Spruch:
1. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.
Der Kläger ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 5.358,14 (darin S 893,02 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
2. Der Revision der beklagten Parteien wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden, soweit damit dem Klagebegehren mit S 34.100 sA stattgegeben wurde, und ferner im Kostenpunkt aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällenden Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die diesen Teil der Entscheidungen betreffenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 6.7.1993 ereignete sich auf der Kreuzung zwischen dem Güterweg "Karmazik" und einem unbenannten Weg, der aus Richtung Neusiedlersee in Richtung L 205 führt, ca 200 m südlich der Ortstafel von Podersdorf ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Radfahrer und die Erstbeklagte als Lenkerin und Halterin eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs beteiligt waren.
Der Kläger behauptet das Alleinverschulden der Erstbeklagten, die seinen Rechtsvorrang mißachtet und keine "auf einem Güterweg angebrachte" Geschwindigkeit eingehalten habe. Er begehrt die Bezahlung von zuletzt S 84.160,-- sA.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und bringen hiezu vor, der Kläger sei aus einer im Sinne des § 19 Abs 6 StVO untergeordneten Verkehrsfläche herausgekommen, weshalb ihm kein Rechtsvorrang zugekommen sei. Die Erstbeklagte habe keine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten. Darüber hinaus wendeten die Beklagten eine Gegenforderung aus dem Sachschaden der Erstbeklagten in der Höhe von zuletzt S 16.360,-- ein.
Das Erstgericht sprach aus, daß die Klagsforderung von S 84.160 sA zu Recht und die Gegenforderung nicht zu Recht besteht, und gab daher dem Klagebegehren zur Gänze statt.
Es traf nachfolgende für die Entscheidung wesentliche Feststellungen:
Bei dem von der Erstbeklagten benützten Güterweg handelt es sich um eine asphaltierte Straße, die in ihrer Annäherungsrichtung gesehen 4,6 m und nach der Kreuzung 4,8 m breit ist. Die von dem (am 12.3.1978 geborenen) Kläger benützte Verbindungsstraße ist 4 m breit, geschottert und 6 m vor der Einmündung in den Güterweg asphaltiert. Der Einmündungstrichter selbst ist 8 m breit, der gegenüberliegende Ast dieses Weges hat einen Einmündungstrichter von 10 m, ist ebenfalls 4 m breit, geschottert und 5 m vor dem Güterweg asphaltiert. Auf der Verlängerung des Güterweges in Richtung Ortszentrum Podersdorf zurück, etwa 500 m von der Unfallsstelle entfernt, ist das Vorschriftszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung" angebracht, das anzeigt, daß das Überschreiten einer Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h verboten ist. Zwischen dem Vorschriftszeichen und der Unfallsstelle befindet sich ein Hinweiszeichen "Ortsende". Eine ausdrückliche Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h erfolgte dort nicht. Zwischen dem Vorschriftszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung" und der Unfallsstelle münden in Fahrtrichtung der Erstbeklagten gesehen noch vor der Ortstafel von links und rechts mehrere Straßen in den Güterweg ein, wobei die Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h an den jeweiligen Kreuzungen nicht angezeigt wird.
Die Erstbeklagte näherte sich der Unfallsstelle mit 66 km/h. 30 m bzw 1,8 Sekunden vor der Kollisionsstelle nahm sie den sich von rechts nähernden Kläger wahr. Sie leitete unverzüglich eine Vollbremsung ein. Die Kollisionsgeschwindigkeit des PKWs betrug 42 km/h. Als die Erstbeklagte den Kläger erstmals wahrnahm, befand er sich 5 m vor der Einmündung in den Güterweg und beabsichtigte, in diesen nach links einzubiegen. Er legte von dieser ersten Sichtposition bis zum Kollisionszeitpunkt eine Strecke von etwa 7 m zurück und hielt eine Fahrgeschwindigkeit von etwa 15 km/h ein. Er fuhr ohne anzuhalten in die Kreuzung ein. Nicht festgestellt werden konnte, daß der Kläger vor dem Einfahren in den Kreuzungsbereich seine Geschwindigkeit verringerte.
Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 40 km/h durch die Erstbeklagte wäre bei sonst gleicher Unfallskonstellation, insbesondere bei gleichem Gefahrenserkennungszeitpunkt, ein Anhalten vor der Einbiegelinie des Klägers möglich gewesen. Selbst bei Einhaltung von 50 km/h hätte die Erstbeklagte den Unfall vermeiden können.
Die Erstbeklagte war ortskundig, sie hatte schon öfter wahrgenommen, daß Radfahrer aus jenem Weg, den der Kläger benützte, in den asphaltierten Güterweg einbogen.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß dem Kläger der Rechtsvorrang zukam; es sei bei objektiver Betrachtungsweise jedermann erkennbar, daß gleichrangige Straßen vorliegen; dafür spreche insbesondere die etwa gleiche Breite sowie die Zuordnung beider Straßen zum Siedlungsgebiet. Der Umstand allein, daß der von der Erstbeklagten benutzte Weg asphaltiert sei, falle nicht entscheidend ins Gewicht.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil des Erstgerichtes von den beklagten Parteien erhobenen Berufung teilweise Folge. Es stellte fest, daß die eingeklagte Forderung mit S 42.080,-- und die eingewendete Gegenforderung mit S 7.980,-- zu Recht besteht, und erkannte die beklagten Parteien daher unter Abweisung des Mehrbegehrens zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger S 34.100 sA zu bezahlen. Der von der Erstbeklagten benutzte Güterweg unterscheide sich vor allem durch die Oberflächengestaltung deutlich von dem vom Kläger benützten Weg. So sei der erstgenannte Weg durchwegs asphaltiert, während der vom Kläger benutzte Weg geschottert und lediglich 5 bzw 6 m vor dem Einmündungstrichter asphaltiert sei. Die vom Kläger benutzte Verkehrsfläche sei daher als untergeordnet im Sinne des § 19 Abs 6 StVO anzusehen, weshalb der Erstbeklagten der Vorrang zugekommen sei.
