OGH 1Ob598/95

OGH1Ob598/9529.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt W*****, vertreten durch Dr.Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Rainer H*****, vertreten durch Dr.Walter Lichal, Rechtsanwalt in Wien, wegen Entfernung, Räumung und Unterlassung (Streitwert S 90.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 3. Mai 1995, GZ 17 R 71/95-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 20.Dezember 1994, GZ 21 Cg 52/94-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben; die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt wie folgt lautet:

"Die beklagte Partei ist schuldig,

a) den an der Grenze des Grundstücks 477/28 KG B***** zur P*****gasse in W***** hin errichteten Holzzaun samt Tor zu entfernen und

b) dieses Grundstück von eigenen Fahrnissen zu räumen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig,

a) dieses Grundstück der klagenden Partei geräumt zu übergeben und

b) dessen Benützung als Zufahrt für Kraftfahrzeuge zu unterlassen,

wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei an anteiligen Prozeßkosten S 25.244,92 (darin enthalten S 3.869,70 Umsatzsteuer und S 2.026,66 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Hingegen ist die klagende Partei schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die anteilig mit S 3.973,32 bestimmten Barauslagen zu ersetzen".

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei begehrte die Entfernung der an der Grenze des Grundstücks 477/28 zur P*****gasse hin errichteten Holzzauns samt Tor, die Räumung dieses Grundstücks und dessen Übergabe sowie die Unterlassung der Benutzung des Grundstücks als Zufahrt für Kraftfahrzeuge. Sie sei Eigentümerin des Grundstücks. Dieses Wegegrundstück stelle sich in der Natur als Wiese dar, es sei zur P*****gasse hin eingefriedet. Die Einfriedung sei ebenso wie ein in sie eingebautes Tor vom Beklagten rechtswidrigerweise errichtet worden. Der Beklagte ist Eigentümer des Nachbargrundstücks EZ 400 KG B***** (früher Grundstück 477/14). Er erhielt dieses Grundstück mit Schenkungsvertrag vom 19.8.1975 von seiner Urgroßmutter Anna F*****. Da der Kläger damals minderjährig war, wurde er beim Vertragsabschluß von seinem Vater vertreten.

Die klagende Partei brachte vor, daß der Beklagte das Grundstück 477/28 zur Ablagerung von Gerümpel, Zentralheizungskörpern, Eisenbahnschwellen udgl benutze. Weiters diene das genannte Grundstück dem Beklagten als Zufahrt für Kraftfahrzeuge zu seinem eigenen Grundstück.

Der Beklagte wendete ursprünglich ein, das Grundstück sei anfangs der 30-iger Jahre von seinen Urgroßeltern (Leopold und Anna F*****) angekauft und als wirtschaftliche Einheit mit der EZ 400 benutzt worden. Auch die Einfriedung des Grundstücks bestehe bereits seit den 30-iger Jahren. Seine Urgroßeltern seien stets der Meinung gewesen, Eigentümer des Grundstücks zu sein. Bei der Verhandlungstagsatzung vom 23.9.1993 brachte der Beklagte ergänzend vor, er habe zumindest die Servitut des unentgeltlichen Gesamtgebrauchs des Grundstücks einschließlich des Rechts, dieses Grundstück einzufrieden, als Grunddienstbarkeit ersessen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme des Begehrens auf Übergabe der vom Beklagten zu räumenden Liegenschaft statt. Es stellte fest, die klagende Partei sei Eigentümerin des Grundstücks, bei dem es sich um öffentliches Gut handle. Der Beklagte benutze das Grundstück als Zufahrt für Kraftfahrzeuge und als Lagerstätte. Erst nach dem Jahre 1960 sei das Grundstück von den Urgroßeltern des Beklagten zur P*****gasse hin mit einem Gitter abgeschlossen worden. Im Jahre 1974 habe der Vater des Beklagten das weghebbare Gitter durch ein Tor aus Holzlatten ersetzt. Das Grundstück sei immer eine "Naturwiese" gewesen, ein konkretes Erfordernis zum Bau einer Straße sei nicht vorgelegen. Die Urgroßeltern des Beklagten hätten schon ab Inbesitznahme des Grundstücks gewußt, daß es nicht in ihrem Eigentum stehe, sondern daß dort vielmehr die Errichtung einer Straße geplant gewesen sei. Dem Vater des Beklagten sei spätestens am 8.7.1974 bekannt gewesen, daß das Grundstück als öffentliches Gut der klagenden Partei im Grundbuch eingetragen ist.

