OGH 1Ob62/09p

OGH1Ob62/09p5.5.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Rudolf K*****, vertreten durch Dr. Beate Köll-Kirchmeyr, Rechtsanwältin in Schwaz, gegen die beklagten Parteien und Gegnerinnen der gefährdeten Partei 1. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, und 2. Gemeinde S*****, vertreten durch Dr. Dietmar Ritzberger und Dr. Erich Janovsky, Rechtsanwälte in Schwaz, wegen Leistung und Unterlassung (Streitwert 46.500 EUR) sowie Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über den Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 20. Jänner 2009, GZ 5 R 73/08m-16, womit der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 9. Oktober 2008, GZ 66 Cg 155/08h-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei und Erstgegnerin der gefährdeten Partei die mit 813,90 EUR sowie der zweitbeklagten Partei und Zweitgegnerin der gefährdeten Partei die mit 976,68 EUR (darin enthalten 162,78 EUR USt) bestimmten Kosten der jeweiligen Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist Alleineigentümer eines Grundstücks. Dieses grenzt östlich an einen Bach, der - ebenso wie sein Bachbett - zum öffentlichen Gut gehört und im Eigentum der Erstantragsgegnerin steht. Auf dem Grundstück des Klägers ist direkt an der Grundstücksgrenze zum öffentlichen Gut hin ein als „Fischhütte" bezeichnetes Gebäude errichtet, das vom Vater des Klägers zum Betrieb einer Fischzucht verwendet wurde. Seit 1995 wird keine Fischzucht mehr betrieben. Seither dient die „Fischhütte" als Lagerfläche für Brennholz und diverse sonstige Gegenstände. Die an das Gebäude angrenzende zum öffentlichen Gut gehörende Uferböschung fällt steil zum Bachbett ab. Im Bereich der Böschung unterhalb des südlichen Gebäudeteils der „Fischhütte" ist eine Steinriegelmauer aus Bachsteinen in loser Schlichtung errichtet, die ebenfalls auf öffentlichem Gut liegt. Wann und von wem diese Mauer errichtet wurde, konnte nicht festgestellt werden, wohl hingegen, dass sie nicht von einer Dienststelle der Wildbach- und Lawinenverbauung (im Folgenden: WLV) oder sonst von der öffentlichen Hand errichtet wurde. Über diese Mauer sind weder bei der WLV noch bei der Zweitantragsgegnerin (idF: Gemeinde) Unterlagen vorhanden. Eine wasserrechtliche Bewilligung des Mauerbaus ist nicht erfolgt, wohingegen urkundlich dokumentiert ist, dass die nicht verfahrensgegenständlichen Hauptmauern des Bachs im Jahr 1919 von der WLV der Gemeinde zur Erhaltung übergeben wurden. „Sehr wahrscheinlich" wurde die unterhalb der „Fischhütte" gelegene Steinriegelmauer von einem Rechtsvorgänger des Klägers errichtet. Sie dient als Auflage für das bachseitige Fundament der „Fischhütte". Einziger Nutznießer der Mauer ist der Kläger als Eigentümer der „Fischhütte". Am darunter liegenden Ufer verläuft weder ein Weg, noch ist dort eine Aufenthaltsfläche zum Baden oder für sonstige Freizeitgestaltung. Die Steinriegelmauer ist als Uferschutzmauer nicht geeignet, weil ihre Befestigung nicht unmittelbar im Bereich der Bachsohle ansetzt, sondern deutlich oberhalb.

Seit mehreren Jahren verfällt diese Mauer zunehmend, weil sie je nach Durchflussmenge des Bachs mehr oder weniger stark unterspült wird. In einem Teilbereich der „Fischhütte" ist ein Mauerteil herausgebrochen. Es kam auch bereits zu Rissbildungen und zur Auswölbung der Umfassungsmauer der „Fischhütte". Die Rissbildung nahm im Frühjahr 2008 erheblich zu, bereits vorhandene Risse verbreiterten sich wesentlich. Bei weiteren Unterspülungen der Mauer im Falle witterungsbedingter Hochwasserführung des Bachs ist ein stärkeres Absinken der Steinriegelmauer nicht auszuschließen, was letztlich auch zu einem Einsturz der „Fischhütte" führen könnte.

