OGH 2Ob170/98h

OGH2Ob170/98h9.7.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth M*****, vertreten durch Dr.Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, wider die beklagte Partei Herbert M*****, vertreten durch Dr.Hans Pirker, Rechtsanwalt in Irdning, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 28.April 1998, GZ 2 R 183/98f-38, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Irdning vom 19.Jänner 1998, GZ C 743/96 m-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 4.871,04 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 811,84, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 18.2.1989 vor dem Standesamt Irdning die Ehe, der zwei Kinder, geboren am 15.6.1989 und am 7.8.1992, entstammen, geschlossen.

Die Klägerin begehrt die Scheidung dieser Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten mit dem Vorbringen, es könne mit ihm eine normale eheliche Gemeinschaft wegen seines übermäßigen Alkoholkonsums nicht mehr geführt werden. Er habe sie geschlagen und beschimpft und vor anderen Personen als dumm hingestellt. Weiters habe er ihr vorgehalten, sie sei für ihn "sexuell zu nichts nutze". Er unterhalte ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen und habe ihr im Oktober 1996 gesagt, er ziehe aus der gemeinsamen Ehewohnung aus und wolle sich für zwei Monate richtig "austoben" und auch Beziehungen zu anderen Frauen eingehen; er hätte nichts dagegen, wenn auch sie dies täte. Schließlich sei er aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen, womit sie nicht einverstanden gewesen sei. Auf ihre Erklärung, sich scheiden zu lassen, habe er ihr gesagt, sie habe bis spätestens Ende November 1996 aus der Wohnung auszuziehen.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und bestritt, Eheverfehlungen begangen zu haben. Es hätte im Jahre 1996 eine lediglich vorübergehende Ehekrise gegeben, weshalb er die Ehe auch aufrecht erhalten wolle. Er sei nicht eigenmächtig aus der Ehewohnung ausgezogen, sondern habe mit der Klägerin eine vorübergehende Trennung vereinbart, um die Möglichkeit des weiteren Zusammenlebens in der Familie zu erleichtern. Daraufhin habe die Klägerin selbst eigenmächtig und rechtswidrig unter Mitnahme gemeinsamer Einrichtungsgegenstände und Fahrnisse die Ehewohnung verlassen. Sie habe auch intime Beziehungen zu einem anderen Mann unterhalten.

Für den Fall der Annahme einer Zerrüttung der Ehe sei sein Vorbringen als Widerklage aufzufassen und werde beantragt, die Scheidung aus dem Verschulden der Klägerin auszusprechen.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile gemäß § 49 EheG aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten, wobei es im wesentlichen folgende Feststellungen traf:

Die Ehe der Streitteile verlief anfangs harmonisch, der Beklagte widmete seine Freizeit gerne sportlichen Aktivitäten. Dazu konnte er teilweise auch die Klägerin gewinnen. Er ist begeisterter Sportler, seine Aktivitäten gehen über eine normale Freizeitbeschäftigung hinaus; so nahm er in der Zeit zwischen 1990 und 1994 an drei Maratholäufen teil, zweimal beteiligte er sich in einer Staffel an einem 24-Stunden-Lauf, 1992 trainierte er für einen "Iron-Man-Triathlon", konnte jedoch wegen einer Verletzung daran nicht teilnehmen.

Als vor etwa 3 1/2 Jahren seine Eltern mit dem von ihnen betriebenen Schuhgeschäft in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten, absolvierte er die Meisterprüfung als Orthopädieschuhmacher und machte sich im März 1995 selbständig. Die Klägerin, die zunächst nur im Haushalt tätig war, machte für dieses Unternehmen die Verrechnung und wurde 1996 auch angestellt. Sie ging einmal in der Woche turnen. Danach saß sie meist mit ihren Freundinnen und ihrer Schwester zusammen. Manchmal kamen auch weitere Personen, die zum Bekanntenkreis der Streitteile zählten, dazu. Gelegentlich kam sie an solchen Abenden um 2 Uhr früh oder noch später nach Hause.

Mit Fortdauer der Ehe kam es immer wieder zu Streitigkeiten wegen des Alkoholkonsums des Beklagten und der damit verbundenen Unverläßlichkeit. Der Beklagte trank entweder keinen Alkohol oder aber in großen Mengen. Letzteres war insbesondere dann der Fall, wenn er an Wochenenden Fußballspiele auf dem Fußballplatz verfolgte. Dabei kam es immer wieder vor, daß er bis in die frühen Morgenstunden und bis zur Volltrunkenheit Alkohol konsumierte und manchmal auch noch am nächsten Tag weitertrank. Dies führte zu Auseinandersetzungen mit der Klägerin, worauf sich der Beklagte meist einsichtig zeigte und einige Zeit keinen Alkohol trank.

