Normen
ABGB §1295
AHG §1
Kraftfahrgesetz 1946 §3 Abs1
Kraftfahrverordnung 1947 §57
ABGB §1295
AHG §1
Kraftfahrgesetz 1946 §3 Abs1
Kraftfahrverordnung 1947 §57
Spruch:
Keine Amtshaftung auf Grund normwidrigen Verhaltens eines Behördenorgans für Schäden, die mit dem Zweck der Norm nicht im Zusammenhang stehen.
Die Norm des § 3 Abs. 1 des Kraftfahrgesetzes 1946 über die Notwendigkeit des Abschlusses einer Haftpflichtversicherung dient den Interessen aller Personen, die durch einen Kraftfahrzeugunfall in Mitleidenschaft gezogen werden können.
Entscheidung vom 14. September 1955, 1 Ob 542, 543/55.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes G. vom 22. Februar 1951, U 330/50-10, der Übertretung nach § 335 StG. schuldig erkannt und zu einer Arreststrafe von vierzehn Tagen unter Anwendung des Gesetzes über die bedingte Verurteilung verurteilt, weil er am 15. Juni 1950 als Lenker eines dem Robert P. gehörigen Lastkraftwagens den auf einem Rade fahrenden Alfred H. so beschädigt hatte, daß dieser schwere Verletzungen davontrug. Alfred H. brachte hierauf am 15. Februar 1952 zu 33 Cg 14/52 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien gegen den Kläger und Robert P. die Schadenersatzklage ein. Er erhielt ein Schmerzengeld von 5000 S, Ersatz für Sachschaden in der Höhe von 300 S, eine monatliche Rente von 400 S und Kostenbeträge in drei Instanzen zugesprochen. Außerdem erhielt Alfred H. mit Bescheid der Unfallversicherungsanstalt vom 15. Februar 1952 eine Unfallrente von nunmehr 406 S 70 g monatlich und mit Bescheid der Invalidenversicherungsanstalt vom 4. August 1952 eine Invalidenrente von nunmehr 69 S 90 g zuerkannt. Schließlich erbrachte die burgenländische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte für Alfred H. Leistungen aus der Krankenversicherung in der Höhe von 7283 S 04 g. Wer Kläger, der für alle diese Leistungen an Alfred H. haftet, macht in der vorliegenden, gegen die Republik Österreich gerichtete Amtshaftungsklage geltend, daß der von ihm gelenkte Lastkraftwagen von der Bezirkshauptmannschaft G. Oberoffizial F.) entgegen der Vorschrift der § 3 KraftfahrG. 1946, 57 KraftfahrV. 1947 am 13. März 1950 zum Verkehr zugelassen worden sei, obgleich die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung des Robert P. wegen Unterlassung der Prämienzahlung geruht habe. So sei es gekommen, daß der Kläger für die von ihm zu zahlenden Schadenersatzbeträge keinen Ersatz bekomme.
Das Erstgericht, das die Verhandlung auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt hatte, erkannte mit Zwischenurteil, daß der Amtshaftungsanspruch des Klägers dem Gründe nach zu Recht bestehe. Der Oberoffizial F. der Bezirkshauptmannschaft G. habe den Lastkraftwagen des Robert P. zum Verkehr zugelassen, obwohl die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung nicht aufrecht gewesen sei. Durch dieses dem § 57 KraftfahrV. 1947 zuwiderlaufende Vorgehen habe der Kläger einen Schaden erlitten, weil er für die Schadenersatzforderungen des Alfred H. aus dem Verkehrsunfall vom 15. Juni 1950 ohne Deckung aufkommen müsse. Verjährung des Amtshaftungsanspruches sei nicht eingetreten, weil erst mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 28. Oktober 1953 die Ansprüche des Alfred H., um deren Rückersatz es sich jetzt handle, rechtsverbindlich festgesetzt worden seien. Erst zu diesem Zeitpunkt sei dem Kläger bekannt geworden, welche Leistungen er dem Alfred H. erbringen müsse und wie groß daher sein Amtshaftungsanspruch sei (§ 6 Abs. 1 AmtshaftungsG.).
