OGH 2Ob2186/96a

OGH2Ob2186/96a28.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Innungskrankenkasse M*****, vertreten durch Dr.Rudolf Bruckenberger, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei ***** Bergbahnen Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Walter Kerle, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 126.203,77 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 5.Dezember 1994, GZ 4 R 293/94‑38, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 31.August 1994, GZ 17 Cg 1197/92g‑33, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1996:0020OB02186.96A.1128.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit S 17.828,84 (darin enthalten S 1.868,14 USt und S 6.620,‑- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs‑ und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei betreibt in S***** einen zur J***** führenden Doppelsessellift, den die bei der klagenden Partei sozialversicherte Anna W***** am Nachmittag des 23.1.1992 als Schifahrerin entgeltlich benutzte.

Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei Zahlung eines Betrages von S 126.203,77 mit der Begründung, Anna W***** sei beim Aussteigen in der Bergstation zu Sturz gekommen, weil die Ausstiegsstelle vereist gewesen sei und überdies ein zu großes Gefälle aufgewiesen habe; nach den Betriebsvorschriften sei es den Leuten der beklagten Partei verboten gewesen, den bei der Ausstiegsstelle vorgesehenen Standplatz zu verlassen. Sie wären auch verpflichtet gewesen, die ankommenden Fahrgäste zu beobachten und ihnen beim Aussteigen erforderlichenfalls behilflich zu sein. Überdies seien sie gehalten gewesen, die Seilbahn sofort anzuhalten, wenn einem Fahrgast das rechtzeitige Aussteigen nicht gelinge. Schließlich seien sie auch verpflichtet gewesen, für einen ständig ordnungsgemäßen Zustand der Ausstiegsstelle zu sorgen. Die Leute der beklagten Partei hätten dagegen ihren vorgesehenen Standplatz verlassen, die ankommende Anna W***** beim Aussteigen nicht beobachtet und seien ihr auch nicht behilflich gewesen, obwohl aus dem Alter und Gehaben dieses Fahrgastes ersichtlich gewesen sei, daß man ihr behilflich sein müsse. Der Bereich der Ausstiegsstelle sei nicht gepflegt gewesen, sondern habe zum Unfallszeitpunkt tiefe und vereiste Fahrspuren aufgewiesen. Durch den Sturz sei die bei der klagenden Partei Versicherte am Körper verletzt worden. Die klagende Partei begehre den Ersatz der Behandlungskosten in Höhe des Klagsbetrages.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der Sessellift sei einschließlich der Ausstiegsstelle und des dazugehörigen Gefällebereiches vorschriftsgemäß errichtet und betrieben worden. Zum Unfallszeitpunkt sei die Ausstiegsstelle in einem ordnungsgemäßen Zustand gewesen. Anna W***** sei aufgrund eines ihr unterlaufenen Fahrfehlers zu Sturz gekommen. Die Leute der beklagten Partei hätten jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beobachtet.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging von nachstehenden Feststellungen aus:

Die Bergstation der Doppelsesselbahn J***** liegt auf 1500 m Seehöhe. Am Donnerstag, den 23.1.1992, betrug die Temperatur am Morgen ‑2ø, die Wetterlage war sowohl am Vormittag als auch am Nachmittag heiter. In der etwa 200 m höher gelegenen Bergstation des H*****liftes betrug die Temperatur zwischen 8.00 und 9.00 Uhr morgens + 2ø. Die Pistenbeschaffenheit wurde am 23.1.1992 als griffig festgestellt, der Pistenzustand als sehr gut. Die Diensteinteilung sah vor, daß als Maschinist für die J*****bahn Mathias H***** Dienst versah. Als Mitarbeiter in der Bergstation der J*****bahn war ihm Anton H***** jun. zugeteilt. Dieser führte auch die Streckenkontrolle durch und befand die Strecke für in Ordnung. Nach der Diensteinteilung macht an der Bergstation ein Maschinist mit einem Helfer Dienst. Dabei hält sich immer eine Person im Freien an der Ausstiegsstelle auf; die zweite Person befindet sich im Lifthäuschen an der Ausstiegsstelle oder nimmt Präparierungsarbeiten auf der Piste selbst vor. Beide zum Dienst an der Bergstation eingeteilten Personen wechseln sich im Rhythmus einer halben Stunde ab, sodaß immer eine Person eine halbe Stunde lang stehend Dienst an der Ausstiegsrampe macht.

