Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Text
Begründung
Rudolf und Edeltraud A haben am 6. August 1977 vor dem Standesamt C die Ehe geschlossen. Sie sind die Eltern der Söhne Michael, geboren am 25. Oktober 1976, und Rudolf, geboren am 23. September 1977. Bereits kurze Zeit nach der Geburt des ersten Kindes stellte sich heraus, daß die Mutter zur Kinderpflege und Kindererziehung völlig ungeeignet war. Nachdem sie das Neugeborene nahezu der Verwahrlosung ausgesetzt hatte, nahm sich die Großmutter Eleonore B (geboren 1933) des Knaben an und übernahm ihn wenige Tage nach der Geburt in ihre Obhut und Betreuung. Die Eltern, die Großmutter sowie ihr Ehemann Franz B wohnten damals im selben Haus. Auch der zweitgeborene Sohn wurde der Großmutter Eleonore B zur Betreuung übergeben. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes C vom 18. April 1978, ON 6, wurde dem Vater das alleinige Recht zur Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung und Vertretung seiner Kinder zuerkannt. Auch der Vater war nicht imstande, für die Kinder in ausreichendem Maße zu sorgen, so daß mit Beschluß des Bezirksgerichtes C vom 6. Juni 1979, ON 12, Eleonore B das Recht zur Pflege und Erziehung der Kinder übertragen wurde. Obwohl die Eltern der Kinder und die Ehegatten B im selben Haus wohnten, entfremdeten sich Eltern und Kinder zusehends.
Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Kreisgerichtes C vom 11. September 1981, 4 Cg 304/81-6, gemäß § 55 a EheG geschieden. In der Folge kümmerte sich die Mutter um ihre Söhne nicht mehr. Ihr wurde zwar auf Antrag ein zweistündiges Besuchsrecht einmal pro Monat eingeräumt, jedoch machte sie hievon kaum Gebrauch. Eine über die Mutter verhängte Haftstrafe im Ausmaß von neun Monaten endete am 28. Juni 1985. Auch der Kontakt zwischen dem Vater und den Kindern reduzierte sich nach der Scheidung der Ehe immer mehr, so daß für die Kinder die Ehegatten B die ausschließlichen Bezugspersonen waren und sind. Die beiden Kinder besuchen die Volksschule 5 in D. Eleonore und Franz B werden faktisch als 'Eltern' angesehen und behandeln die Kinder auch so, als wären sie ihre eigenen Kinder. Franz B, der Eleonore B im Jahr 1971 geheiratet hat, bezieht Renten im Betrag von etwa S 8.600,-- mtl. Die Ehegatten B bewohnen eine Dreizimmerwohnung, auf Anraten des Jugendamtes haben sie eine weitere Zweizimmerwohnung gemietet, so daß Michael und Rudolf A jeweils ein eigenes Zimmer haben. Die Persönlichkeitsentwicklung der Knaben war bisher vom Erziehungsstil der Ehegatten B geprägt. Sowohl Franz B, dem ein autoritärer Erziehungsstil eigen ist, als auch Eleonore B, die nach außen den Anschein von Gefühlsarmut erweckt, hängen sehr an den Kindern. Sie sind bemüht, die Kinder zu ehrlichen und rechtschaffenen Menschen zu erziehen, und bestrebt, daß beide durch entsprechenden Fleiß gute schulische Leistungen erbringen. Die Kinder leiden derzeit unter der Spannung zwischen dem Vater und den Ehegatten B. Diese Spannungen äußern sich bei Michael in Form von Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten und fallweise aggressivem Verhalten gegen Mitschüler. Rudolf wirkt nach den Vorkommnissen in der Familie verschlossen und kann sich nur schwer in die Gemeinschaft einfügen.
