OGH 1Ob565/88

OGH1Ob565/8818.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der kagenden Partei Karin W***, Schülerin, Wien 21., Walter Schwarzacherstraße 7/67/15, vertreten durch Dr. Roland Deißenberger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Reinhard K***, Kaufmann, Schladming, Untertal 70, 2. Karl K***, Schitrainer, Schladming, Koburgstraße, beide vertreten durch Dr. Robert Plaß, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert 325.671 S sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 25. Jänner 1988, GZ 4 R 265/87-58, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 30. Juni 1987, GZ 6 Cg 41/87-48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 12.467,23 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon 1.133,38 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten betrieben am 9.März 1984 auf der Planai im Gemeindegebiet von Schladming eine 300 m lange, mit 20 Richtungstoren versehene permanente Rennstrecke, auf der mit Hilfe einer Start- und Zieleinrichtung "WISBI (Wie schnell bin ich)-Rennen" durchgeführt werden konnten. Jeder Benützer konnte gegen Entrichtung eines Entgelts von 10 S an Hand der installierten Zeitnehmung seine Laufzeit ermitteln. Die Rennstrecke war von der für den sonstigen Publikumslauf vorgesehenen Piste getrennt. Nach der durchschnittlichen Neigung der Abfahrtsstrecke (14 bis 18 Grad) ist sie gemäß der ÖNORM S 4611 als leichte Abfahrtsstrecke einzustufen. Das Areal der permanenten Abfahrtsstrecke wurde alle zwei bis drei Tage von Bediensteten der Planai Bergbahnengesellschaft präpariert. Am Unfallstag war die Rennstrecke stark ausgespurt; sie wies stellenweise wannenartige, teilweise vereiste Spurmulden auf, die zwischen 0,25 m und 0,40 m tief waren; der Schnee war hart und griffig. Der Pistenzustand konnte vom Start weg von jedem Teil der Strecke ohne Sichtbehinderung eingesehen und erkannt werden.

Die Klägerin benützte am 9.März 1984 nach Entrichtung des Entgelts von 10 S die Rennstrecke. Die Klägerin hat seit ihrem 9. Lebensjahr an verschiedenen Rennen des Österreichischen Schivereins (ÖSV) teilgenommen und Rennläuferkurse für Slalom und Riesenslalom absolviert. Bevor sie in die Piste einfuhr, prüfte sie deren Zustand; dabei konnte sie auch die Wannenbildung feststellen; sie meinte jedoch, den Kurs unter den gegebenen Verhältnissen ohne Schwierigkeit bewältigen zu können. Während der Abfahrt verlor sie zufolge des von ihr eingehaltenen Tempos die Kontrolle über die Schi, fuhr über den rechten Pistenrand hinaus und in voller Fahrt gegen einen 7 bis 10 m von der Torstange entfernt außerhalb der Piste stehenden Baum. Die Klägerin wurde dabei schwer verletzt. Die Entfernung der Torstange vom Pistenrand betrug an der Unfallstelle 5 bis 8 m.

