Spruch:
Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage zum Zwecke des Nachweises des Mitverschuldens der Wiederaufnahmsbeklagten an der Ehescheidung trotz Klagszurücknahme im Vorprozeß, wenn dem Wiederaufnahmskläger erst nach Rechtskraft der aus seinem Alleinverschulden ausgesprochenen Scheidung neue Beweise oder neue Eheverfehlungen der Wiederaufnahmsbeklagten bekanntgeworden sind.
Entscheidung vom 18. Jänner 1950, 1 Ob 548/49.
I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Kläger brachte gegen die Beklagte beim Kreisgericht Leoben zu 8 Cg 541/47 eine Klage auf Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten ein, worin er behauptete, daß die Beklagte ehewidrige Beziehungen zu Kriegsgefangenen unterhalten habe. Bei der Parteienvernehmung im Zuge dieses Prozesses gab er an, die Beklagte habe u. a. überdies ehewidrige Beziehungen zu Mathias B. unterhalten; ob es auch zum Ehebruch gekommen sei, wisse er nicht; im übrigen bestätigte er die Richtigkeit seines Vorbringens über den Umgang seiner Frau mit Kriegsgefangenen. Nachdem die Beklagte die behaupteten ehewidrigen Beziehungen bei ihrer Vernehmung als Partei bestritten hatte, zog der Kläger diese Klage unter Verzicht auf den Anspruch zurück. Daraufhin wurde die Ehe auf Grund der Widerklage der Beklagten aus dem alleinigen Verschulden des Klägers mit Urteil vom 27. Oktober 1948 geschieden. In seiner am 23. Dezember 1948 erhobenen Wiederaufnahmsklage behauptet nun der Kläger, am 7. Dezember 1948 von Dora H. erfahren zu haben, daß die Beklagte schon vor dem Kriege mit Mathias B. Ehebruch begangen habe, und am 17. Dezember 1948 gehört zu haben, daß die Beklagte in den Jahren 1943 bis 1945 mit kriegsgefangenen Engländern regen Umgang gepflogen habe und insbesondere zu einem Engländer namens Walter zumindest in ehewidrigen Beziehungen gestanden sei, wofür er sich unter Anführung einzelner Umstände auf namhaft gemachte Zeuginnen berief. Er stellte in der Klage das Begehren, mit Urteil die Wiederaufnahme des mit Urteil vom 27. Oktober 1948 des Kreisgerichtes Leoben unter 6 Cg 616/48 abgeschlossenen Scheidungsverfahrens zu bewilligen und dieses Urteil dahin abzuändern, daß seine Ehe mit der Beklagten aus deren alleinigem Verschulden geschieden werde.
Das Erstgericht wies die Klage mit der Begründung ab, daß über die Scheidungsklage des Klägers zufolge Rücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht überhaupt nicht durch Urteil erkannt worden sei, der Kläger zufolge dieses Verzichtes die Scheidungsgrunde auch mit einem Mitverschuldensantrag nicht geltend machen könne und er wegen Rückziehung seiner Klage die angestrebte Scheidung aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten überhaupt nicht mehr erreichen könne.
Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil der Berufung nicht Folge und führte in den Entscheidungsgründen aus, der Kläger habe nach seinem Vorbringen im Vorprozeß die ehewidrigen Beziehungen der Beklagten zu kriegsgefangenen Engländern und zu Mathias B. als Scheidungsgrunde geltend gemacht, er behaupte daher in der Wiederaufnahmsklage keine neuen Tatsachen, sondern berufe sich lediglich auf neue Beweismittel. Da der Kläger seine Ehescheidungsklage unter Verzicht auf den Anspruch zurückgezogen, keinen Mitverschuldensantrag gestellt und mit seiner Gattin auch eine vergleichsweise Regelung getroffen habe, könne den vom Kläger behaupteten Tatsachen keine prozeßentscheidende Bedeutung mehr zukommen, zumal auch ein Verzicht auf deren Geltendmachung als Scheidungsgrunde anzunehmen sei. Außerdem sei das auf Feststellung des Alleinverschuldens der Beklagten gerichtete Klagebegehren von vornherein um so mehr verfehlt, als der Kläger selbst nicht behaupten könne, daß ihn an der Scheidung kein Verschulden treffe und daß er keine Scheidungsgrunde gesetzt habe. Selbst wenn er im Vorprozeß einen Mitverschuldensantrag gestellt hätte, wäre sein Vorgehen nicht geeignet, den Prozeßstoff für eine Wiederaufnahmsklage abzugeben, sondern nur einen Berufungsgrund im Rechtsstreit 6 Cg 616/48 zu bilden.