Der Vater hat am 4. September 1982 seine nunmehrige Ehefrau Gerlinde A geehelicht. Sie ist 28 Jahre alt und bei der Pensionsversicherungsanstalt E als Angestellte beschäftigt. Sie verdient monatlich netto S 9.000,--; dazu kommen die Familienbeihilfe und ein Betrag von S 3.000,-- als Unterhalt für die Kinder Markus und Sabine im Alter von sieben und fünf Jahren aus einer früheren, ebenfalls geschiedenen Ehe. Seit dem Frühjahr 1983 haben der Vater und seine nunmehrige Gattin ein gemeinsames Kind Monika. Der Vater bewohnt zusammen mit seiner Ehefrau Gerlinde, den zwei Kindern aus erster Ehe und dem gemeinsamen Kind eine 90 m 2 große Mietwohnung in C, Schmierendorferstraße 52, in der zwei Kinderzimmer zur Verfügung stehen. Eines wird von den beiden Kindern der nunmehrigen Ehegattin des Vaters aus erster Ehe bewohnt, das zweite ist vollständig eingerichtet und stünde für Michael und Rudolf bereit. Für die Wohnung ist eine monatliche Miete in der Höhe von S 3.400,-- zu entrichten. Der Vater ist seit dem Jahre 1978 Speditionsarbeiter bei der Firma F und verdient monatlich netto S 8.000,-- bis S 10.000,--, wovon ihm jedoch nur ca. S 4.000,-- netto ausbezahlt werden. Der Restbetrag wird auf Grund von Pfändungen zur Abdeckung von Verbindlichkeiten aus der ersten Ehe, die ursprünglich etwa S 300.000,-- betrugen und derzeit noch mit S 180.000,-- aushaften, abgezogen. Gerlinde A ist ausdrücklich damit einverstanden, daß die Söhne Michael und Rudolf in den gemeinsamen Haushalt kommen; sie ist gewillt, deren Betreuung zu übernehmen. Die Kinder kennen die nunmehrige Ehegattin des Vaters aus der Zeit, als sie im selben Haus mit der Großmutter in der Ebenhochstraße wohnte. Markus und Rudolf besuchten auch denselben Kindergarten. Bei Gerlinde A handelt es sich um eine ruhige, ausgeglichene Frau mit einem partnerschaftlichen Erziehungsstil. Der Vater selbst ist eine eher schwache, wenig durchsetzungskräftige Persönlichkeit. Er wird von den Knaben nicht als Bezugsperson angesehen, hat doch die Trennung zwischen Eltern und Kindern schon in einem sehr frühen Stadium stattgefunden, so daß es erst gar nicht zu einer engeren Beziehung kommen konnte. Die Buben sind sich zwar bewußt, daß Rudolf A ihr Vater ist; tatsächlich gilt für sie aber nur Franz B als Vater. Da sowohl der Vater als auch seine nunmehrige Ehegattin berufstätig sind, würden Michael und Rudolf nach der Schule den Hort besuchen, dort das Mittagessen einnehmen und gegen 17 Uhr von Gerlinde A abgeholt werden.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters, ihm sämtliche aus § 144 ABGB entspringenden Rechte und Pflichten in Ansehung seiner beiden Söhne Michael und Rudolf zu übertragen, ab. Der Vater werde von den Knaben nicht als Bezugsperson angesehen, weil die Trennung der Eltern und Kinder schon in einem so frühen Stadium stattgefunden habe, daß es sich nicht zum Aufbau einer engeren Beziehung habe kommen können. Bei Änderung der Erziehungsverhältnisse müßten die Kinder in einer Familie leben, in der sie weder zum leiblichen Vater noch zur Stiefmutter eine vertrauensvolle Beziehung hätten. Sie stünden fast ausschließlich unter der Aufsicht der Horterzieher bzw. am Abend unter der Aufsicht der Stiefmutter. Da diese selbst berufstätig sei, sei zu befürchten, daß sie kaum Zeit finden werde, für die Kinder im ausreichenden Maße zu sorgen. Die beiden Knaben bedürften aber intensiver Zuwendung und Beschäftigung, um das Fehlen der Mutter ausgleichen zu können. Diese Voraussetzung sei im Falle der Eingliederung der Minderjährigen in die Familie des Vaters nicht gewährleistet, weil sich Gerlinde A um ihre eigenen drei Kinder annehmen müsse. Die auffälligen Verhaltensweisen der Knaben in letzter Zeit (Kontakthemmung und Aggressionen) seien nicht auf eine mangelhafte Erziehung, sondern darauf zurückzuführen, daß ungeklärt gewesen sei, wer das Sorgerecht in Ansehung der Kinder erhalten werde. Im Sinne der Kontinuität der Kindererziehung habe es bei der Pflege und Erziehung durch die Großmutter Eleonore B zu verbleiben. Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs des Vaters Folge und sprach aus, daß das Recht, die minderjährigen Kinder zu pflegen, zu erziehen und ihr Vermögen zu verwalten, dem Vater allein zustehe. Die Großeltern stünden den Eltern bei Zuteilung des Rechtes zur Pflege und Erziehung nicht gleichrangig gegenüber; sie seien nur subsidiär zur Pflege und Erziehung berufen. Die übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten auf ein Großelternpaar bzw. einen Großelternteil sei erst dann vorgesehen, wenn beide Eltern in der im § 145 Abs. 1 erster Satz ABGB beschriebenen Weise betroffen, d.h. an der Ausübung der Pflege und Erziehung ihres Kindes verhindert seien. Die Mutter der Kinder sei unfähig, die Kinder zu pflegen und erziehen; auch der Vater sei zunächst auf Grund der gegebenen familiären Umstände hiezu nicht in der Lage gewesen, so daß das Recht zur Pflege und Erziehung im Jahre 1979 der Großmutter Eleonore B übertragen worden sei. Dies könne jedoch nicht bedeuten, daß die Kinder nunmehr für immer bei Eleonore B verbleiben müßten. Die Rückführung der Kinder zu den Eltern bzw. einem Elternteil sei nicht nur bei Gefährdung des Kindes im Sinne des § 176 ABGB, sondern schon bei wesentlich geänderten Verhältnissen zulässig. Der vom Gesetzgeber bevorzugten elterlichen Betreuung sei auch schon dann Rechnung zu tragen, wenn ein Elternteil zur Wahrnehmung der elterlichen Rechte und Pflichten durch günstige Änderung seiner Lebensverhältnisse in die Lage versetzt wurde, den Kindern eine ihren Lebensverhältnissen entsprechende Erziehung und Pflege zu bieten. Im vorliegenden Fall hätten sich seit dem Jahre 1979 die für die Pflege und Erziehung der Kinder wesentlichen Umstände entscheidend geändert. Der Vater habe wieder geheiratet, seine Persönlichkeit habe sich offensichtlich gefestigt, er beziehe ein gesichertes Einkommen, wenn er auch noch einige Zeit Schulden aus der gescheiterten ersten Ehe zurückzubezahlen haben werde. Es stehe auch eine ausreichend große Wohnung zur Verfügung. Da auch die Ehegattin des Vaters eine gesicherte Arbeitsstelle mit einem entsprechenden Einkommen habe, seien die materiellen Voraussetzungen für die Erziehung im wesentlichen nicht schlechter zu beurteilen als bei den Großeltern. Auf längere Sicht gesehen sei es für das geistig-seelische Wohl der Kinder vorteilhafter, wenn sie nun zum Vater kommen und in dessen Familie aufwachsen. Gewiß sei damit für die Kinder eine gewisse Belastung verbunden, die aber in Kauf zu nehmen sei. Dem Wohl der Kinder entspreche es, möglichst rasch eine Entscheidung herbeizuführen, die nach den nunmehr konsolidierten Verhältnissen zugunsten des Vaters ausfallen müsse. Die Ansicht der im Verfahren beigezogenen Sachverständigen Dr. Brigitte G, wonach die übertragung des Sorgerechts an den Vater derzeit ein zu großes Risiko darstelle, sei nicht stichhaltig begründet und werde vom Rekursgericht nicht geteilt.
Rechtliche Beurteilung
Dem gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobenen Revisionsrekurs der Eleonore B kommt Berechtigung zu.
Im vorliegenden Fall wurde das Recht zur Pflege und Erziehung der Großmutter Eleonore B übertragen, weil der Vater außerstande war, die damit verbundenen Pflichten wahrzunehmen. Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, unter welchen Voraussetzungen angeordnete Einschränkungen der elterlichen Rechte und Pflichten wieder aufzuheben sind. Voraussetzung für eine solche Maßnahme muß die Endigung der Gefährdung des Wohles der minderjährigen Kinder sein. Während die Entziehung oder Einschränkung elterlicher Rechte und Pflichten nur als äußerste Notmaßnahme gerechtfertigt werden kann, und das Gericht nur einzuschreiten hat, wenn ihm Mißbrauch oder Vernachlässigung der Erziehung angezeigt oder amtlich bekannt wird und eine konkrete ernste Gefahr für die Entwicklung der Kinder besteht (SZ 51/112;
