OGH 26Ds2/20y

OGH26Ds2/20y4.6.2020

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 4. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Mag. Stolz und Dr. Broesigke sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, AZ D 130/16, über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer ***** vom 11. September 2019, GZ D 130/16‑32, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0260DS00002.20Y.0604.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung von Rechtsanwalt ***** wegen des Verdachts bestehe, er habe (zu ergänzen: als Vertragsverfasser und Treuhänder der jeweils zwischen der C***** GmbH als Verkäufer und ***** als Käufer abgeschlossenen Kaufverträge vom 22. Juni 2010 und vom 11. März 2011 bezüglich zweier Dachgeschosswohnungen in ***** [vgl BS 3 f])

1./ nachgenannte Geldbeträge außerhalb der Absicherung des elektronischen Treuhandbuchs (ohne sie in die Kammermeldungen aufzunehmen) an den – laut Firmenbuch im Eigentum seiner Frau und seines Vaters stehenden – Bauträger weitergeleitet, ohne sich jeweils eine Untersagungserklärung von den Vertragsparteien unterfertigen zu lassen und diese aufzuheben, und zwar

a./ im Juni 2010 139.000 Euro und

b./ am 27. Jänner 2011 100.000 Euro;

2./ einen weiteren Betrag erst am 27. August 2012 an den Bauträger ausgezahlt, dies abzüglich einer in einem Vergleich mit dem Käufer festgelegten Pönale;

3./ ab 27. August 2012 bis zu einem noch näher festzustellenden Zeitpunkt eine Schuld gegenüber dem Käufer ***** trotz Klagsführung nicht bezahlt;

4./ trotz Generalvergleichs mit ***** vom 27. August 2012 mit Schreiben vom 25. Oktober 2013 118.856 Euro nachgefordert;

5./ am 29. September 2011 und am 9. November 2011 einerseits 200.000 Euro und andererseits 450.000 Euro an den Bauträger ausbezahlt, ohne den 2%igen Haftrücklass zurückzubehalten, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Auszahlungsvoraussetzungen noch nicht vorgelegen seien.

 

Zur Begründung führte der Disziplinarrat – zusammengefasst – aus, dass die den Fakten 1./, 4./ und 5./ zugrunde liegenden Handlungen gemäß § 2 Abs 1 Z 2 DSt verjährt seien; zudem seien bei den vom Faktum 5./ umfassten Auszahlungen die erforderlichen Ziviltechnikerbestätigungen vorgelegen, sodass eine treuwidrige Auszahlung diesbezüglich ausscheide.

Weiters fänden sich zum Faktum 2./ keine konkreten Anhaltspunkte im Akt, während die vom Faktum 3./ umfasste und sich aus einer im Zug des Verfahrens (richtig:) AZ ***** getroffenen außergerichtlichen Vereinbarung ergebende Zahlung von 7.000 Euro ohnehin geleistet worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Beschwerde des Kammeranwalts, die sich ohne konkrete inhaltliche Auseinandersetzung im Wesentlichen darauf beschränkt, die Verneinung einer disziplinären Verantwortlichkeit bzw die Annahme der Verjährung durch den Disziplinarrat als nicht nachvollziehbar und verfehlt und die Vorgehensweise des Beschuldigten als disziplinär zu bezeichnen (ON 34).

Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss; § 28 Abs 3 DSt), darf vom Disziplinarrat (nur) dann gefasst werden, wenn kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründende Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinn des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (RIS‑Justiz RS0056969, RS0057005; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO10 § 28 DSt Rz 9).

Vom – eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist (im Licht des § 212 Z 2 StPO [§ 77 Abs 3 DSt]) auszugehen, wenn das Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Beschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0056973 [T5]).

Nach den das Faktum 3./ betreffenden und sich ohne weitere Beweiswürdigung bereits aus dem Akt ergebenden Annahmen des Disziplinarrats erhob ***** über die aufgrund des Vergleichs vom 27. August 2012 (ON 5 Beilage 3./) vom Beschuldigten bezahlte Summe hinaus eine weitere Forderung (in der Höhe von 10.418,16 Euro), die dieser letztlich (am 9. Juli 2014) im Verfahren (richtig:) AZ ***** auch einklagte. Dieses Verfahren wurde durch eine außergerichtliche Vereinbarung und nach einer Zahlung des Beschuldigten von 7.000 Euro am 8. Februar 2015 (durch ewiges Ruhen) beendet (ON 5 Beilage 6./ und VJ‑Register).

