OGH 2Ob100/23d

OGH2Ob100/23d25.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikingerals weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, vertreten durch Mag. Dr. Esther Lenzinger, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei C*, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in Wien, wegen 60.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 8.547,44 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Februar 2023, GZ 13 R 199/22p‑35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 7. September 2022, GZ 4 Cg 15/22d‑29, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00100.23D.0725.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,88 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 138,98 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist die Tochter, der Beklagte ist der Enkelsohn des 2020 verstorbenen Erblassers (und Sohn der Klägerin). Der überschuldete Nachlass wurde der Witwe an Zahlungs statt überlassen. Der Erblasser schenkte dem Beklagten im Jahr 2015 eine Liegenschaft. Im Jahr 1994 räumte er der Klägerin ein Wohnrecht an einem Einfamilienhaus ein.

[2] Die Klägerin nimmt den Beklagten als vom Erblasser Beschenkten gemäß § 789 ABGB in Anspruch und begehrt die Zahlung von 60.000 EUR sA. Die geschenkte Liegenschaft habe einen Wert von zumindest 360.000 EUR, ihr Pflichtteil betrage ein Sechstel. Der Beklagte sei nicht legitimiert, die Anrechnung einer der Klägerin gemachten Schenkung zu begehren.

[3] Der Beklagte wendet – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – ein, dass der Erblasser der Klägerin unentgeltlich ein als Schenkung zu qualifizierendes Wohnrecht eingeräumt habe, dessen Wert jedenfalls anzurechnen sei und einen etwaigen Pflichtteilsanspruch der Klägerin übersteige.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Erblasser habe dem Beklagten eine Liegenschaft und der Klägerin ein Wohnrecht geschenkt. Obwohl der Beklagte lediglich abstrakt pflichtteilsberechtigt sei, könne er in analoger Anwendung des § 783 ABGB die Hinzu- und Anrechnung der der Klägerin gemachten Schenkung begehren. Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin sei durch das ihr eingeräumte Wohnrecht vollständig abgegolten.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Einziger Streitpunkt im Berufungsverfahren sei die Frage, ob der beklagte Geschenknehmer als bloß abstrakt Pflichtteilsberechtigter, dessen fehlende konkrete Pflichtteilsberechtigung nicht auf einen Verzicht auf den Pflichtteil oder die Ausschlagung der Erbschaft zurückzuführen sei, in analoger Anwendung des § 783 ABGB ein Hinzu- und Anrechnungsbegehren stellen könne. Dies sei in Übereinstimmung mit der in der Literatur herrschenden Ansicht zu bejahen. Der Gesetzgeber habe eine Konstellation wie die vorliegende nicht bedacht, sodass eine planwidrige Regelungslücke anzunehmen sei.

[6] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage der analogen Anwendung des § 783 ABGB auf nicht konkret pflichtteilsberechtigte Geschenknehmer zu.

[7] Gegen die Abweisung eines Zahlungsbegehrens von 8.547,42 EUR sA richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, der Klage im Umfang der Anfechtung stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

[10] Die Klägerin argumentiert, dass der Gesetzgeber in § 783 ABGB ausdrücklich nur konkret Pflichtteilsberechtigten sowie Geschenknehmern, die aufgrund eines Pflichtteilsverzichts oder einer Erbsausschlagung nur mehr abstrakt pflichtteilsberechtigt seien, ein Begehren auf Hinzu- und Anrechnung ermögliche. Alle anderen, nicht konkret pflichtteilsberechtigten Geschenknehmer seien nach dem klaren Willen des Gesetzgebers nicht antragsberechtigt. Auch nach alter Rechtslage seien nur konkret Pflichtteilsberechtigte zur Herausgabe eines Geschenks legitimiert gewesen. Im Übrigen sei die Einräumung des Wohnrechts nicht als Schenkung iSd § 781 ABGB zu qualifizieren.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

[11] 1. Da der Erblasser nach dem 31. 12. 2016 verstorben ist, sind auf den Sachverhalt die hier maßgeblichen Normen idF des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) anzuwenden, auch wenn die Schenkung bereits vor dem 1. 1. 2017 stattgefunden hat (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB; 2 Ob 166/20f Rz 9 mwN).