Der Oberste Gerichtshof hob auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Wiederaufnahmsklage gegen alle Arten von Urteilen, auch gegen Anerkenntnis- und Verzichtsurteile nach § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. zulässig (vgl. Pollak, ZPR., 2. Aufl., S. 623, Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 713, und die bei Hermann, ZPO., 9. Aufl., S. 1021, unter Nr. 29 zitierte Entscheidung). Im Sinne des § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. ist maßgebend, daß es der Partei möglich sein muß, neu entdeckte Tatsachen oder Beweismittel, die, wenn damals bekannt, sie veranlaßt hätten, nicht anzuerkennen oder zu verzichten, weil diese eine andere, ihr günstigere Entscheidung bewirkt hätten, zur Beseitigung eines unrichtigen Urteiles geltend zu machen (vgl. Sperl, a. a. O., S. 713). Dies muß auch gelten, wenn in einem Ehescheidungsverfahren die beklagte Partei einen Mitverschuldensantrag aus dem Gründe zurückgezogen oder gar nicht gestellt hat, weil ihr damals bestimmte Tatsachen oder Beweismittel nicht bekannt waren. Ob diese Tatsachen oder Beweismittel mit Berufung geltend gemacht werden könnten, wäre überhaupt nur dann von Bedeutung, wenn sie dem Wiederaufnahmskläger innerhalb der Berufungsfrist bekanntgeworden sind. Der widerbeklagte Ehescheidungskläger kann neben seiner Klage oder unter Zurücknahme derselben einen Mitverschuldensantrag nach § 60 Abs. 3 EheG. stellen (vgl. Volkmar - Antoni, Eherecht, S. 238). Hätte der Kläger seine Scheidungsklage unter Anspruchsverzicht zurückgezogen und zugleich einen Mitverschuldensantrag gestellt, so hätte dies bedeutet, daß er zwar auf den Anspruch, die Ehescheidung aus dem Verschulden der Beklagten wegen dieser Verfehlungen zu begehren, verzichtet, daß er aber für den Fall einer stattgebenden Erledigung der Widerklage des Gegners den Ausspruch begehrt, beide Teile treffe ein Verschulden, also die Verfehlungen nicht mehr mit Klage geltend macht. Übrigens kann einem solchen Antrag selbst bei Verlust des Rechtes der Beklagten, die Scheidung wegen Verschuldens der widerklagenden Partei zu begehren, nach § 60 Abs. 3 EheG. stattgegeben werden, wenn dies der Billigkeit entspricht. Hätte der Kläger von einer solchen Antragstellung nur deshalb abgesehen, hätte er also nur aus dem Gründe vollständig submittiert, weil er von den ihm nunmehr bekanntgewordenen Tatsachen und Beweisen damals nichts wußte, so muß ihm so wie im Falle eines Anerkenntnis- oder Verzichtsurteiles die Möglichkeit offenstehen, die neuen Tatsachen und Beweismittel mit Wiederaufnahmsklage geltend zu machen. Abgesehen davon, daß der Kläger im Vorprozeß nur ehewidrige Beziehungen der Beklagten zu Mathias B. behauptete, also den Scheidungsgrund nach § 49 EheG. geltend machte, und nunmehr vorbringt, daß die Beklagte mit Mathias B. die Ehe gebrochen habe, was den Scheidungsgrund nach § 47 EheG. darstellen würde, so daß von einer Identität der Tatsachen insofern jedenfalls nicht gesprochen werden könnte, beruft er sich auch bezüglich der ehewidrigen Beziehungen zu kriegsgefangenen Engländern sowie auch zu Mathias B. zumindest auf neue Zeugen, wobei er überdies auch hinsichtlich der Engländer neue konkrete Umstände behauptet. Wohl ist sein in der Wiederaufnahmsklage für den Fall der Bewilligung der Wiederaufnahme gestelltes Begehren auszusprechen, daß die Beklagte das alleinige Verschulden treffe, insofern verfehlt, als im Wege eines Antrages nach § 60 Abs. 3 EheG. nur der Ausspruch über ein gleiches oder überwiegendes Mitverschulden verlangt werden kann. Ein solches zu weitgehendes Begehren könnte aber die Bewilligung der Wiederaufnahme nur dann hindern, wenn das Urteil, das das wiederaufzunehmende Verfahren abgeschlossen hat, schon das ausgesprochen hätte, was überhaupt durch einen Mitverschuldensantrag zugunsten des Wiederaufnahmsklägers zu erreichen gewesen wäre. Dies trifft jedoch im vorliegenden Falle nicht zu, da die Ehe ja aus dem alleinigen Verschulden des Klägers geschieden wurde, während eben mit einem Antrag im Sinne des § 60 Abs. 3 EheG. der Ausspruch eines gleichen oder überwiegenden Mitverschuldens der Beklagten grundsätzlich erreichbar gewesen wäre. Ein solcher Ausspruch stellt gegenüber dem klägerischen Begehren ein Minus dar, so daß dem Urteilsantrag des Klägers in der Hauptsache immerhin teilweise stattgegeben werden könnte, wie dies auch der Fall wäre, wenn der Kläger im Vorprozeß nach § 60 Abs. 3 EheG. unrichtig den Ausspruch des alleinigen Verschuldens der Beklagten begehrt hätte. Demnach schließen die vom Berufungsgericht angeführten Umstände und Erwägungen die Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage nicht aus und ist daher die Revision begrundet. Da die Untergerichte im Hinblick auf ihren Rechtsstandpunkt das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für die Wiederaufnahmsklage nicht geprüft haben, ist der Oberste Gerichtshof nicht in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden, vielmehr bedarf es auch einer Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens.
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