Im Sommer 1995 wurden die Eheprobleme nach außen sichtbar. Die Klägerin wollte sich im Herbst 1995 vom Beklagten trennen, sie suchte eine eigene Wohnung und informierte sich bei einem Rechtsanwalt über eine allfällige Scheidung. Als der Beklagte davon erfuhr, versprach er ihr, keinen Alkohol mehr zu trinken. Dieses Versprechen hielt er auch bis Juni 1996. Die Ehe verlief infolgedessen wieder besser. Im Jänner 1996 verbrachte die Familie einen gemeinsamen Schiurlaub.

Etwa im Juni 1996 begann der Beklagte wieder, vermehrt auszugehen und Alkohol zu trinken. Es kam vor, daß sich die Familie gemeinsam ein Fußballspiel anschaute und nach dem Spiel die Klägerin mit den Kindern nach Hause ging, während der Beklagte nur noch ein Bier trinken wollte. In der Folge kam er aber in den frühen Morgenstunden betrunken nach Hause.

Im Verlauf des Frühjahrs 1996 begann der Beklagte, sich Sex- und Erotikfilme im Fernsehen anzusehen und sie teilweise auch aufzunehmen. Dabei überspielte er irrtümlich einmal auch einen für seine beiden Söhne aufgenommenen Kinderfilm.

Im Herbst 1996 saß der Beklagte gemeinsam mit einer Bekannten in einer größeren Runde in einem Gasthaus. Sowohl der Beklagte als auch die Bekannte hatten Alkohol getrunken. Während des Aufenthaltes im Lokal schmuste der Beklagte mit dieser Frau. Um etwa 4.00 Uhr oder 4.30 Uhr brachte er sie mit seinem PKW nach Hause. Daß der Beklagte mit dieser oder einer anderen Frau jemals intime Beziehungen hatte, konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, daß die Klägerin intime Beziehungen zu einem anderen Mann hatte.

Ende Oktober oder Anfang November 1996 war die Klägerin der Meinung, der Beklagte habe ein Verhältnis mit einer Frau. Sie wiederum wollte jeden Mittwoch zum Tennistraining gehen, was dem Beklagten zu viel war. Er schlug daraufhin vor, vorläufig für ein oder zwei Monate getrennt zu leben, und zog in das benachbarte Haus seiner Eltern. Die Klägerin wollte lieber gleich eine einvernehmliche Scheidung und entwarf daraufhin ein Schriftstück, in dem sich der Beklagte verpflichtete, einen vorläufigen Unterhalt zu bezahlen, und wonach die Klägerin noch im November im gegenseitigen Einvernehmen aus der gemeinsamen Wohnung ausziehe. Der Scheidungstermin werde voraussichtlich im Jänner 1997 sein, wobei beide Teile eine einvernehmliche Lösung anstreben.

In der Folge kaufte die Klägerin eine Eigentumswohnung und zog am 17. November 1996 aus der Ehewohnung aus, ohne daß der Beklagte, der mit den beiden Söhnen schwimmen war, etwas davon wußte. Ihr Bruder und dessen Lebensgefährtin halfen ihr beim Übersiedeln. Sie nahm einen nicht genau feststellbaren Teil des ehelichen Hausrats mit und hinterließ die Wohnung in einem nicht sehr ordentlichen Zustand. Ob der Auszug der Klägerin gegen den Willen des Beklagten oder auf dessen Wunsch hin erfolgte, konnte nicht festgestellt werden.

Mit Schreiben vom 19.11.1996 hat der Beklagte die Klägerin wegen des Auszugs aus der Ehewohnung mit sofortiger Wirkung entlassen. Ein Verfahren auf Zahlung einer Kündigungsentschädigung ist anhängig.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Ehe sei seit zumindest Herbst 1996 unheilbar zerrüttet. Den Hauptgrund dafür bilde der zeitweise unkontrollierte Alkoholkonsum des Beklagten. Er habe gegen die Pflicht, der Klägerin anständig zu begegnen, verstoßen und diese mehrfach lieblos behandelt. Da hinsichtlich außerehelicher Beziehungen der Klägerin keine Feststellungen getroffen werden hätten können und auch nicht feststehe, daß sie gegen den Willen des Beklagten und ohne ausreichenden Grund aus der Ehewohnung auszog, liege auf ihrer Seite kein Mitverschulden an der Zerrüttung der Ehe vor.

