OGH 1Ob654/89

OGH1Ob654/8913.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann B***, Pensionist, Wien 17, Rebenweg 1/11/2, vertreten durch Dr. Heinrich Wille, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Elisabeth P***, Angestellte, Wien 7, Stiftgasse 15, vertreten durch Dr. Horst Auer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufhebung eines Kaufvertrages (Streitwert S 500.000,--) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23. Mai 1989, GZ 11 R 52/89-59, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. Juni 1988, GZ 33 Cg 120/87-47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.317,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon S 2.886,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 21. März 1984 einen von RA Dr. Hannes P***, dem Ehegatten der Beklagten, verfaßten Kaufvertrag, wonach der Kläger als außerbücherlicher Eigentümer 1590/603.440 Anteile an der Liegenschaft EZ 25 KG Währung, mit denen das Wohnungseigentum an der Wohnung Nr. 21 im Hause Gentzgasse 14-20, Stiege 6, verbunden ist, der Beklagten um S 500.000,-- verkaufte. Dem Kläger und seiner Schwester Mathilde B***, geb. 4. März 1919, wurde das lebenslängliche und unentgeltliche Wohnrecht eingeräumt; eine dingliche Sicherung des Rechtes unterblieb. Gemäß Punkt II des Kaufvertrages entfällt vom Kaufpreis ein Betrag von S 324.000,-- auf das Wohnrecht, der Restbetrag von S 176.000,-- war mit Vertragsunterfertigung zur Zahlung fällig.

Der Kläger begehrt den Ausspruch, daß der Kaufvertrag vom 21. März 1984 als rechtswirksam aufgehoben und die Beklagte schulidg erkannt werde, in die Einverleibung des Eigentums an dem in Rede stehenden Miteigentumsanteil, mit dem Wohnungseigentum verbunden ist, einzuwilligen. Er habe beabsichtigt, seiner Schwester Mathilde B*** an der von ihm im Erbwege erworbenen Wohnung

Gentzgasse 14-20/6/21 ein unentziehbares lebenslängliches Wohnrecht einzuräumen, und habe sich deshalb an RA Dr. Hannes P***, zu dem er volles Vertrauen gehabt habe, gewandt. RA Dr. Hannes P*** habe einen Vertrag konzipiert, mit dem die in Rede stehende Eigentumswohnung seiner Ehegattin, der Beklagten, veräußert wurde. Einen solchen Vertrag habe er nicht gewollt; den Inhalt des Vertrages habe er im Zeitpunkt der Unterfertigung nicht gekannt. RA Dr. Hannes P*** habe seine Vertrauensstellung gröblich mißbraucht. Er habe ihm vergespiegelt, daß es sich um einen äußerst günstigen Vertrag handle und nur so das Wohnrecht für seine Schwester gesichert werden könne.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe RA Dr. Hannes P*** beauftragt, einen Vertrag abzufassen, mit dem der kranken und pflegebedürftigen Schwester des Klägers auch nach seinem Ableben ein Wohnrecht gesichert werde. RA Dr. Hannes P*** habe eine Vielzahl verschiedener Möglichkeiten vorgeschlagen und entsprechende Entwürfe erstellt, die jedoch nicht den Intentionen des Klägers entsprochen hätten. Es sei schließlich als einziger Ausweg verblieben, die Wohnung einem vertrauenswürdigen Dritten, der dem Kläger und seiner Schwester ein lebenslängliches Wohnrecht zusicherte zu verkaufen. Da der Kläger aus seinem eigenen Verwandten- und Bekanntenkreis keine entsprechende Person, die als Käufer hätte auftreten können, namhaft machen konnte, habe RA Dr. Hannes P*** als Vertreter des Klägers schließlich die Beklagte als Käuferin vorgeschlagen, womit der Kläger einverstanden gewesen sei. Unter Berücksichtigung des Wohnrechtes entspreche der vereinbarte Kaufpreis dem wahren Wert des Streitgegenstandes. Der Vertrag habe voll und ganz dem Willen des Klägers entsprochen, der auch vom Notar eine Kopie des Vertrages erhalten habe. Der allfällige Irrtum des Klägers sei nicht von der Beklagten veranlaßt worden, der Irrtum habe ihr auch nicht auffallen müssen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte fest:

Der Kläger habe den Vertragsverfasser RA Dr. Hannes P*** damit beauftragt, seiner Schwester Mathilde B*** an der in Rede stehenden Eigentumswohnung vertraglich ein lebenslängliches Wohnrecht zu sichern. Er habe nicht die Absicht gehabt, die Wohnung zu verkaufen, und hätte einem Kaufvertrag auch nicht zugestimmt. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sei er über den Inhalt des Vertrages nicht unterrichtet gewesen; er habe die Vertragsurkunde in Unkenntnis ihres Inhaltes unterschrieben. Der Wert der Eigentumswohnung sei höher als S 500.000,--, jedoch weniger als S 1 Million gewesen.