Eine am 4. 5. 2001 zwischen dem Kläger und einem Vertreter der WLV geschlossene Vereinbarung über die Sicherung rechtsufriger Bacheinhänge im Bereich von (weiteren) Grundstücken des Klägers sowie die Sicherung einer Rohrleitung in diesem Bereich betraf nicht die Steinriegelmauer.

Der Kläger begehrte die Zahlung von 16.500 EUR für Sanierungskosten der „Fischhütte" sowie die Wiederherstellung und Instandhaltung der Steinriegelmauer, sodass ein Nachsetzen und Abrutschen der oberhalb davon befindlichen Liegenschaft des Klägers, insbesondere der „Fischhütte" hintangehalten werde, und die „Unterlassung von Hangrutschungen", die ein derartiges Nachsetzen oder Abrutschen der klägerischen Liegenschaft, insbesondere der „Fischhütte", zur Folge hätten.

Zur Sicherung des Wiederherstellungs- bzw Instandhaltungsbegehrens sowie des Unterlassungsanspruchs beantragte der Kläger als gefährdete Partei zugleich die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 381 Z 2 zweiter Fall EO dahingehend, dass den Beklagten als Gegnerinnen der gefährdeten Partei zur ungeteilten Hand aufgetragen werden möge, binnen einer vom Gericht festzusetzenden Frist den Zustand der östlichen, rechtsufrigen Befestigungsmauer (des Bacheinhangs) durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen so wiederherzustellen und instandzuhalten, dass damit ein weiteres Abrutschen der Befestigungsmauer und ein Nachsetzen oder Abrutschen der oberhalb davon befindlichen klägerischen Liegenschaft, insbesondere der „Fischhütte", bis zur Beendigung des Rechtsstreits hintangehalten werde. In der Folge änderte der Kläger sein Sicherungsbegehren dahin ab, den Beklagten möge aufgetragen werden, den Zustand der östlichen Befestigungsmauer unterhalb der klägerischen „Fischhütte" durch entsprechende einstweilige Sicherungsmaßnahmen wiederherzustellen und instandzuhalten, um dem „Fischhaus" die erforderliche Stütze zu geben. Der ursprüngliche Sicherungsantrag wurde eventualiter aufrecht erhalten.

Der Kläger stützte sein Begehren auf nachbarrechtliche Verpflichtungen gemäß den §§ 364, 364b ABGB, die Haftung der Beklagten als Halter der Mauer, auf eine Haftung nach dem Ingerenzprinzip und auf § 1319 ABGB. Die Haftung der Zweitbeklagten resultiere auch aus den in § 101 Abs 6 ForstG und § 55 der Tiroler Waldordnung statuierten Rechtspflichten der Gemeinden.

Die Beklagten und Gegnerinnen der gefährdeten Partei wandten dagegen ein, dass die Steinriegelmauer nicht von der öffentlichen Hand, sondern von einem Rechtsvorgänger des Klägers errichtet worden sei und nicht auf öffentlichem Grund, sondern auf dem Grundstück des Klägers liege. Die Vereinbarung im Jahr 2001 habe nicht die Sanierung der Steinriegelmauer betroffen, der damalige Bauleiter der WLV sei auch nicht befugt gewesen, Zusagen zu machen. Der Sachverhalt unterliege mangels „aktiven Tuns" im Sinn einer Grundstücksvertiefung nicht dem § 364b ABGB. „Halter" der Mauer sei der Kläger, in dessen Interesse das Werk errichtet worden sei. Die Erstbeklagte habe in diesem Zusammenhang keinerlei Gefahrenquelle geschaffen. Die Zweitbeklagte wandte ein, die Mauer sei nicht auf Gemeindegrund errichtet und daher keine von der Gemeinde geschaffene Gefahrenquelle. Es komme der Gemeinde auch keine Verfügungsberechtigung iSd § 1319 ABGB zu. Die aus verwaltungsrechtlichen Bestimmungen abgeleiteten Rechtspflichten seien im Verwaltungsweg durchzusetzen und der Rechtsweg insoweit unzulässig. Dem Kläger sei weder die Bescheinigung einer konkreten Gefahr, noch die eines drohenden unwiederbringlichen Schadens gelungen.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab und verwarf die Einreden der Unzulässigkeit des Rechtswegs und der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Die Erstbeklagte sei zwar Eigentümerin der auf öffentlichem Wassergut gelegenen Mauer, jedoch nicht schon deshalb zur Instandhaltung und Sanierung des Mauerwerks verpflichtet. Die Auswirkungen der natürlichen Beschaffenheit eines Grundstücks begründeten keine nachbarrechtlichen Ansprüche. Zu einer künstlichen Vertiefung iSd § 364b ABGB sei es nicht gekommen. Eine Haftung nach dem Ingerenzprinzip bzw nach § 1319 ABGB habe den Eintritt eines Schadens zur Voraussetzung. Außerdem hätten die Beklagten die Mauer nicht errichtet und sei einziger Nutznießer dieser als Stützkonstruktion für die „Fischhütte" dienlichen Bauwerks der Kläger, der selbst als Halter der Stützmauer zu qualifizieren sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht jedoch 20.000 EUR übersteige, und ließ den Revisionsrekurs zu. Der Kläger habe weder eine konkrete Gefährdung, noch einen unwiederbringlichen Schaden bescheinigt, sodass zwingende Anspruchsvoraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 381 Z 2 zweiter Fall EO nicht erfüllt seien. Auch die Anspruchsbescheinigung sei „durchaus fraglich".

