OGH 1Ob601/90

OGH1Ob601/9019.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*** Gebäude- und Betonsanierungsgesellschaft mbH, Auhof 22, 1130 Wien, vertreten durch Dr. Brigitte Birnbaum und Dr. Rainer Toperczer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei W*** W*** Farben Gesellschaft mbH & Co KG, Löwenzahnweg 9-11, 4021 Linz, vertreten durch Dr. Walter Haslinger, Dr. Norbert Nagele, Dr. Klaus Haslinger, Dr. Christoph Szep und Dr. Alexander Hasch, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 242.051,- s.A. und Feststellung (Streitwert S 200.000,-) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 2. März 1990, GZ 5 R 128/89-11, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 6. Juni 1989, GZ 7 Cg 86/89-5, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Partei bestellte bei der beklagten Partei ein näher bezeichnetes Beschichtungsmaterial, welches auch bei einer im Beisein eines Technikers der beklagten Partei durchgeführten Erprobung nicht die erforderliche durchgehende Haftzugfestigkeit aufwies. Daraufhin trat die klagende Partei vom Vertrag zurück. Die beklagte Partei erklärte sich damit einverstanden, nahm die Ware zurück und stellte der klagenden Partei keine Rechnung über die gelieferte Ware aus.

Mit der vorliegenden Klage begehrte die klagende Partei Schadenersatz wegen "Schlechtlieferung" durch Zahlung eines Betrages von S 242.051,- s.A. und die Feststellung, daß die beklagte Partei für alle künftigen Schäden, die der klagenden Partei aus der Schlechtlieferung entstanden seien, zukünftig hafte. Dazu brachte sie vor: Die beklagte Partei habe mit Schreiben vom 18. 8. 1988 eine Rechnung erhalten, mit welcher Schadenersatz aus Schlechterfüllung begehrt werde. Die klagende Partei habe im Rahmen der Schadensminderungspflicht bei einem anderen Unternehmen Material besorgt und dieses zur Fertigstellung ihrer Arbeiten verwendet. Durch die Schlechtlieferung der beklagten Partei sei ihr der Aufwand für die Ersatzvornahme entstanden, aber auch künftiger Schaden zu erwarten, sodaß sie ua auch wegen drohender Verfristung ein rechtliches Interesse an der Feststellung der künftigen Haftung der beklagten Partei habe.

Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Soweit die klagende Partei im Zusammenhang mit dem - von der beklagten Partei akzeptierten - Vertragsrücktritt Ersatzansprüche fordere, hätte sie diese bereits in der Klage detailliert darzustellen gehabt und im weiteren deren Höhe und Kausalität unter Beweis zu stellen. Aus der Klage sei der im Urteilsbegehren genannte Betrag nicht ableitbar, so daß die Klage schon wegen Unschlüssigkeit "a limine zurückzuweisen" wäre. Ein allenfalls aus dem Deckungsgeschäft denkbarer Schaden der klagenden Partei werde aber (aus dazu näher dargelegten Gründen) ebenso bestritten wie ein Feststellungsinteresse der klagenden Partei.

In einem vorbereitenden Schriftsatz stellte die klagende Partei Erörterungen über das Scheitern des der Klage zugrundeliegenden Kaufvertrages an und verwies ua darauf, daß die Detaillierung des Schadens der beklagten Partei aus der unter einem vorgelegten Korrespondenz seit 18. 8. 1988 bestens bekannt sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bei einvernehmlicher Vertragsaufhebung käme § 921 Satz 1 ABGB nur bei Schadenersatzvorbehalt zur Anwendung, welchen die klagende Partei nicht einmal behauptet habe. Die Klage sei aber auch wegen fehlender Konkretisierung des Klagsbetrages unschlüssig. Es sei Sache der anwaltlich vertretenen klagenden Partei, ein zur Stützung ihrer Behauptungen ausreichendes Vorbringen zu erstatten. Der bloße Verweis auf Urkundeninhalte ersetze ein derartiges Vorbringen nicht. Das Berufungsgericht hob infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Erstgerichtes auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Das Einverständnis des Lieferanten mit dem als berechtigt erkannten Rücktritt des Bestellers erzeuge nicht dieselben Rechtsfolgen wie eine (der Entscheidung EvBl. 1988/93 zugrunde gelegene) Vertragsaufhebungsvereinbarung. Die im erstgerichtlichen Verhandlungsprotokoll enthaltene Außerstreitstellung betreffe nur die Tatsache der Einwilligung der beklagten Partei in den von der klagenden Partei einseitig erklärten Vertragsrücktritt, nicht aber die rechtliche, von den Parteien nicht vollzogene Subsumtion dieser Einwilligung als "einvernehmliche Vertragsaufhebung". Ohne nähere Erörterung der konkreten Umstände sei eine solche Vertragsaufhebung nicht anzunehmen. Primär komme es auf die Auslegung des Übereinkommens der Streitteile im Zusammenhang mit der Aufhebung des vorliegenden Vertrages an. Aber auch in der Frage der Konkretisierung der Klagsansprüche habe das Erstgericht seiner Pflicht zur materiellen Prozeßleitung gemäß § 182 Abs.1 ZPO nicht entsprochen. Diese Pflicht gehe zwar nicht so weit, die klagende Partei zu einer Klagsänderung anzuleiten, doch dürfe ein unschlüssiges Klagebegehren erst nach vorangegangener erfolglos gebliebener richterlicher Anleitung (zur Schlüssigstellung) abgewiesen werden. Selbst wenn es zutreffe, daß der bloße Hinweis auf den Inhalt vorgelegter Urkunden fehlendes Parteienvorbringen nicht ersetze, wäre der Erstrichter verpflichtet gewesen, die auf den der beklagten Partei angeblich hinlänglich bekannten Inhalt der vorgelegten Korrespondenz verweisende klagende Partei selbst angesichts ihrer anwaltlichen Vertretung in der aufgezeigten Richtung zu belehren und diese Unvollständigkeit und Unschlüssigkeit des Klagebegehrens zu erörtern. Da die Judikatur über das Ausmaß und die Grenzen der Anleitungspflicht des Gerichtes nach § 182 ZPO nicht einheitlich sei, sei der Rekurs für zulässig zu erklären.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes erhobene Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß die eingangs wiedergegebene Außerstreitstellung der Parteien nicht eindeutig erkennen läßt, ob sich die beklagte Partei damit dem für berechtigt erkannten Vertragsrücktritt der klagenden Partei beugte, ohne daß damit auch jegliche (Schaden-)Ersatzansprüche der klagenden Partei miterledigt worden wären, oder ob es zwischen ihnen zu einem, auch alle Ersatzansprüche miterledigenden contrarius consensus gekommen ist. Die vom Erstgericht für seinen Standpunkt herangezogene Entscheidung EvBl. 1988/93 (des auch hier erkennenden Senates) stellte klar, daß es sich dort um einen solchen contrarius consensus handelte, so daß es dort eines ausdrücklichen Vorbehalts weiterer Schadenersatzforderungen bedurft hätte. Im vorliegenden Fall liegt aber ein einseitiger Vertragsrücktritt vor, den die beklagte Partei nur zur Kenntnis nahm. Die vorzitierte Entscheidung erklärt aber selbst im Falle einvernehmlicher Vertragsaufhebung Fälle als denkbar, in welchen das Verschulden des anderen Teiles (an der Nichterfüllung des Vertrages) so klar und offensichtlich sein könne, daß auch ohne besonderen Vorbehalt ein Einverständnis darüber angenommen werden könnte, daß die Vertragsaufhebung Schadenersatzansprüche des einen (unschuldigen) Teiles unberührt lassen sollte. Der vorliegende Sachverhalt böte, für eine solche Annahme Anhaltspunkte, hat sich doch selbst die beklagte Partei in ihrer Klagebeantwortung nicht gegen jegliche Schadenersatzansprüche der klagenden Partei unter Hinweis auf die vertragliche Aufhebungsvereinbarung ausgesprochen, sondern solche Ansprüche aus einem ungünstigen Deckungsgeschäft als möglich erachtet, wenn auch in der Sache bestritten.

Das Gericht hat gemäß § 182 Abs.1 ZPO darauf hinzuwirken, daß die für die Entscheidung erheblichen tatsächlichen Angaben gemacht und unzureichende Angaben über die zur Begründung oder Bekämpfung des Anspruchs geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweise ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur wahrheitsgemäßen Feststellung des Tatbestandes der von den Parteien behaupteten Rechte und Ansprüche notwendig erscheinen (Anleitungs- und Aufklärungspflicht = materielle Prozeßleitung). Diese Bestimmung gilt nicht allein wegen ihrer Einordnung in die Bestimmungen über den Anwaltsprozeß auch gegenüber anwaltlich vertretenen Personen. Die Grenzen der materiellen Prozeßleitungspflicht sind einer anwaltlich vertretenen Partei gegenüber aber bereits dann erreicht, wenn die Partei auf die Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit ihrer Angaben hingewiesen und zu ergänzendem Vorbringen oder zur Aufklärung aufgefordert wird, und nicht etwa erst dann, wenn der betroffenen Partei konkretes Vorbringen oder konkrete Antragstellung anheimgestellt wurde. Erst eine derartige erfolglos gebliebene Aufforderung des Gerichtes rechtfertigt die Wahrnehmung der Unvollständigkeit oder Unschlüssigkeit eines Klagebegehrens durch dessen Abweisung (JBl. 1990, 802; RZ 1978/120; JBl. 1975, 369; SZ 41/58; JBl. 1965, 151; Fasching, Lehrbuch2 Rz 655, 656). Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht in der mündlichen Verhandlung derartige Aufklärungen und Anleitungen an die klagende Partei in Verletzung der dargestellten Prozeßleitungspflicht nicht erteilt. Durch die von der beklagten Partei in der Klagebeantwortung vorgebrachten Behauptungen der Unschlüssigkeit und Unvollständigkeit der Klagsangabe wurde es seiner gesetzlichen Verpflichtung gemäß § 182 Abs.1 ZPO nicht enthoben.

Der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes entspricht demnach der Sach- und Rechtslage.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.1 ZPO.

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