Die Bergstationsrampe der J*****bahn ist im horizontalen Teil 4,15 m breit und 4,30 m lang. Das Vollseil hat von der linken Abgrenzung in Fahrtrichtung gesehen einen Abstand von 1,65 m. Die Rampenausfahrt verbreitert sich in Fahrtrichtung gesehen auf 5,2 m Breite in einer Entfernung von der Ausstiegsfläche (Kante) von 5,45 m Länge. In einer Entfernung von 8 m von der Kante der horizontalen Ausstiegsfläche ist die Erweiterung nach rechts am Ende des Auslaufes 6,0 m breit. Das Gefälle von der Kante der horizontalen Ausstiegsfläche bis zur Länge von 5,45 m beträgt ca 19 %, von dort bis zum Ende des Auslaufes ca 11 %. Die Bergstation wurde plangemäß errichtet. Das Gefälle der Abfahrtsrampe, welches von der Aufsichtsbehörde vorgeschrieben war, wurde richtig ausgeführt. Die Abzäunungen wurden planmäßig aufgestellt. Auf der Brücke, das ist der horizontale Teil der Ausstiegsstelle, auf den die Passagiere beim Aussteigen die Schier aufzusetzen haben, war zum Unfallszeitpunkt eine Schneeauflage von etwa 10 cm. Die Sitzfläche eines Sessels ist im Bereich der horizontalen Ausstiegsfläche 0,6 m über dem Erdboden, bei einer Schneeauflage von 10 cm somit 0,5 m über der Schneeoberfläche. Der Höhenunterschied eines belasteten und eines unbelasteten Sessels in der Ausstiegsposition beträgt ca 2,5 bis 3 cm. Technisch ist es nicht möglich, daß sich der Sessel, solange er noch über der horizontalen Ausstiegsfläche schwebt, plötzlich in die Höhe zieht. Die Strecke zwischen den beiden Stützen bei der Ausstiegsstelle ist derart kurz, daß das Seil nahezu als fest gespannt zu erachten ist. Das vorgeschriebene stärkere Gefälle nach der horizontalen Ausstiegsfläche hat den Sinn, daß ein beim Aussteigen gestürzter Fahrgast nicht vom eigenen Sessel bzw von den Fußrastern verletzt wird. Der gestürzte Fahrgast gleitet durch das Gefälle etwas tiefer und der Sessel kann, ohne den Fahrgast zu berühren, über ihn hinwegschweben.

