Spruch:
Geschädigter kann an Stelle des Naturalersatzes einer vertretbaren Sache, deren Wiederbeschaffung tunlich ist, den gegenwärtigen Wert verlangen.
Wenn der höhere Wert eines späteren Zeitpunktes gefordert wird, keine Verzinsung dieses Wertes schon von einem früheren Zeitpunkt an.
Entscheidung vom 7. Mai 1952, 2 Ob 104/52.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Beklagten haben Zinn, das der Klägerin im Jahre 1949 gestohlen worden war, gekauft und sind deshalb der Übertretung des § 477 StG. schuldig erkannt worden. Die Klägerin begehrte in ihrer am 7. Feber 1951 eingebrachten Klage die Verurteilung der Beklagten zur Bezahlung des Betrages, der dem Wert der von ihnen übernommen Menge zur Zeit des Diebstahles entsprochen hat (26 S für das Kilogramm); in der Streitverhandlung vom 20. Juni 1951 dehnte sie das Klagebegehren mit Rücksicht darauf, daß der Wert des Zinnes inzwischen auf 97 S für das Kilogramm gestiegen war, um den Differenzbetrag aus.
Das Prozeßgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt und sprach der Klägerin auch die Zinsen von dem in der Klage bezeichneten Zeitpunkt (1. Februar 1950) zu.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten in der Hauptsache nicht Folge und wies lediglich das Zinsenbegehren für die Zeit vom 1. Februar 1950 bis 30. April 1951 ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß im vorliegenden Fall von der Klägerin nur der gemeine, nicht aber ein außerordentlicher Wert des Zinnes verlangt wird.
Es kann dahingestellt bleiben, ob Geldwertänderungen oder Preissteigerungen beim Schadenersatzzuspruch nach § 1332 ABGB. berücksichtigt werden dürfen und ob insbesondere bezüglich der Preissteigerungen eine "Rettungspflicht" der Klägerin im Sinne der Ausführungen Wolffs in Klangs Komm., 2. Aufl., zu § 1332 ABGB., S. 170, bestand. Da das der Klägerin unter Mitwirkung der Beklagten entzogene, in keiner Weise individualisierte Zinn eine vertretbare Sache ist, deren Wiederbeschaffung derzeit ohne Zweifel tunlich ist, wäre die Klägerin gemäß § 1323 ABGB. berechtigt, Ersatz dieses Zinnes in natura zu verlangen (vgl. Entsch. bei Kapfer, ABGB., Gr.Ausg. 1951, zu § 1323, unter Nr. 5a), sodaß § 1332 ABGB. überhaupt nicht zur Anwendung kommt (vgl. Klang - Wolff, a. a. O.). Daraus folgt, daß die Klägerin, da die Beklagten nicht auf Naturalrestitution bestehen, den gegenwärtigen Wert des Zinnes gleichsam mit einer vorweggenommenen Interessenklage (§ 235 Abs. 4 ZPO., § 368 EO.) verlangen kann.
Allerdings kann die Klägerin, wenn sie statt des Zinnes als Interesse den Wert des Zinnes zu einem bestimmten Zeitpunkt verlangt, auch die Verzinsung erst von dem Zeitpunkte an fordert, in dem das Zinn den verlangten Wert erreichte, das ist im vorstehenden Fall vom 1. Mai 1951 an. Wenn der höhere Wert eines späteren Zeitpunktes gefordert wird, darf überhaupt die Verzinsung dieses Wertes nicht schon von einem früheren Zeitpunkte an verlangt werden (vgl. Ehrenzweig, Obligationenrecht 1928, S. 69).
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