European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1999:0020OB00129.99F.0429.000
Spruch:
Beide Rekurse werden zurückgewiesen.
Die Kosten werden gegenseitig aufgehoben.
Text
Begründung
Am 11. 1. 1998 (bei normalem Tageslicht) stolperte die Klägerin am Gehsteig einer Zufahrtsstraße zu einer Diskothek über eine abgebrochene Schneestange und kam dabei zu Sturz. Sie zog sich einen Stauchungsbruch des rechten Oberarmes zu.
Die Schneestangen sind im Bereich der Bordsteinkante unmittelbar neben dem Fahrbahnrand aufgestellt. Die Bordsteinkanten des Gehsteiges weisen in regelmäßigen Abständen Löcher auf, worin die Schneestangen versenkt werden. Die gegenständliche Schneestange wurde so abgebrochen, daß der untere Teil wenige Zentimeter über dem Boden herausragte. Die beklagte Partei, die Halterin der Zufahrtsstraße ist, kontrolliert durch zwei Gemeindearbeiter zumindestens einmal wöchentlich sämtliche Straßen des Gemeindegebiets. Die Schneestangen werden von Arbeitern Anfang November aufgestellt und etwa Ende März wieder entfernt. Brechen sie ab, werden sie gegen neue ersetzt. Es kommt in diesem Gebiet des öfteren vor, daß Schneestangen umgetreten oder umgefahren werden. Die gegenständliche Schneestange ist bereits im Dezember abgebrochen. Sie war jedenfalls etwa zwei Wochen vor dem Unfall bereits abgebrochen.
Unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Drittel begehrt die Klägerin den Ersatz von zwei Drittel ihrer Schäden in der Höhe von insgesamt S 135.000, sohin S 90.000 sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle Schäden, die der Klägerin aufgrund des Unfalles vom 11. 1. 1998 noch entstehen werden, zu zwei Dritteln.
Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein, der Unfall sei alleine auf die Unachtsamkeit bzw Ungeschicklichkeit der Klägerin zurückzuführen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und vertrat die Ansicht, die beklagte Partei hafte deshalb nicht nach § 1319a ABGB, weil sie kein grobes Verschulden treffe.
Das dagegen von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig.
Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, der beklagten Partei sei grobes Verschulden anzulasten. Wie sich aus den Feststellungen ergebe, sei es nämlich schon öfters vorgekommen, daß in diesem Bereich Schneestangen umgetreten oder umgefahren worden seien. Weiters sei trotz wöchentlicher Kontrollen die jedenfalls zwei Wochen vor dem Unfall abgebrochene Schneestange nicht ausgetauscht worden. Möge es auch noch ausreichend erscheinen, daß die beklagte Partei die Schneestangen nur wöchentlich kontrolliere, so sei ihr vorzuwerfen, daß ihre Leute zumindest bei zweimaligen Kontrollen einen Austausch der abgebrochenen Schneestange unterlassen hätten. Gerade wegen der regelmäßigen Abstände zwischen den Schneestangen, die in vorgefertigten Löchern am Gehsteigrand versenkt seien, hätte den Arbeitern selbst bei mäßiger Aufmerksamkeit das Fehlen einer Schneestange auffallen müssen. Es wäre ihnen dabei ein Leichtes gewesen, diese Stolperfalle zu entfernen.
Demgegenüber sei von jedem Fußgänger zu verlangen, "vor die Füße zu schauen". Komme er zu Sturz, weil er diesem Umstand nicht Rechnung trage und über ein auf dem Gehsteig befindliches Hindernis stolpere, so treffe ihn im allgemeinen ein 50 %iges Mitverschulden.
Ausgehend von dieser Verschuldensteilung werde das Erstgericht die noch fehlenden Beweise zur Höhe und zur Berechtigung des Feststellungsbegehrens aufnehmen müssen.
Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil die veröffentlichten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes in erster Linie Hindernisse am Gehsteig im innerstädtischen Bereich beträfen und auch Einzelfallentscheidungen der vorliegenden Art dazu beitragen könnten, die Rechtseinheit und Rechtssicherheit in ähnlich gelagerten Fällen zu verbessern.
