OGH 1Ob640/95

OGH1Ob640/9523.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Land Tirol, vertreten durch Dr.Jörg Lindpaintner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Hermine K*****, und 2. Agnes P*****, vertreten durch Dr.Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 52.541,- - sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 4.Oktober 1995, GZ 3 R 182/95-23, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 27.März 1995, GZ 16 C 1501/94-14, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Erstbeklagte, die Tochter der Zweitbeklagten, stellte für ihre Mutter im September 1991 an die Tiroler Landesregierung den Antrag auf Gewährung eines Zuschusses zur häuslichen Pflege. Die Erstbeklagte erklärte, diesen Antrag als Pflegeperson für die Pflegebedürftige zu unterfertigen und damit alle Rechte und Pflichten aus der Gewährung des Zuschusses, insbesondere im Sinne der Punkte 1 bis 8 dieses Antrags, zu übernehmen. Punkt 4. des Antrags enthält die Verpflichtung, Änderungen, die für die Gewährung des Pflegezuschusses von Bedeutung sind, unverzüglich der zuständigen Gemeinde bzw. dem Amt der Tiroler Landesregierung bekanntzugeben; Punkt 5. normiert die Pflicht, ungebührliche Zuschußleistungen (insbesondere im Zusammenhang mit Punkt 4., 6. und 8.) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des zu Unrecht erhaltenen Betrags zurückzuzahlen. Mit Schreiben vom 10.10.1991 teilte das Amt der Tiroler Landesregierung der Erstbeklagten mit, daß ab 1.7.1991 ein Pflegezuschuß von S 4.500,-- zur Auszahlung gelange. Weiters enthielt das Schreiben die Mitteilung, daß die Möglichkeit der Zuerkennung eines Hilflosenzuschusses bestehe, der unverzüglich beantragt werden möge. Aufgrund eines entsprechenden Antrags wurde der Zweitbeklagten mit Bescheid vom 17.2.1992 von der Pensionsversicherungsanstalt ab 31.10.1991 ein monatlicher Hilflosenzuschuß von S 2.776,-- und ab 1.1.1992 ein solcher von S 2.887,-- gewährt. Im Zuge einer routinemäßigen Aktenüberprüfung durch das Amt der Tiroler Landesregierung wurde dort die Tatsache des Bezugs eines Hilflosenzuschusses bekannt und die Zweitbeklagte mit Schreiben vom 23.3.1993 aufgefordert, den Übergenuß in der jeweiligen Höhe des bezogenen Hilflosenzuschusses zurückzubezahlen.

Mit ihrer am 7.7.1994 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Bezahlung dieses Übergenusses im Gesamtbetrag von S 52.451,- - sA schuldig zu erkennen. Der Hilflosenzuschuß stelle eine dem Zuschuß zur häuslichen Pflege vergleichbare Leistung dar, weil das Tiroler Sozialhilfegesetz bei den vom Hilfesuchenden heranzuziehenden eigenen Mitteln einen umfassenden Einkommensbegriff zugrundelege. Von einem gutgläubigen Verbrauch der ausbezahlten Beträge könne keine Rede sein, weil sich die Beklagten zur Rückzahlung von zu Unrecht ausbezahlten Beträgen binnen eines Monats nach deren Bekanntgabe verpflichtet hätten. Bei der Erstbeklagten liege im Zweifelsfall ein Schuldbeitritt vor. Die Zweitbeklagte sei durch den ungerechtfertigt bezogenen Zuschuß bereichert.

Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und beantragten dessen Abweisung. Die Auszahlung eines Hilflosenzuschusses durch die Pensionsversicherungsanstalt stelle keine dem Zuschuß zur häuslichen Pflege vergleichbare Leistung dar und dürfe daher von diesem nicht in Abzug gebracht werden. Auch seien die ausbezahlten Beträge gutgläubig verbraucht worden. Der Rechtsweg sei unzulässig, weil der Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses zur häuslichen Pflege nach dem Tiroler Sozialhilfegesetz nicht privatrechtlicher, sondern öffentlich-rechtlicher Natur sei. Der Zweitbeklagten sei weder ein vorsätzliches noch ein fahrlässiges Verhalten im Zusammenhang mit der Erlangung des Zuschusses zur häuslichen Pflege vorzuwerfen. Die von der Erstbeklagten unterfertigte Erklärung stelle weder einen Schuldbeitritt noch eine Bürgschaft dar.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß die Beklagten zur Rückzahlung der in einem Zeitraum von 17 Monaten zu Unrecht bezogenen Zuschüsse zur häuslichen Pflege verpflichtet seien. Das Tiroler Sozialhilfegesetz (TirSHG) gehe in seinem § 7 von einem umfassenden Einkommensbegriff aus, dem auch der Bezug eines Hilflosenzuschusses zu unterstellen sei. Die Beklagten hätten daher gemäß § 23 TirSHG die Änderung der Einkommensverhältnisse anzeigen müssen. Das Unterlassen einer entsprechenden Mitteilung begründe gemäß § 24 TirSHG die Rückerstattungspflicht der Zweitbeklagten. Die Haftung der Erstbeklagten ergebe sich aus ihrer zulässigen und rechtswirksamen Erklärung, in der sie sich verpflichtet habe, Änderungen, die für die Gewährung des Pflegezuschusses von Bedeutung seien, unverzüglich der Klägerin bekanntzugeben und ungebührliche Zuschußleistungen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des zu Unrecht erhaltenen Betrages zurückzuzahlen. Das Erstgericht regte allerdings an, die Klägerin möge von der Bestimmung des § 24 Abs.2 zweiter Satz TirSHG, wonach die Rückerstattung zur Gänze nachgesehen werden kann, wenn durch sie der Erfolg der Sozialhilfe gefährdet wäre, Gebrauch machen. Der ordentliche Rechtsweg sei im Hinblick auf die Bestimmungen des § 5 Abs.10 und des § 24 Abs.3 TirSHG zulässig.