Die Klägerin begehrt, die Beklagten schuldig zu erkennen, ihr den Betrag von 305.671 S sA an Schadenersatz zu bezahlen. Sie stellte weiters das Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für alle ihr künftig aus dem Unfall vom 9.März 1984 erwachsenden Schäden. Die von ihr befahrene Rennstrecke sei ungenügend abgesichert gewesen; insbesondere seien trotz des nahe angrenzenden Waldes keine Fangnetze angebracht gewesen, um beim Abkommen von der Strecke eine Kollision zu verhindern. Die Piste sei auch nicht genügend präpariert gewesen; die Torstangen seien im Unfallsbereich zu nahe an den Waldrand versetzt gewesen, so daß ein Sturz zwingend zur Kollision mit den Bäumen habe führen müssen. Den Beklagten falle ein grob fahrlässiges Verhalten zur Last. Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens. Die Einrichtung der permanenten Rennstrecke habe allen Sicherheitsvorkehrungen Rechnung getragen. Es sei nicht zumutbar, jeden einzelnen Baum entlang der Rennstrecke abzusichern. Die Piste werde alle zwei bis drei Tage neu präpariert; die Richtungstore seien in ausreichendem Abstand von 7 bis 8 m zum äußeren Streckenrand versetzt gewesen; übermäßige Geschwindigkeiten seien auf unzureichendes Können zurückzuführen. Die Klägerin sei nur zufolge eines Fahrfehlers von der Piste abgekommen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Gemäß § 1319 a ABGB hafte der Halter eines Weges für den Ersatz des Schadens, der durch den mangelhaften Zustand des Weges verursacht wird, sofern der eingetretene Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet wurde. Die Bestimmung des § 1319 a ABGB sei auch auf den Halter einer Schipiste anzuwenden, doch dürften die Pflichten des Pistenhalters nicht überspannt werden. Grundsätzlich sei von ihm nur zu fordern, den Benützern der Schipiste vor atypischen Gefahren zu schützen. Für eine mit Toren ausgeflaggte Rennstrecke sei es geradezu typisch, daß Wannenbildungen und witterungsbedingt eisige Stellen auftreten. Der Zustand der Piste sei für die mj. Klägerin auch erkennbar gewesen; sie hätte diesem Zustand durch eine entsprechende Fahrweise Rechnung zu tragen gehabt. Der Pistenverlauf sei auch deutlich erkennbar gewesen; für einen Sturzraum neben der Piste brauche der Pistenerhalter grundsätzlich nicht Sorge zu tragen. Auch im Pistenrandbereich, der im vorliegenden Fall eindeutig erkennbbar gewesen sei, seien nur solche Hindernisse zu beseitigen, mit denen normalerweise nicht gerechnet werden müsse. Daß im Anschluß an den Pistenrand Bäume stehen, sei im alpinen Gelände nicht außergewöhnlich; gegen solche typischen Gefahren brauche der Pistenerhalter keine Vorkehrungen zu treffen. Die Klägerin sei ausschließlich durch die von ihr bei den gegebenen Pistenverhältnissen (Wannenbildungen) zu hohe Geschwindigkeit über die Piste hinausgeraten; hiefür seien die Beklagten nicht verantwortlich zu machen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Klägerin habe gegen Entrichtung eines Entgelts die von den Beklagten betriebene permanente Rennstrecke benützt. Der zwischen den Streitteilen zustandegekommene Vertrag verpflichte die Beklagten als Betreiber der Rennstrecke, die zur Gewährleistung der körperlichen Sicherheit der Benützer nötigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Dazu gehöre neben der Abgrenzung von der allgemeinen Piste die Instandhaltung und Überwachung der Streckenanlage. Eine Verpflichtung zur ständigen Präparierung der Rennstrecke, insbesondere nach Durchfahren eines Läufers unter rennmäßigen Bedingungen, bestehe nicht. Die Präparierung der Strecke an jedem zweiten Tag sei jedenfalls unter den gegebenen Witterungsverhältnissen ausreichend gewesen. Der Unfall sei auch nicht auf eine mangelnde Streckenpräparierung, sondern ausschließlich auf eine den Strecken- und Schneeverhältnissen nicht angepaßte Fahrweise der Klägerin zurückzuführen, die infolge einer zu hohen Geschwindigkeit die Kontrolle über ihre Schi verloren, über den Streckenrand hinausgefahren und in voller Fahrt gegen einen Baum geprallt sei. Die Forderung, der Betreiber einer permanenten Rennstrecke müßte mit dem Sturz eines Rennläufers wegen Überschreitens des Fahrkönnens rechnen und daher jedes nur denkbare Hindernis auch außerhalb der Rennstrecke entsprechend absichern, sei nicht praxisgerecht. Damit würden die Anforderungen an die Sicherungspflicht des Veranstalters überspannt. Auch vom Betreiber einer permanenten Rennstrecke sei nur zu fordern, daß er atypische Gefahrenstellen, insbesondere solche, die nicht von vornherein als solche erkennbar seien, absichere. Rinnen und Mulden im Bereich der Tore seien aber gerade für den Riesentorlauf typisch; mit einer solchen Geländebeschaffenheit müsse jeder Schiläufer rechnen und seine Fahrgeschwindigkeit diesen Geländeverhältnissen anpassen. Den Beklagten sei im vorliegenden Fall der Nachweis gelungen, alles Erforderliche zur Sicherheit der Streckenbenützer getan zu haben; der Unfall sei allein auf den von der Klägerin zu vertretenden Fahrfehler zurückzuführen, so daß dem Klagebegehren Berechtigung nicht zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision der Klägerin kommt Berechtigung nicht zu.

Nach herrschender Auffassung gehören Schipisten zu den Wegen iS des § 1319 a ABGB, so daß deren Halter haftet, wenn zufolge des vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldeten mangelhaften Zustandes der Piste eine Person verletzt wird (EvBl. 1983/90; JBl. 1979, 433; Pichler-Holzer, Handbuch des österreichischen Skirechts 49; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 24 zu § 1319 a; Koziol, österreichsiches Haftpflichtrecht2 II 197). Die von den Beklagten betriebene permanente Rennstrecke wurde von der Klägerin jedoch gegen Entrichtung eines Entgelts, somit im Rahmen eines Vertragsverhältnisses, benützt, so daß die Beklagten auch schon wegen einer nur leicht fahrlässig verschuldeten Verletzung der ihnen obliegenden Pistensicherungspflicht zu haften haben (2 Ob 700/86;

SZ 53/143; ZVR 1982/268; JBl. 1979, 433; Pichler-Holzer aaO 47;