Gegen diesen Beschluß erhoben beide Teile Rekurs.
Die beklagte Partei beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragt, die Haftung der beklagten Partei auch auf § 1319 ABGB zu stützen und von einer Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten der beklagten Partei im weiteren Verfahren auszugehen.
Beide Parteien haben Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der anderen Partei zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Rekurse sind wegen Fehlens einer erheblichen Rechtfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig.
Bloßen Ermessensentscheidungen - wie über die Teilung oder Schwere des Verschuldens - kommt im allgemeinen keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles hinausgehende Bedeutung zu. Soweit sich das Berufungsgericht im Rahmen der Grundsätze einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bewegt, die Rechtslage nicht verkennt und nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles seine Ermessensentscheidung trifft, ohne von einer in ständiger Rechtsprechung anerkannten Ermessensübung extrem abzuweichen, liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 502 mwN). Hinsichtlich der vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfrage sind daher die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben.
Aber auch in den Rechtsmitteln der Parteien werden keine erheblichen Rechtsfragen dargetan:
Die beklagte Partei vertritt die Ansicht, es treffe sie kein grobes Verschulden. Den von ihr dazu zitierten Entscheidungen liegt aber kein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde:
Die Entscheidung 2 Ob 657/85 (= JBl 1986, 523 = MietSlg XXXVIII/8) betrifft eine Vertiefung eines Gehsteiges, die mit großer Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen war, daß die vom Dachabfallrohr wegführende Ableitung des Dachrinnenwassers schadhaft und verfallen war. Im gegenständlichen Fall ragte allerdings aus einem Loch im Bereich der Bordsteinkante einige Zentimeter eine abgebrochene Schneestange hervor.
Im Fall der Entscheidung 5 Ob 2023/96b (= ImmZ 1996, 379 = ImmZ 1996, 494 = immolex 1997, 26 = WoBl 1997, 236 = MietSlg 48.167) wurde die Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtfrage zurückgewiesen.
Im Fall der Entscheidung ZVR 1960/283 fuhr ein LKW‑Lenker infolge Blendwirkung gegen ein beträchtliches Bauwerk (Brückenpfeiler).
Die klagende Partei erblickt nun eine erhebliche Rechtsfrage darin, ob nicht die Haftung der beklagten Partei sich auch aus § 1319 ABGB ergebe. Dieser Frage kommt aber für die Entscheidung keine Bedeutung zu, weil die Haftung der beklagten Partei nach § 1319a ABGB ohnehin bejaht wurde; ob sie zusätzlich nach § 1319 ABGB haftet (zum Verhältnis dieser Bestimmungen s SZ 70/71), ist unbeachtlich. Entgegen der im Rekurs der Klägerin vertretenen Ansicht, führt auch die Annahme einer Haftung der beklagten Partei nach § 1319 ABGB nicht zu einer für die Klägerin günstigeren Verschuldensteilung. Der Unterschied zwischen diesen Bestimmungen liegt nicht im Sorgfaltsmaßstab, sondern darin, daß im Falle des § 1319a ABGB die Schadenersatzpflicht nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit besteht; grobe Fahrlässigkeit der beklagten Partei wurde aber ohnehin bejaht.
Die zur Frage der Verschuldensteilung im Rekurs der Klägerin zitierte Entscheidung ZVR 1988/5 ist überhaupt nicht einschlägig und überdies eine solche des VwGH. Die Entscheidung ZVR 1990/103 betrifft eine Vertiefung von 3 bis 4 cm im Asphalt eines Gehsteiges. Im vorliegenden Fall ragte aber aus dem Gehsteig das Hindernis, über das die Klägerin stolperte, heraus.
Beide Rechtsmittel sind sohin zurückzuweisen. Da beide Teile auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen haben, haben sie an sich einen Anspruch auf Ersatz der Rekursbeantwortung. Die diesbezüglichen Kosten sind aber gleich hoch, weshalb sie gegeneinander aufzuheben sind.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)