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO (§§ 78, 402 Abs 4 EO) ab.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt es bei der Beurteilung der Anspruchsgefährdung immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an. Es kann nicht jede abstrakte oder theoretische Möglichkeit der in § 381 EO erwähnten Erschwerung, Vereitelung, Gewaltanwendung oder des unwiederbringlichen Schadens eine Anspruchsgefährdung im Sinne dieser Gesetzesstelle begründen. Vielmehr ist die Bescheinigung einer konkreten Gefährdung zu fordern. Ob ein Anspruch gefährdet ist, kann nur aufgrund der im konkreten Fall als bescheinigt angenommenen Umstände beurteilt werden. Dieser Frage kommt daher in der Regel keine erhebliche Bedeutung iSd §§ 402 Abs 4, 78 EO, 528 Abs 1 ZPO zu (RIS-Justiz RS0005118), es sei denn, dem Rekursgericht wäre eine Fehlbeurteilung unterlaufen, die aus Gründen der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte (RIS-Justiz RS0005103).

Auch das Tatbestandsmerkmal des drohenden unwiederbringlichen Schadens liegt nur dann vor, wenn ein Nachteil am Vermögen oder an Rechten oder an Personen zu besorgen ist, dessen Zurückversetzung in den vorigen Zustand nicht tunlich ist, und wenn Schadenersatz entweder nicht geleistet werden kann oder die Leistung von Geldersatz dem angerichteten Schaden nicht völlig adäquat ist (RIS-Justiz RS0005270; König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren3 Rz 3/81). Letzteres kann etwa bei drohender gesundheitlicher Schädigung, Verletzung eines Persönlichkeitsrechts, oder bei drohender ernsthafter Schädigung der Bausubstanz eines Hauses vorliegen (König aaO). Auch bei wesentlicher Minderung der Wohn- und Lebensqualität durch die dauernde Erwartung einer ernsten Schädigung eines Wohnhauses kann die Erlassung einer einstweiligen Verfügung in Betracht kommen (Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung, § 381 EO Rz 7).

Nach den hier maßgeblichen Feststellungen ist bei weiteren Unterspülungen der Mauer im Falle witterungsbedingten Hochwassers des Bachs ein stärkeres Absinken der Steinriegelmauer nicht auszuschließen, was letztlich auch zum Einsturz der „Fischhütte" führen könnte. Es steht aber weder fest, dass dies unmittelbar bevorstünde, noch dass dadurch ein in Geld nicht ersetzbarer Schaden eintreten könnte, dient die „Fischhütte" jetzt doch lediglich als Lagerfläche für Brennholz und diverse Gegenstände. Wenn die Vorinstanzen angesichts dieses Sachverhalts zur Abweisung des Provisorialantrags gelangten, bestehen dagegen keine Bedenken; eine Korrektur der Entscheidung ist nicht notwendig. Der Revisionsrekurs enthält zur hier verneinten Gefahrenbescheinigung keine Argumente von über den Anlassfall hinausgehender, erheblicher Bedeutung.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 78, 402 EO, §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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