European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00120.15H.0909.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Erstbeklagte war am 6. 6. 2013 Halter und die Zweitbeklagte Haftpflichtversicherer eines Pritschenwagens. Ein Unbekannter lieh sich an diesem Tag in einer Filiale einer Tochtergesellschaft der Erstbeklagten (welche Tochtergesellschaft ein Möbelgeschäft betreibt) unter dem Namen Franz M***** und unter Vorweisung eines auf diesen Namen lautenden Führerscheins den Pritschenwagen aus. Der Mitarbeiterin der Tochtergesellschaft der Erstbeklagten fielen weder Unstimmigkeiten zwischen dem Bild im Führerschein und der Person des Entleihers noch zwischen der vom Entleiher geleisteten Unterschrift und der Unterschrift im vorgewiesenen Führerschein auf. Der Führerschein war dem „echten“ Franz M***** gestohlen worden. Dem Entleiher wurde der Pritschenwagen ausgehändigt. Er stellte diesen jedoch nicht wie vereinbart um 22:00 Uhr desselben Tages wieder zurück. Vielmehr wurde der Lagerleiter der Tochtergesellschaft der Erstbeklagten am nächsten Tag vom Kläger informiert, dass mit dem ausgeborgten Wagen zwei Fahrzeuge des Klägers beschädigt worden seien.
Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 19.174,79 EUR sA und brachte vor, ihm sei durch die Kollision des Pritschenwagens mit zwei seiner von ihm abgestellten Fahrzeuge ein Schaden in Höhe des Klagebegehrens entstanden. Die Fahrt des unbekannten Lenkers mit dem Fahrzeug der Erstbeklagten sei durch eine Mitarbeiterin ihres Tochterunternehmens ermöglicht worden. Diese habe es beim Verleih des Pritschenwagens unterlassen, die vom unbekannten Entleiher geleistete, jedoch gefälschte Unterschrift sowie dessen persönliche Daten zu prüfen. Auch bei der ‑ kurz vor der Leihe erfolgten ‑ Ausstellung einer Kundenkarte an den unbekannten Entleiher seien dessen Personalien sowie dessen Unterschrift nicht überprüft worden. Der Pritschenwagen sei von Mitarbeitern der Tochtergesellschaft der Erstbeklagten dem Unbekannten überlassen worden, weshalb die Beklagten gemäß § 6 Abs 2 EKHG für den bei der Schwarzfahrt entstandenen Schaden des Klägers hafteten. Die Erstbeklagte hafte als Fahrzeughalterin, die Zweitbeklagte als Haftpflichtversicherer der Erstbeklagten.
Die Beklagten wendeten ein, es liege eine von der Erstbeklagten nicht zu vertretende (unverschuldete), haftungsbefreiende Schwarzfahrt vor, weil der unbekannte Lenker das Fahrzeug der Erstbeklagten arglistig herausgelockt habe. Auch die Zweitbeklagte hafte aufgrund der Schwarzfahrt nicht.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte über den eingangs zusammengefassten Sachverhalt noch fest, es könne nicht festgestellt werden, wo sich wann welcher Unfall mit welchen Folgen und welchen Beteiligten abgespielt habe. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, die Erstbeklagte habe die Schwarzfahrt des unbekannten Lenkers nicht schuldhaft ermöglicht, weshalb sie keine Haftung als Fahrzeughalter treffe. Auch die Zweitbeklagte hafte aufgrund der Schwarzfahrt nicht.
Das vom Kläger und der Nebenintervenientin angerufene Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, die Tochtergesellschaft der erstbeklagten Halterin sei deren Vertrauensperson. Werde das Fahrzeug dem Lenker ‑ wie hier ‑ von einer Vertrauensperson des Halters grundsätzlich erlaubt überlassen, so liege keine Schwarzfahrt im Sinne des § 6 EKHG vor. Der Pritschenwagen sei dem unbekannten Entleiher iSd § 6 Abs 2 EKHG „überlassen“ worden. Die Benutzung werde daher erst dann zu einer Schwarzfahrt, wenn diese nicht mehr im Rahmen der Benutzungserlaubnis erfolge. Ob dies hier der Fall sei (insbesondere ob bereits die Benutzung durch eine Person unter falschem Namen gegen die Grenzen der Bewilligung verstoße), könne jedoch dahingestellt bleiben, weil eine Schwarzfahrt nach § 6 Abs 2 EKHG die Haftung der Halterin unberührt lasse. Dass der Pritschenwagen dem Lenker aufgrund einer arglistigen Täuschung über dessen Person überlassen worden sei, spiele für die Beurteilung nach § 6 Abs 2 EKHG keine Rolle. Bereits der Wortlaut lege nahe, dass es nur auf das faktische Überlassen des Fahrzeugs und nicht auf die rechtliche Wirksamkeit des zugrundeliegenden Geschäfts bzw der zugrundeliegenden Erklärung ankomme. Aufgrund der potenziellen Haftung der Erstbeklagten als Fahrzeughalterin komme der Verfahrensrüge des Klägers rechtliche Relevanz zu. Die unterlassene ‑ bereits in der Klage beantragte ‑ Einvernahme des Klägers zum Unfallhergang stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der eine Aufhebung des angefochtenen Urteils erfordere. Im fortgesetzten Verfahren seien die Umstände des behaupteten Unfalls näher zu erheben und insbesondere werde festzustellen sein, ob das Fahrzeug der Erstbeklagten tatsächlich den vom Kläger behaupteten Schaden verursacht habe. Wenn dies zutreffe, werde auf die Schadenshöhe einzugehen sein.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob ein vom Fahrzeughalter betrügerisch herausgelocktes Fahrzeug als „überlassen“ iSd § 6 Abs 2 EKHG anzusehen sei. Die Entscheidung 2 Ob 154/67 habe sich nicht ausdrücklich mit dieser Frage befasst.
Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Parteien mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben. Die Nebenintervenientin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Die Beklagten bringen im Rekurs insbesondere vor, ein durch Arglist herausgelocktes Fahrzeug sei nicht „überlassen“ iSv § 6 Abs 2 EKHG.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu wurde erwogen:
1. Soweit die Beklagten im Rekurs vorbringen, der Kläger selbst habe den Pritschenwagen herausgelockt, um einen Verkehrsunfall vorzutäuschen, handelt es sich dabei um eine unzulässige Neuerung (der auch keine korrespondierende Feststellung entspricht), auf die nicht einzugehen ist.
2. Entgegen den Behauptungen im Rekurs hat sich der Kläger im erstinstanzlichen Vorbringen nicht nur auf ein der Erstbeklagten zurechenbares Organisationsverschulden im Rahmen der Prüfung der Halterhaftung nach § 6 Abs 1 EKHG, sondern auch auf ein Überlassen des Pritschenwagens iSd § 6 Abs 2 EKHG gestützt (ON 6); die diesbezügliche Prüfung durch das Berufungsgericht ist daher nicht überschießend.
3. Gesetzeswortlaut:
Benutzte jemand zur Zeit des Unfalls (das Verkehrsmittel der Eisenbahn ohne den Willen des Betriebsunternehmers oder) das Kraftfahrzeug ohne den Willen des Halters, so haftet er an Stelle des (Betriebsunternehmers oder) Halters für den Ersatz des Schadens. Daneben bleibt der (Betriebsunternehmer oder) Halter für den Ersatz des Schadens haftbar, wenn die Benutzung (des Verkehrsmittels der Eisenbahn oder) des Kraftfahrzeugs durch sein oder der Personen Verschulden ermöglicht worden ist, die mit seinem Willen beim Betrieb der Eisenbahn oder beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig gewesen sind (§ 6 Abs 1 EKHG).
§ 6 Abs 1 EKHG gilt nicht, wenn der Benutzer vom (Betriebsunternehmer oder) Halter (für den Betrieb der Eisenbahn oder) für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt oder wenn ihm (das Verkehrsmittel der Eisenbahn vom Betriebsunternehmer oder) das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen war. Eine aus dem allgemeinen bürgerlichen Recht abzuleitende Ersatzpflicht eines solchen Benutzers ist ausgeschlossen, wenn er beweist, dass der Schaden nicht durch sein Verschulden verursacht worden ist (§ 6 Abs 2 EKHG).
4. Schwarzfahrt:
4.1. Der Begriff der „Schwarzfahrt“ umfasst unterschiedliche Sachverhalte. Im Allgemeinen wird zwischen der hier nicht relevanten passiven Schwarzfahrt (Beförderung eines Insassen gegen den Willen des Halters) und der aktiven Schwarzfahrt (unerlaubter Gebrauch eines Fahrzeugs) unterschieden (Kath, Die Schwarzfahrt als Haftungs- und Deckungsproblem, ZVR 2008, 546 ff; Danzl, EKHG9 § 3 Anm 7 und § 6 Anm 1). Der Oberste Gerichtshof definiert die (erkennbar gemeint: aktive) Schwarzfahrt als Benützung eines Kraftfahrzeugs als Fortbewegungsmittel gegen den Willen des Halters, ohne diesem die Verfügungsgewalt dauernd zu entziehen (RIS-Justiz RS0058327).
