Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen wird die Aufkündigung K 28/87-1 des Erstgerichtes aufgehoben und das Klagebegehren, die Beklagten seien schuldig, die aufgekündigte Wohnung im Hause Kreuzplatz 24, Bad Ischl, links vom Stiegenaufgang im 3. Stock gelegen, bestehend aus einem Schlafzimmer, einem Zimmer, einer Küche und einem Abstellraum unter der Dachbodenstiege und der Mitbenützung des WC am Gang des 3. Stockes binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu räumen und von ihren Fahrnissen geräumt dem Kläger zu übergeben,
abgewiesen.
Der Kläger ist schuldig, den Beklagten je zur Hälfte die mit S 8.475,16 bestimmten Verfahrenskosten (einschließlich Barauslagen S 2.536,-- und Umsatzsteuer S 539,92) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Hälfteeigentümer der Liegenschaft 4820 Bad Ischl, Kreuzplatz Nr. 23. Die Beklagten sind Mieter der im dritten Stock des Hauses befindlichen Wohnung, die aus einem Schlafzimmer, einem Zimmer, einer Küche und einem Abstellraum besteht.
Der Kläger, der das Haus allein verwaltet, kündigte mit ausdrücklicher Zustimmung der zweiten Hälfteeigentümerin den Beklagten die Wohnung für den 31. Jänner 1988 aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG gerichtlich auf, weil die Beklagten nach seiner Information die Wohnung nicht benützten. Die Beklagten beantragten die Aufhebung der Aufkündigung. Im Gegensatz zur Behauptung des Klägers werde die Wohnung ständig von ihnen benützt. Sie hätten zwar in Wels ein Zimmer, dieses sei aber bloß 12 m2 groß und diene nur als Nebenwohnsitz.
Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die Beklagten, die Wohnung binnen 14 Tagen zu räumen und dem Kläger geräumt zu übergeben. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:
Die Beklagten haben etwa seit dem Jahre 1945 die Wohnung vom Kläger gemietet. Die Zweitbeklagte hat seit dem Jahr 1965 in Wels, Maria Theresia-Straße Nr. 4, ein Untermietzimmer; beide Beklagte haben dort seit dem 31. Jänner 1979 ihren Nebenwohnsitz. Bis in die 80-iger-Jahre hinein lebten sie aber ständig in Bad Ischl und hielten sich nur vorübergehend, nie aber für längere Zeit in Wels auf.
Dies änderte sich seit Herbst 1986. Die Zweitbeklagte erlitt bei einem Unfall am 22. Februar 1986 mehrfache Knochenbrüche und mußte bis 23. September 1986 Stützverbände tragen. Am 9. August und 1. Oktober 1986 erlitt sie zwei weitere Unfälle, die bis März 1987 ärztlich behandelt wurden. Der Erstbeklagte ist schwer krank und weitgehend pflegebedürftig. Er wird von der Erstbeklagten versorgt und will dort sein, wo sich diese aufhält. Seit 2. September 1986 bewohnt die Erstbeklagte mit dem Zweitbeklagten das Untermietzimmer in Wels, kommt aber in ein- bis zweiwöchentlichen Abständen tageweise nach Bad Ischl, um die Wohnung durchzulüften und verschiedene Sachen aus der Wohnung nach Wels und von dort nach Bad Ischl zu bringen. Der Erstbeklagte ist seit Mai 1987 gehunfähig und derzeit wieder in Spitalsbehandlung, das Ende seiner Bettlägrigkeit kann nicht abgesehen werden; ebenso ist es nicht absehbar und ungewiß, wann er wieder in der Lage sein wird, nach Bad Ischl zuzureisen. Er leidet an einem Carcinom; die erforderliche radikale Operation lehnt der Erstbeklagte jedoch ab. Er leidet auch an Beingeschwüren und befindet sich derzeit im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz in Wels. Im Jahr 1987 konnte in der Wohnung in Bad Ischl kein Gasgebrauch festgestellt werden; es gab zwischen 10. März 1987 und 8. März 1988 auch keinen Stromverbrauch. Im Zeitraum 10. März 1986 bis 10. März 1987 betrug der Stromverbrauch nur 28 Kwh, dagegen in der Zeit vom 24. Oktober 1985 bis 10. März 1986 noch 167 Kwh. Anläßlich des gerichtlichen Augenscheines am 28. März 1988 waren die Möbelstücke mit Tüchern abgedeckt; es standen zahlreiche Kartons und Schachteln herum, in denen diverse Gegenstände eingelagert waren. Die Vorhänge waren abgenommen, auf dem Boden abgelegt und ebenfalls mit Tüchern zugedeckt. Die Wohnung wirkte als schon längere Zeit nicht mehr bewohnt.
Rechtlich erachtete das Erstgericht den Kündigungsgrund des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG als gegeben, weil eine Rückkehr der Beklagten in diese Wohnung ungewiß sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt und erklärte die Revision nicht für zulässig. Seiner Auffassung nach könne dahingestellt bleiben, ob die Parteien aus beiderseitigen gesundheitlichen Gründen oder mit Rücksicht auf den ernstlich erkrankten Erstbeklagten die aufgekündigte Wohnung nicht benützten; es sei nach den Beweisergebnissen nicht damit zu rechnen; daß sie in absehbarer Zeit in die Wohnung zurückkommen würden, so daß der Kündigungsgrund nach § 30 Abs. 2 Z 6 MRG verwirklicht sei. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, die Revision zuzulassen und in der Sache selbst dahin zu erkennen, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, deren Erstattung ihm anheimgestellt wurde, die außerordentliche Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil die angefochtene Entscheidung mit den Grundsätzen der Rechtsprechung zum schutzwürdigen Interesse iS des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG nicht im Einklang steht; sie ist auch berechtigt.
Die wörtliche Übernahme des § 19 Abs. 2 Z 13 MG durch § 30 Abs. 2 Z 6 MRG gestattet die Anwendung der bisherigen Rechtsprechung auf den geltend gemachten Kündigungsgrund (6 Ob 618/82 ua). Sie ist davon geprägt, daß ein schutzwürdiges Interesse des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages dann bejaht wird, wenn es gegenwärtig vorliegt oder doch in naher Zukunft zu erwarten ist (MietSlg. 22.414; MietSlg. 26.308 uza). Berücksichtigt man die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen in ihrem gesamten Sinngehalt, erscheint der Schluß nicht gerechtfertigt, daß die Beklagten nicht die ernstliche Absicht hätten, nach Beendigung des durch Unfall und Krankheit verursachten Ausnahmezustandes wieder in ihre seit dem Jahre 1945 gemietete Wohnung zurückzukehren. Sie verfügen in Wels, dem Ort der ärztlichen Behandlung des Erstbeklagten, nur über ein Untermietzimmer von 12 m2 Wohnfläche und die Zweitbeklagte fährt trotz ihrer verschiedentlichen Gehbehinderungen in ungefähr wöchentlichen Abständen in die Mietwohnung nach Bad Ischl, um dort nach dem Rechten zu sehen. Das Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages ist evident und auch schutzwürdig, weil derzeit die durch Krankheit geprägte überaus mißliche Lebenslage der Beklagten im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen als eine solche vorübergehender Natur beurteilt werden muß.
Der Revision war daher Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.
Der Kostenausspruch beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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