OGH 1Ob814/81

OGH1Ob814/813.3.1982

SZ 55/28

Normen

ABGB §364a
ABGB §1295
ABGB §1323
ABGB §1332
ABGB §364a
ABGB §1295
ABGB §1323
ABGB §1332

 

Spruch:

Für Schäden aus baubehördlich genehmigten Sanierungsarbeiten an einem Nachbarhaus besteht in analoger Anwendung des § 364a ABGB ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch

Wird durch eine notwendige Reparatur nicht nur der vor der Schädigung bestandene Zustand wiederhergestellt, sondern gleichzeitig, weil dieselbe Reparatur auch ohne das schadensstiftende Ereignis später hätte vorgenommen werden müssen, über die Naturalherstellung hinaus eine Verbesserung eines Hauses herbeigeführt, besteht der Schaden nicht in der vollen Höhe der Reparaturkosten, sondern nur in der Differenz zwischen dem auch ohne das Schadensereignis verminderten Verkehrswert und dem durch das schädigende Ereignis noch weiter verminderten Verkehrswert

OGH 3. März 1982, 1 Ob 814/81 (OLG Wien 14 R 102/81; LGZ Wien 39 a Cg 483/76)

Text

Die Klägerinnen sind Miteigentümerinnen der Liegenschaft 2076 KG M mit dem Haus Wien 12, N-Gasse 24. Durch die L-Gasse getrennt liegt südwestlich davon die im Eigentum der beklagten Parteien stehende Liegenschaft mit dem Haus E-Straße 2. Das Haus der Klägerinnen wurde in den Jahren 1912 und 1913 errichtet, die Benützungsbewilligung wurde am 1. 12. 1913 erteilt. Im Jahre 1967 wurde in den Parapeten, Mauerbögen und den Mauerpfeilern der hofseits gelegenen Abortgruppe und des Stiegenhauses Setzungsrisse bis zu einer Stärke von 1 cm festgestellt. Dadurch waren die Türen der im Setzungsbereich liegenden Wohnungen verzogen und schlecht schließbar. Mit Bescheid der Magistratsabteilung 37 vom 21. 3. 1968 wurde eine Unterfangung der in Setzung geratenen Teile der Hofhauptmauer, des Stiegenhauses und der Hauseinfahrt angeordnet. Die Mauerbögen, Scheidemauern und Parapeten waren instand zu setzen, auszukeilen und zu verputzen und die durch die Setzung aus dem rechten Winkel geratenen Türen und Fenster auszurichten und schließ- und gangbar zu machen. Mit Bescheid der Magistratsabteilung 37 vom 17. 7. 1968 wurde die Bewilligung erteilt, die Fundamente nach dem System "Wölzl" zu unterfangen. Es wurden 3 m bis 6.75 m lange Einpreßpfähle in den Boden gepreßt. Da aber tragfähiger Boden selbst in einer Tiefe von 15 m noch nicht vorhanden war, konnten die Pfähle dort nicht aufsitzen. Das Gebäude verblieb so in einem labilen Zustand, der aber noch nicht zu einem Absinken der Pfähle führte.

Im Jahre 1973 führte die Nebenintervenientin im Auftrag der beklagten Parteien auf der Liegenschaft Wien 12, E-Straße 2, Fundierungsarbeiten für einen dort zu errichtenden Bau durch. Zwischen dem 20. 11. 1973 und dem 21. 3. 1974 wurden insgesamt 414 Rammpfähle (Stahlrohre) mit 40 cm Durchmesser und Längen zwischen