4.2. § 6 EKHG unterscheidet zwei Fälle der aktiven Schwarzfahrt:
4.2.1. § 6 Abs 1 EKHG umfasst die eigenmächtige Benutzung eines Fahrzeugs. Unbefugter Benutzer im Sinne dieser Bestimmung ist derjenige, der sich den Gebrauch mit Herrschaftswillen anmaßt und sich „ohne den Willen“ des Halters eigenmächtig in den Besitz des Fahrzeugs setzt (RIS-Justiz RS0058327; Fucik/Hartl/Schlosser, Handbuch des Verkehrsunfalls, 6. Teil² [2012] Rz 173 f mwN; Kath aaO). Der eigenmächtige Schwarzfahrer haftet nach dem ersten Satz des § 6 Abs 1 EKHG anstelle des Halters, sofern dieser (oder eine Person, die mit seinem Willen beim Betrieb des Kfz tätig war) die Schwarzfahrt nicht schuldhaft ermöglicht hat. Hat der Halter die Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht, so haftet der Halter nach Satz 2 gemeinsam mit dem Schwarzfahrer zur ungeteilten Hand (Danzl aaO § 6 Anm 6).
4.2.2. Dem gegenüber regelt § 6 Abs 2 EKHG die Haftung für den Fall, dass der Halter einer Person die Gewahrsame (Kath aaO 548) über das Fahrzeug einräumt, indem er diese für den Betrieb des Fahrzeugs anstellt oder ihr das Fahrzeug überlässt, und diese Person eine vom Willen des Halters nicht umfasste Fahrt unternimmt. „Überlassen“ iSd § 6 Abs 2 EKHG bedeutet die Übergabe des Kraftfahrzeugs in die Gewahrsame eines anderen durch den Halter, wobei es auf die Herstellung einer tatsächlichen Beziehung ankommt (RIS‑Justiz RS0058307). Ob die Überlassung des Fahrzeugs zum Zwecke des Betriebs erfolgte, ist nach herrschender ‑ auf den Wortlaut der Bestimmung abstellender ‑ Ansicht nicht ausschlaggebend (Koziol/Apathy/Koch, Haftpflichtrecht III³ [2014] 79 Rz 48; Kath aaO). Eine Schwarzfahrt nach § 6 Abs 2 EKHG liegt vor, wenn die Person, der das Fahrzeug überlassen wurde, die Grenzen ihrer Berechtigung überschreitet, also eine Fahrt unternimmt, der der Halter nicht ausdrücklich oder schlüssig zugestimmt hat oder hätte, etwa wenn die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug nur für eine bestimmte Fahrt eingeräumt wurde und im Anschluss an diese eine weitere Fahrt gegen den Willen des Halters unternommen wird (RIS-Justiz RS0058533; zuletzt 2 Ob 59/15p = ZVR 2015/164 [W. Reisinger]). Ausschlaggebend ist, ob eine zeitlich, örtlich oder inhaltlich erkennbar beschränkte Benützungsgenehmigung nicht nur geringfügig überschritten wird (RIS-Justiz RS0058533 [T3]). Eine geringfügige Abweichung von den Anordnungen des Halters, bei der davon auszugehen ist, dass der Halter diese genehmigt hätte, begründet keine Schwarzfahrt (Koziol/Apathy/Koch aaO 77 Rz 47 mwN). Kennzeichnend für § 6 Abs 2 EKHG ist ein Vertrauensbruch durch den Benutzer (Kath aaO; vgl auch die ErlBem zur RV 470 BlgNR VIII. GP 9, wonach der Halter für die Auswahl der Person, der er sein Vertrauen schenkt, verantwortlich ist). Im Fall einer Schwarzfahrt nach § 6 Abs 2 EKHG bleibt es bei der Haftung des Halters.
4.3. Aus dem Zusammenspiel von § 6 Abs 1 und Abs 2 EKHG ergibt sich für Schwarzfahrten insgesamt folgendes Haftungsschema (Kath aaO 547; Danzl aaO § 6 Anm 15):
(i) der eigenmächtige Schwarzfahrer haftet alleine (§ 6 Abs 1 Satz 1 EKHG);
(ii) der eigenmächtige Schwarzfahrer, dem vom Halter oder einer mit dessen Willen beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätigen Person die Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht wurde, haftet solidarisch mit dem Halter (§ 6 Abs 1 Satz 2 EKHG);
(iii) der Schwarzfahrer, dem das Fahrzeug überlassen oder der für dessen Betrieb angestellt wurde, haftet nicht nach EKHG, vielmehr bleibt es bei der Haftung des Halters (§ 6 Abs 2 EKHG; der Schwarzfahrer haftet jedoch nach ABGB mit Beweislastumkehr).
5.1. Im vorliegenden Fall wurde dem unbekannten Entlehner von einer Mitarbeiterin der Tochtergesellschaft der Erstbeklagten die Befugnis zur Nutzung des Pritschenwagens erteilt und dem Entlehner das Fahrzeug in seine Gewahrsame übergeben. Dem erstinstanzlichen Sachverhalt ist auch ‑ zumindest implizit ‑ zu entnehmen, dass die Tochtergesellschaft der Erstbeklagten den Pritschenwagen laufend an Kunden verlieh und dazu von der Erstbeklagten ermächtigt war. Die Tochtergesellschaft der Erstbeklagten ist daher Vertrauensperson der Halterin. Wird das Fahrzeug dem Lenker ‑ wie hier ‑ von einer Vertrauensperson des Halters aber grundsätzlich erlaubt überlassen, so liegt nach herrschender Rechtsprechung keine Schwarzfahrt iSd § 6 EKHG vor (7 Ob 57/12a = ZVR 2013/174; 2 Ob 282/06v). Diese Judikatur beruht einerseits auf dem Gedanken, dass der Lenker das Fahrzeug dann mit dem durch die befugte (2 Ob 282/06v) Vertrauensperson vermittelten Willen des Halters benutzt. Andererseits lässt sich dieser Rechtsprechung die Wertung entnehmen, dass das Überlassen eines Fahrzeugs durch eine Vertrauensperson des Halters einem Überlassen durch diesen gleichgesetzt wird.
Basierend auf diesen Überlegungen ist davon auszugehen, dass der Pritschenwagen dem unbekannten Entleiher iSd § 6 Abs 2 EKHG „überlassen“ wurde. Die Benutzung wird daher erst dann zu einer Schwarzfahrt, wenn diese nicht mehr im Rahmen der Benutzungserlaubnis erfolgt. Ob dies hier der Fall ist (insbesondere ob bereits die Benutzung durch eine Person unter falschem Namen gegen die Grenzen der Bewilligung verstößt), kann jedoch dahingestellt bleiben, weil eine Schwarzfahrt nach § 6 Abs 2 EKHG die Haftung der Halterin unberührt lässt.
5.2. Dass der Pritschenwagen dem Lenker aufgrund einer arglistigen Täuschung über dessen Person überlassen wurde, spielt für die Beurteilung nach dem Gesetzeswortlaut des § 6 Abs 2 EKHG keine Rolle. Dieser Wortlaut legt nahe, dass es nur auf das faktische Überlassen des Fahrzeugs ankommt und nicht auf die rechtliche Wirksamkeit des zugrundeliegenden Geschäfts bzw der zugrundeliegenden Erklärung.
Neben dem Gesetzestext sprechen vor allem teleologische Überlegungen gegen die Berücksichtigung von Willensmängeln. Die Funktion des § 6 EKHG besteht darin, das Risiko von Schwarzfahrten (genauer: der dadurch verursachten Schäden) aufgrund einer Interessenabwägung den betroffenen Personen zuzuweisen (vgl Apathy, EKHG [1992] § 6 Rz 1). Kriterium der Risikozuweisung ist der jeweils tatsächliche Beitrag des Halters zur Erlangung der Gewahrsame des Benutzers am Fahrzeug. Verschafft sich der Benutzer eigenmächtig die Gewahrsame am Fahrzeug und trifft den Halter daran kein Verschulden, so trägt letzterer kein Risiko der Schwarzfahrt. Verschuldet der Halter hingegen die eigenmächtige Erlangung der Gewahrsame, so trägt er das Risiko der Schwarzfahrt gemeinsam mit dem Schwarzfahrer. Verschafft der Halter dem Benutzer selbst die Gewahrsame, indem er ihm das Fahrzeug überlässt, so trägt der Halter das Risiko allein. Auf Basis dieser gesetzlichen Interessenabwägung wiegt eine arglistige Irreführung durch den Schwarzfahrer bei Überlassung des Fahrzeugs an diesen noch nicht so schwer, dass dies wertungsmäßig eine von § 6 Abs 2 EKHG abweichende Risikozuordnung rechtfertigen würde.
