Normen
HGB §118
HGB §118
Spruch:
Das Bucheinsichtsrecht des offenen Gesellschafters ist unabdingbar.
Entscheidung vom 9. September 1952, 1 Ob 730/52.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Brüder Robert und Philipp H. sind die beiden offenen Gesellschafter von H. & Co. Robert H. beantragte beim Registergericht, die Firma H. zu beauftragen, seinem Bevollmächtigten Dr. B., sowie einem von diesem zu bestimmenden Buchsachverständigen Einsicht in sämtliche Bücher und Papiere sowie allfällige Geschäftsunterlagen der Firma H. & Co. zu gewähren und ihm die nötigen Auskünfte zu erteilen.
Das Erstgericht erteilte den begehrten Auftrag mit der Begründung, daß die jedem Gesellschafter nach § 118 Abs. 1 HGB. zustehenden Rechte von den Mitgesellschaftern nicht unter Hinweis auf eine im Gesellschaftsinteresse notwendige Geheimhaltung verweigert werden können.
Das Rekursgericht hat dem Rekurs des Philipp H. nicht Folge gegeben.
Der Oberste Gerichtshof wies den Revisionsrekurs von H. & Co. und Philipp H. als unzulässig zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Schon in der Entscheidung vom 2. Juli 1952, 1 Ob 494/52, hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß dem offenen Gesellschafter das Recht auf Bucheinsicht voraussetzungslos gegeben ist. Für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung hat der Oberste Gerichtshof die analoge Auffassung im Spruch Nr. 217 festgelegt. Danach steht die Übertretung des Konkurrenzverbotes durch den Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung dem Rechte dieses Gesellschafters auf Einsicht in die Bücher und Papiere nicht entgegen. Schon in den Gründen dieses Spruches ist der entscheidende Gedanke hervorgehoben, daß nämlich das Konkurrenzverbot und das Recht auf Büchereinsicht in gar keiner rechtlichen Beziehung stehen und voneinander ganz unabhängig sind. Bei der Pflicht zur Gewährung der Bucheinsicht und bei der Pflicht zur Wahrung der Gesellschaftstreue handelt es sich nicht etwa um Vertragspflichten, die sich synallagmatisch gegenüber stehen. Für Gesellschaftsverhältnisse gilt überhaupt die für zweiseitige Verträge gegebene Regel, wonach Erfüllung nur verlangen kann, wer seinerseits erfüllt hat, nur mit Einschränkungen (Bettelheim in Staub - Pisko, Kommentar zum AHGB, Dritte Auflage, I. Band, S. 441). Das Bucheinsichtsrecht ist ein Grundrecht des Gesellschafters, das ihm grundsätzlich nicht entzogen werden kann. Wenn der Gesellschafter die durch die Bucheinsicht erlangten Kenntnisse zum Schaden der Gesellschaft mißbrauchen will, so können die übrigen Gesellschafter diesem Vorhaben durch eine Unterlassungsklage, allenfalls durch die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung, zuvorzukommen suchen; sie können auch Ausschließungs- oder Auflösungs-, und letzten Endes Schadenersatzansprüche geltend machen. Die dem Gesellschafter gesetzlich zustehende Bucheinsicht zu entziehen, fehlt aber nicht nur eine Rechtsgrundlage; eine solche Maßnahme ginge auch zu weit, weil dann dem Gesellschafter um der Besorgnis der Untreue willen jede Kontrollmöglichkeit entzogen und er so der Willkür der anderen Gesellschafter ausgeliefert würde. Eine so weitgehende Beschränkung der Gesellschaftsrechte läßt sich im vorliegenden Fall auch nicht auf den Gedanken von Treu und Glauben grunden, mag sich auch Art und Umfang der Ausübung des Einsichtsrechtes nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte regeln.
In der deutschen Rechtsprechung und im deutschen Schrifttum wird die hier zu entscheidende Frage nicht eindeutig beantwortet. Die Entscheidung des Reichsgerichtes vom 16. Juli 1935, RGZ. 148, 278 ff. zu dem mit § 118 HGB. im wesentlichen übereinstimmenden § 176 BGB. will bei drohender Vertragsuntreue die Einsicht entziehen. Diese Auffassung übernehmen Weipert im Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Berlin 1950, § 118 Anm. 5 und Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft. Berlin 1946, S. 101, Weipert, § 118 Anm. 14 und Schlegelberger, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, § 118 Anm. 2, führen allerdings auch aus - worauf schon das Erstgericht hingewiesen hat -, daß es eine Geheimhaltung gegenüber den eigenen Gesellschaftern nicht gibt. Die Entscheidung des Reichsgerichtes vom 7. Oktober 1943, Deutsches Recht 1944 S. 245, spricht aber sodann deuzlich aus, daß das Einsichtsrecht nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn es nur dem Rechtsmißbrauch dienen soll. Dieser Standpunkt berührt sich enge mit den oben vom Obersten Gerichtshof angestellten Erwägungen. Auch wenn man ihn beziehen wollte, wäre im vorliegenden Fall die Bucheinsicht zu gewähren, weil Philipp H. nicht behauptet hat, daß sich Robert H. die Bucheinsicht nur zu dem Zwecke verschaffen wolle, um die Gesellschaft zu schädigen.
Diese Ausführungen ergeben, daß auch bei der Ausschaltung der einer aktenmäßigen Grundlage entbehrenden Annahme des Rekursgerichtes, eine geschäftliche Untreue des Robert H. sei nicht anzunehmen, sein Bucheinsichtsanspruch begrundet ist. Das Rekursgericht hat daher im Ergebnis mit Recht, jedenfalls ohne offenbare Gesetzwidrigkeit, dem Rekurs gegen den erstrichterlichen Beschluß einen Erfolg versagt. Der Revisionsrekurs war daher zu verwerfen.
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