Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.871,04 (darin enthalten USt von S 811,84, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin benützte am 27.2.1992 um cirka 14.00 Uhr einen von der beklagten Partei zwischen B***** und K***** betriebenen Gelenk-Obus als Fahrgast. In dem Bus befand sich kein Schaffner, sondern nur der Lenker, dem auch das Kassieren der Fahrpreise und die Überwachung des Fahrgastraumes oblag. Der Bus war nicht überbesetzt. Für den Ein- und Ausstieg der Fahrgäste waren jeweils gesonderte Türen vorgesehen, was durch entsprechende Tafeln am Bus ersichtlich gemacht war. Die Klägerin wollte in K***** bei der Haltestelle "E*****" aussteigen und die für den Ausstieg vorgesehene Tür benützen. Gleichzeitig mit ihr wollten zumindest 10 andere Fahrgäste aussteigen, sowie etwa 10 bis 15 Fahrgäste einsteigen. Bei einem Großteil der anderen Fahrgäste handelte es sich um Schüler. Beim Aussteigen erhielt die Klägerin von hinten einen Stoß, wodurch sie stürtzte und verletzt wurde.
Unter Einräumung eines Eigenverschuldens von 50 % begehrt die Klägerin Schadenersatz in der Höhe von S 55.635,-- und die Feststellung, der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden. Die Klägerin brachte vor, Ursache ihres Sturzes sei auch ein Gedränge gewesen, welches die beklagte Partei durch den Einsatz von zusätzlichem Personal hätte vermeiden müssen. Der beklagten Partei sei ein Organisationsmangel vorzuwerfen, da ihre Fahrzeuge lediglich mit einem Lenker besetzt seien, der mit der Chauffeurtätigkeit, Fahrscheinausgabe und Aufsicht über den Fahrgastraum überfordert sei. Daneben fehlten Aufsichtspersonen, um insbesondere zu Zeiten stärkerer Fahrgastfrequenz das Ein- und Aussteigen zu regeln.
Die beklagte Partei wendete ein, nicht für das Verhalten eines anderen Fahrgastes zu haften.
Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung von S 32.655,-- und stellte deren Haftung für alle künftigen Schäden im Umfang von 50 % fest. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 22.980,-- sA, wurde abgewiesen.
Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt vertrat das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht die Meinung, die beklagte Partei hafte sowohl aus Verschulden, als auch nach dem EKHG. Sie hätte zu Zeiten einer erhöhten Fahrgastfrequenz durch den Einsatz zusätzlichen Personals ein Gedränge vermeiden bzw durch Lautsprecheransagen darauf hinwirken müssen, daß beim Ein- und Aussteigen nur die hiefür vorgesehenen Türen benützt werden. Sie müsse wiederholt disziplinlose Fahrgäste von der Beförderung ausschließen.
Das von der beklagten Partei gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahingehend ab, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wurde. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt S 50.000,-- übersteige, es erklärte die ordentliche Revision für zulässig.
Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, es sei üblich, daß Massenverkehrsmittel in Städten nur mit einem Chauffeur und ohne Schaffner fahren. Es sei unüblich, Leute einzusetzen, welche das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste kontrollieren und ein Gedränge vermeiden sollen. Dies von einem Verkehrsunternehmen zu verlangen, wäre eine Überspannung der Sorgfaltspflicht. Ebenso unzumutbar wäre es, die vom Erstgericht verlangten Lautsprecheransagen durchzuführen bzw die Benützung der Türen durch die Fahrgäste genau zu kontrollieren. Auch wenn man alle diese Forderungen des Erstgerichtes erfüllen wollte, könnte nicht ausgeschlossen werden, daß nicht ein Fahrgast beim Aussteigen durch einen anderen gestoßen wird.
Die beklagte Partei treffe am Unfall der Klägerin weder ein Verschulden noch liege ein Mangel im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG vor. Der Unfall sei vielmehr auf das Verhalten eines nicht beim Betrieb der beklagten Partei tätigen Dritten zurückzuführen.
Die ordentliche Revision wurde zugelassen, weil zur hier behandelten Rechtsfrage keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes existiere.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt,
Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Die Klägerin vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, daß die beklagte Partei aufgrund des mit ihr abgeschlossenen Beförderungsvertrages alle gebotenen Vorkehrungen zu treffen habe, um die körperliche Unversehrtheit der Fahrgäste zu gewährleisten. Wenngleich es in der heutigen Zeit üblich sei, Massenverkehrsmittel in Städten nur mit einem Chauffeur und ohne Schaffner zu besetzen und solche Maßnahmen aus Gründen der Kostenökonomie und im Sinne einer moderaten Tarifgestaltung getroffen werden müßten, müsse dies zum Schutze des Fahrgastes die Konsequenz haben, daß allfällige, aus einem verminderten Personaleinsatz resultierende Nachteile des Fahrgastes zu einer Schadenersatzpflicht des Beförderungsunternehmens führen. Gerade im vorliegenden Fall habe sich gezeigt, daß durch die mangelnde Kontrolle und Überwachung des Ein- und Ausstiegsvorganges bei der für den Ausstieg vorgesehenen Türe gleichzeitig 10 bis 15 Fahrgäste einsteigen wollten, wodurch der flüssige Ausstieg der Fahrzeuginsassen zweifellos gehemmt wurde. Dieses Verhalten der Fahrgäste, das die beklagte Partei toleriert habe, sei zumindest mitursächlich für das nachfolgende Gedränge beim Ausstieg gewesen. Durch den knappen Personaleinsatz habe die beklagte Partei bewußt in Kauf genommen, daß derartige Vorfälle eintreten können, weshalb sie auch für die nachteiligen Folgen einzutreten habe.
Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.
Was die Haftung der beklagten Partei nach den Bestimmungen des EKHG betrifft, ist wohl davon auszugehen, daß sich der Unfall wegen des Zusammenhanges mit dem eigentlichen Vorgang des Aussteigens beim Betrieb des Kraftfahrzeuges ereignete (Apythy, Komm z EKHG, Rz 31 zu § 1; vgl ZVR 1988/113). Gemäß § 5 Abs 1 EKHG wäre daher grundsätzlich die Haftung der beklagten Partei zu bejahen. Gemäß § 9 EKHG ist aber die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, wobei ein solches insbesondere dann vorliegt, wenn es auf das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten zurückzuführen ist. Im vorliegenden Fall wurde der Klägerin durch einen nicht beim Betrieb tätigen anderen Fahrgast ein Stoß versetzt, sodaß von einem unabwendbaren Ereignis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG auszugehen ist. Die Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG setzt aber weiters voraus, daß Betriebsunternehmer, Halter und die mit ihrem Willen beim Betrieb tätigen Personen die äußerste, nach den Umständen des Falles mögliche und zumutbare Sorgfalt eingehalten haben. Die erhöhte Sorgfaltspflicht darf aber nicht überspannt werden, soll eine vom Gesetzgeber nicht gewollte reine Erfolgshaftung vermieden werden (Apathy, aaO, Rz 18 zu § 9). Im vorliegenden Fall hätte auch ein besonders sorgfältiger Busfahrer keinerlei besondere Vorsichtsmaßnahmen getroffen, weil keine bedenkliche Situation vorlag: Es stiegen 10 andere Fahrgäste aus und wollten 10 bis 15 weitere Fahrgäste einsteigen; bei einer derartigen Situation, wie sie sich wohl täglich vielfach ereignet, können vom Buslenker keine besonderen Maßnahmen verlangt werden. Die Beschäftigung besonderer Ordnungskräfte innerhalb des Busses zur Regelung des Ein- und Aussteigens ist dem Betriebsunternehmer bei vernünftiger Abwägung der Interessen nicht zumutbar (vgl 8 Ob 191/78).
Da vom stehenden Bus keine besondere Gefahrensituation ausgeht, kann auch keine Rede davon sein, daß durch das Verhalten des dritten Fahrgastes eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgelöst wurde, auf die der Unfall zurückzuführen ist.
Schließlich sind auch ein Fehler in der Beschaffenheit oder ein Versagen der Verrichtung des Kraftfahrzeuges nicht gegeben, so daß der beklagten Partei der Haftungsbefreiungsgrund des § 9 EKHG zugutekommt.
Zutreffend weist die Klägerin allerdings darauf hin, daß die beklagte Partei aufgrund des mit ihr abgeschlossene Beförderungsvertrages verpflichtet war, sie unversehrt an den Bestimmungsort zu bringen (Krejci in Rummel2, Rz 26 zu §§ 1165, 1166). Die Unterlassung der Körperverletzung ist Vertragsinhalt des Beförderungsvertrages (ZVR 1985/43). Dieser Verpflichtung ist die beklagte Partei nicht nachgekommen. Das bedeutet aber nicht, daß der beklagten Partei bereits Rechtswidrigkeit vorgeworfen werden könnte; das Urteil der Rechtswidrigkeit bezieht sich nämlich nach ganz herrschender Auffassung nur auf menschliches Verhalten (Verhaltensunrecht), nicht aber auf den nachteiligen Erfolg (Koziol, Haftpflichtrecht2 I 90 f mwN, Koziol/Welser I10, 449; JBl 1992, 44). Das Rechtswidrigkeitsurteil ist aus der Verletzung von konkret für die betreffende Situation ausformulierten, ex ante die "erforderliche Sorgfalt" bestimmenden Verhaltensgeboten abgeleitet und ist darauf zu achten, daß dem Schädiger nicht völlig unerfüllbare Sorgfaltgebote auferlegt werden (Karollus, Praktische Probleme der Schutzgesetzhaftung, insb im Verkehrshaftpflichtrecht, ZVR 1994, 129 [131]). Im vorliegenden Fall kann aber weder Organen der beklagten Partei noch dem Lenker des Busses die Verletzung von Verhaltensgeboten angelastet werden. Wie schon oben ausgeführt, bestand für den Buslenker keinerlei bedenkliche Situation, auch der Bus selbst wies keinerlei Mängel auf; es hieße die Verpflichtungen eines Massenbeförderungsunternehmens überspannen, würde man von ihm verlangen, durch zusätzliche Bedienstete die Ein- und Aussteigevorgänge überwachen zu lassen. Daß ein Fahrgast beim Aussteigen von einem anderen Fahrgast einen Stoß erhält und dadurch stürzt und verletzt wird, ist für den Beförderungsunternehmer im allgemeinen unvermeidlich.
Der Revision der Klägerin war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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