Der Lift fährt mit einer Geschwindigkeit von 2,5 m/sec. Zieht man die Reaktionsmöglichkeit einer Sekunde des Bahnbediensteten in Betracht, so kann frühestens 2,5 m nach dem Ereignis, das der Bahnbedienstete als signifikant für ein Anhalten des Liftes erkannt hat, der Beginn der Bremsphase des Liftes kommen. Die Bremsphase des Liftes ist nicht exakt bestimmbar, sie hängt von den Belastungsverhältnissen und von der Witterung ab. Bei normaler Abschaltung und normaler Belastung des Liftes liegt sie etwa bei 8 m. In Anbetracht der 2,5 m, die der Lift während der Reaktionssekunde zurücklegt, ergibt sich eine Strecke von 10 m vom Erkennen der Gefahr bis zum Stillstand des Liftes. Die Strecke von der Kante der horizontalen Ausstiegsfläche bis zur Umflaufscheibe ist weiter als 10 m. Für den Stationsbediensteten ist das Sitzenbleiben eines Passagiers auf dem Sessel erkennbar ab Ende des horizontalen Teiles der Ausstiegsstelle. Unter Berechnung der Reaktionssekunde erfolgt in einem solchen Fall das Anhalten des Sessels erst vor der Umlenkscheibe. Der Fahrgast, der den Ausstieg verpaßt hat, kann gefahrlos am Sessel verbleiben und wird mit geringer Geschwindigkeit wiederum zur Ausstiegsstelle zurückgeführt. Wird vom Fahrgast dem Bergstationsdienst beim Einfahren in die Station, das heißt beim Zufahren zum horizontalen Teil zugerufen, daß abgestellt werden soll oder irgendeine Geste gemacht, die das Abschalten als gewünscht zeigt, oder ist es für den Bergstationsdienst aufgrund einer Kennzeichnung des Sessels erkennbar, daß für diese Person beim Aussteigen besondere Hilfe zu leisten ist, dann hat der Bergstationsdienst die Möglichkeit, den Lift abzustellen. Eine Abschaltung der Anlage bewirkt jedoch, daß der Sessel erst nach der horizontalen Stelle zum Stillstand kommt. Über den Knick, der vom horizontalen Teil in die Schräge führt, schwebt der Sessel noch mit verringerter Geschwindigkeit. Die Rückholung des Sessels in die Station kann sodann ab dem Stillstand erfolgen.

Beim Kauf eines Fahrausweises verpflichtet sich der Fahrgast, die Beförderungsbedingungen einzuhalten. § 18 der Beförderungsbedingungen bestimmt das Verhalten vor, während und nach der Beförderung.

"....c) Das Ein‑ und Aussteigen ist nur an den hiefür bestimmten Stellen zulässig.

f) Während der Fahrt sind Abspringen .... verboten.

j) Die für Fahrgäste der Seilbahn maßgeblichen, in der Regel durch Symbolschilder erkennbar gemachten Verbote, Gebote und Hinweise sind genauestens zu befolgen."

Die Betriebsvorschrift sieht Regelungen vor, die für den Bergstationsdienst bindend sind:

...

§ 46

Die Ein‑ und Aussteigehelfer haben für die reibungslose Abwicklung des Verkehrs auf den Stationsrampen zu sorgen. Sie haben die Fahrgäste beim Ein‑ und Aussteigen zu beobachten und ihnen erforderlichenfalls behilflich zu sein. Insbesondere haben die Helfer darauf zu achten, daß die Rampen stets frei sind. Sollten diese durch ein Hindernis unbenützbar sein, ist die Seilbahn stillzusetzen.

....

§ 48

Die Helfer haben während des Betriebes nach Möglichkeit auch die Strecke zu beobachten und Unregelmäßigkeiten dem Maschinisten zu melden. Wenn die Sicherheit des Betriebes gefährdet erscheint, haben sie die Seilbahn stillzusetzen. Über die Ursache der Stillsetzung ist dem Maschinisten zu berichten.

....

§ 49

Bei Beförderung von gebrechlichen oder offensichtlich körperbehinderten Personen, sowie auf Wunsch des Fahrgastes ist die Fahrgeschwindigkeit für die Dauer des Ein‑ bzw Aussteigens zu vermindern. Gegebenenfalls ist die Seilbahn stillzusetzen. Die mit solchen Personen besetzten Fahrbetriebsmittel sind mit Sichtzeichen gemäß § 125 zu versehen. Das Sichtzeichen bedeutet für die Helfer das Stillsetzen oder Verzögern der Seilbahn für die Dauer des Aussteigens der betreffenden Personen.

§ 50

Die Helfer dürfen ihren Standplatz nicht verlassen, solange sich die Sesselbahn in Bewegung befindet.

...

§ 52

Gelingt einem Fahrgast das rechtzeitige Aussteigen nicht, so ist die Seilbahn stillzusetzen. Das Durchfahren eines besetzten Sessels durch eine Station ist verboten.

§ 53

Den Helfern obliegt die Pflege der Stationen, die Beaufsichtigung der Rampen sowie des gesamten Abfertigungsdienstes.

