studium, dessen Schwerpunkt Lebenshilfe ist.
Im Juli 1994 fuhr Fabio mit den väterlichen Großeltern auf Urlaub ins Burgenland und blieb auch anschließend bei ihnen. Nachdem Hedda R***** ab Oktober 1994 für Fabio einen Kindergartenplatz in München gesichert hatte, wollte sie das Kind wieder zu sich nehmen; diesbezügliche Gespräche mit den Großeltern und dem Kindesvater führten aber zu keinem Ergebnis. Ab November 1994 wurde Fabio ganztags im Kindergarten untergebracht, da die väterliche Großmutter Hermine K***** damals noch berufstätig war. Im Dezember 1994 hielt sich die Mutter drei Wochen in Wien auf und verbrachte mit Fabio seinen Geburtstag und Weihnachten. Sie vereinbarte mit den Großeltern und dem Vater, daß Fabio bei den Großeltern bleiben sollte, bis sie ihr Studium an der Scientology-Akademie abgeschlossen habe.
Seit Jänner 1995 lebt Hedda R***** mit Johannes K***** in Lebensgemeinschaft. Mit Fabio hat sie häufig telefonischen Kontakt. Im März 1995 hielt sich die Kindesmutter wieder für drei Wochen in Wien auf, um dem Vater bei einem in seiner Wohnung durchgeführten Entzug zu helfen. Während der Aufenthalte der Mutter in Wien hielt sich Fabio hauptsächlich bei ihr auf, gelegentlich schlief er bei den Großeltern.
Die Mutter wollte ihr Studium nicht mehr fortsetzen und Fabio wieder zu sich nehmen. Aus diesem Grunde kündigte sie den Großeltern an, am 10.6.1995 nach Wien zu kommen und mit ihnen darüber zu sprechen. Die Großeltern erwirkten daraufhin die Zuteilung der vorläufigen Obsorge an sie.
Eine Einigung darüber, bei wem Fabio in Zukunft leben sollte, kam nicht zustande.
Anläßlich eines Besuches der Mutter gemeinsam mit ihrem Vater am 21.8.1995 in der Wohnung der väterlichen Großeltern ging die Mutter mit Fabio weg "um Zigaretten zu holen". Sie kam jedoch nicht mehr zurück, sondern traf sich mit ihrem Lebensgefährten, sie fuhren gemeinsam mit dem Kind noch am selben Abend nach München.
Am 26.8.1995 fuhren Hermine und Wolfgang K***** nach München. Nach Polizeiintervention wurde das Kind am 28.8.1995 wieder den Großeltern übergeben und von diesen nach Wien gebracht.
Seither befindet sich das Kind in Pflege und Erziehung der väterlichen Großeltern. Obwohl Hermine K***** nicht mehr berufstätig ist, besucht Fabio ganztags den Kindergarten.
Bei der Wohnung der Großeltern handelt es sich um eine Garconniere, der Wohnraum dient als Aufenthalts-, Eß- und Schlafzimmer. Die Wochenende und Urlaube verbringen die väterlichen Großeltern mit Fabio in ihrem Haus im Burgenland.
Dem väterlichen Großvater, der derzeit gut auf die Bedürfnisse Fabios einzugehen vermag, kommt in der Alltagsbeziehung als Spielpartner eine wichtige Bedeutung zu, wobei er jedoch zu einer overprotectiven Haltung dem Kind gegenüber neigt. Die Beziehung zur väterlichen Großmutter steht dagegen im Hintergrund; sie ist - verglichen mit dem Großvater - wesentlich schlechter in der Lage, flexibel auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen.
Aufgrund der Altersstruktur der väterlichen Großeltern ist für die Zeit der pubertären Entwicklung und Reifeentwicklung Fabios zu befürchten, daß diese dann mit den entstehenden Erziehungsanforderungen überlastet wären.
Zu seinem leiblichen Vater würde sich Fabio einen intensiveren Kontakt wünschen. Daß der Kindesvater nicht mehr drogenabhängig ist, konnte nicht festgestellt werden.