Aus all dem sei zu folgern, daß der Beklagte das Eigentum am Grundstück nicht durch Ersitzung originär erworben habe. Weder die Urgroßeltern des Beklagten noch dessen Vater, dessen Wissen dem Beklagten als dessen gesetzlichem Vertreter zuzurechnen sei, seien bei der Inbesitznahme des Grundstücks gutgläubig und redlich gewesen. Das Vorbringen des Beklagten, seine Urgroßeltern seien redliche Sachbesitzer mit Eigentümerwillen gewesen, schließe Dienstbarkeitsbesitz und redliche Dienstbarkeitsersitzung aus. Lediglich das Begehren, der Beklagte sei schuldig, das Grundstück geräumt zu übergeben, sei abzuweisen, weil eine vertragliche Übergabsverpflichtung nicht existiere.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Gerichts erster Instanz mit der Maßgabe, daß es die Benützung des Grundstücks als Zufahrt für Kraftfahrzeuge nicht generell untersagte, sondern den Beklagten schuldig erkannte, er habe die Benutzung dieses Grundstücks ausgenommen im Zusammenhang mit dem Gemeingebrauch als Zufahrt für Kraftfahrzeuge zu unterlassen. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und führt in Erledigung der Rechtsrüge aus, dem Beklagten fehle es an der Redlichkeit zur Ausübung einer Servitut. Wer infolge Bewußtseins, nicht Eigentümer eines Grundstücks zu sein, kein Eigentum ersitzen könne, vermöge mangels Redlichkeit auch nicht eine Servitut zu ersitzen, indem er "scheinbar" der Meinung sei, eigenen Grund zu benutzen. Der Umstand, daß die klagende Partei der Nutzung des Grundstücks durch diesen bzw dessen Rechtsvorgängern jahrelang nicht widersprochen habe, vermöge die Redlichkeit des Ersitzungsbesitzers nicht zu ersetzen. Daß dem Beklagten oder seinen Rechtsvorgängern schlüssig ein Servitutsrecht eingeräumt worden wäre, sei in erster Instanz nicht behauptet worden, der Beklagte habe sich vielmehr nur auf die Ersitzung der Grunddienstbarkeit berufen. Eine Prüfung dahin, ob in der Unterlassung der klagenden Partei (mangelnde Untersagung der Besitzausübung) eine schlüssige Einräumung einer Servitut zu erblicken sei, habe demnach nicht stattzufinden. Das Unterlassungsbegehren sei nur im Zusammenhang mit dem behaupteten Eigentum bzw der Behauptung der Ersitzung einer Servitut zu sehen und tangiere den Gemeingebrauch nicht. Der Beklagte habe sich auch nie auf die Ausübung des Gemeingebrauchs an diesem Grundstück berufen. Der Urteilsspruch sei lediglich durch den Passus "ausgenommen im Zusammenhang mit dem Gemeingebrauch" zwecks Verdeutlichung zu ergänzen. Das Entfernungsbegehren sei berechtigt, weil der Beklagte die Störung des Eigentums der klagenden Partei durch die Aufrechterhaltung des Zustandes zu verantworten habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist teilweise berechtigt.