Sesselbahnen im Wintersportbetrieb mit angeschnallten Schiern sind nicht Beförderungsmittel jedermanns Gebrauch; ihre Benützung selbst setzt schifahrerisches Können und Mitarbeit des Fahrgastes voraus. Eine gewisse Mitarbeit ist auch beim vorliegenden Sportausstieg notwendig. Der Fahrgast muß nach Ankunft auf der horizontalen Ausstiegsfläche mit einer Länge von ca 4,3 m vom Sessel aufstehen, dafür steht ihm eine Zeit von ca 1,5 sec zur Verfügung. Löst sich der Fahrgast erst nach Ende der Ausstiegsfläche von der Sitzfläche, wenn der Bodenabstand in der Rampe sich bereits vergrößert, so wird das Aussteigen schnell zum Abspringen, welches laut Beförderungsordnung verboten ist. Steht der Fahrgast, wie vorgesehen, im Bereich der horizontalen Ausstiegsfläche auf, so wird er vom Sessel automatisch in die schräge Ebene geschoben und gleitet dann dem Sessel voraus. Stürze durch Ungeschicklichkeit, zu spätes Aussteigen, Verhaken mit den Schiern oder andere gegenseitige Beeinflussung sind typische Stürze im Ausstiegsbereich. Sie liegen im eigenverantwortlichen bzw schifahrtechnischen Bereich, wenn die Abfahrtsrampen für normale Schifahrer in der Schneebeschaffenheit befahrbar sind, das heißt, wenn keine totale Vereisung vorliegt, die eine Führung der Schier verhindert. Harter Schnee ist an viel befahrenen Ausstiegsstellen als normal anzusehen.

Die Hilfestellung, die dem Bergstationsdienst nach § 49 der Betriebsvorschrift auferlegt ist, ist technisch beschränkt. Direkte Hilfestellung, wie etwa Herausziehen der Fahrgäste aus dem Sessel, ist ihm nicht möglich, da er in diesem Fall vor dem Sessel stehen müßte. Von der Technik her besteht, wenn jemand über den horizontalen Ausstiegsplatz hinaus sitzen bleibt, keine Möglichkeit für den Aussteigshelfer, einzugreifen.

Das Handanlegen an die Armlehne des Sessels, während dieser am Stationsdienst vorbeigleitet, ist eine den Schwung des Sessels dämpfende Hilfeleistung, die dazu führt, daß der Sessel, der vom Fahrgast während des Aufstehens nach rückwärts gedrückt wird, im Gegenschwung der Pendelbewegung den Fahrgast nicht nach vorne stößt. Diese Hilfestellung ist die einzig technisch mögliche Hilfestellung, die der Stationsdienst bei einem Sportlift im Winterbetrieb durchführen kann. Die Besetzung der Ausstiegsstelle mit einer sich im Freien befindlichen Hilfsperson ist ausreichend.

Zum Unfallszeitpunkt fuhr der Lift mit voller Geschwindigkeit, das sind 2,5 m/sec. Die Sesselfolge ist bei dieser Geschwindigkeit 6,51 sec bei einem Sesselabstand von 16,35 m. Sowohl auf dem horizontalen Bereich der Ausstiegsfläche als auch auf der Abfahrtsrampe war harter gepreßter Schnee. Im Bereich der Ausstiegsstelle betrug die Schneeauflage 10 cm.

Anna W***** fuhr gegen 14.20 Uhr mit dem Doppelsessellift zur Bergstation. Zum Zeitpunkt des Unfalles war sie 69 Jahre alt und 1,58 cm groß. Sie trug einen Overall und eine Schi‑Gürteltasche um die Taille, wobei die Tasche auf der vorderen Körperseite hängend getragen wurde. Anna W***** war eine erfahrene Schiläuferin. Sie befand sich in einer Gruppe von etwa gleichaltrigen Damen. Als Anna W***** auf dem Sessel, auf dem sie rechts saß, zum Beginn der horizontalen Ausstiegsrampe transportiert wurde, bot sie für den Stationsdienst H***** weder optisch den Anblick einer Person, der er gemäß § 49 der Betriebsvorschrift besondere Hilfeleistung zuwenden hätte müssen, noch verlangte Anna W***** (etwa durch Zuruf) etwas Derartiges. Im Sessel vor jenem, der Anna W***** und eine Beifahrerin transportierte, saß Johanna R*****. Johanna R***** fuhr alleine und machte sich im Bereich der Ausstiegsstelle bereit, sich vom Sitz hinuntergleiten zu lassen. Als Johanna R***** noch auf der Sitzfläche war, hatte sie plötzlich das Empfinden, der Liftsessel schnelle mit ihr in die Höhe. In diesem Augenblick ließ sie sich von der Sitzfläche hinuntergleiten, wobei sie dies zu einem Zeitpunkt tat, als sich der Sessel nicht mehr über dem horizontalen Teil der Ausstiegsstelle, sondern bereits über der abschüssigen Rampe befand. Johanna R***** glitt vom Sessel in die abschüssige Rampe und kam dort zu Sturz. Dabei verletzte sich Johanna R***** nicht.

Anna W***** selbst stand im horizontalen Bereich der Ausstiegsstelle nicht auf, sondern rutschte am Sessel mit dem Gesäß nach vorne, um am Ende des Ausstiegsbereiches, beim Beginn des Gefälles auszusteigen. Anna W***** nützte den horizontalen Bereich der Ausstiegsstelle nicht, um sich vom Sessel zu lösen und auf den Schiern stehend sich vom Sessel zur Abfahrtsrampe schieben zu lassen. Im bereits abfallenden Gelände der Abfahrtsrampe glitt sie von der Sitzfläche des Sessels, wobei Anna W***** subjektiv die Empfindung hatte, der Sessel "schnelle in die Höhe". Während des Gleitens vom Sessel war der Höhenunterschied zwischen dem Sessel und der abfallenden Abfahrtsrampe bereits sehr hoch. Während des Aussteigevorgangs hielt sich Anna W***** an der rechten Armlehne des Sessels fest, da beim "Abspringen" eine Schneeberührung mit den Schiern nicht gleich stattfand. Dabei wurde Anna W***** durch das Festhalten gedreht und stürzte auf die abschüssige Rampe. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Begleiterin, die sich rechtzeitig im Sessel aufgerichtet hatte, vom Sessel nach vorne zum Geländeknick geschoben worden und über diesen abgefahren war, bereits unterhalb der Anna W*****. Anna W***** kam im Bereich der Abfahrtsrampe zum Liegen.

Die sicherste Art des Aussteigens aus einem Sportlift im Winterbetrieb besteht darin, daß ein Schifahrer bereits im Horizontalen aufsteht und sich vom Sessel in Richtung der Abfahrtsrampe schieben läßt. Wenn er dann die abfallende Fläche der Rampe erreicht, wird er automatisch schneller und entweicht so dem Sessel. Die unsicherste Art des Aussteigens ist das Vorrücken am Sessel, Warten (auf dem Sessel sitzend) auf das Herannahen der Schräge und das Sich‑Lösen auf der Kante vom Sessel.

Mathias H***** stand, als sich Anna W***** auf ihrem Sessel näherte, mit dem Rücken zum Häuschen, in dieser Stellung fährt der Sessel in einer Entfernung von 20 bis 30 cm am Liftbediensteten vorbei. Mathias H***** pflegt, wenn sich ein Sessel seiner Standpositon nähert, die Armlehne des Sessels zu ergreifen, dies in dem Augenblick, als der Passagier noch auf dem Sessel sitzt. Durch dieses Eingreifen der Armlehne wird der Sessel gebremst, was bewirkt, daß Passagiere, die im Aufstehen den Sessel nach rückwärts schieben, von dem zurückschwingenden Sessel nicht getroffen werden. So ging Mathias H***** auch vor, als sich der mit Anna W***** besetzte Sessel näherte. Eine andere Möglichkeit des "Behilflichseins" bestand für Mathias H***** nicht. Als Mathias H***** wahrnahm, daß Anna W***** im Bereiche der Rampe gestürzt war, öffnete er die Tür des Häuschens und wies H***** an, dort hinunterzugehen, um behilflich zu sein. Durch den Sturz erlitt Anna W***** eine Schenkelhalsfraktur.

