European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0260DS00008.19D.1111.000
Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer ***** aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung von Rechtsanwalt ***** wegen des Vorwurfs bestehe, er habe eine Verletzung von Berufspflichten dadurch begangen, dass er am 17. Mai 2017 als Verteidiger seiner Mandantin ***** der Genannten vor ihrer Beschuldigtenvernehmung in einem zu AZ ***** der Staatsanwaltschaft ***** nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall, 15 StGB geführten Strafverfahren riet, „nicht die Wahrheit zu sagen“.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen gerichtete, die Fassung eines Einleitungsbeschlusses anstrebende Beschwerde des Kammeranwalts schlägt fehl:
Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), darf vom Disziplinarrat (nur) dann gefasst werden, wenn kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinn des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (RIS-Justiz RS0056969, RS0057005; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 28 DSt Rz 9).
Vom – eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist (im Licht des § 212 Z 2 StPO [§ 77 Abs 3 DSt]) auszugehen, wenn das Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS-Justiz RS0056973 [T5]).
Nach den Annahmen des Disziplinarrats könne– mit Blick auf den im Strafverfahren geltenden Grundsatz „nemo tenetur“ – dahingestellt bleiben, welchen Rat der angezeigte Rechtsanwalt seiner Klientin vor ihrer Vernehmung erteilt hat; selbst unter Zugrundelegung der Annahme, er hätte seiner Klientin „den Rat erteilt, kein Geständnis abzulegen“, wäre dies disziplinär nicht fassbar (ES 2 und 3).
Die Beschwerde vertritt demgegenüber den Standpunkt, die – offenbar vom Rat „zu einem Geständnis“ ausgehende und überdies am „nemo tenetur“-Grundsatz orientierte – Argumentation des Disziplinarrats gehe am „gegenständlichen disziplinären Verhalten vorbei“, zumal „wesentlich bleibt, ob die späterhin geständige Mandantin des Disziplinarbeschuldigten bei ihrer ersten Beschuldigtenvernehmung gelogen hat und dies auf Anraten des Disziplinarbeschuldigten erfolgt ist“ bzw „ob diese bereits bei ihrer ersten Vernehmung tatsächlich wahrheitsgemäß aussagen wollte, vom Disziplinarbeschuldigten aber ausdrücklich gegenteilig und wahrheitswidrig instruiert wurde“.
Konkrete Anhaltspunkte für eine Verdachtsannahme, der angezeigte Rechtsanwalt hätte seiner Klientin nicht nur Beratung im Sinn einer aktiven Erörterung der Prozesssituation und der aus den §§ 49 Z 4, 164 Abs 1 und Abs 4 StPO eröffneten Handlungsmöglichkeiten geboten (Soyer/Schumann, WK-StPO § 57 Rz 56 und 58), sondern vielmehr die Grenzen zulässiger Mandatsausübung (§ 9 Abs 1 RAO und § 17 RL-BA 2015) durch eine konkrete Anleitung zu bewusst falschen, die Individualrechte Dritter tangierenden Angaben überschritten (vgl OBDK vom 30. November 1998, 14 Bkd 6/98 [AnwBl 1999, 436]; Soyer/Schumann, WK-StPO § 57 Rz 20), zeigt die Beschwerde aber nicht auf:
Der bloße Hinweis auf die Bekundung der ***** vom 10. Juli 2017, sie habe bei ihrer ersten Vernehmung über Empfehlung ihres Anwalts „so“ ausgesagt, obgleich sie „damals schon die Wahrheit sagen“ wollte (Abschluss-Bericht ON 8 in ON 1, S 11 und 13), setzt der Annahme fehlender Anhaltspunkte für eine schuldhafte Verletzung von Standesvorschriften nichts Substanzielles entgegen; obliegt es dem Verteidiger doch nicht, der Wahrheitsermittlung in objektiver Hinsicht zu dienen, sondern die Interessen seines Mandanten wahrzunehmen (Soyer/Schumann, WK-StPO § 57 Rz 88 ff und 123).
Der Beschwerde war daher nicht Folge zu geben.
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