Das Gericht zweiter Instanz hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof als zulässig. Der Anspruch der Klägerin sei nach der ausdrücklichen Anordnung des § 24 Abs.3 TirSHG vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen, was im Berufungsverfahren auch nicht mehr bestritten werde. Ebenso sei unstrittig, daß der von der Zweitbeklagten bezogene Hilflosenzuschuß bei der Ermittlung des Ausmaßes der Sozialhilfe zu berücksichtigen sei. Wenngleich die Zweitbeklagte den Antrag auf Gewährung eines Zuschusses zur häuslichen Pflege und die dort enthaltene Verpflichtungserklärung nicht unterschrieben habe, sei sie zur Anzeige der Änderung ihrer Einkommensverhältnisse aufgrund des Gesetzes unmittelbar verpflichtet gewesen. Die Zweitbeklagte sei daher aufgrund der nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilenden Verletzung der Anzeigepflicht gemäß § 24 Abs.1 TirSHG zur Rückerstattung der zu Unrecht empfangenen Geldleistungen verpflichtet. Allerdings könne gemäß § 24 Abs.2 TirSHG die Rückerstattung in angemessenen Teilbeträgen bewilligt oder zur Gänze nachgesehen werden, wenn eine andere Art der Rückerstattung unzumutbar oder sonst der Erfolg der Sozialhilfe gefährdet wäre. Die Kompetenz der Gerichte beziehe sich nach der genannten Gesetzesstelle nicht nur darauf, die Rückerstattungspflicht dem Grunde nach festzustellen, sondern umfasse auch die Ermessensentscheidung über Art und Umfang der Rückerstattung. Ob bzw. in welchem Umfang der Zweitbeklagten Geldleistungen ohne Gefährdung des Erfolges der Sozialhilfe auferlegt werden könnten, sei aber nach den bisher vorliegenden Beweisergebnissen nicht beurteilbar, sodaß mit der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung vorzugehen gewesen sei. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren nach entsprechendem Vorbringen der Streitteile Feststellungen zur tatsächlichen derzeitigen Einkommens- und Vermögenslage der Zweitbeklagten zu treffen haben, um im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 24 Abs.2 TirSHG einen allenfalls abschöpfbaren (Raten-)Betrag ermitteln zu können. Die Zahlungspflicht der Erstbeklagten gründe sich auf ihre selbständige Verpflichtungserklärung, die aus der Gewährung des Zuschusses an die Zweitbeklagte resultierenden Rechte und Pflichten zu übernehmen. Diese Erklärung sei als selbständige privatrechtliche Verpflichtungserklärung der Erstbeklagten zulässig und gültig. Die im Punkt 5 normierte Pflicht zur Zurückzahlung ungebührlicher Zuschußleistungen könne sich jedoch nur auf solche Geldleistungen beziehen, die der eigentliche Empfänger, nämlich die Zweitbeklagte, zu Unrecht bezogen habe. Eine Rückzahlungsverpflichtung der Erstbeklagten bestehe daher nur insoweit, als die Zweitbeklagte zur Zahlung herangezogen werden könne. Die derzeit fehlende Entscheidungsgrundlage für eine Ermessensentscheidung nach § 24 Abs.2 TirSHG gegenüber der Zweitbeklagten wirke sich daher auch auf die Erstbeklagte insoweit aus, daß auch der Umfang ihrer Zahlungspflicht derzeit nicht beurteilt werden könne.

Dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist die grundsätzliche Zahlungspflicht der beiden Beklagten nicht mehr strittig; ebenso blieb die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Erstbeklagte könne nur im Umfang der die Zweitbeklagte treffenden Zahlungspflicht zur Rückerstattung herangezogen werden, unbekämpft. Die Rekurswerberin will lediglich die Rechtsfrage geklärt haben, ob die Bestimmung des § 24 Abs.2 TirSHG von den Gerichten bei ihrer Entscheidung über die Pflicht zur Rückerstattung anzuwenden ist oder ob über die Gewährung von Ratenzahlungen oder die gänzliche Nachsicht ausschließlich die Klägerin nach Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung über den gesamten Ersatzbetrag zu befinden habe.