Auch die Klägerin treffe ein Mitverschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalles, weil sie die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h um 26 km/h überschritten habe. Die erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit rechtfertige ein gleichteiliges Verschulden.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es liege wohl eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dazu vor, nach welchen Kriterien eine Verkehrsfläche dem § 19 Abs 6 StVO zu unterstellen sei, doch sei eine Entscheidung in Anwendung dieser Grundsätze auf einen dem vorliegenden vergleichbaren Sachverhalt nicht vorhanden.
Gegen den klagsabweisenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revision die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß die Klage zur Gänze abgewiesen werde. Hilfsweise wird ebenfalls ein Aufhebungsantrag gestellt.
Beide Parteien beantragen, das Rechtsmittel der Gegenseite als unzulässig zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.
Die Revision der beklagten Parteien ist zulässig und im Sinne des Eventualantrages berechtigt.
Zur Revision des Klägers:
Der Mangel der fehlenden pflegschaftsbehördlichen Genehmigung der Klage wurde durch die nachträgliche Erklärung des nunmehr volljährigen Klägers, mit der bisherigen Prozeßführung einverstanden zu sein, geteilt.
Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, besteht eine einhellige und ausführliche Judikatur des Obersten Gerichtshofes zur Frage, wann eine Verkehrsfläche als untergeordnet im Sinne des § 19 Abs 6 StVO anzusehen ist. Einer neuerlichen Darlegung der bereits wiederholt umschriebenen Kriterien zur grundsätzlichen Beantwortung dieser Frage bedarf es daher nicht (vgl ZVR 1995/126; ZVR 1992/115; ZVR 1988/92 jeweils mit ausführlichen Nachweisen).
Ob aber im Einzelfall eine Verkehrsfläche als untergeordnet im Sinne der genannten Gesetzesstelle anzusehen ist, kann eben nur nach den konkreten Umständen des Falles beurteilt werden. Eine über diesen Einzelfall hinausreichende Bedeutung kommt der Lösung dieser Frage nicht zu.
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht, ausgehend von den getroffenen Feststellungen und den im Akt erliegenden Lichtbildern, die vom Kläger benützte Verkehrsfläche als untergeordnet beurteilt. Eine für die Zulässigkeit der Revision begründende krasse Fehlbeurteilung (vgl RZ 1994/45 ua) liegt hier nicht vor.
Auch die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die Revision des Klägers war daher mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Zur Revision der beklagten Parteien:
Die Revisionswerber verweisen zunächst darauf, daß der Kläger im Verfahren erster Instanz der Erstbeklagten - neben einer Verletzung seines Rechtsvorranges - lediglich die Einhaltung einer für "einen Güterweg" relativ überhöhten Geschwindigkeit vorgeworfen habe. Die Feststellungen des Erstgerichtes über das - in Fahrtrichtung der Erstbeklagten gesehen - vor dem Hinweisschild "Ortsende" angebrachte Verkehrszeichen nach § 52 lit a Z 10a StVO (Geschwindigkeitsbeschränkung) seien nicht zu beachten, weil sie vom Klagsvorbringen nicht umfaßt seien.
Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung, daß "überschießende Feststellungen", also Sachverhaltsfestellungen erster Instanz, die durch ein entsprechendes Prozeßvorbringen nicht gedeckt sind, dann nicht unberücksichtigt bleiben können, wenn sie in den Rahmen eines geltend gemachten Klagegrundes oder einer bestimmten Einwendung fallen, mögen sie auch nachträglich nicht durch entsprechendes Vorbringen ausdrücklich gedeckt sein (vgl SZ 61/135; RIS Justiz RS0037972 mwN).
Die Behauptung, die Erstbeklagte habe eine für einen Güterweg relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten, stellt den globalen Verschuldensvorwurf der Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit dar und deckt nach Ansicht des erkennenden Senates auch den Vorwurf, eine durch das Vorschriftszeichen nach § 52 lit a Z 10a StVO angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung nicht eingehalten zu haben.
Soweit in der Revision der beklagten Parteien allerdings erstmalig ausgeführt wird, das vor dem Hinweiszeichen "Ortsende" angebrachte Verkehrszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung" habe nach der Tafel "Ortsende" aus verschiedenen, in der Revision näher dargelegten Gründen keine Wirksamkeit entfaltet, kann darauf vom Obersten Gerichtshof nicht eingegangen werden, weil ein derartiges Vorbringen im Verfahren erster Instanz nicht erstattet wurde.
Dennoch kann in der Sache noch nicht abschließend entschieden werden, weil das Berufungsgericht mit seiner Rechtsansicht, der Erstbeklagten sei die Nichteinhaltung der durch das Vorschriftszeichen des § 52 lit a Z 10a StVO gebotenen Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h, als Verschulden anzulasten, die Parteien überrascht und den beklagten Parteien die Möglichkeit versagt hat, Tatumstände und Rechtsansichten vorzubringen, die ihnen zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt erheblich erscheinen (vgl SZ 57/31; RIS Justiz RS037300).
Dieser Sachverhalt ist daher im fortgesetzten Verfahren vom Erstgericht mit den Parteien noch zu erörtern. Erst danach wird abschließend beurteilt werden können, ob auch der Erstbeklagten ein relevantes Verschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalles zur Last zu legen ist oder ob ihre Schadenersatzpflicht nur auf Grund der Gefährdungshaftung nach dem EKHG gegeben sein kann.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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