OGH 22Ds12/23v

OGH22Ds12/23v25.4.2024

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 25. April 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshof Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwälte Dr. Forcher und Dr. Ramingals Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Staudinger LL.M. in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwältin in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung der Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 5. Mai 2022, GZ D 22/21, 1 DV 19/21‑22, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Schreiber, des Kammeranwalts Rechtsanwalt Dr. Orgler und des Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Liebmann zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0220DS00012.23V.0425.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung wird die verhängte Geldbuße auf 4.000 Euro herabgesetzt.

Der Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie für im Verfahren AZ * des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Verfahrenshilfevertreterin der * S* erbrachte Leistungen der Genannten am 10. September 2020 einen Honorarbetrag von 27.000 Euro in Rechnung gestellt, diesen am 19. November 2020 vom für * S* auf ihrem Kanzleianderkonto erliegenden Fremdgeld einbehalten und ihn trotz am 26. Jänner 2021 ergangener diesbezüglicher Aufforderung nicht unverzüglich an * S* rückerstattet und im deswegen von dieser angestrengten Zivilverfahren die Forderung von 20.827,74 Euro im 5.000 Euro übersteigenden Betrag (sachlich unbegründet) bestritten.

[3] Der Disziplinarrat verhängte über * hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 5.000 Euro und wertete bei der Strafbemessung das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen (§ 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) als erschwerend, das reumütige Geständnis und die „doch längere“ Verfahrensdauer als mildernd.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen den Strafausspruch wendet sich die Berufung der Beschuldigten mit dem Ziel der Herabsetzung der Geldbuße.

[5] Nach ständiger Judikatur sind die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) auch für das anwaltliche Disziplinarverfahren sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839).

[6] Hievon ausgehend wendet die Berufung zutreffend ein, dass auch der bisher ordentliche Lebenswandel der Beschuldigten mildernd wirkt (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB).

[7] Nicht zugute zu halten ist ihr hingegen der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 18 StGB, weil von einem Wohlverhalten durch längere Zeit hindurch erst ab einem Zeitraum von etwa fünf Jahren gesprochen werden kann (RIS‑Justiz RS0108563 sowie Riffel in WK² StGB § 34 Rz 39), der aber hier seit der letzten Tathandlung nicht verstrichen ist.

[8] Entgegen der Berufung ist die vom Disziplinarrat ohnedies im untersten Bereich des bis zu 45.000 Euro reichenden Geldbußrahmens (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) ausgemessene Sanktion trotz der geringfügig zugunsten der Beschuldigten korrigierten besonderen Strafbemessungsgründe bei Veranschlagung durchschnittlicher Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 16 DSt Rz 17) schuldangemessen (§ 32 Abs 1 StGB).

[9] Allerdings reicht der besondere Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB hier in die Grundrechtssphäre. Nach der Judikatur des EGMR ist das Grundrecht auf Entscheidung in angemessener Frist (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) nämlich unter anderem bei längeren Perioden der behördlichen Untätigkeit verletzt (HK‑EMRK/Harrendorf/König/Voigt Art 6 Rz 185), was hier mit Blick auf die Ausfertigungsdauer des Erkenntnisses des Disziplinarrats von rund einem Jahr und drei Monaten jedenfalls zu bejahen ist (vgl auch Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 40 DSt Rz 2).

[10] Der Oberste Gerichtshof erkennt die in der solcherart überlangen Verfahrensdauer gelegene Grundrechtsverletzung ausdrücklich an und gleicht sie durch eine Reduktion der Geldbuße um 1.000 Euro aus.

[11] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt. Da die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht durch ein ganz erfolglos gebliebenes Rechtsmittel des Gegners der Beschuldigten verursacht worden sind, hat sie diese gemäß § 390a Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt zu ersetzen (vgl RIS‑Justiz RS0057181).

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