Der genannten Beilage lässt sich weiters entnehmen, dass der Beschuldigte gegen die Forderung des Klägers eingewendet hatte, im Sinne des Vergleichs vom 27. August 2012 nur für jene dort angeführten Beträge in der vom Sachverständigen ***** bestimmten Höhe weiter zu haften (vgl auch ON 5 S 3 Mitte).

Ausgehend von diesem unbestrittenen Sachverhalt und dem Umstand, dass nach § 3 RL‑BA 1977 (vgl nunmehr § 4 RL‑BA 2015) nur Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigende Einwendungen eines Rechtsanwalts gegen Verbindlichkeiten disziplinarrechtlich relevant sind, begegnet die Entscheidung, in Bezug auf das Faktum 3./ kein Disziplinarverfahren einzuleiten, keinen Bedenken, zumal sich die vom Beschuldigten erhobenen Einwendungen auf eine konkrete Grundlage stützten (vgl 20 Ds 3/17x; RIS‑Justiz RS0120583; siehe auch [wenngleich zur neuen Rechtslage] Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 RL‑BA 2015 §§ 3, 4 Rz 11).

Gleiches gilt im Ergebnis auch für die Beurteilung des Faktums 4./, weil die vom Beschuldigten vertretene Ansicht, die sich aus dem betreffenden Kaufvertrag ableitende Verpflichtung des ***** zur Bezahlung der Grunderwerbsteuer (vgl ON 5 Beilage 7./ S 7) sei vom – lediglich eine Bereinigung der Schäden, Pönalansprüche und sonstigen vertraglichen Ansprüche vorsehenden – Wortlaut des erwähnten Vergleichs vom 27. August 2012 unberührt geblieben (ON 5 Beilagen 3./ und 9./), im Hinblick darauf, dass es sich bei der Grunderwerbsteuer um keinen vertraglichen Anspruch handelt, nicht als unvertretbar oder unsachlich bezeichnet werden kann.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 2 DSt wird die Verfolgung eines Rechtsanwalts wegen eines Disziplinarvergehens durch Verjährung ausgeschlossen, wenn innerhalb von fünf Jahren nach der Beendigung eines disziplinären Verhaltens kein Einleitungsbeschluss (§ 28 Abs 2 DSt) gefasst wurde. Wird wegen des dem Disziplinarvergehen zu Grunde liegenden Sachverhalts ein Strafverfahren nach der StPO geführt, wird der Lauf der in § 2 Abs 1 DSt genannten Fristen für die Dauer dieses Verfahrens gehemmt (Abs 2 Z 1 leg cit; RIS‑Justiz RS0125816). Die Prüfung des Verdachts wegen eines Disziplinarvergehens durch den Kammeranwalt oder den Untersuchungskommissär hemmt eine Verjährung demgegenüber jedoch nicht.

Ausgehend davon, dass die letzte der den verbleibenden Fakten 1./, 2./ und 5./ zu Grunde liegenden Handlungen am 27. August 2012 gesetzt wurde, war in Bezug auf alle diese Tathandlungen – zumal hiezu von der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu AZ ***** aufgrund der am 20. Jänner 2017 eingebrachten Anzeige gemäß § 35c StAG am 11. Oktober 2017 abgesehen wurde (ON 12; vgl § 2 Abs 2 Z 1 DSt) und das zu AZ ***** zwischen 4. April 2016 und 9. Jänner 2017 geführte Ermittlungsverfahren einen anderen und zu den vorliegenden Vorwürfen nicht gleichartigen (vgl § 2 Abs 4 DSt) Sachverhalt betraf (siehe Einstellungsbegründung der Staatsanwaltschaft vom 20. Jänner 2017 [in KA *****]) – zum Zeitpunkt der hier angefochtenen Beschlussfassung am 11. September 2019 im Sinne des § 2 Abs 1 Z 2 DSt durch Verjährung die Verfolgung bereits ausgeschlossen.

Der Beschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur nicht Folge zu geben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte