Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Urteil zu lauten hat:
„Die Aufkündigung vom 21. Mai 1993 wird aufgehoben.
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die im Hause N***** 184 gelegene Wohnung, bestehend im Parterre aus Küche, Eßzimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer, WC, Bad, Windfang und Treppenhaus, sowie im ersten Stock aus vier Zimmern, WC Bad und Treppenhaus, Dachboden, vier Kellerräumen sowie einer freistehenden Garage, binnen 14 Tagen zu räumen und der klagenden Partei geräumt zu übergeben, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 18.812,15 (darin enthalten S 3.135,35 USt) bestimmten Prozeßkosten zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 3.655,68 (darin enthalten S 609,28 USt.) bestimmten Revisionskosten zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Eigentümerin des Hauses N***** 184. Der Beklagte hat eine in diesem Haus gelegene Wohnung mit insgesamt 176 m2 Wohnnutzfläche schon seit vielen Jahren in Bestand und bezahlt hiefür einen monatlichen Nettomietzins von S 1.375,-- zuzüglich eines Betriebskostenakontos von monatlich S 750,- -. Aufgrund von insgesamt drei Schlaganfällen, die zu einer vollständigen Lähmung des rechten Arms und Lähmungserscheinungen des rechten Fußes sowie dazu führten, daß sich der Beklagte nur flüsternd verständlich machen, sich nicht selbst an- und auskleiden, nicht alleine baden und nicht selbst kochen kann, befand er sich in der Zeit vom 1.9. bis 22.12.1992 zur Behandlung in verschiedenen Krankenanstalten. Danach mußte er sich bis Juli 1993 viermal wöchentlich zur ambulanten Behandlung in das Landeskrankenhaus S***** begeben. Diese ambulante Behandlung wurde ab September 1993 fortgesetzt.
Seit mehr als zwei Jahren ist der Beklagte mit Ingrid F*****, die sich selbst als seine Lebensgefährtin bezeichnet, bekannt. Ingrid F***** bewohnt in S*****, eine etwa 70 m2 große Eigentumswohnung. Sie ist geschieden und hat zwei Söhne. Der in W***** studierende Sohn besucht die Mutter hin und wieder an den Wochenenden und in den Ferien; der zweite Sohn wohnt in einer kleinen Garconniere, er hat noch verschiedene Sachen in der Wohnung seiner Mutter.
Der Beklagte wohnt seit seiner Spitalsentlassung bei Ingrid F*****, wobei ein Bestandverhältnis zwischen den beiden nicht begründet wurde. Für das ihm verabreichte Essen und die ihm durch Ingrid F***** gewährte Pflege bezahlt der Beklagte monatlich etwa S 7.000,- -. Wochentags hält sich der Beklagte stets bei Ingrid F***** auf, zu den Wochenenden befinden sich die beiden teils auch in A***** in der aufgekündigten Wohnung. Ingrid F***** ist berufstätig und nicht in der Lage, zwei Haushalte zu führen. Sie ist nicht bereit, mit dem Beklagten in die aufgekündigte Wohnung in A***** zu ziehen, sie will ihren Haushalt in der in der H*****Straße befindlichen Wohnung aufrecht halten. Der Beklagte hat bei Ingrid F***** Wohnung genommen, da es ihm so leichter möglich ist, zur ambulanten Behandlung in das Landeskrankenhaus S***** zu gelangen, und weil ihm Ingrid F***** die benötigten Medikamente verabreicht. Anfangs 1993 wurde der Beklagte einige Zeit durch „Essen auf Rädern“ in der Wohnung der Ingrid F***** verköstigt. Der Beklagte ist nicht in der Lage, eine Wohnung sauber zu halten, er benötigt infolge eines Diabetesleidens morgens und abends Insulin, das er sich nicht alleine spritzen kann. Morgens wird der Beklagte von einer Hauskrankenpflegerin betreut, abends und mittags - für eine Stunde - von Ingrid F*****. Mit dieser Unterstützung kann der Beklagte an sich in jeder Wohnung zurechtkommen. Eine Besserung seines Zustandes ist nicht mehr möglich, er wird einarmig bleiben, und das vorhandene hirnorganische Psychosyndrom wird sich nicht wesentlich ändern. Im Falle eines neuerlichen Schlaganfalls ist eine dramatische Verschlechterung der Situation zu erwarten.
Die Klägerin kündigte dem Beklagten am 18.5.1993 die klagsgegenständliche Wohnung mit der Begründung auf, daß der Beklagte das Bestandobjekt seit mindestens Oktober 1992 nicht mehr benutze und seither bei Ingrid F***** in der oben genannten Wohnung in S***** wohne. Das Bestandobjekt diene nicht mehr der Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses, das in der Wohnung der Ingrid F***** gedeckt sei.
Der Beklagte beantragte die Aufhebung der Aufkündigung mit der Begründung, daß ihn Ingrid F*****, die nicht seine Lebensgefährtin sei, nur während seiner Krankheit betreut habe; er sei auf die streitgegenständliche Wohnung dringend angewiesen.
Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung vom 21.5.1993 für wirksam und verpflichtete den Beklagten zur Räumung und Übergabe des Bestandobjektes. Es bejahte das Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs.2 Z 6 MRG, weil der Beklagte die streitgegenständliche Wohnung nicht zur Deckung seines regelmäßigen Wohnbedürfnisses verwende. Es sei nicht davon auszugehen, daß der Beklagte in absehbarer Zeit wieder in seine Wohnung zurückkehren könne, sodaß es sich nicht um eine nur vorübergehende Absenz handle, weshalb ein schutzwürdiges Interesse des Beklagten am Aufrechterhalten des Mietverhältnisses nicht vorliege.
Das Berufungsgericht gab der vom Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Der Beklagte sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, allein im streitgegenständlichen Mietobjekt in A***** zu wohnen. Anhaltspunkte dafür, daß der Beklagte in absehbarer Zukunft in die Wohnung zurückkehren könnte, seien nicht vorhanden. Er benütze das Mietobjekt bestenfalls als Wochenendwohnsitz und als Lager für dort befindliche Möbel. Das Mietobjekt diene nicht zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses des Beklagten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß die Aufkündigung für unwirksam erklärt werde.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw. ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt zur Frage Stellung genommen, ob die durch Krankheit bedingte Nichtbenützung einer Wohnung den Kündigungsgrund des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG ausschließe. In ständiger Judikatur vertritt der Oberste Gerichtshof die Auffassung, daß der Ausschluß des genannten Kündigungsgrundes nur gegeben sei, wenn es sich um eine vorübergehende Abwesenheit des Mieters handle und in naher Zukunft mit dessen Rückkehr in die Wohnung zu rechnen sei. Das Vorliegen des schutzwürdigen Interesses am Fortbestand des Mietverhältnisses trotz fehlender Benützung hat stets der Mieter nachzuweisen. Es obliegt sohin seiner Beweispflicht, daß er in nächster Zukunft in die Wohnung zurückkehren wird, die Nichtbenützung also eine absehbare, nur vorübergehende Unterbrechung darstellt (3 Ob 545/93; 6 Ob 561/92; WoBl 1991/117; 1 Ob 734/77; 5 Ob 84, 85/74; MietSlg. 42.338, 41.348, 35.362, 33.383, 31.426, 30.433, 28.365; Würth in Rummel, ABGB2, Rz 33 zu § 30 MRG; vgl. 8 Ob 520/89; 5 Ob 562/84 uva). Unter Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Kündigungsbegehren der Klägerin als nicht berechtigt.
Wie die Klägerin selbst bereits in ihrer Berufungsbeantwortung ausgeführt hat (siehe S. 4 dieses Schriftsatzes = AS 158), ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines Kündigungsgrundes der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung (MietSlg. 40.462 uva). Im vorliegenden Fall erfolgte die Zustellung der Aufkündigung Ende Mai 1993 (AS 11), also bereits fünf Monate nach dem Zeitpunkt, zu welchem der Beklagte den Feststellungen nach bei Ingrid F***** Wohnung genommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war der nunmehr 72jährige Beklagte den Feststellungen nach jedenfalls pflegebedürftig, er wäre allerdings in der Lage, bei Betreuung durch eine dritte Person in jeder Wohnung zurechtzukommen. Nun hat der Beklagte im vorliegenden Verfahren stets den Wunsch geäußert, in die aufgekündigte Wohnung zurückzukehren. Daß ihm dies grundsätzlich möglich wäre, wenn ihm eine dritte Person zur Seite steht, ergibt sich aus den erstinstanzlichen Feststellungen, die vom Berufungsgericht übernommen wurden. Der Beklagte ist offensichtlich auch in der Lage, für seine Pflege einen entsprechenden Geldbetrag aufzubringen, zumal er derzeit an Ingrid F***** monatlich etwa S 7.000,-- hiefür bezahlt. Auch der Sachverständige Univ. Prof. Dr. L***** hat in seinem Gutachten ausgeführt, daß der Beklagte „bemerkenswert mobil“ sei, auch spazierengehen könne, und „er sich bezüglich An- und Ausziehen weitestgehend als Einarmiger arrangiert habe“ (AS 81). Bei Ingrid F***** hat der Beklagte den Feststellungen nach unter anderem deswegen Wohnung genommen, weil es ihm so leichter möglich ist, zur ambulanten Behandlung in das Landeskrankenhaus S***** zu gelangen. Er hat aber mit Ingrid F***** keinen Mietvertrag abgeschlossen, sodaß er in deren Eigentumswohnung über keine gesicherte Wohnmöglichkeit verfügt. Bedenkt man nun, daß die Wohnung Ingrid F***** lediglich 70 m2 groß ist und diese selbst ausgesagt hat, daß der Beklagte nicht zur Gänze bei ihr wohnen könne, zumal der in W***** studierende Sohn wieder nach S***** zurückkehren werde (AS 63), dann kann im vorliegenden Fall nicht gesagt werden, daß der Beklagte in seine Mietwohnung nicht mehr zurückkehren werde. Etwa fünf Monate nach krankheitsbedingter Wohnungsnahme bei Ingrid F***** - und auf diesen Zeitpunkt ist abzustellen - muß aufgrund der hier vorliegenden Verfahrensergebnisse von einer vorübergehenden Abwesenheit des Mieters gesprochen werden. Auch der Umstand, daß Ingrid F***** nicht bereit ist, zu ihm in die streitgegenständliche Mietwohnung zu ziehen, besagt nicht, daß der Beklagte nicht dorthin zurückkehren werde. Es ist vielmehr durchaus möglich, daß der Beklagte seinen Lebensabend in der von ihm seit vielen Jahren benützten Mietwohnung verbringen möchte, hat er bezüglich der Möglichkeit der ständigen Pflege auch nachgewiesen, daß ihm eine Pflegemöglichkeit zur Verfügung stehen werde, zumal er sich ja auch jetzt in der Wohnung der Ingrid F***** über deren Pflege hinaus der Betreuung durch eine Hauskrankenpflegerin bedient, welche Möglichkeit ihm zweifelsohne auch in der Mietwohnung zur Verfügung stünde. Die Nichtbenützung (bzw. lediglich sporadische Benützung) der aufgekündigten Wohnung stellt sohin zumindest im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung eine absehbare, nur vorübergehende Unterbrechung dar. In Anbetracht dessen erweist sich die Aufkündigung als nicht berechtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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