Darüber hinaus steht hinter der von § 6 Abs 2 EKHG vorgenommenen Risikozuweisung die Überlegung, dass der Halter, wenn er oder dessen Vertrauensperson sich den Benutzer des Fahrzeugs selbst aussucht, weniger schutzwürdig ist, weil er diesen auf seine Vertrauenswürdigkeit prüfen kann (Koziol/Apathy/Koch aaO Rz 48; vgl auch 470 BlgNR VIII. GP 9). Eine solche Möglichkeit zur Prüfung der Vertrauenswürdigkeit besteht grundsätzlich auch dann, wenn der Halter oder dessen Vertrauensperson vom Schwarzfahrer getäuscht wird. Auch in diesem Fall erfolgt die Überlassung des Fahrzeugs mit ‑ wenngleich mangelhaft gebildetem ‑ Willen des Halters. Es verwirklicht sich gerade der von § 6 Abs 2 EKHG vorausgesetzte Vertrauensbruch, der die Rechtsfolge (Haftung des Halters) nach dieser Bestimmung rechtfertigt. Das Risiko einer aufgrund mangelhafter Willensbildung erfolgten Überlassung des Fahrzeugs ist eher der Sphäre des Halters zuzuordnen als der Sphäre des ohne Halterhaftung benachteiligten Unfallopfers.
Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 2 Ob 154/67 = ZVR 1968/130 den Standpunkt vertreten, dass „herausgelockte“ Fahrzeuge (dort „für Ausfahrten mit dem Vorwand, es werde ein im Besitz eines Führerscheins befindlicher Dritter den Wagen lenken“) vom Halter willentlich überlassen wurden. In dieser Entscheidung befasste sich der Oberste Gerichtshof zwar nicht ausdrücklich mit § 6 Abs 2 EKHG, sondern mit der Frage, ob derjenige, der den Wagen herauslockt, Vertrauensperson des Halters iSd § 6 Abs 1 letzter Satz EKHG ist. Diese Wertung kann aber auch für die Beantwortung der Frage, ob in einem solchen Fall auch ein „Überlassen“ nach § 6 Abs 2 EKHG vorliegt, herangezogen werden; denn diese Bestimmung stellt - bereits dem Wortlaut nach - nicht so sehr auf den (hier fehlerhaften) Willen des Halters, sondern vielmehr auf die bloße Einräumung der tatsächlichen Gewahrsame ab.
Die Auffassung, wonach auch arglistig herausgelockte Fahrzeuge iSd § 6 Abs 2 EKHG „überlassen“ werden, entspricht auch der herrschenden Ansicht in der Literatur. Demnach spielen zumindest Irrtum und Arglist für die Beurteilung der „Überlassung“ iSd § 6 Abs 2 EKHG keine Rolle. So gehen etwa Koziol/Apathy/Koch aaO Rz 48davon aus, dass § 6 Abs 2 EKHG bei listiger Irreführung oder Irrtum anzuwenden sei, weil in diesem Fall ein tatsächlicher Wille vorliege (so auch schon Koziol, Haftpflichtrecht II2 [1984] 536). Diese Auffassung vertritt auch Apathy, Kommentar zum EKHG (1992) § 6 Rz 38 an. Auch Danzl,EKHG9 (2013) § 6 Anm 13 meint, der Begriff des Überlassens sei weit auszulegen. Bei listiger Irreführung oder Irrtum sei hingegen der tatsächliche Wille des Halters vorhanden, er beruhe nur auf einer fehlerhaften Willensbildung.
5.3. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass ungeachtet der Arglist des Entlehners der Pritschenwagen von der Tochtergesellschaft der erstbeklagten Halterin als deren Vertrauensperson dem Entlehner als Benutzer überlassen iSd § 6 Abs 2 Satz 1 EKHG war. Die Haftung der Beklagten ist daher für den Fall zu bejahen, dass der Pritschenwagen Schäden an den beiden Fahrzeugen des Klägers verursacht hat. Dies wird nach der vom Berufungsgericht aufgetragenen Verfahrensergänzung vom Erstgericht zu klären sein.
6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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