Dazu hat der erkennende Senat erwogen:

Die Zuweisung einer Verwaltungsangelegenheit in die Hoheits- oder in die Privatwirtschaftsverwaltung ist Sache des Gesetzgebers. Im Zweifel, wenn dieser also keine ausdrückliche Zuordnung vorgenommen hat, ist die Tätigkeit der Privatwirtschaftsverwaltung zuzuordnen (VfSlg 3183/1957; VfSlg 7717/1975; SZ 56/33 ua; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 27). Bereicherungsansprüche gehören dann nicht auf den Rechtsweg, wenn sie aus einem öffentlichen Rechtsverhältnis abgeleitet werden, in dem ein Teil als Träger von hoheitlicher Gewalt auftrat (SZ 51/161; SZ 52/79; SZ 56/33). Ist dieses Rechtsverhältnis des Privaten zum Staat hingegen privatrechtlich gestaltet, gehören also die das Rechtsverhältnis regelnden Normen dem Privatrecht und nicht dem öffentlichen Recht an, sind die ordentlichen Gerichte zur Entscheidung berufen. Die gegen die sogenannte Annextheorie vorgebrachten Bedenken Kerschners in seiner Monographie „Bereicherung im öffentlichen Recht“, wonach die Rechtswegzulässigkeit aller, somit auch jener Bereicherungsansprüche, die ihren Grund in einem öffentlichen Rechtsverhältnis finden, zu bejahen sei, hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung SZ 62/105 ausdrücklich abgelehnt. Es kommt daher im gegenständlichen Fall für die Beurteilung des Rückabwicklungsverhältnisses entscheidend auf die Natur des Grundverhältnisses an.

Das TirSHG kennt ebenso wie Sozialhilfegesetze anderer Bundesländer (vgl. Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht, 371) die Gewährung von Sozialhilfe als Hoheitsakt und andererseits im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung. Letztere ist dadurch gekennzeichnet, daß die Verwaltung mit den Mitteln und in den Formen des Privatrechtes vorgeht und sich somit nicht des formellen Verfahrens nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen bedienen kann. Ebensowenig wie im allgemeinen zwischen Privatpersonen ein Anspruch auf Abschluß eines bestimmten Vertrags besteht, mangelt es auch im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung an einem durchsetzbaren Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung (vgl. Antoniolli-Koja aaO 35; Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechtes7 Rdz 562 ff; Adamovich-Funk, Verwaltungsrecht3 146; Schragel, AHG2 Rdz 72 ff). Der Klägerin wurde Sozialhilfe gemäß § 5 Abs.1 lit.d TirSHG (Hilfe für pflegebedürftige Personen) gewährt. Gemäß § 5 Abs.10 TirSHG obliegt unter anderem die Gewährung der Hilfe für pflegebedürftige Personen dem Land als Träger von Privatrechten. Nach Abs.12 dieser Gesetzesstelle besteht auf Leistungen, die das Land oder die Gemeinden als Träger von Privatrechten erbringen, kein Rechtsanspruch. Diese Art der Sozialhilfe wird daher im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt.

Gemäß § 24 Abs.1 TirSHG sind die durch Verletzung der im § 23 bestimmten Anzeigepflicht zu Unrecht empfangenen Geldleistungen vom Empfänger rückzuerstatten. Gemäß Abs.2 kann die Rückerstattung in angemessenen Teilbeträgen bewilligt werden, wenn eine andere Art der Rückerstattung dem Verpflichteten nicht zumutbar ist. Die Rückerstattung kann auch zur Gänze nachgesehen werden, wenn durch sie der Erfolg der Sozialhilfe gefährdet wäre. Nach Abs.3 ist über die Rückerstattung, soweit es sich um zu Unrecht empfangene, im einzelnen aufgezählte (somit im Rahmen der Hoheitsverwaltung gewährte) Geldleistungen handelt, im Verwaltungsweg zu entscheiden. Im übrigen sind zur Entscheidung über die Pflicht zur Rückerstattung die ordentlichen Gerichte zuständig. Der Rückforderungsanspruch ist daher bei der der Zweitbeklagten gewährten Hilfe für pflegebedürftige Personen entsprechend dem im Privatrecht wurzelnden Grundverhältnis auch selbst als privatrechtlicher Anspruch zu beurteilen und somit in seiner Gesamtheit der Kognition der Gerichte zuzuordnen. Das Gesetz läßt keinen Anhaltspunkt dafür erkennen, daß über die Rückerstattung in zwei Stufen, nämlich zunächst über den Grund und sodann über die Höhe des Anspruchs entschieden werden sollte. Vielmehr umfaßt die Entscheidung über die Pflicht zur Rückerstattung auch dann, wenn sie in die Zuständigkeit der Gerichte fällt, alle damit zusammenhängenden Fragen und somit auch die vom Gesetz ausdrücklich als maßgeblich statuierte Frage der Zumutbarkeit. In diesem Sinne ist die strittige Gesetzesstelle durchaus mit der Bestimmung des § 2 Abs.1 DHG (Dienstnehmerhaftpflichtgesetz), wonach das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen aus Gründen der Billigkeit den dem Dienstnehmer aufzulegenden Ersatz mäßigen kann, vergleichbar.

Es ist daher dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs.1 ZPO.

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