European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0020NC00003.20V.0214.000
Spruch:
Es besteht ein zureichender Grund, die Unbefangenheit des ***** in den Rechtssachen *****, *****, ***** und ***** in Zweifel zu ziehen.
Begründung:
Die im Spruch genannten Verfahren sind im ***** Senat des Obersten Gerichtshofs angefallen. Die Kläger machen darin gegen einen deutschen Kraftfahrzeughersteller und (mit einer Ausnahme) gegen österreichische Vertragshändler Ansprüche aufgrund des Erwerbs von Kraftfahrzeugen geltend, deren Motoren mit einer Vorrichtung zur Manipulation der Abgaswerte ausgestattet waren. Strittig ist insbesondere, ob das Einspielen einer neuen Software allfälligen Ansprüchen entgegensteht.
***** ist Mitglied des ***** Senats. Er gibt bekannt, dass er 2011 ein Fahrzeug des beklagten Herstellers gekauft habe, das sich als „abgasmanipuliert“ herausgestellt habe. Er habe bisher keine Ansprüche geltend gemacht und beabsichtige „nach derzeitigem Wissensstand“ auch nicht, in Zukunft Ansprüche geltend zu machen. Er sei subjektiv nicht befangen. Setzten sich die Kläger aber mit bestimmten Rechtsstandpunkten durch, könnte theoretisch auch er noch Ansprüche erheben, was für die Beklagten den Anschein der Befangenheit begründen könnte. Umgekehrt könnten die Kläger sein bisheriges Verhalten (Unterlassen der Anspruchserhebung) als „Statement“ zu den anhängigen Rechtssachen ansehen.
Rechtliche Beurteilung
Die Befangenheitsanzeige ist begründet:
1. Nach § 19 Z 2 JN kann ein Richter abgelehnt werden, wenn ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Nach § 22 Abs 2 GOG haben Richter Gründe anzuzeigen, die ihre Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen geeignet sind; darüber ist nach § 22 Abs 3 GOG auch ohne Ablehnung durch eine Partei im Verfahren nach den §§ 23 bis 25 JN zu entscheiden.
2. Ein zureichender Grund, die Unbefangenheit eines Richters iSv § 19 Z 1 JN in Zweifel zu ziehen, liegt nach ständiger Rechtsprechung schon dann vor, wenn bei objektiver Betrachtungsweise der äußere Anschein der Voreingenommenheit – also der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche Motive (RS0045975) – entstehen könnte (RS0046052 [T2, T10]; RS0045949 [T2, T6]), dies auch dann, wenn der Richter tatsächlich (subjektiv) unbefangen sein sollte (RS0045949 [T5]). Dabei ist zur Wahrung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzuwenden (vgl RS0045949).
3. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass aufgrund vergleichbarer Sachverhalte bei verschiedenen Gerichten eine große Zahl von Zivilverfahren gegen den Hersteller und gegen Vertragshändler von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Marke anhängig ist. Wegen des hohen Marktanteils besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dafür zuständige Richter ebenfalls ein betroffenes Kraftfahrzeug erworben haben. Im Allgemeinen könnte das den Anschein der Befangenheit nur dann begründen, wenn der Richter selbst Ansprüche gegen den Hersteller oder einen Vertragshändler geltend macht oder (erfolglos) geltend gemacht hat. Denn in diesem Fall bestünde jedenfalls objektiv der Verdacht, dass der Richter wegen seiner eigenen Betroffenheit nicht unvoreingenommen an die Sache herangehen könnte (vgl EGMR 21. 6. 2018, n°5734/14, Aviso Zeta AG). Hingegen ließe sich aus dem Nichterheben von Ansprüchen keinesfalls ein „Statement“ dahin ableiten, dass der Richter Ansprüche für aussichtslos hielte und auch nicht bereit wäre, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Auch die bloße Möglichkeit, dass er entgegen seinem bisherigen Verhalten zukünftig doch noch Ansprüche geltend machen könnte, wird mangels weiterer Indizien nicht ausreichen, den Anschein der Befangenheit zu begründen.
4. Anderes gilt allerdings für Richter des Obersten Gerichtshofs. Wegen des Präjudizcharakters höchstgerichtlicher Entscheidungen ist es in der konkreten Fallgestaltung nicht ausgeschlossen, dass das Stimmverhalten eines betroffenen Richters auch von eigenen Interessen geleitet sein könnte (vgl 8 Nc 26/15p). Das gilt jedenfalls dann, wenn sich der Richter vorbehält, auch selbst noch Ansprüche geltend zu machen. Ein solcher Fall liegt hier vor, da ***** (nur) erklärt, „nach derzeitigem Wissensstand“ nicht gegen den Hersteller oder einen Vertragshändler vorgehen zu wollen. Damit lässt er offen, bei einer für ihn positiven Entwicklung der Rechtsprechung doch noch Ansprüche zu erheben. Allein das begründet den Anschein seiner Befangenheit. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass er die Entwicklung der Rechtsprechung durch sein Mitwirken an den im Senat zu treffenden Entscheidungen beeinflusst, und sein mögliches Interesse an dieser Entwicklung begründet die objektiv nicht widerlegbare Besorgnis, dass er sich dabei nicht allein von sachlichen Motiven leiten lassen könnte.
5. Aus diesem Grund ist iSv § 19 Abs 2 JN auszusprechen, dass ein zureichender Grund vorliegt, die Unbefangenheit von ***** in Zweifel zu ziehen. Das schließt seine Mitwirkung an der Entscheidung in den im Spruch genannten Rechtssachen aus.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)