SZ 47/137; JBl. 1967, 433), ist dann, wenn eine Einschränkung der elterlichen Rechte und Pflichten bereits stattfinden mußte, bei einem Antrag auf Rückführung der Kinder in Pflege und Erziehung des Vaters den Kindern ein anderer Maßstab anzulegen. Grundsätzlich soll jede Maßnahme, die einen Wechsel des Pflegeplatzes bedeutet und Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung reißt, vermieden werden. Es muß daher, wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (SZ 51/112 u.a.), mit großer Wahrscheinlichkeit klargestellt sein, daß nunmehr die ordnungsgemäße Pflege und Erziehung durch den antragstellenden Elternteil, die schon einmal wegen Gefährdung des Kindeswohls entzogen werden mußte, gewährleistet ist und keine Gefahr mehr besteht, daß wieder eine Maßnahme nach § 176 Abs. 1 ABGB mit Entziehung der Pflege und Erziehung angeordnet werden müßte. Während also eine Interessenabwägung bei der Entscheidung darüber, ob die Pflege und Erziehung bei einem Elternteil oder bei Großeltern besser gewährleistet ist, nicht stattzufinden hat, sondern das Elternrecht Vorrang hat, hat bei geforderter Aufhebung einer bereits wegen Gefährdung des Kindeswohls erfolgten Einschränkung der elterlichen Rechte eine Abwägung sehr wohl stattzufinden; es kann nicht anerkannt werden, daß schon im Zweifel für die Wiederherstellung der vollen rein persönlichen Rechte des Vaters gegenüber zu entscheiden ist, auch wenn nicht eindeutig feststeht, daß dies dem Kindeswohl dient. über dem Elternrecht steht, wie das Gesetz unmißverständlich klarstellt, das Kindeswohl, das gerade auch durch mehrfachen Wechsel der Pflege und Erziehung gefährdet sein kann (SZ 51/112). Die beiden Kinder befinden sich praktisch seit der Geburt bei der Großmutter Eleonore B in Pflege und Erziehung. Obwohl der Vater mit seiner Mutter im selben Haus wohnte, kam es doch zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen ihm und den Kindern. Nach der Scheidung seiner ersten Ehe reduzierte sich der Kontakt immer mehr, so daß die Ehegatten B für die Kinder die ausschließlichen Bezugspersonen wurden. Praktisch bestehen zwischen dem Vater und den Kindern offenbar seit Jahren nur ganz seltene Kontakte; der Vater hat auch niemals die Einräumung eines Besuchsrechtes beantragt, obwohl sich die Großmutter hiemit einverstanden erklärt hatte (S 115 d.A.). Demgegenüber rückt der Vater finanzielle Erwägungen für den Wechsel der Erziehungsverhältnisse in den Vordergrund, so daß er im Fall der Stattgebung seines Antrags keinen Unterhaltsbeitrag an Eleonore B zu zahlen haben werde, die Familienbeihilfe bekomme, steuerliche Vorteile genieße und insgesamt dadurch eine 'finanzielle Sanierung' der Familie Platz greifen könnte (S 89 d.A.). Mit Recht erachtete es dann die Sachverständige Dr. Brigitte G als fraglich, wie weit beim Vater wirklich Zuneigung und Interesse für seine Kinder besteht. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß der Vater und seine nunmehrige Ehegattin ganztägig berufstätig sind und bereits für drei Kinder, darunter ein Kleinkind im Alter von zwei Jahren, zu sorgen haben. Da Gerlinde A jeden Tag mit der Bahn nach E zu ihrem Arbeitsplatz fährt, würden die Kinder von ihr schon um 6.30 Uhr in den Kinderhort gebracht und von dort in die Schule geschickt werden; sie blieben nach der Schule im Kinderhort, wo sie um 17 Uhr abgeholt würden. Die Erziehungstätigkeit wäre daher wegen der Berufstätigkeit der Eltern weitgehend fremden Personen (Schule und Hort) übertragen. Es ist zu befürchten, daß die Kinder mit Eingewöhnungsschwierigkeiten und verstärkten Verhaltensauffälligkeiten auf den Milieuwechsel und den geänderten Erziehungsstil reagieren werden. Auch die Lehrer der Kinder haben zum Ausdruck gebracht, daß bei einem Wechsel der Erziehungsverhältnisse Verhaltensstörungen der Kinder zu befürchten wären, (S 183, 185 d.A.). Es ist daher der Ansicht der Sachverständigen Dr. Brigitte G beizupflichten (S 175 d.A.), daß die übertragung des Sorgerechtes an den Vater ein Risiko darstellt. Ein derartiges Risiko ist aber umsoweniger in Kauf zu nehmen, als die Erziehungsverhältnisse bei der Rechtsmittelwerberin positiv zu beurteilen sind; die Kinder erzielen gute schulische Erfolge, sind gepflegt und sauber gekleidet (vgl. S 171 d.A.). Insgesamt kann daher derzeit nicht gesagt werden, daß mit großer Wahrscheinlichkeit die ordnungsgemäße Pflege und Erziehung beim Vater gewährleistet ist. Der Mangel einer gefestigten Vater-Kind-Beziehung läßt einen Wechsel der Erziehungsverhältnisse als zu großes Risiko für das Wohlergehen der Kinder erscheinen. Demzufolge ist die Entscheidung des Erstrichters wiederherzustellen.
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