In rechtlicher Hinsicht führte der Erstrichter aus, der Kläger sei von RA Dr. Hannes P***, der bei der Vorbereitung des Vertrages auch im Interesse der Beklagten, seiner Ehegattin tätig gewesen sei, über den wahren Inhalt des Vertrages in Irrtum geführt worden. Der Irrtum sei der Beklagten so zuzurechnen, wie wenn sie selbst den Kläger in Irrtum geführt hätte. Der wesentliche Irrtum des Klägers rechtfertige gemäß § 871 ABGB die Anfechtung des Vertrages. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt. Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Urteils. RA Dr. Hannes P*** sei Dritter im Sinne des § 875 ABGB, weil er nicht im Auftrag seiner Ehegattin gehandelt habe. Ein Vertrag sei aber auch dann anfechtbar, wenn der Irrtum durch einen Dritten veranlaßt wurde und der andere Teil von der Irreführung offensichtlich wissen mußte. Dies sei dann der Fall, wenn der Irrtum dem anderen Teil bei verkehrsüblicher Sorgfalt hätte auffallen müssen oder wenn er wenigstens hätte Verdacht schöpfen müssen. Bei objektiver Betrachtung der Sachlage durfte die Beklagte nicht annehmen, daß ihr der Kläger ohne jeden ersichtlich zwingenden Grund die Eigentumswohnung zu den vereinbarten, für den Kläger äußerst ungünstigen Bedingungen überlassen wollte. Im Hinblick auf ihr Naheverhältnis zum Vertragsverfasser wäre es ihre Sache gewesen, den objektiven Anschein der Begünstigung ihrer Person zu entkräften, ein Beweis, den die Beklagte erst gar nicht angetreten habe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision der Beklagten kommt Berechtigung nicht zu.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war der Vertragsverfasser RA Dr. Hannes P*** vom Kläger damit beauftragt, der Schwester des Klägers Mathilde B*** ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht an der dem Kläger im Erbwege zugefallenen Wohnung zu sichern. Der Kläger hatte bei Vertragsunterfertigung nicht die Vorstellung, die Eigentumswohnung zu verkaufen, er hätte den Vertrag, wäre ihm dieser Vertragsinhalt bewußt gewesen, nicht abgeschlossen. Der Kläger wollte die Eigentumswohnung nicht verkaufen. Diese Feststellungen rechtfertigen die Annahme der Vorinstanzen, daß sich der Kläger bei Vertragsabschluß in einem wesentlichen Geschäftsirrtum (§ 871 ABGB) befand. Dieser Irrtum wurde allerdings nicht von der Beklagten, sondern vom Vertragsverfasser RA Dr. Hannes P*** veranlaßt, der den Kläger über den Vertragsinhalt nicht aufgeklärt hat. Es ist der Revisionswerberin darin beizupflichten, daß RA Dr. Hannes P*** nicht als Dritter im Sinne des § 875 ABGB zu qualifizieren ist, weil darunter eine Person, deren sich ein Vertragsteil im Rahmen der Vertragsverhandlungen oder des Vertragsabschlusses als Gehilfe bedient, nicht fällt. Personen, die maßgeblich am Zustandekommen des Vertrages mitgewirkt haben, noch nicht Dritte. Entscheidend für die Gleichsetzung des Verhandlungsführers mit dem Erklärungsgegner ist, daß dieser jenen zum Mann seines Vertrauens machte (HS 12.822; SZ 49/13; SZ 44/59; Rummel in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 875). Nach ständiger Rechtsprechung haben Rechtsanwälte, wenn und insoweit sie bei der Errichtung von Verträgen für beide Vertragsparteien tätig werden, auch die Interessen beider Teile wahrzunehmen, selbst wenn sie nur Bevollmächtigte eines Teiles sind (JBl. 1970, 621; RiZ 1967, 202; RZ 1966, 101; JBl. 1962, 152; SZ 38/165 u.a.). RA Dr. Hannes P*** war nur formell allein vom Kläger mit der Vertragserrichtung betraut, der Vertrag mit der Beklagten hätte von ihm aber nicht errichtet werden können, hätte nicht auch die Beklagte ihren Ehegatten mit der Vertragserrichtung betraut gehabt. Es kann aber nicht zweifelhaft sein, daß RA Dr. Hannes P***, wenn schon nicht Bevollmächtigter, so doch Mann des Vertrauens der Beklagten, seiner Ehegattin, und damit auch wie das Erstgericht dies auch feststellte in ihrem Interesse tätig war. Es ist dann aber, wie der Erstrichter zutreffend erkannte, der Beklagten der von RA Dr. Hannes P*** veranlaßte wesentliche Geschäftsirrtum des Klägers zuzurechnen, sodaß die Anfechtung des Vertrages gemäß § 871 ABGB gerechtfertigt ist.

Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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