OGH 2Ob130/14b

OGH2Ob130/14b27.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. W***** N*****, vertreten durch Dr. Frank Riel ua, Rechtsanwälte in Krems, wider die beklagte Partei Dr. V***** U*****, vertreten durch Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in Sankt Pölten, wegen 8.347,50 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Sankt Pölten als Berufungsgericht vom 20. März 2014, GZ 21 R 18/14a‑27, womit das Urteil des Bezirksgerichts Sankt Pölten vom 20. November 2013, GZ 6 C 24/13h‑23, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Begründung

Der Kläger wurde bei einem Sturz am 7. Jänner 2010 zwischen 9:30 Uhr und 9:40 Uhr verletzt, was ein Schmerzengeld von 7.500 EUR rechtfertigen würde. Es sind ihm Pflegekosten von 577,50 EUR entstanden. Spät- und Dauerfolgen sind nicht auszuschließen.

Die Ordination des beklagten (damaligen) Arztes (nunmehr Pensionist) befand sich im 2. Stock eines Mehrparteienhauses mit 15‑17 Mietobjekten, darunter mehreren Ordinationen und Kanzleien. Ein größerer Teil dieser Objekte kann nur über einen Innenhof erreicht werden, so auch die Ordination des Beklagten. 28 Jahre lang begab sich der Beklagte an den Ordinationstagen zwischen 4:00 Uhr und 4:15 Uhr in der Früh in seine Ordinationsräume. Oft begegnete er bereits zu dieser Zeit der Hausbesorgerin und manchmal auch ihrem Ehemann, die mit Räum‑ und Streuarbeiten beschäftigt waren. Auch wenn er um 16:00 Uhr die Ordination wieder verließ, fiel ihm niemals auf, dass nicht gut gestreut gewesen wäre. Er hörte weder von seinen Ordinationsgehilfen noch von seinen Patienten jemals, dass es mit der Räumung und Streuung im Innenhof Probleme gegeben hätte. Es ist ihm auch nicht bekannt, dass außer dem Kläger jemals eine andere Person wegen Eisglätte im Innenhof gestürzt wäre und sich verletzt hätte.

Dem Beklagten wurden die Ordinationsräume von Frau Anneliese P***** vermietet. Diese hat mit der Reinigung der allgemeinen Teile des Hauses wie auch mit der Durchführung von Räum‑ und Streuarbeiten auf allen Flächen, die zur Liegenschaft gehören, die Hausbesorgerin Renata M***** betraut. Seit 1994 kommt die Hausbesorgerin ihren Pflichten zur Zufriedenheit der Vermieterin und der Mieter nach. Es kann nicht festgestellt werden, dass vor dem gegenständlichen Unfall eine andere Person als der Kläger wegen Schnee- oder Eisglätte im Innenhof oder mangelhafter Reinigungsarbeiten in den Gängen gestürzt wäre.

Die Nacht vom 6. auf den 7. Jänner 2010 verlief im Raum Sankt Pölten niederschlagsfrei. Auf naturbelassenen Flächen lag eine Schneedecke von rund 3 cm Höhe, die überwiegend von den Schneefällen in der Nacht vom 5. zum 6. Jänner und am 6. Jänner tagsüber gebildet worden war. Die Lufttemperatur lag am Abend des 6. Jänner bei etwa ‑2 °C, sank dann gegen ca ‑4 °C in den frühen Morgenstunden und lag am Morgen des 7. Jänner 2010 um 9:30 Uhr bei ca ‑2 °C. In der Nacht vom 6. auf den 7. Jänner 2010 kam es daher im Raum Sankt Pölten zu keiner Glatteisbildung auf den Straßen und Gehwegen, weil Glatteis gefrierenden Regen voraussetzt. Schnee‑ und Eisglätte durch zusammengetretenen Schnee konnte allerdings örtlich auftreten. Von 9:30 Uhr bis 10:30 Uhr schneite es mit leichter Intensität, es gab aber kaum Neuschneezuwachs.

Da sich an den Verhältnissen am Morgen des 7. Jänner 2010 gegenüber dem Abend des 6. Jänner 2010 nichts geändert hatte, sah sich die Hausbesorgerin nicht veranlasst, Räum- oder Streuarbeiten durchzuführen. Auch dem Beklagten, der sich wie gewohnt zwischen 4:00 Uhr und 4:15 Uhr in seine Ordination begab, fiel keine Schnee‑ oder Eisglätte im Innenhof auf.