Die vom Revisionswerber aufgeworfene Frage der "Beweislastverteilung" bei Eigentumsfreiheitsklagen gemäß § 523 ABGB stellt sich im vorliegenden Fall nicht. Die Vorinstanzen haben als erwiesen angenommen und festgestellt, daß die Rechtsvorgänger des Beklagten bzw dessen für ihn handelnder gesetzlicher Vertreter in Kenntnis davon waren, daß das Grundstück nicht in ihrem Eigentum steht, daß sie also das Grundstück nicht als redliche Besitzer nutzten. Fragen der Beweislastverteilung stellen sich nur dann, wenn das Gericht die für die Entscheidung wesentlichen Fragen nicht oder nicht vollständig feststellen kann. Nur in einem solchen Fall ist nach den Regeln über die Verteilung der Beweislast zu beurteilen, welcher der Parteien es zum Nachteil gereicht, daß ein für den gesetzlichen Tatbestand wesentliches Sachverhaltselement nicht erwiesen werden konnte. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht über alle entscheidungswesentlichen Umstände Feststellungen getroffen, der Frage der Beweislastverteilung kommt daher keine Bedeutung zu.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, er könne zur Entfernung des Zauns nicht verhalten werden, weil er diesen nicht errichtet bzw die Errichtung nicht veranlaßt habe; er sei auch nicht Gesamtrechtsnachfolger des Zaunerrichters. Dabei übersieht der Beklagte, daß er sich des Eigentums, zumindest aber einer zu seinen Gunsten bestehenden Dienstbarkeit an der umstrittenen Liegenschaft berühmt. Er behauptet, der Zaun sei rechtmäßig errichtet, und verweigert dessen Entfernung. Der einen unerlaubten Zustand aufrecht hält, ist für die Eigentumsfreiheitsklage selbst passiv legitimiert (SZ 63/3; 4 Ob 514/85; ZVR 1983/123).

Der Beklagte wendet weiters ein, die klagende Partei habe weder behauptet noch bewiesen, daß den Rechtsvorgängern des Beklagten bei der Ausübung eines Servitutsrechtes der gute Glaube gefehlt habe. Entsprechende Feststellungen seien von den Vorinstanzen nicht getroffen worden. Nun hat die klagende Partei behauptet, daß das Grundstück in ihrem Eigentum stehe, daß es öffentliches Gut sei (AS 31) und dem Gemeingebrauch gedient habe (AS 55). Weiters wurde behauptet und bewiesen, daß die Rechtsvorgänger des Beklagten bzw dessen für ihn handelnder gesetzlicher Vertreter gewußt hätten, daß das Grundstück nicht in ihrem Eigentum steht, daß sie also das Grundstück nicht als redliche Besitzer nutzten. Daraus ergibt sich logisch zwingend, daß es den Rechtsvorgängern des Beklagten und ihm selbst auch am guten Glauben an der Ausübung einer - entsprechenden - Servitut gemangelt hat (siehe hiezu S 15 des Berufungsurteils). Der Beklagte hat auch nur unreflektiert vorgebracht, zumindest die "Servitut des unentgeltlichen Gesamtgebrauches...." ersessen zu haben (AS 55). Durch die positive Kenntnis von der Unrechtmäßigkeit des Besitzes ist auch der gute Glaube an der behaupteten Servitut auszuschließen (1 Ob 597/89 ua).

Letztlich behauptet der Beklagte, das Unterlassungsbegehren sei als unschlüssig abzuweisen, weil die Zufahrt mit einem PKW im Rahmen des Gemeingebrauchs nach außen hin gleich in Erscheinung trete wie die Zufahrt aufgrund eines (Servituts- oder Eigentums-)Rechtes. Dem ist beizupflichten. Schon nach dem Vorbringen der klagenden Partei (ON 8) und auch nach den Feststellungen besteht Gemeingebrauch am Grundstück als öffentliches Gut, was bedeutet, daß der Beklagte im Rahmen dessen zur Zufahrt mit einem Kraftfahrzeug berechtigt ist. Auf den Rechtsgrund der Berechtigung zur Zufahrt kommt es nicht an, der Beklagte kann zur begehrten Unterlassung tatsächlich nicht verhalten werden. Das unschlüssige Unterlassungsbegehren ist demnach abzuweisen.

In teilweiser Stattgebung der Revision waren die Urteile der Vorinstanzen spruchgemäß abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die klagende Partei ist etwa mit einem Drittel ihres Begehrens (Unterlassungsbegehren, Begehren auf Übergabe der zu räumenden Liegenschaft) unterlegen, weshalb ihr nur ein Drittel der Prozeßkosten zu ersetzen ist. Überdies hat sie dem Beklagten ein Drittel der in § 43 Abs 1 ZPO genannten Gebühren zu ersetzen.

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