Im November 1995 heiratete die Mutter ihren Lebensgefährtin Johannes K*****. Sie ist schwanger (voraussichtlicher Geburtstermin 4.7.1996), es handelt sich um eine Risikoschwangerschaft. Aus diesem Grund ist sie auch nicht mehr berufstätig. Sie lebt mit ihrem Mann in München in einer Drei-Zimmer-Wohnung, für Fabio ist bereits ein Kinderzimmer eingerichtet.
Mit Beschluß vom 17.11.1995 wurde der Mutter ein Besuchsrecht an jedem Dienstag von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr und an jedem Freitag von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr eingeräumt.
Da die Mutter mit ihrer fortschreitenden Schwangerschaft Probleme hatte wurde mit Beschluß vom 21.2.1996 das Besuchsrecht dahingehend geändert, daß sie berechtigt ist, Fabio an jedem zweiten Wochenende von Freitag 12.00 Uhr bis Montag Kindergartenbeginn zu sich zu nehmen, wobei sie das Kind Freitag vom Kindergarten abholt und Montag in der Früh in den Kindergarten bringt, sodaß ein Zusammentreffen zwischen ihr und den väterlichen Großeltern vermieden wird.
Fabio, die Mutter und ihr Mann verbringen das Besuchswochenende jeweils bei den Eltern von Johannes R***** im Waldviertel.
Am 1.3.1996 verweigerten die väterlichen Großeltern der Mutter die Ausübung des Besuchsrechtes, an diesem Tag hatten sie mit dem Kind einen Termin bei der Sachverständigen vereinbart. Als die Mutter am 11.3.1996, also am Montag nach dem ersten Besuchswochenende in der geänderten Form, Fabio in den Kindergarten brachte, wurde sie von Hermine K***** erwartet, obwohl gerade dies vermieden werden sollte.
Fabio ist emotional stark an die Mutter gebunden, in Angst machenden Situationen wird am ehesten bei ihr Hilfe sowie ein emotionaler Halt gesucht.
Hedda R***** ist einfaches Vereinsmitglied bei Scientology, d.h. sie ist nicht aktiv tätig. Sie wendet jedoch Elemente der Erziehungsvorschläge seitens der Scientology auf Fabio an. Diese Erziehungsprinzipien sind teilweise verhaltenspsychologisch orientiert und an sich nicht als negativ zu bewerten. Sie sind dann als bedenklich anzusehen, wenn sie emotionale Regungen zu unterdrücken versuchen.
Die Kindesmutter gab am 17.4.1996 die Erklärung ab, ihren Sohn bis zu seiner Volljährigkeit an keinerlei scientologischen Aktivitäten teilnehmen zu lassen. Zu Johannes R***** ist die Beziehung Fabios eher ambivalent.
Eine Übersiedlung Fabios zur Mutter bedeutet wohl eine Unterbrechung der Umgebungskontinuität und auch eine deutlich verringerte Kontaktmöglichkeit zum väterlichen Großvater, aus psychologischer Sicht ist Fabio aber durchaus in der Lage, damit fertig zu werden.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß gemäß § 166 ABGB die Obsorge für das uneheliche Kind der Mutter allein zukomme. Sie könne ihr nur dann entzogen werden, wenn durch ihr Verhalten das Wohl des Kindes gefährdet wäre, wobei jedenfalls ein strenger Maßstab anzulegen sei. Dafür, daß die Mutter ihren Pflichten nicht nachgekommen sei, gebe es keine Anhaltspunkte. Vielmehr sei der Betreuung durch sie der Vorzug zu geben, selbst wenn dies eine Unterbrechung der Umgebungskontinuität bedeute. Auch die Mitgliedschaft bei Scientology stelle im Hinblick darauf, daß die Kindesmutter die Erklärung abgegeben habe, Fabio an keinerlei scientologischen Aktivitäten teilnehmen zu lassen und ihr auch der diesbezüglich Auftrag erteilt wurde und sofort bei Übergabe des Kindes an die Kindesmutter an das deutsche Jugendamt entsprechende Aufträge ergehen werden, diesbezügliche Erhebungen durchzuführen, kein Hindernis für eine Belassung der Obsorge bei der Kindesmutter dar. Sollte die Mutter diesen Auftrag mißachten, würde sie das Wohl Fabios gefährden und müßte dieser mit einer Entziehung der Obsorge rechnen. Daß Hedda R***** im August 1995 Fabio ohne Wissen der Großeltern nach München entführt habe, stelle eine einmalige Verfehlung dar, die wohl auch als Verzweiflungstat gesehen werden müsse; sie lasse noch nicht eine Gefährdung des Kindeswohles befürchten, sei doch, wenn das Kind bei der Mutter lebe, ohnehin keine Wiederholungsgefahr mehr gegeben. Daß Fabio in Hinkunft die Aufmerksamkeit seiner Mutter mit einem anderen Kind teilen müsse, bedeute sicher keine Gefährdung des Kindeswohles.
Dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs des Vaters wurde nicht Folge gegeben. Wohl aber dem Rekurs der Großeltern; der angefochtene Beschluß wurde dahin abgeändert, daß die Obsorge der Mutter Hedda R***** endgültig entzogen und den Großeltern väterlicherseits Wolfgang und Hermine K***** endgültig übertragen wurde.
Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt.
Das Rekursgericht traf aufgrund einer Informationsschrift des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Bundesrepublik Deutschland folgende ergänzende Feststellungen:
Scientology ist weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in Österreich eine anerkannte Kirche, Religions- oder Glaubensgemeinschaft. In Österreich agiert die Organisation auf Vereinsbasis. Die Organisation ist auf eine unbedingte Gewinnmaximierung ausgerichtet. Ihre Ideologie trägt totalitäre Züge. Scientology wurde in einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes in der Bundesrepublik Deutschland als menschenverachtend bezeichnet. Ziel der Organisation ist die Erschaffung eines neuen Menschen scientologischer Prägung und einer ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierenden Welt. Hubbard, der Gründer von Scientology, qualifiziert jede Demokratieform als nutzlos. Nach seiner Lehre könne eine wahre Demokratie erst dann entstehen, wenn alle Menschen Scientologen seien. Die Methode der Organisation geht dahin, die Angst der Menschen zu benutzen, um ihnen ein von Scientology entwickeltes Kurs- und Trainingsangebot zu verkaufen, und sie dadurch in finanzielle und seelische Abhängigkeit zu bringen. Wer der dadurch ausgeübten Indoktrinierung widersteht und sich von der Organisation lösen will, muß die erheblichen, die wirtschaftlichen Möglichkeiten meist übersteigenden, Kurs- und Trainingsgebühren zurückzahlen. Es besteht auch ein Angebot an Dienstleistungen für Kinder, um so früh wie möglich deren Denken und Handeln zu beeinflussen. So gibt es z.B. eine eigene Methode des "Wortklärens". Mit dieser Art der Spracherlernung werden Kinder über die Wortdefinition in das scientologische Wertesystem eingeführt. Diese Methode ist vor allem bei immateriellen Begriffen wie Freiheit oder Moral, deren scientologische Bedeutung vom üblichen Begriffsverständnis abweicht, gefährlich. Damit werden Kinder zu Außenseitern in der nicht scientologischen Gesellschaft. Nach Ansicht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Bundesrepublik Deutschland ist Scientology eine der aggressivsten Gruppierungen der Gesellschaft, die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschaftskriminalität und des Psychoterrors gegenüber ihren Mitgliedern mit wirtschaftlicher Betätigung und sektiererischen Einschlägen vereint.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Rekursgericht betreffend den Rekurs der Großeltern die Meinung, es sei mit dem Kindeswohl unvereinbar, wenn der Minderjährige in Kontakt mit Scientology käme. Wenngleich der Mutter zuzugestehen sei, daß sie an dem Kind ehrlich interessiert und auf sein Wohl bedacht sei, und auch die Absicht habe, das Kind von der Scientology-Organisation fernzuhalten, sei es in hohem Grade unwahrscheinlich, daß ihr das tatsächlich gelinge. Die Mutter sei seit Jahren in Kontakt zu Scientology und derzeit auch noch Mitglied. Nach den Ambitionen dieser Organistion und den von ihr angewendeten Methoden müsse mit größter Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß die Mutter unter deren beherrschendem Einfluß stehe und sich Bestrebungen von Scientology, auch das Kind unter den Einfluß der Organisation zu bringen, auf Dauer nicht wirksam widersetzen werde könne. Weder ihre Zusicherung noch der Auftrag des Gerichtes seien geeignet, die diesbezügliche Gefahr für das Kind zu beseitigen. Auch Erhebungen durch das deutsche Jugendamt wären keine Garantie dafür, daß der Pflegebefohlene diesem schädlichen Einfluß ferngehalten werden könne, weil eine Tarnung durch die Organisation verhältnismäßig einfach sei. Wenn das Kind aber einmal unter dem Einfluß der Organisation stehe, wäre es bereits zu spät. Dazu komme, daß eine solche Beeinflussung auch durch die Mutter allein erfolgen könne; daß sie auch bisher bereits Erziehungsvorschläge von Scientology auf Fabio angewendet habe, habe das Erstgericht festgestellt.
Es stelle daher die Zugehörigkeit der Mutter zu Scientology allein schon eine solche Gefährdung für das Kindeswohl dar, daß die Pflege und Erziehung durch sie nicht in Frage kommen könne, sodaß die Voraussetzungen des § 176 ABGB für einen Entzug der Obsorge gegeben seien.
Die Großeltern väterlicherseits seien auch geeignet, die Obsorge zu übernehmen, weil sie das Kind bereits seit längerer Zeit betreuten und auch ein gutes Verhältnis zu diesem hätten. Bei einem Verbleib des Kindes in der bisherigen Umgebung bei den Großeltern scheine unter den gegebenen Umständen das Kindeswohl am ehesten gesichert. Das Argument, die Großeltern könnten, wenn der Minderjährige in die Pubertät komme, mit dessen Erziehung überfordert sein, sei derzeit von geringer Relevanz.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt, weil zur Frage, ob allein die Zugehörigkeit der Mutter zu Scientology eine solche Gefahr für das Kindeswohl zu begründen vermöge, daß mit einem Obsorgeentzug vorgegangen werden müsse, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt und ihr die alleinige Obsorge übertragen werde; hilfsweise wird beantragt, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß die vorläufige Obsorge der Mutter übertragen und das Verfahren im übrigen zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht, eventualiter an das Rekursgericht zurückverwiesen werde; hilfsweise wird schließlich ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und im Sinne seines Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.
Die Mutter erblickt eine Nichtigkeit darin, daß die väterlichen Großeltern erstmals im Rekurs gegen den Beschluß des Erstgerichtes jene Broschüre vorgelegt haben, auf die sich die ergänzenden Feststellungen des Rekursgerichtes gründeten. Es sei ihr keine Möglichkeit geboten worden, sich zu dieser Urkunde zu äußern. Darin liege auch eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, sie wäre jederzeit in der Lage gewesen, die in dieser Broschüre erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Insbesonders hätte sie beweisen können, daß die Scientology-Kirche nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sei und auch keinerlei Gewinne erziele. Es hätte nachgewiesen werden können, daß die Scientology-Kirche eine anerkennungsfähige Religionsgemeinschaft sei.
Das Rekursgericht habe einseitig die Schlußfolgerungen der deutschen Bundesregierung übernommen und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, was gleichfalls eine Mangelhaftigkeit darstelle. Daß die Scientology-Kirche selbst nicht demokratisch, sondern hierarchisch organisiert sei, entspreche dem Wesen sämtlicher bedeutender Religionsgemeinschaften und insbesondere auch der römisch-katholischen Kirche.
Überdies habe es das Rekursgericht unterlassen, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die väterlichen Großeltern überhaupt zur Übernahme der Obsorge geeignet seien. Immerhin stehe noch der Verdacht sexueller Übergriffe durch den väterlichen Großvater im Raum, die diesbezüglichen Vorwürfe würden von der Staatsanwaltschaft Wien untersucht werden.
Eine Aktenwidrigkeit erblickt die Mutter in der Feststellung des Rekursgerichtes, daß derjenige, der sich von der Organisation lösen wolle, die erheblichen, die wirtschaftlichen Möglichkeiten meist übersteigenden, Kurs- und Trainingsgebühren zurückzahlen müsse. Wie das Rekursgericht zu dieser Feststellung komme, bleibe völlig unergründlich.