Der Kläger war schon jahrelang Patient des Beklagten. Am 7. Jänner 2010 hatte er um 9:45 Uhr einen Termin in der Ordination des Beklagten. Als er vom Domplatz, wo er sein Auto abgestellt hatte, zur Ordination des Klägers ging, begann es leicht zu schneien. Um in die Ordinationsräume zu gelangen, musste er den Innenhof des Hauses überqueren. Als er sich bereits im Nahebereich der Stiege befand, die zum Eingang in den Teil des Hauses führt, von dem aus man in die Ordination des Beklagten gelangen konnte, rutschte er in der Nähe eines Schachtdeckels aus, kam zu Sturz und verletzte sich schwer.

Warum sich gerade an dieser Stelle Glatteis gebildet hatte, konnte nicht festgestellt werden.

In einem Vorprozess hatte der Kläger wegen desselben Unfalls die oben genannte Vermieterin der Ordinationsräume geklagt. Diese Klage wurde mit Urteil des erkennenden Senats vom 29. November 2012, 2 Ob 70/12a, abgewiesen.

Im nunmehrigen Verfahren begehrt der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 8.347,50 EUR sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für zukünftige Unfallfolgen. Er brachte vor, der Beklagte hafte aus dem Behandlungsvertrag, hilfsweise wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Der Beklagte hätte am Unfalltag prüfen müssen, ob ein gefahrloser Zugang zu seiner Ordination gewährleistet sei. Er hätte sich auch mit der Hausbesorgerin in Verbindung setzen müssen, um sicherzustellen, dass sie ihrer Räum‑ und Streupflicht nachkomme. Der Beklagte hafte für das Verschulden der Hausbesorgerin als seiner Erfüllungsgehilfin.

Der Beklagte wendete ein, der Unfall sei im Innenhof, einem allgemeinen Teil der Liegenschaft, passiert. Für die dortige Reinigung sei die Vermieterin zuständig, die die Verkehrssicherungspflicht treffe, der sie durch die Beauftragung der Hausbesorgerin nachgekommen sei. Der Beklagte habe gegen Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag, die nicht überspannt werden dürften, nicht verstoßen. Von der Fürsorgepflicht des Beklagten aus dem Behandlungsvertrag sei nur der unmittelbare Zugang vor der Ordination umfasst, nicht aber der Zugang, der für weitere 15 Objekte zur Verfügung stehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die wiedergegebenen Feststellungen und führte rechtlich aus, es würde zu einer Überspannung der Sorgfaltspflicht des Beklagten führen, wollte man ihm trotz der jahrelangen zuverlässigen Erfüllung der Räum‑ und Streupflichten durch die Hausbesorgerin ohne Hinweis auf deren Vernachlässigung im Einzelfall besondere Kontroll- und eigene Verkehrssicherungsmaßnahmen auferlegen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Der den Entscheidungen 2 Ob 158/06h und 7 Ob 250/10f zugrundeliegende Sachverhalt sei mit dem vorliegenden Fall durchaus vergleichbar. In diesen Fällen sei eine Haftung des Geschäftsinhabers bzw des Arztes verneint worden.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu und begründete dies folgendermaßen:

„Die Revision war deshalb zuzulassen, weil kaum Judikatur für Fälle der Erfüllungsgehilfenkette vorliegt. Für den konkreten Fall ist darüber hinaus zu bedenken, dass der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung, welche im Verfahren 5 C 805/10z des Bezirksgerichtes St. Pölten erging, das Verhältnis der Hausbesorgerin zur Liegenschaftseigentümerin als ein solches nach § 1315 ABGB qualifizierte. Insofern könnte fraglich sein, ob für die nunmehrige Konstellation tatsächlich von einer Erfüllungsgehilfenkette iSd § 1313a ABGB ausgegangen werden darf. Aus der im Zuge dieser Berufungsentscheidung zitierten Judikatur (insbesondere 2 Ob 158/06h und 7 Ob 250/10f) scheint hervorzugehen, dass auch im Rahmen derartiger Konstellationen (Verkehrssicherungspflichten mit Bezug auf vorvertragliche Schuldverhältnisse) ein gewisses Mindestmaß an eigenem Verschulden des Vertragspartners vorliegen muss. Dieses ist wohl für diesen Fall zu verneinen. Wollte man aber dem Beklagten als Vertragspartner jede auch noch so geringe Nachlässigkeit der Hausbesorgerin zurechnen, könnte sich hieraus ergeben, dass die Feststellungen des Erstgerichts zum Verhalten der Hausbesorgerin am konkreten Unfallstag nicht hinreichend wären, da zweifelhaft sein könnte, was unter der Feststellung des Erstgerichts 'die Hausbesorgerin sah sich nicht veranlasst' genau zu verstehen ist. Für diesen Fall wäre die Tatsachengrundlage zu verbreitern, was aber nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hier nicht erforderlich ist.“