Reischauer aaO Rz 1 und 24 zu § 1319 a). Bei der von der Klägerin befahrenen Piste handelt es sich um eine permanente, für den Riesentorlauf eingerichtete Rennstrecke, die mit elektronischer Zeitnehmung eingerichtet ist (sog. W***trecke). Auch der Betreiber einer solchen Rennstrecke ist verpflichtet, die für derartige Rennen üblichen und zur Gewährleistung der körperlichen Sicherheit der Benützer nötigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Dazu gehört insbesondere die sachgemäße Anlage der Rennstrecke samt Zielauslauf, die deutliche Abgrenzung von der allgemeinen Piste und die gehörige Instandhaltung und Überwachung der Strecke sowie des Betriebes. Der Betreiber hat insbesondere dafür zu sorgen, daß kein Benützer ins Rennen geht, solange ein anderer Benützer die Strecke noch nicht verlassen hat, etwa weil er gestürzt ist oder verletzt wurde (Pichler-Holzer aaO 268).

Im vorliegenden Fall ist zu beurteilen, ob der Halter einer permanenten Rennstrecke verpflichtet ist, den Rand der Rennstrecke so abzusichern, daß ein von der Strecke abkommender Schifahrer nicht gegen die Bäume des angrenzenden Waldes fährt und sich dadurch Verletzungen zuzieht. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, daß bei Beurteilung der Frage, welche Maßnahmen der Pistenerhalter zu treffen hat, auf die Zumutbarkeit Bedacht zu nehmen ist. Es kann nicht verlangt werden, daß der Pistenerhalter bei einer von einem Wald begrenzten Piste jeden Baum absichert (2 Ob 700/86; ZVR 1982/268). Nur gegen knapp neben einem nicht klar erkennbaren Pistenrand befindliche künstliche Hindernisse, z.B. eine scharfkantige Liftstütze, sind Sicherungsmaßnahmen zu treffen (ZVR 1982/268; vgl. Pichler-Holzer aaO 31 insbes. FN 31). Ein besonders gesicherter Sturzraum für einen Schifahrer, der schnell fährt und unkontrolliert über den Pistenrand hinausgerät, muß aber nicht gewährleistet werden (Dittrich-Reindl, Probleme der Pistensicherung, ZVR 1984, 321, 322; Pichler-Holzer aaO 31). Es wird mit Recht die Auffassung vertreten (Berghold, ZVR 1985, 358; Pichler-Holzer aaO 31, 34), daß Schipisten im alpinen Gelände zwangsläufig und daher typisch an Steilhängen, Bäumen, Felsen, Hütten, Leitungsmasten, Gräben oder Bachläufen vorbeiführen; soweit diese Hindernisse rechtzeitig wahrgenommen werden können, bilden sie bei Normalverhalten des Pistenbenützers keine außergewöhnliche Gefahr. Abzusichern ist nur gegen atypische Gefahren, also solche, die bei entsprechender eigenverantwortlicher Aufmerksamkeit des Schifahrers nicht oder erst im Letzten Augenblick wahrgenommen werden können. Jeder Schifahrer muß sein Fahrverhalten so einrichten, daß er selbst bei ungünstigen Bedingungen nicht über den Pistenrand hinausfährt.

Die dargestellten Grundsätze der Pistensicherung sind nach Ansicht des erkennenden Senates auch auf permanente Rennstrecken anzuwenden. Auch auf solchen Pisten muß der Schifahrer so fahren, daß er nicht unkontrolliert über den Pistenrand hinausgerät. Im vorliegenden Fall war das Richtungstor, an dem die Klägerin vorbeifuhr, so weit vom Pistenrand entfernt angebracht, daß bei entsprechender Fahrweise genügend Raum zur Verfügung gestanden wäre. Es ist Sache des eine permanente Rennstrecke benützenden Schifahrers, die Fahrgeschwindigkeit seinem Können anzupassen. Die Gefahr der Überschätzung des eigenen Könnens hat nicht der Halter der Rennstrecke, sondern der Schifahrer selbst zu tragen. Die Anforderungen an die Sicherung solcher Strecken sind daher grundsätzlich die gleichen wie bei gewöhnlichen Pisten. Eine Anbringung von Fangnetzen oder die Abpolsterung der am Rand der Piste stehenden Bäume würde eine Überspannung der Sorgfaltspflicht bedeuten. Solche Maßnahmen sind abzulehnen, weil sie weitere zusätzliche Gefahren schaffen (2 Ob 700/86; Berghold aaO 360), wenn dadurch der Benützer der Rennstrecke verleitet würde, ein noch höheres Sturzrisiko in der falschen Meinung einzugehen, es könne ihm nichts passieren (vgl. das Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen ON 39, S 17). Da der Unfall nicht auf den mangelhaften Zustand der Rennstrecke, sondern allein auf das fahrtechnisch fehlerhafte Verhalten der Klägerin zurückzuführen ist, ist die Abweisung des Klagebegehrens gerechtfertigt. Demzufolge ist der Revision der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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