[12] 2. Die im Zentrum der Revisionsausführungen stehende Frage der Aktivlegitimation zur Erhebung eines Hinzu- und Anrechnungsbegehrens ist in den §§ 782 und 783 ABGB geregelt. Während § 782 ABGB den hier nicht einschlägigen Fall regelt, dass die Hinzu- und Anrechnung einer Schenkung an eine nicht (zumindest abstrakt) pflichtteilsberechtigte Person begehrt wird, trifft § 783 ABGB zur Hinzu- und Anrechnung einer Schenkung an eine (zumindest abstrakt) pflichtteilsberechtigte Person – wie es die Klägerin ist – unter der Überschrift „Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte“ folgende Regelung:

„(1) Auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten oder eines Erben sind Schenkungen an Personen, die dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören (§ 757), der Verlassenschaft hinzuzurechnen und auf den Pflichtteil der beschenkten Person oder derjenigen Person, die an deren Stelle tritt, anzurechnen. Ein Geschenknehmer, der im Zeitpunkt der Schenkung allgemein zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehörte (§ 757) und dem deshalb kein Pflichtteil zukommt, weil er auf seinen Pflichtteil verzichtet hat oder die Erbschaft ausgeschlagen hat, kann ebenfalls die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte verlangen.

(2) Die Hinzu- und Anrechnung kann auch ein Vermächtnisnehmer verlangen, soweit er zur Pflichtteilserfüllung beizutragen hat oder einen verhältnismäßigen Abzug erleidet.“

 

[13] 3. Der Beklagte gehört als Enkel des Erblassers zu dessen Nachkommen und ist damit abstrakt pflichtteilsberechtigt (§ 757 ABGB). Er ist jedoch nicht konkret pflichtteilsberechtigt, weil seine Mutter, die Klägerin, als die Abstammung vermittelnder Elternteil im Todeszeitpunkt des Erblassers am Leben und pflichtteilsberechtigt war (vgl 2 Ob 213/17p [noch zum alten Erbrecht]).

[14] Mit dem in Satz 1 des § 783 Abs 1 ABGB erwähnten „Pflichtteilsberechtigten“ ist ein konkret Pflichtteilsberechtigter gemeint, hätte doch anderenfalls die Regelung des Satzes 2 keinen Anwendungsbereich (Rabl, Die Berechtigten einer Hinzu- und Anrechnung auf den Pflichtteil – Ein Beitrag zu den Zwecken des Anrechnungsrechts, in FS Bittner [2018] 471 [474]; vgl auch Umlauft in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2021] § 783 ABGB Rz 12 mwN). Da der Beklagte weder Erbe noch konkret Pflichtteilsberechtigter ist, unterliegt er nicht Satz 1 des § 783 Abs 1 ABGB. Da der Beklagte nicht deswegen nicht konkret pflichtteilsberechtigt ist, weil er auf seinen Pflichtteil verzichtet oder sein Erbrecht ausgeschlagen hat, ist auch der Anwendungsbereich des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB nach dessen Wortlaut nicht eröffnet. Ein Fall des § 783 Abs 2 ABGB liegt ebenfalls nicht vor.

[15] Es stellt sich damit die Frage, ob der Beklagte dessen ungeachtet aufgrund analoger Anwendung des § 783 (Abs 1 Satz 2) ABGB in der hier zu beurteilenden Konstellation legitimiert ist, ein Hinzu- und Anrechnungsbegehren zu stellen.

[16] 4. Die Materialien zu § 783 ABGB lauten auszugsweise wie folgt (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 34):

„Die Hinzu- und Anrechnung auf den Pflichtteil soll jeder, der zur Leistung des Pflichtteils verpflichtet ist, verlangen können. Dies sind die Erben und Vermächtnisnehmer, letztere aber nur, soweit sie nach § 764 Abs. 2 des Entwurfs zur Pflichtteilsanspruchserfüllung beizutragen haben oder vom Kürzungsrecht nach § 692 des Entwurfs betroffen sind. Darüber hinaus soll auch jeder der übrigen Pflichtteilsberechtigten die Hinzu- und Anrechnung begehren können, da es für ihn von Vorteil sein kann, wenn sich Pflichtteilsberechtigte weniger aus der Verlassenschaft befriedigen müssen. Die Wahrscheinlichkeit, den Pflichtteil zur Gänze aus der Verlassenschaft gedeckt zu erhalten, steigt damit nämlich, und die Beschreitung des beschwerlicheren Weges der Schenkungsanfechtung nach § 789 des Entwurfs kann auf diese Weise vermieden werden (Umlauft, Reform des Erbrechts 135).

Wenn der die Hinzu- und Anrechnung verlangende Pflichtteilsberechtigte selbst auch Schenkungen erhalten hat, diese aber bei der Berechnung der Verlassenschaft nicht angibt, kann das normalerweise dadurch ausgeglichen werden, dass die anderen Pflichtteils-berechtigten ihrerseits die Hinzu- und Anrechnung dieser Zuwendung verlangen können. Problematisch wird dies, wenn die anderen Pflichtteilsberechtigten auf den Pflichtteil verzichtet haben. Müsste der die Hinzu- und Anrechnung verlangende Pflichtteilsberechtigte stets konkret pflichtteilsberechtigt sein, dann würde der die Hinzu- und Anrechnung Verlangende selbst einer Anrechnung entgehen und könnte unter Umständen trotzdem von den übrigen Geschenknehmern die Herausgabe nach § 789 verlangen. Um dem entgegen zu wirken, wird vorgeschlagen, dass auch ein Geschenknehmer, der im Zeitpunkt der Schenkung allgemein zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehörte (§ 757) und dem deshalb kein Pflichtteil zukommt, weil er auf seinen Pflichtteil verzichtet hat oder die Erbschaft ausgeschlagen hat, die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte verlangen kann.“

 

[17] 5. In der Literatur wird – soweit ersichtlich – die analoge Anwendung des § 783 (Abs 1 Satz 2) ABGB auf die hier zu beurteilende Fallkonstellation, in der das bloß abstrakt pflichtteilsberechtigte Enkelkind als Geschenknehmer nach § 789 ABGB in Anspruch genommen wird, einhellig befürwortet bzw zumindest in Erwägung gezogen:

[18] 5.1. Nach Umlauft (in Fenyves/Kerschner/ Vonkilch, Klang3 [2021] § 783 ABGB Rz 12 f sowie Hinzu- und Anrechnung² [2018] 95 f) liegt das für die Bejahung einer Aktivlegitimation für die Stellung eines Hinzu- und Anrechnungsbegehrens erforderliche rechtliche Interesse des Geschenknehmers, dem infolge Pflichtteilsverzichts oder Ausschlagung kein Pflichtteil zusteht, darin, dass dieser im Fall der Inanspruchnahme nach § 789 ABGB die ihm gemachte Schenkung dadurch verteidigt, dass die Pflichtteilsansprüche anderer durch die Anrechnung von Schenkungen möglichst gering gehalten werden. Dieses Interesse könne aber jeder Beschenkte unabhängig von einem ihm zustehenden Pflichtteilsrecht haben, weil er ebenfalls mit einer Haftungsgefahr iSd §§ 789 ff ABGB konfrontiert sein könne. Umlauft geht daher von einer Gesetzeslücke aus, die dadurch zu schließen sei, dass jedem Beschenkten das Recht zugestanden werde, die Hinzu- und Anrechnung einer Schenkung auf den Pflichtteil eines konkret Pflichtteilsberechtigten zu verlangen.

[19] 5.2. Rabl (Die Berechtigten einer Hinzu- und Anrechnung auf den Pflichtteil in FS Bittner [2018] 471 [475 ff]) hält fest, dass das notwendige rechtliche Interesse des in § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB umschriebenen Personenkreises am Verlangen einer Hinzu- und Anrechnung nur dann vorliege, wenn eine Verteidigung im Rahmen der Inanspruchnahme nach § 789 ABGB erforderlich sei. Die Aufzählung des § 783 ABGB über die Personen, die ein berechtigtes Interesse an der Hinzu- und Anrechnung haben, sei lückenhaft. Die Zwecke der Hinzu- und Anrechnung rechtfertigten keine Privilegierung des beschenkten Pflichtteilsberechtigten gegenüber nicht pflichtteilsberechtigten beschenkten Personen, die in Ermangelung einer Nachlassdeckung in Anspruch genommen werden können. Könnte der nach § 789 ABGB in Anspruch genommene beschenkte Nichtpflichtteilsberechtigte dem Pflichtteils-berechtigten dessen Schenkung nicht entgegen halten, erhielte der Pflichtteilsberechtigte im Ergebnis seinen Pflichtteil „doppelt“, nämlich einerseits aufgrund der Schenkung und andererseits vom nicht pflichtteilsberechtigten Geschenk-nehmer. Außerdem sei im Fall der unterschiedlichen Behandlung von Geschenknehmern deren im Gesetz vorgesehene verhältnismäßige Haftung nicht durchführbar, setze doch § 789 Abs 2 ABGB eine übereinstimmende Höhe des Pflichtteils voraus. Auf Grundlage dieser Überlegungen könne kein Zweifel daran bestehen, dass der Einwand des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB in analoger Anwendung auch Beschenkten zustehen müsse, die niemals pflichtteilsberechtigt gewesen seien oder ihr Pflichtteilsrecht aus anderen Gründen verloren hätten, wenn sie in Ermangelung eines ausreichenden Nachlasses zur Deckung des Pflichtteils in Anspruch genommen würden.

