OGH 21Ds10/23t

OGH21Ds10/23t28.5.2024

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 28. Mai 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Leb MBA und Dr. Fetz als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Novak in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 11. April 2023, GZ D 31/22‑29 (6 DV 24/22) nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Kammeranwalts Mag. Haumer und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0210DS00010.23T.0528.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 11. April 2023 wurde der Disziplinarbeschuldigte * des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung (zu ergänzen:) nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße von 2.000 Euro verurteilt, wobei ein Betrag von 1.000 Euro unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren gemäß § 16 Abs 2 (zweiter Satz) DSt bedingt nachgesehen wurde.

[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat Rechtsanwalt * mit Schreiben vom 2. Juni 2022 die nach Beendigung der Vertretung von ihm verlangte Herausgabe im Erkenntnis näher bezeichneter Originalunterlagen zu einer Unterhaltsforderung verweigert und von der Zahlung zweier offener Kostennoten abhängig gemacht.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dieses Erkenntnis bekämpft der Disziplinarbeschuldigte mit einer Berufung wegen Schuld und Strafe. Der Berufung wegen Schuld kommt aus nachstehenden Erwägungen keine Berechtigung zu.

[4] Ihr gelingt es nicht, Bedenken gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu wecken. Mit dem Hinweis auf auch noch nach dem 29. März 2022 mit der (ehemaligen) Mandantin A* R* geführte E-Mail-Korrespondenz vermag der Rechtsmittelwerber keine Umstände aufzuzeigen, die geeignet wären, substantiierte Zweifel an der Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu begründen. Wie er zur Feststellung gelangte, dass das Vertretungsverhältnis von Seiten des Disziplinarbeschuldigten am 29. März 2022 beendet wurde, legte der Disziplinarrat nachvollziehbar dar, indem er sich zum einen auf die Formulierung eines an A* R* gerichteten Schreibens stützte und zum anderen auch dessen eigene anfängliche Rechtfertigung gegenüber der Rechtsanwaltskammer ins Kalkül zog (ES 6).

[5] Demgemäß ist die am konkreten Einzelfall orientierte Bewertung des Bedeutungsgehalts des E‑Mails an die Mandantin vom 29. März 2022 (zum Beurteilungsmaßstab vgl Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/ Vitek, RAO11 § 12 RAO Rz 3) durch den Disziplinarrat, wonach das Vertretungsverhältnis bei der Verweigerung der Rückstellung der Unterlagen bereits beendet war, nicht zu beanstanden, hat Mag. H* doch in diesem Schreiben – wie auch in der Folge ein weiteres Tätigwerden von der Begleichung der offenen Honorarforderungen abhängig gemacht.

[6] Zu den zur Fundierung seines Berufungsvorbringens ergänzend vorgelegten Urkunden (E‑Mails vom 31. März 2022 und vom 4. April 2022) unterlässt der Rechtsmittelwerber die gebotene Darlegung, weshalb die Voraussetzungen für eine Neuerungserlaubnis vorliegen sollten (§ 49 zweiter Satz DSt; vgl RIS‑Justiz RS0129770).

[7] Im Übrigen ist ein Mandant auch schon während des aufrechten Mandatsverhältnisses berechtigt, die Herausgabe bzw Rückstellung der ihm gehörigen Unterlagen zu verlangen. Auch unabhängig von einem diesbezüglichen Herausgabeverlangen kann es die Treuepflicht des Rechtsanwalts gebieten, solche Unterlagen dem Mandanten zurückzustellen, sobald der Rechtsanwalt diese für die Zwecke der Vertretung nicht mehr benötigt (vgl Murko/Nunner‑Krautgasser, Anwaltliches und notarielles Berufsrecht § 12 RAO Rz 9).

[8] Unbeachtlich ist ferner der Einwand des Berufungswerbers, er sei „irrtümlich“ von einem Zurückbehaltungsrecht ausgegangen. Denn das Tatbild einer Berufspflichtenverletzung ist dann erfüllt, wenn gesatztes Recht oder verfestigte Standesauffassung eine Berufspflicht aufstellt und in Ausübung des Berufs (§ 2 RL‑BA 2015) gegen diese verstoßen wird, wobei Fahrlässigkeit (idR) zur Deliktsverwirklichung genügt und der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab eine Rechtsfrage betrifft (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 6 ff, 9 ff jeweils mwN).

[9] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Disziplinarbeschuldigten – nicht Folge zu geben.

[10] Auch die Strafberufung versagt.

[11] Der Disziplinarrat wertete als erschwerend eine einschlägige Vorverurteilung, als mildernd keinen Umstand. Eine gänzliche bedingte Strafnachsicht wurde aufgrund des nicht einsichtigen Verhaltens des Disziplinarbeschuldigten ausgeschlossen.

[12] Der an sich nichtigkeitsbegründende (Z 11 dritter Fall; vgl Ratz WK‑StPO § 281 Rz 727) Vorwurf fehlender Schuldeinsicht ist – ohne dass es einer amtswegigen Maßnahme bedürfte – im Rahmen der Entscheidung über die Strafberufung zu beseitigen (RIS‑Justiz RS0090897).

[13] Die von der Berufung ins Treffen geführte sofortige Rückstellung der Originalurkunden nach Aufklärung seines Irrtums seitens der Anwaltskammer kann nicht als mildernd gewertet werden, weil der Beschuldigte insoweit bloß seiner ohnedies bestehenden Verpflichtung nachgekommen ist und überdies gegenüber der „Anwaltskammer“ die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen angekündigt hat, sollte ihm durch die Weisung der Rechtsanwaltskammer zur Herausgabe des Originaltitels ein Schaden entstehen (E‑Mail vom 12. 07. 2022 an Mag. N* der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer).

[14] Die im untersten Bereich des Strafrahmens von bis zu 45.000 Euro (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) bemessene Geldbuße entspricht Tatunrecht und Täterschuld und trägt den Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen des Berufungswerbers angemessen Rechnung (§ 16 Abs 6 DSt). Sie ist daher nicht korrekturbedürftig.

[15] Aber auch deren gänzliche bedingte Nachsicht kam auch ohne Berücksichtigung der inneren Einstellung des Beschuldigten bereits aus Präventionsgründen nicht in Betracht.

[16] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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