Das Erstgericht traf auch weitere Feststellungen über die Unfallsfolgen, die für das Revisionsverfahren entbehrlich sind.

Rechtlich erörterte das Erstgericht zusammengefaßt, Anna W***** habe ihren Sturz selbst verschuldet, weil sie die zum Aussteigen vorgesehene Fläche nicht genutzt habe, sondern erst im Bereich der Abfahrtsrampe, sohin zu spät vom Liftsessel aufgestanden sei; die beklagte Partei und deren Leute treffe kein Vorwurf, weil die Ausstiegsstelle zum Unfallszeitpunkt in einem ordnungsgemäßen Zustand gewesen sei und die Leute der beklagten Partei alle einschlägigen Betriebsvorschriften eingehalten hätten. Von den Stationsbediensteten habe kein erkennbarer Anlaß für eine Hilfestellung bestanden, zumal Anna W***** eine solche nicht angefordert und sich bis zum Sturz - wie auch die übrigen Mitglieder der Gruppe von Damen fortgeschrittenen Alters - unauffällig verhalten haben. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände sei - unter Berücksichtigung der Art eines solchen Liftbetriebes - ein Stationsbediensteter nicht gehalten, allein aufgrund des fortgeschrittenen Alters eines Fahrgastes den Lift anzuhalten oder die Fahrgeschwindigkeit zu vermindern; bleibe er ‑ wie im vorliegenden Fall Anna W***** - im horizontalen Bereich der Ausstiegsstelle am Sessel und löse sich von diesem erst am Beginn der Abfahrtsrampe, sei ein durch ein solches Fehlverhalten eines Fahrgastes verursachter Sturz für die Leute der beklagten Partei nicht vermeidbar. Ein rechtzeitiges Abschalten des Liftes oder einer Verminderung seiner Fahrgeschwindigkeit müsse nämlich aus technischen Gründen bereits veranlaßt werden, so bald der in die Bergstation einfahrende Fahrgast über die Rampe der Ausstiegsstelle komme. Für ein derart frühes Einschreiten habe im vorigen Fall kein Anlaß bestanden. Der beklagten Partei sei sohin der Freibeweis nach § 9 EKHG gelungen.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin teilweise Folge.

Es übernahm die Feststellung des Erstgerichtes, folgte aber dessen Rechtsmeinung, der beklagten Partei sei der Freibeweis im Sinne des § 9 EKHG gelungen, im Ergebnis nicht. Es stehe fest, daß der Doppelsessellift der beklagten Partei zum Unfallszeitpunkt mit voller Fahrgeschwindigkeit in Betrieb gewesen sei, für Anna W***** in der Bergstation lediglich eine kurze Strecke von ca 4,3 m und eine gleichfalls auffallend kurze Zeit von lediglich ca 1,5 sec zur Verfügung standen, um vom Liftsessel aufzustehen und sich von diesem zu lösen. Auch sei hervorgekommen, daß Anna W***** eine Körpergröße von lediglich von 158 cm gehabt habe, zum Unfallszeitpunkt nahezu 70 Jahre alt gewesen sei und sich in einer Gruppe etwa gleichaltriger Damen befunden habe. Ein besonders umsichtiger Bediensteter des Talstationsdienstes hätte dem Bergstationsdienst die Ankunft einer Gruppe älterer Damen im Fernsprechwege angekündigt. Ein besonders umsichtiger Liftbediensteter des Bergstationsdienstes hätte aufgrund einer derartigen Ankündigung, allenfalls auch aufgrund eigener Beobachtung, die Ankunft einer Gruppe älterer Damen erwartet und zur Vermeidung jeglichen Risikos beim Aussteigen die Fahrgeschwindigkeit des Liftes erheblich vermindert, wozu insbesondere unter Berücksichtigung der kurzen Ausstiegsstrecke und der bei voller Fahrgeschwindigkeit für das Aussteigen zur Verfügung stehenden auffallenden kurzen Zeit von lediglich ca 1,5 sec jeder Anlaß bestanden hätte. Der Freibeweis der beklagten Partei nach § 9 EKHG sei als mißlungen anzusehen.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen.

Die klagende Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Auszugehen ist davon, daß der von der beklagten Partei betriebene Doppelsessellift den Bestimmungen des EKHG unterliegt (Apathy EKHG Rz 2 zu § 2).

Die beklagte Partei kann sich daher von der Haftung nach dem EKHG nur durch Erbringung des ihr obliegenden Entlastungsbeweises nach § 9 EKHG befreien. Zur Führung des Entlastungsbeweises nach dieser Bestimmung genügt es nicht, daß die mit dem Willen der beklagten Partei beim Betrieb tätigen Personen kein Verschulden trifft (Apathy aaO Rz 15 zu § 9, Koziol2 II 551; ZVR 1983/128). Zur Haftungsbefreiung muß die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche und zumutbare Sorgfalt eingehalten werden. Diese Sorgfaltspflicht wird dann gewahrt, wenn ein Liftbediensteter über die gewöhnliche Sorgfaltspflicht hinausgehende, besonders überlegende Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht gezeigt hat. Die erhöhte Sorgfaltspflicht, deren Beachtung den Unfall als unabwendbares Ereignis erscheinen läßt, setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, daß von vornherein vermieden wird, in eine Situation zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen kann (Apathy aaO Rz 16 zu § 9 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes darf aber auch die erhöhte Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden, soll eine vom Gesetzgeber nicht gewollte reine Erfolgshaftung vermieden werden (Apathy aaO Rz 18 zu § 9; ZVR 1990/157, 2 Ob 16/91, 2 Ob 74/95 uva).

Bei Beachtung dieser Grundsätze vermag sich der erkennende Senat der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, ein besonders aufmerksamer und umsichtiger Bediensteter der Talstation hätte dem Bediensteten der Liftstation telefonisch die Ankunft einer Gruppe älterer Damen mitgeteilt und ein besonders umsichtiger Liftbediensteter des Bergstationsdienstes hätte aufgrund einer derartigen Ankündigung die Ankunft dieser Gruppe älterer Damen erwartet und die Fahrgeschwindigkeit des Liftes erheblich vermindert, nicht anzuschließen.

Auszugehen ist davon, daß nach den Feststellungen die Versicherungsnehmerin der klagenden Partei zum Unfallszeitpunkt zwar 69 Jahre alt war und eine Körpergröße von 158 cm aufgewiesen hat, aber als erfahrene Schiläuferin galt. Sie bot dem auf der Bergstation anwesenden Liftbediensteten optisch weder den Anblick einer Person, der er gemäß § 49 der Betriebsvorschrift besondere Hilfeleistung zuwenden hätte müssen, noch verlangte sie dies. Allein die Tatsache, daß eine Gruppe von Schiläuferinnen vorgerückten Alters mit angeschnallten Schiern einen Doppelsessellift benützten, hätte auch einen besonders umsichtigen Liftbediensteten der Talstation nicht veranlassen müssen, die Ankunft dieser Gruppe voranzukündigen. Aus dem - im übrigen durch Schianzug und allfälliger Sonnenbrille schwer abschätzbaren ‑ Alter, läßt sich mangels weiters hinzutretender Umstände keinesfalls auf eine besondere Hilfsbedürftigkeit der Benützerin eines für Sportzwecke errichteten Doppelsesselliftes schließen. Daß aber weitere Umstände (Ängstlichkeit, Ungeschicklichkeit bzw ein weiteres auffälliges Verhalten) die vom Berufungsgericht geforderte telefonische Vorankündigung erfordert hätte, ist dem Verfahren in keiner Weise zu entnehmen.

Der Oberste Gerichtshof teilt daher die Rechtsmeinung des Erstgerichtes, daß der beklagten Partei der Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 EKHG gelungen ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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