Unter dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht die Mutter geltend, die Entscheidung des Rekursgerichtes stelle eine krasse Verletzung des Rechtes auf Meinungs- und Religionsfreiheit dar. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe klar und eindeutig ausgesprochen, daß eine Unterscheidung, die im wesentlichen alleine auf einer unterschiedlichen Religionszugehörigkeit als solcher beruht, nicht akzeptiert werden könne. Selbst wenn die allgemeinen Ansichten und Feststellungen des Rekursgerichtes über die Scientology-Kirche zutreffen sollten, könne daraus eine konkrete Gefährung des Kindeswohls nicht abgeleitet werden.
Es sei auch unrichtig, daß die vom Erstgericht erteilten Auflagen nicht überwacht werden könnten.
Diese Ausführungen sind zum Teil zutreffend.
Rechtliche Beurteilung
Mit der Behauptung, es sei seitens des väterlichen Großvaters zu sexuellen Übergriffen gekommen, wird gegen das für das Revisionsrekursverfahren geltende Neuerungsverbot verstoßen, sodaß darauf nicht einzugehen ist (EFSlg 67.459).
Wie das Erstgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, setzt die Entziehung der Obsorge eine Gefährdung des Kindeswohles voraus (EFSlg 75.117 ua), wobei bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen gegeben sind, ein strenger Maßstab anzuwenden ist (EFSlg 75.119 ua).
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs, und stellt auch die Entscheidung über die Zuerkennung der Obsorge für Kinder einen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar. Im Rahmen der Ausübung der Rechte und Freiheiten, die die Konvention garantiert, gewährt Art 14 EMRK Schutz gegen unterschiedliche Behandlung, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist; es dürfen also Personen in vergleichbaren Situationen ohne sachliche und vernünftige Rechtfertigung nicht unterschiedlich behandelt werden. Eine unterschiedliche Behandlung ist dann diskriminierend, wenn sie nicht durch ein "legitimes Ziel" gerechtfertigt ist und wenn "kein vernünftiges Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln und den angestrebten Zielen" besteht. Dabei kann eine Entscheidung, die im wesentlichen allein auf einer unterschiedlichen Religionszugehörigkeit als solcher beruht, nicht akzeptiert werden (EGMR Fall Hoffmann gegen Österreich, Urteil vom 23.6.1993, JBl 1994, 465). Die Ansicht des Rekursgerichtes, die Obsorge sei der Mutter schon allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Scientology zu entziehen, widerspricht sohin der EMRK und ist somit gesetzwidrig.
Es erübrigt sich sohin auf die Ausführungen im Revisionsrekurs, die sich auf die ergänzenden Feststellungen des Rekursgerichtes über Scientology beziehen, einzugehen, weil der Umstand allein, daß die Mutter (einfaches) Mitglied dieser Organisation ist, es nicht rechtfertigt, ihr die Obsorge hinsichtlich des mj.Fabio zu entziehen.
Geht man vielmehr von den Feststellungen des Erstgerichtes aus, besteht, wie schon das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, kein Grund, der Mutter die ihr gemäß § 166 ABGB grundsätzlich zustehende Obsorge zu entziehen und jemand anderen (den väterlichen Großeltern) zuzuzweisen. Allerdings wurden im Rekurs der väterlichen Großeltern gegen den Beschluß des Erstgerichtes auch dessen Tatsachenfeststellungen bekämpft ohne daß das Rekursgericht (ausgehend von einer anderen Rechtsansicht) darauf eingegangen ist. Es ist daher derzeit eine endgültige Entscheidung über die Frage der Obsorge nicht möglich. Das Rekursgericht wird im fortgesetzten Verfahren sich mit dem Rekurs der väterlichen Großeltern, soweit er sich nicht allein auf die Mitgliedschaft zu Scientology bezieht, einzugehen haben.
Der als "Urkundenvorlage" und "Ersuchen" bezeichnete Schriftsatz der väterlichen Großeltern, der inhaltlich eine Revisionsrekursbeantwortung darstellt, war zurückzuweisen, weil das Rechtsmittelverfahren in Pflegschaftssachen nur einseitig ist.
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