6.3 m und 8 m eingeschlagen. Das Einschlagen erfolgte mittels eines 1250 kg schweren "Bären", der auf die Rohre aufschlug und durch eine Explosion von verdichtetem Dieselöl wieder in die Höhe geschleudert wurde. Ursprünglich betrug die Fallhöhe des Rammbären 1.5 bis 1.6 m. Nach Beginn der Fundierungsarbeiten erstatteten die Mieter des Hauses N-Gasse 24 eine Anzeige an die Magistratsabteilung 37. Durch die Erschütterungen seien im 3. und 4. Wohngeschoß bedenkliche Risse an den Wänden und Zimmerdecken aufgetreten. Ein am 23. 11. 1973 von der Baubehörde durchgeführter Augenschein ergab, daß im 3. Stock ein Pfeiler des Stiegenhauses zirka 1 cm abgesenkt war und an der Untersicht des Stiegenlaufes sowie über den Mauerbögen der Mittelmauer Rißbildungen und leichte Verputzlockerungen aufgetreten waren. Daraufhin wurde angeordnet, daß die Fallhöhe des Rammbären auf 0.8 m herabzusetzen sei. Die im Beweissicherungsverfahren 4 Nc 15/75 des Bezirksgerichtes Fünfhaus festgestellten und einige weitere, detailliert beschriebene Schäden des Hauses der Klägerinnen sind auf die Fundierungsarbeiten der Liegenschaft der beklagten Parteien zurückzuführen. Die im August 1975 festgestellten Setzungserscheinungen haben sich nicht erweitert. Die Behebung der Schäden auf der Preisbasis April 1976 hätte unter Abzug von darin enthaltenen Verbesserungen einen Betrag von 806 164.32 S erfordert, die Behebung der Setzungsschäden auf Preisbasis März 1978 1 172 381 S. Die Klägerinnen begehren den Zuspruch eines Betrages von 1 076 941.67 S samt Anhang und die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle Schäden des Hauses N-Gasse 24, die auf Fundierungsarbeiten der Liegenschaft Wien 12, E-Straße 2, zurückzuführen sind. Die Beklagten haften für den Ersatz dieser Schäden nach den Vorschriften der §§ 364 f ABGB und aus dem Titel des Schadenersatzes. Der Gesamtschaden stunde noch nicht fest, es bestehe auch Gefahr, daß weitere Schäden auftreten.

Die beklagten Parteien und der auf ihrer Seite beigetretene Nebenintervenient wendeten ein, die festgestellten Schäden wären auch ohne die Fundierungsarbeiten auf dem Grundstück der beklagten Parteien bis längstens 1975 eingetreten, da das Haus der Klägerinnen schlecht fundiert sei. Es müsse angenommen werden, daß wegen der Unzulänglichkeit der Methode "Wölzl" Setzungen auf jeden Fall innerhalb von zehn Jahren nach Beendigung der Fundierungsarbeiten aufgetreten wären. Es mangle auch am rechtlichen Interesse für das Feststellungsbegehren, da weitere Schäden nicht erwartet werden könnten.

Das Erstgericht gab dem Leistung- und dem Feststellungsbegehren statt. Es habe nicht festgestellt werden können, ob bzw. zu welchem Zeitpunkt unabhängig von den Fundierungsarbeiten auf der Liegenschaft der beklagten Parteien die nach dem System Wölzl eingepreßten Pfähle abgesunken wären.

Rechtlich bejahte das Erstgericht auf Grund der Vorschriften der §§ 364, 364 a ABGB die Haftung der beklagten Parteien. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch umfasse volle Genugtuung. Dieser Anspruch bestehe auch dann zu Recht, wenn der beschädigte Bau schon vorher schadhaft gewesen sei. Es sei nicht nur der positive Schaden, sondern auch das subjektiv berechnete Interesse zu ersetzen. In diesem Fall seien sämtliche Auswirkungen auf das Vermögen des Beschädigten zu berücksichtigen und daher die Schadensfeststellung nicht im Zeitpunkt der Schädigung abzuschließen. Es müßten vielmehr spätere Auswirkungen in Betracht gezogen werden. Da die Schadensbehebungskosten nach Preisbasis März 1978 höher als der geltend gemachte Betrag seien, sei dem gesamten Klagebegehren stattzugeben.

Den Berufungen der beklagten Parteien und des auf ihrer Seite dem Verfahren beigetretenen Nebenintervenienten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil nicht Folge. Die von den Berufungswerbern vermißte Feststellung, daß ohne Bauführung der beklagten Parteien innerhalb von zehn Jahren ebenfalls die Setzungsschäden am Haus der Klägerinnen aufgetreten wären, sei aus rechtlichen Gründen entbehrlich. Treten nach Bauarbeiten als Folgen eines Aushubes oder durch Erschütterungen infolge Einsatzes einer Baumaschine Schäden am Nachbargebäude auf, so habe der Eigentümer dieses Neubaues diese Schäden auch ohne Verschulden zu ersetzen. Der Umstand, daß ein Schaden mehr oder weniger wahrscheinlich auch ohne die schadenbringende Handlung eingetreten wäre, vermöge die Schadenersatzpflicht des Beschädigten nicht aufzuheben. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Handlung des Schädigers und dem Eintritt des Schadens werde auch dadurch nicht ausgeschlossen, daß der durch die schädigende Handlung eintretende Erfolg später durch ein anderes Ereignis bestimmt eingetreten wäre. Es sei volle Genugtuung zu leisten. Die Schäden am Nachbarhaus seien auch ohne Rücksicht darauf zu ersetzen, in welchem Zustand sich das beschädigte Objekt befunden habe. Das Erstgericht habe zwar zum Feststellungsbegehren nicht ausdrücklich Stellung genommen, da es aber eine Feststellung, die Möglichkeit zukünftiger weiterer Schäden als dem bereits eingetretenen Schadensereignis könnten ausgeschlossen werden, nicht getroffen habe, sei auch das Feststellungsbegehren berechtigt.