Die Revision des Klägers ist wegen des Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 500 Abs 3 letzter Satz ZPO ist der Ausspruch des Berufungsgerichts über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision (§ 500 Abs 2 Z 3 ZPO) kurz zu begründen. Die zitierte Begründung des Berufungsgerichts steht mit diesem gesetzlichen Gebot der Kürze nicht in Einklang. Vielmehr versucht das Berufungsgericht mit seiner langen Begründung der Zulässigkeit, Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls vom Obersten Gerichthof klären zu lassen.

Die für die Revisionszulässigkeit maßgebende Erheblichkeit der Rechtsfragen bestimmt sich aber nach objektiven Umständen. Hat das Berufungsgericht im Sinn einer einheitlichen und von der Lehre anerkannten Rechtsprechung entschieden, dann kann die Zulässigkeit der Revision nur mit neuen bedeutsamen Argumenten begründet werden. Der Rechtsmittelwerber (aber auch das Berufungsgericht) wird daher immer zu überlegen haben, ob sein Rechtsproblem potenziell auch andere Personen und vergleichbare Fälle berührt. Die Kasuistik des

Einzelfalls schließt in der Regel eine beispielgebende Entscheidung aus (RIS‑Justiz RS0042405).

Das Berufungsgericht hat daher keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

2.1. Der Revisionswerber führt aus, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung „zur gegenständlich festgestellten Fallkonstellation“, insbesondere dazu, ob das Verhalten einer Hausbesorgerin eines Zinshauses dem Arzt als Mieter einer Wohnung dieses Zinshauses als Erfüllungsgehilfe zuzurechnen ist und das schuldhafte Verhalten des Hausbesorgers eines Zinshauses dem Arzt auch im Verhältnis gegenüber seinen Patienten zuzurechnen ist und ob im Fall des Vorliegens einer Erfüllungsgehilfenkette jedes fahrlässige Verhalten des Gehilfen dem Geschäftsherrn gegenüber dessen Vertragspartner zuzurechnen ist.

Nach oberstgerichtlicher Rechtsprechung ist das Mindest-Zurechnungskriterium des § 1313a ABGB, dass der Beklagte das schuldhafte Verhalten des Dritten im Kontext mit der Erfüllung seiner Vertragspflichten veranlasste (RIS‑Justiz RS0121745).

Im vorliegenden Fall fehlt es schon an dieser Voraussetzung für eine Erfüllungsgehilfeneigenschaft der Hausbesorgerin im Verhältnis des Beklagten zu seinen Patienten aus dem jeweiligen Behandlungsvertrag, weil nach den Feststellungen der Beklagte die einschlägige Tätigkeit der Hausbesorgerin (Räumen und Streuen) nicht veranlasst hat (vgl diesbezüglich einschlägig 7 Ob 250/10f).

2.2. Damit erübrigen sich auch die weiteren Überlegungen des Klägers zur Erfüllungsgehilfenkette und bestehen auch die vom Kläger insoweit gerügten Feststellungsmängel nicht.

2.3. Ein Eigenverschulden des Beklagten haben schon die Vorinstanzen in jedenfalls vertretbarer Weise vereint.

2.4. Nicht mehr geprüft werden muss, ob ‑ wie der Revisionsgegner bestreitet ‑ die Sturzstelle überhaupt im „Eingangsbereich“ zur Ordination des Beklagten liegt (vgl RIS-Justiz RS0016382; RS0023421 [T9, T11].

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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