OGH 2Ob202/01x

OGH2Ob202/01x13.2.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Thomas Z*****, vertreten durch Dr. Christian Schoberl und Dr. Peter Schlösser, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei A***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Josef Peissl und Mag. Klaus Rieger, Rechtsanwälte in Köflach, wegen S 122.190,-- sA (= EUR 8.879,89), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 15. Mai 2001, GZ 7 R 60/01x-22, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 6. März 2001, GZ 2 C 1896/00w-14, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 665,71 (= S 9.160,32) (darin enthalten EUR 110,05 = S 1.526,72 USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall, bei welchem ein Versicherungsnehmer der beklagten Partei beteiligt war. Die Klage ist gegen die A***** Versicherungs-AG, R*****straße *****, 8*****Graz, gerichtet. Der Kläger berief sich zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes auf den Wahlgerichtsstand nach § 87 JN. Der Haftpflichtversicherungsvertrag zwischen dem Versicherungsnehmer der beklagten Partei und ihr sei in Graz abgeschlossen worden, im Geschäftsverkehr im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall werde Briefpapier verwendet, das ausschließlich die Adresse R*****straße *****, 8*****Graz, aufweise, der Verkehrsunfall werde in der Schadensabteilung der beklagten Partei in Graz abgewickelt und behandelt.

Die beklagte Partei wendete die örtliche Unzuständigkeit ein. Sie habe ihren Sitz in Wien, weshalb sich ihr allgemeiner Gerichtsstand nach § 65 JN in Wien befinde. Weder ein Gerichtsstand nach § 87 Abs 1 noch § 87 Abs 2 JN liege vor.

Das Erstgericht sprach seine örtliche Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück.

Das Rekursgericht behob den Zurückweisungsbeschluss und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme des angezogenen Zurückweisungsgrundes auf. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht führte aus, dass der Gerichtsstand der Zweigniederlassung nach § 87 Abs 2 JN voraussetze, dass sich die anhängig gemachte Rechtssache auf die zur Begründung des Gerichtsstandes angegebene Niederlassung beziehe. Der Klageanspruch müsse zum Geschäftsbetrieb der Niederlassung in einem ursächlichen Zusammenhang stehen und sich auf den engeren Geschäftsbetrieb der Niederlassung beziehen. Hier sei davon auszugehen, dass die Schadensabwicklung bzw die vorprozessuale Korrespondenz durch die Niederlassung in Graz unter Verwendung eines eigenen Geschäftspapiers (A***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion Steiermark bzw A***** Versicherungs-Aktiengesellschaft Servicecenter Steiermark jeweils mit der Anschrift R*****straße *****, A-8*****Graz) durchgeführt worden sei.

Diese Schadensabwicklung des geschädigten Klägers aus einem Verkehrsunfall mit dem bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Lenker stehe in einem ursächlichen und offenbar auch wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Zweigniederlassung. Es müsse davon ausgegangen werden, dass sich der geltend gemachte Anspruch auf den engeren Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung beziehe. Der Gerichtsstand der Zweigniederlassung gemäß § 87 Abs 2 JN sei daher gegeben.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil aus den Entscheidungen 2 Ob 67/86 und 7 Ob 2166/96x sowie aus der Entscheidung des OLG Wien 17 R 215/86 nicht mit hinlänglicher Sicherheit entnommen werden könne, ob die Betreuung eines Versicherungsvertrages im Zusammenhang mit einem Schadensereignis den geforderten ursächlichen wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betrieb der Zweigniederlassung herstelle, wenngleich allenfalls der Versicherungsvertrag selbst am Hauptsitz der Versicherung verwaltet werde.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der beklagten Partei mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes. Der Kläger beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, dass der Gerichtsstand nach § 87 Abs 2 JN nur dann begründet werde, wenn sich der Klagegegenstand als Folge des Betriebes der Niederlassung darstelle; der Betrieb der Zweigniederlassung oder der Betriebsstätte müsse Ursache dafür sein, dass dem Kläger ein Anspruch entstanden sei. Der geltend gemachte Anspruch aus einem Verkehrsunfall stehe mit keiner einzigen Niederlassung der beklagten Partei in einem ursächlichen wirtschaftlichen Zusammenhang. Der Klagegegenstand stelle sich daher nicht als Folge des Betriebes der zur Gerichtsstandbegründung herangezogenen Niederlassung dar.