Über die Revisionen der beklagten Parteien und des Nebenintervenienten auf seiten der beklagten Parteien hob der Oberste Gerichtshof die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Revision des Nebenintervenienten bestreitet weiterhin eine nachbarrechtliche Haftung der beklagten Parteien. Ihr kann nicht gefolgt werden. Wie der OGH in seiner Entscheidung SZ 51/47 (mit zahlreichen weiteren Hinweisen auf Rechtsprechung und Lehre) ausgeführt hat, ist ein vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch immer dann anzuerkennen, wenn eine Analogie zu § 364a ABGB am Platz ist. Diese Bestimmung regelt einen der Enteignung verwandten Tatbestand. Der Geschädigte hat deshalb einen Ersatzanspruch, weil er im Interesse des Nachbarn Eingriffe in sein Eigentum hinnehmen muß, die über die normale Duldungspflicht des § 364 Abs. 2 ABGB hinausgehen. Die Interessen des Nachbarn sind also von der Rechtsordnung oft wegen dahinterstehender Gründe des öffentlichen Wohles höher bewertet als das Eigentumsrecht des Betroffenen. Die Bestimmungen der §§ 364, 364a und 364b ABGB regeln Kollisionen zwischen gleichrangigen Eigentumsrechten; sie sehen Einschränkungen der Befugnisse jedes Eigentümers im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens der Nachbarn vor; zu diesem Zweck werden auch Ansprüche auf Ersatz des zugefügten Schadens gewährt (EvBl. 1981/9; 1 Ob 560/79; Koziol - Welser[5] II 37). Jede Analogie zu § 364a ABGB hat an diese Grundsituation anzuknüpfen: Dem Geschädigten muß ein Abwehrrecht genommen sein, das ihm nach dem Inhalt seines Eigentums an sich zugestanden wäre. Eine solche Situation bestand auch für die Klägerinnen. Die Schäden an ihrem Haus entstanden durch baubehördlich genehmigte Arbeiten. Sie konnten damit rechnen, daß die Aufträge der Baubehörde so gehalten waren, daß ihre Interessen als Nachbarn weitgehend gesichert waren, sodaß keine bzw. keine ins Gewicht fallende Schäden auftreten würden. Ein Untersagungsanspruch wäre, gleich wie im Falle des § 364a ABGB, nicht durchsetzbar gewesen, weil die beklagten Parteien auf die baubehördlichen Genehmigungen und Vorschreibungen sowie ihr grundsätzliches Recht der Durchführung von Sanierungsarbeiten verweisen hätten können (vgl. SZ 51/47). Auch ihnen muß daher in analoger Anwendung des § 364a ABGB ein Ausgleichsanspruch zustehen, wenn sich nach Beginn der baubewilligungsgemäß durchgeführten Arbeiten herausstellte, daß die Verwendung von Rammpfählen zu Erschütterungen am Nachbargrundstück und in weiterer Folge zu Setzungsschäden auf dem dort errichteten Haus führte. Soweit in der Revision des Nebenintervenienten erstmals die Ansicht vertreten wird, daß die Erschütterungen das ortsübliche Maß nicht überschritten hätten, ist ihr zu erwidern, daß das Beweisverfahren keine Anhaltspunkte dafür erbrachte, daß andere, etwa vom Schwerverkehr ausgehende Beeinträchtigungen zu Setzungserscheinungen von Häusern geführt hätten. Die von den beklagten Parteien zu vertretenden Erschütterungen, die zu Schäden am Haus der Klägerinnen geführt haben, waren daher von stärkerer Intensität als die vom Schwerverkehr ausgehenden Beeinträchtigungen; daraus folgt aber, daß sie nicht mehr ortsüblich sind (vgl. BGHZ 38, 61, 62; Augustin in BGB-RGRK[12], § 906 Rdz. 40).

Die Revision der beklagten Parteien vertritt die Ansicht, daß sie schon wegen Vorliegens überholender Kausalität überhaupt nicht ersatzpflichtig seien. Von überholender Kausalität spricht man, wenn ein Ereignis zunächst real den Schadenseintritt herbeiführte, das andere Ereignis später aber denselben Schaden verursacht hätten, wäre das erste Ereignis nicht zuvorgekommen (Koziol aaO 76). Da die beklagten Parteien aber selbst davon ausgehen, daß zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung derselbe Schaden unabhängig von dem von ihnen zu vertretenden schadensstiftenden Ereignis noch nicht eingetreten wäre, handelt es sich in Wahrheit darum, daß bei einer Schadensberechnung auf Basis der Reparaturkosten nicht berücksichtigt wäre, daß die von den Klägern seinerzeit vorgenommenen Sanierungsarbeiten nur teilweise erfolgreich waren und auch ohne das von den Beklagten zu vertretende Ereignis unter Umständen wiederholt hätten werden müssen. Die Reparatur, deren Kostenersatz die Kläger begehren, hätte somit nicht nur den vorher bestandenen Zustand wiederhergestellt, sondern gleichzeitig eine Werterhöhung der Liegenschaft herbeigeführt, ersparten sich doch die Kläger Kosten, die ihnen in Zukunft auch ohne das schädigende Ereignis entstanden wären. Der Schadenersatz hat den Zweck, dem Geschädigten einen Ausgleich für die erlittene Einbuße zukommen zu lassen; die primäre Funktion des gesamten Schadenersatzrechtes liegt in der Verwirklichung dieses Ausgleichsgedankens (SZ 50/26).

Der Zuspruch fiktiver Reparaturkosten in voller Höhe verbietet sich daher dann, wenn die Reparaturkosten höher als die objektive Wertminderung sind; andernfalls würde man die Prinzipien des Schadenersatzrechtes verlassen und dem Geschädigten nicht nur den ihm gebührenden Ausgleich für den erlittenen Schaden zuerkennen; es wurde vielmehr eine Bereicherung des Geschädigten auf Kosten des Schädigers eintreten (Apathy, Aufwendungen zur Schadensbeseitigung 81). Nichts anderes hat für nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche zu gelten.

Auf Grund der mißglückten Sanierung des Hauses muß davon ausgegangen werden, daß der Verkehrswert des Hauses der Klägerinnen zum Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses geringer als der eines nicht gefährdeten Hauses in vergleichbarer Lage war, weil einem Käufer nicht verschwiegen hätte werden dürfen, daß mit unter Umständen sehr kostspieligen neuerlichen Fundierungsarbeiten in absehbarer Zeit gerechnet werden mußte. Wird durch eine notwendige Reparatur nicht nur der vor der Schädigung bestandene Zustand wiederhergestellt, sondern gleichzeitig, weil dieselbe Reparatur auch ohne das schadensstiftende Ereignis später hätte vorgenommen werden müssen, über die Naturalherstellung hinaus eine Verbesserung des Hauses herbeigeführt, so besteht der Schaden nicht in der vollen Höhe der Reparaturkosten, sondern nur in der Differenz zwischen dem auch ohne das Schadensereignis verminderten Verkehrswert und dem durch das schädigende Ereignis noch weiter verringertem Verkehrswert. Es ist also der Verkehrswert vor der Schädigung und der nach dieser Schädigung zu ermitteln (vgl. ZVR 1978/48; ZVR 1976/259; Koziol, JBl. 1965, 344; derselbe Haftpflichtrecht[2] I 13, 192). Nur die Differenz dieser beiden Werte ist den Klägerinnen als Ausgleich zuzuerkennen.

Im Verkehrswert nach der Schädigung wäre an sich auch das diesen herabsetzende Risiko künftiger Schäden abgegolten. Das Feststellungsbegehren wäre nur dann berechtigt, wenn noch andere als die durch die mangelhafte frühere Sanierung potentiell vorhandenen Gefahren durch die beklagten Parteien herbeigeführt worden und solcher Art wären, daß sie im verminderten Verkehrswert nicht voll berücksichtigt werden könnten. Feststellungen in der Richtung, ob solche künftige kausale Schäden mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden können oder nicht, traf das Erstgericht nicht. Auch in dieser Richtung wird das Verfahren zu ergänzen und werden Feststellungen zu treffen sein.

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