Das dagegen vom Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung; es sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.

Zur Rechtsfrage führte es aus, das Vorbringen des Beklagten sei zumindest im Zweifel als schlüssiger Mitverschuldensantrag zu beurteilen. Die "quartalsmäßige" Alkoholsucht des Beklagten stelle eine schwere Eheverfehlung dar. Andere Eheverfehlungen des Beklagten seien aber ebensowenig festzustellen wie solche der Klägerin. Die Ansicht des Beklagten, der - gegen den Willen des Partners vollzogene - Auszug eines Ehegatten sei als schwere Eheverfehlung zu bewerten, sei zwar prinzipiell richtig, jedoch im konkreten Fall nicht erwiesen.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß die Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, sie ist aber nicht berechtigt.

Der Beklagte macht in seinem Rechtsmittel geltend, es wäre bei richtiger rechtlicher Beurteilung die Frage des Auszuges der Klägerin mit Bedacht auf die Rechtsprechung genau zu untersuchen gewesen; das Berufungsgericht hätte die problematischen und in sich widersprechenden "Feststellungen" des Erstgerichtes nicht übernehmen dürfen, sondern mit Aufhebung vorgehen müssen.

Insoweit in dem Rechtsmittel des Beklagten die Feststellungen des Erstgerichtes bekämpft und die Beweiswürdigung als einseitig gerügt wird, ist darauf nicht einzugehen, weil der Oberste Gerichtshof an die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen gebunden ist; die Überprüfung der Tatfrage ist ihm verwehrt (Rechberger/Simotta, ZPO4 Rz 851).

Im Revisionsverfahren ist lediglich mehr strittig, ob der Klägerin ein Mitverschulden an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist. Grundsätzlich stellt das ungerechtfertigte Verlassen der Ehewohnung eine Eheverfehlung dar. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes mußte nicht der Beklagte beweisen, daß die Klägerin ungerechtfertigt aus der Ehewohnung ausgezogen ist, sondern hätte die Klägerin das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes behaupten und beweisen müssen (3 Ob 1313/97v). Es geht daher zu ihren Lasten, daß nicht festgestellt werden konnte, daß sie die Wohnung mit dem Willen des Beklagten verließ. Der Auszug aus der Ehewohnung wäre lediglich dann keine Eheverfehlung, wenn besonders schwere Eheverfehlungen des anderen Ehegatten das Zusammenleben unmöglich gemacht hätten (EFSlg 20.338, 38.689 ua). Derartige Eheverfehlungen setzte der Beklagte nach den Feststellungen des Erstgerichtes nicht. Wohl hat die Klägerin auch behauptet, vom Beklagten geschlagen worden zu sein, doch hätte sie dies nicht berechtigt, die Ehewohnung zu verlassen, weil ja der Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits in das benachbarte Haus seiner Eltern gezogen war.

Dies ändert aber nichts an der von den Vorinstanzen vorgenommenen Verschuldensabwägung. Von ausschlaggebender Bedeutung für diese ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung die Ursächlichkeit der Eheverfehlungen für die unheilbare Zerrüttung der Ehe, somit die Frage, wer den entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung geleistet hat (s die Nachweise bei Gruber in Schwimann**2 Rz 8 zu § 60 EheG; EFSlg 78.673), vor allem ist zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe den Anfang machte (EFSlg 78.680 ua). Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, daß die Verfehlung der Klägerin gegenüber den vom Beklagten infolge seiner Alkoholsucht begangenen Eheverfehlungen völlig in den Hintergrund tritt und daher bei der Verschuldensabwägung außer Betracht bleiben kann. Die Klägerin zog erst dann aus der gemeinsamen Ehewohnung aus, als der Beklagte diese bereits verlassen und vorher zahlreiche Eheverfehlungen gesetzt hatte. Wenngleich nicht feststeht, daß zu diesem Zeitpunkt die Ehe bereits unheilbar zerrüttet war, sind doch eindeutig die Eheverfehlungen des Beklagten jedenfalls von weitaus überwiegender Bedeutung für die unheilbare Zerrüttung der Ehe gewesen.

Die Vorinstanzen haben daher zu Recht die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten geschieden.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Vervielfachung des Einheitssatzes gemäß § 23 Abs 9 RATG idF der WGN 1997 kommt nur für das Berufungsverfahren in Betracht.

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