[20] 5.3. Kogler (JBl 2017, 515 [519] [Entscheidungsanmerkung]) vertritt die Auffassung, es überzeuge teleologisch nicht, dass jeder Erbe die Hinzu- und Anrechnung verlangen könne, nicht aber jeder (haftende) Geschenknehmer und dass ein Erbe, Vermächtnisnehmer oder bestimmte Beschenkte über die Größe der Haftung eines anderen bestimmen können. Insofern sprechen nach Kogler die besseren Gründe dafür, dass hinsichtlich „normaler“ Beschenkter von einer planwidrigen Lücke auszugehen und eine analoge Anwendung des § 783 ABGB vorzuziehen ist.

[21] 5.4. Nach Bittner/Hawel (in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 783 Rz 1 [Stand 1. 10. 2018, rdb.at]) können Geschenknehmer, die nach §§ 789 ff ABGB haften, die Anrechnung nach den Worten des Gesetzes zwar nicht verlangen. Da ihre Interessenlage aber weitgehend jener der beitragspflichtigen Vermächtnisnehmer entspreche, sei ihre Anrechnungslegitimation in analoger Anwendung der Regelung über beitragspflichtige Vermächtnisnehmer anzunehmen.

[22] Eine analoge Anwendung des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB auf andere Geschenknehmer, die nach § 789 ABGB in Anspruch genommen werden, befürwortet Likar‑Peer (in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht2 Rz 11.32).

[23] Musger (in KBB7 [2023] §§ 782–783 ABGB Rz 14) erwägt ebenfalls eine analoge Anwendung des § 783 ABGB auf nicht abstrakt pflichtteilsberechtigte Beschenkte, gegen die Ansprüche nach §§ 789 ff ABGB geltend gemacht werden.

[24] 5.5. Welser (Erbrechts-Kommentar § 783 ABGB Rz 12 und 15) führt aus, dass ein Enkelkind, dessen die Abstammung vermittelnder Elternteil noch lebt, einer zeitlich unbegrenzten Herausgabe der Schenkung (§ 792 ABGB) ausgesetzt ist, sich aber weder einen „hypothetischen Pflichtteil“ (§ 791 Abs 2 ABGB) zurückbehalten noch nach dem Wortlaut des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB die Hinzu- und Anrechnung verlangen kann, um seine Haftung zu verkleinern. Daher ist nach Ansicht Welsers eine analoge Anwendung der zuletzt genannten Bestimmung (nur) in diesem Fall zu erwägen.

[25] 6. Der erkennende Senat geht aus folgenden Erwägungen in Übereinstimmung mit der Literatur vom Vorliegen einer durch Analogie zu schließenden planwidrigen Gesetzeslücke aus:

[26] 6.1. Ein Analogieschluss setzt eine Gesetzeslücke voraus, das heißt also, dass der Rechtsfall nach dem Gesetz nicht beurteilt werden kann, jedoch von Rechts wegen einer Beurteilung bedarf. Es muss eine „planwidrige Unvollständigkeit“, das heißt eine nicht gewollte Lücke, vorliegen (RS0098756). Eine solche ist dann gegeben, wenn die Regelung eines Sachbereichs keine Bestimmung für eine Frage enthält, die im Zusammenhang mit dieser Regelung an sich geregelt werden müsste (vgl RS0008866 [T1]), oder wenn Wertungen und Zweck der konkreten gesetzlichen Regelung die Annahme rechtfertigen, der Gesetzgeber habe einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (vgl RS0008866 [T10]).

[27] 6.2. Nach den Gesetzesmaterialien war der Gesetzgeber durch die in § 783 ABGB im Vergleich zur früheren Gesetzeslage (vgl 2 Ob 197/15g) vorgenommene Ausweitung der Berechtigung zum Verlangen einer Hinzu- und Anrechnung bestrebt, jedem, der zur Leistung des Pflichtteils verpflichtet ist, ein Verlangen nach Hinzu- und Anrechnung zu ermöglichen. Die Regelung des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB ist darauf zurückzuführen, dass vermieden werden sollte, dass der die Hinzu- und Anrechnung Verlangende selbst einer Anrechnung entgehen und trotzdem die Herausgabe nach § 789 ABGB von den übrigen Geschenknehmern verlangen kann.

[28] 6.3. Gemessen an diesem Gesetzeszweck ist die Regelung des § 783 ABGB aber unvollständig, ermöglicht sie doch gerade nicht jedem, der zur Leistung des Pflichtteils verpflichtet ist, die Möglichkeit eines Verlangens der Hinzu- und Anrechnung. Umlauft (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 783 ABGB Rz 13) hat überzeugend heraus gearbeitet, dass sich das im Fall einer Inanspruchnahme nach § 789 ABGB bestehende rechtliche Interesse eines abstrakt pflichtteilsberechtigten Geschenknehmers, der auf seinen Pflichtteil verzichtet oder das Erbrecht ausgeschlagen hat, nicht vom rechtlichen Interesse jedes anderen Geschenknehmers, der nach § 789 ABGB in Anspruch genommen wird und damit im Ergebnis zur (teilweisen) Leistung des Pflichtteils verhalten werden soll, unterscheidet. Es ist damit – entgegen Welser – eine analoge Anwendung des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB auf alle Geschenknehmer, die nach § 789 ABGB in Anspruch genommen werden, angezeigt.

[29] Zutreffend weist Rabl (in FS Bittner 477) überdies darauf hin, dass bei Verneinung einer Analogie der Pflichtteilskläger im Ergebnis seinen Pflichtteil „doppelt“ erhalten würde, wenn er einerseits die subsidiäre Haftung des Geschenknehmers in Anspruch nehmen kann, andererseits aber selbst eine Schenkung vom Erblasser erhalten hat, die zwar grundsätzlich zur Pflichtteilsdeckung heranzuziehen wäre (§ 761f ABGB), er sich jedoch nicht anrechnen lassen muss. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bewusst nur jene Geschenknehmer zur Erhebung eines Hinzu- und Anrechungsbegehrens legitimieren wollte, die ihre konkrete Pflichtteilsberechtigung aufgrund eines Pflichtteilsverzichts verloren haben, fehlen. Eine sachliche Rechtfertigung für ein solches Herausgreifen bloß ganz bestimmter Geschenknehmer ist im Fall der Inanspruchnahme nach § 789 ABGB überdies nicht zu erkennen.

[30] 6.4. Die Hinweise der Klägerin auf die Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 vermögen am hier erzielten Ergebnis nichts zu ändern, weil die Frage der Aktivlegitimation zur Erhebung eines Hinzu- und Anrechnungsbegehrens im Rahmen des ErbRÄG 2015 umfassend neu geregelt wurde.

6.5. Daraus folgt:

[31] Nach § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB ist ein Geschenknehmer zur Erhebung eines Hinzu- und Anrechnungsbegehrens legitimiert, wenn er abstrakt pflichtteilsberechtigt ist, aber aufgrund Pflichtteilsverzicht oder Entschlagung nicht konkret pflichtteilsberechtigt ist. Nimmt ein konkret Pflichtteilsberechtigter einen von diesem Wortlaut nicht erfassten Geschenknehmer wegen nicht ausreichender Verlassenschaft nach §§ 789 ff ABGB in Anspruch, dann ist der auf diese Weise belangte Beschenkte in analoger Anwendung des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB ebenfalls zur Erhebung eines Hinzu- und Anrechnungsbegehrens legitimiert, kann also gegen den Pflichtteilskläger einwenden, dass sich dieser selbst eine andere Schenkung anrechnen lassen muss.

[32] 7. Dem Vorbringen des Beklagten, dass der Erblasser der Klägerin unentgeltlich ein Wohnrecht eingeräumt habe, ist die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren nicht substantiiert entgegen getreten. Sie hat auch in der Berufung die vom Erstgericht vorgenommene Qualifikation der Einräumung des Wohnrechts als Schenkung iSd § 781 ABGB nicht in Zweifel gezogen, sodass eine nähere Auseinandersetzung mit den zu dieser Frage gemachten Ausführungen in der Revision insgesamt zu unterbleiben hat.

[33] 8. Der Revision war damit nicht Folge zu geben.

[34] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO.

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