Rechtliche Beurteilung

Dazu ist auszuführen:

Der Wahlgerichtsstand des § 87 Abs 1 JN wird durch die Hauptniederlassung oder durch die einzige Niederlassung bzw einzige Betriebsstätte des Beklagten begründet. Nach der Rechtsprechung zu diesem Gerichtsstand (nur die E 2 Ob 598/84, die nicht zwischen den Gerichtsständen des § 87 Abs 1 JN und Abs 2 JN differenziert, betraf den Gerichtsstand der Zweigniederlassung) ist aber eine Niederlassung im Sinne dieser Gesetzesstelle auch dann anzunehmen, wenn zwar faktisch keine Niederlassung besteht, der Beklagte aber durch sein Verhalten im geschäftlichen Verkehr "dolos" den Anschein erweckte, als ob eine solche bestünde (SZ 57/206; RZ 1995/37; vgl Ballon, Fasching FS 1988, 63 f; Fasching LB2 Rz 297; Simotta in Fasching Kommentar3 Rz 21 zu § 87 JN; Mayr in Rechberger ZPO2 Rz 3 zu § 87 JN; Schoibl in Schumacher/Gruber, Zweigniederlassung 326). Für die Annahme eines "dolosen" Verhaltens der beklagten Partei kommt es dabei nicht auf die Gründe an, die für die Verwendung der Geschäftsunterlagen maßgebend gewesen sind. Maßgebend ist nur, dass die beklagte Partei eine diesbezügliche Behauptung aufgestellt hat (SZ 57/206).

Für die Anwendbarkeit des § 87 Abs 2 JN ist es zwar nicht erforderlich, dass eine Zweigniederlassung iSd HGB vorliegt; es genügt das Bestehen einer von der (inländischen) Hauptniederlassung gesonderten Niederlassung oder Abteilung, die mit dem Unternehmen (der Hauptniederlassung) in einem bestimmten rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang steht (Simotta aaO Rz 31 zu § 87 JN). Die geltend gemachten Ansprüche müssen sich auf den engeren Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung beziehen. Ob die Führung der Korrespondenz zur Abwicklung eines Versicherungsfalles einen solchen Zusammenhang begründet, muss im vorliegenden Fall aber nicht geprüft werden. Für den Bestand und die Voraussetzungen einer Zweigniederlassung sowie für den Umfang der bei diesem Gerichtsstand zulässigerweise einklagbaren Ansprüche gilt ebenfalls der zu § 87 Abs 1 JN entwickelte Anscheinsgrundsatz (Simotta aaO Rz 35 zu § 87 JN). Erweckt daher der Beklagte gegenüber dem Kläger den Anschein, dass sich ein Geschäft auf eine bestimmte Niederlassung bezieht, dann kann er vom Kläger am Gerichtsstand der Zweigniederlassung auch geklagt werden, wenn der von § 87 Abs 2 JN geforderte Bezug des Anspruchs zur Zweigniederlassung nicht gegeben ist. So offenbar schon 2 Ob 598/84. Die beklagte Partei hat hier in der Korrespondenz vor Einbringung der Klage ein eigenes Briefpapier mit der Bezeichnung "Direktion Steiermark" bzw "Servicecenter Graz" verwendet und somit den Anschein erweckt, dass sich der Anspruch auf den engeren Geschäftsbetrieb der Zweigniederlassung beziehe. Der Kläger kann die beklagte Partei daher beim Gerichtsstand dieser Zweigniederlassung in Anspruch nehmen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte