OGH 1Ob639/92

OGH1Ob639/9215.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Unterbringungssache des Anton A*****, Johanna *****, Alfred B*****, Evelyne C*****, Josef G*****, Josefine G*****, Helga H*****, Paula H*****, Klara K*****, Kurt K*****, Wilhelmine L*****, Karl M*****, Lucia O*****, Rudolf O*****, Theresia P*****, Maria R*****, Ludwig S*****, sämtliche in Station XIX/2 des P*****Krankenhauses *****, ***** infolge Revisionsrekurses des Abteilungsleiters Prim. Dr. Heinz P***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 6. Oktober 1992, GZ 44 R 722/92-8, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 19. August 1992, GZ 11 Nc 11/92-4, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die für die 5. Psychiatrische Abteilung des P***** Krankenhauses ***** zuständige Patientenanwältin beantragte am 14.8.1992 die Überprüfung der Zulässigkeit der Unterbringung aller Patienten der Station *****. Die Station sei geschlossen, es liege eine Unterbringung im Sinne des Unterbringungsgesetzes vor. Personen, die sich in der Station aufhielten, könnten ohne fremde Hilfe diese nicht verlassen. Zur Öffnung der Tür bedürfe es eines Schlüssels, über den die Patienten nicht verfügten. Wolle ein Patient die Station verlassen, so sei er darauf angewiesen, daß ihm jemand vom pflegerischen oder ärztlichen Personal die Tür öffne. Die Patienten seien offensichtlich in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt und somit im Sinne des Unterbringungsgesetzes untergebracht.

Das Erstgericht setzte den Pavillon ***** auf die „Erstanhörungsliste“ für den 18.8.1992. Zu einer Anhörung der Kranken nach § 19 UbG kam es jedoch nicht. Der Abteilungsleiter erklärte nämlich, es handle sich um eine geronto-psychiatrische Station mit 20 systemisierten Betten. Er führe diese Station als offene Station, er komme jedoch seiner ärztlichen Obsorgepflicht gegenüber den Patienten in der Weise nach, daß die Station meistens nachts zwischen 22 und 6 Uhr und zeitweilig auch tagsüber kurzfristig versperrt werde. Dies geschehe deshalb, weil ohne diese Maßnahme aufgrund bestehender Mängel in der Organisationsstruktur die notwendige ausreichende Beaufsichtigung aller Patienten nicht gewährleistet werden könne. Im Hinblick auf das Alter der Patienten, damit verbundener Desorientiertheit und auch körperlicher Gebrechen müsse für die Sicherheit der anderen vorübergehend mit dem Abschließen der Station gesorgt werden. Für die Entscheidung, wann und wielange die Station versperrt werde, gingen Ärzte und Pflegepersonal nach den Wertvorstellungen der Notfallsmedizin vor, oberstes Prinzip sei es, unmittelbare Gefahren für Patienten auszuschließen.

Das Erstgericht sprach aus, daß der Antrag der Patientenanwältin, die Zulässigkeit der Unterbringung aller Patienten der Station ***** zu überprüfen, abgewiesen werde. Teilweise Sperren seien nicht als wesentliche Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit und somit nicht als Beschränkung nach dem Unterbringungsgesetz zu werten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Patientenanwältin Folge. Es hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug ihm die Einleitung des Unterbringungsverfahrens auf. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig. Das vom Erstgericht durchgeführte Verfahren sei im Unterbringungsgesetz nicht vorgesehen, es sei aber deshalb nicht unzulässig, weil gemäß § 2 AußStrG im Interesse von Pflegebefohlenen von Amts wegen vorzugehen sei, wenn ein Sachverhalt bekannt werde, der Anlaß zum Einschreiten gebe. Aus § 33 UbG folge, daß Beschränkungen des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit nach Art, Umfang und Dauer nur insoweit zulässig seien, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinn des § 3 Z 1 UbG sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerläßlich seien und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stünden. Eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit liege in den Nachtstunden sowie darüber hinaus in der Regel auch tagsüber vor, wenn nicht ausreichend Personal zur Verfügung stehe, die Patienten zu beaufsichtigen. Ungeachtet des Umstandes, daß dieses Vorgehen zur Gewährleistung der Sicherheit der Patienten aus ärztlicher Sicht geboten erscheine, sei es nach dem Unterbringungsgesetz nur in dem Maß zulässig, als dies der Behandlung eines Patienten, der an einer psychischen Krankheit leide, erforderlich sei. Die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit seien zumindest bis zum Zeitpunkt des vom Erstgericht durchgeführten Lokalaugenscheines gegeben gewesen. Diese Beschränkungen seien nicht so geringfügig gewesen, daß sie als unwesentlich bezeichnet werden könnten.

Der Revisionsrekurs des Abteilungsleiters ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 26.11.1992, 7 Ob 635/92 in einem völlig gleichgelagerten Fall über Revisionsrekurs des auch hier einschreitenden Abteilungsleiters bereits ausführte, ergibt sich aus dem Zusammenhang der §§ 2, § 33 UbG, wonach Beschränkungen des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit nach Art, Umfang und Dauer nur insoweit zulässig sind, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinn des § 3 Z 1 UbG sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerläßlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen, daß sämtliche der im § 33 UbG erwähnten Formen von Beschränkungen auch zum Vorliegen einer „Unterbringung“ im Sinn des § 2 UbG führen. Eine besondere „Erheblichkeitsschwelle“ hinsichtlich Dauer und Ausmaß der Beschränkung sieht das Gesetz nicht vor. Therapeutische und pflegerische Beweggründe können die Qualifikation einer solchen Maßnahme als Unterbringung ebensowenig verhindern (vgl dazu Kopetzky UbG Rz 32), wie das Fehlen des für die notwendige Beaufsichtigung erforderlichen Pflegepersonals. Wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (EvBl. 1992/101 mwN), ändert auch der Umstand, daß Patienten über Verlangen durch das Personal das Öffnen der Tür gewährt wird, nichts am Vorliegen einer Unterbringung; eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Die ständige Abhängigkeit der freien Aufenthaltsveränderung vom Willen eines anderen stellt bereits die Beschränkung der Bewegungsfreiheit her.

Ist aber eine vom erkennenden Senat gebilligte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bereits vorhanden und werden gegen deren Richtigkeit keine neuen Argumente vorgebracht, sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG nicht gegeben.

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