Infolge Berufung der Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Zwischenurteil dahin ab, daß die Klage abgewiesen wurde. Die einzelnen Staatsbürger hätten kein subjektives Recht auf Erfüllung der dem Staat obliegenden Aufgaben. Im normwidrigen Verhalten der Bezirkshauptmannschaft G. liege im Verhältnis zum Kläger keine Rechtswidrigkeit im Sinne des Amtshaftungsgesetzes. Die vorgeschriebene Haftpflichtversicherung diene auch nur den Interessen des Versicherungsnehmers. Der Kläger sei aber an der Haftpflichtversicherung nicht beteiligt. Da es am adäquaten Kausalzusammenhang fehle, müsse die Klage abgewiesen werden.
Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache an dieses Gericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach den Feststellungen der Untergerichte und dem Inhalt des Kraftfahrzeugaktes der Bezirkshauptmannschaft G. kann es nicht zweifelhaft sein, daß dem Oberoffizial F. dieser Behörde schuldhaftes rechtswidriges Handeln zur Last zu legen ist. Denn er ließ den Lastkraftwagen des Robert P., obwohl das Fahrzeug wegen Unterlassung der Zahlung der Versicherungsprämien in der Zeit vom 1. Jänner bis 29. August 1949 und dann wieder vom 3. Jänner bis 13. März 1950 außer Verkehr gesetzt worden war, am 13. März 1950 zum Verkehr zu, obwohl ihm nur eine schriftliche Mitteilung des Robert P., er habe die Prämien bezahlt, und nicht eine verbindliche Erklärung der Versicherungsgesellschaft Wiener Allianz vorgelegen war (§ 57 Abs. 1 KraftfahrV. 1947). Die Mitteilung P.s stellte sich nachträglich als unrichtig heraus, und die Versicherungsgesellschaft, die anläßlich der Prämienrückstände vorschriftsmäßig die Anzeige an die Bezirkshauptmannschaft nach § 57 Abs. 6 KraftfahrV. 1947 gemacht hatte, lehnte die Haftung für die aus dem Unfall vom 15. Juni 1950 erwachsenen Schäden ab. Der Oberste Gerichtshof ist trotz der Bestimmung des § 11 Abs. 1 AmtshaftungsG. berechtigt, die Rechtswidrigkeit des Vorgehens des Organs der Bezirkshauptmannschaft zu prüfen, und es bedarf keines Antrages beim Verwaltungsgerichtshof, zu entscheiden, ob Rechtswidrigkeit vorliegt. Denn dieser Gerichtshof wäre nur dann mit der Sache zu befassen, wenn es sich um die Rechtswidrigkeit eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde handelte. Im vorliegenden Fall ist aber ein Bescheid von der Bezirkshauptmannschaft G. nicht erlassen worden; ihr Oberoffizial F. folgte vielmehr am 13. März 1950 im kurzen Weg die Kennzeichentafeln und den Zulassungsschein dem Robert P. aus. Es handelt sich daher um einen bloßen behördlichen Vorgang.
Der Zweck der Vorschrift des § 3 KraftfahrG. 1946, daß für jedes zum Verkehr zugelassene Kraftfahrzeug, das seinen dauernden Standort im Inland hat, eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung bei einer für diesen Versicherungszweig in Österreich zugelassenen Versicherungsanstalt bestehen müsse, ist ein mehrfacher. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes soll die Haftpflichtversicherung in erster Linie bewirken, daß der durch einen Kraftfahrzeugunfall beschädigte Dritte unter allen Umständen für den ihm entstandenen Schaden Ersatz erhält und nicht auf die unsichere Einbringlichkeit beim Halter und beim Lenker des Kraftfahrzeuges angewiesen ist (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des KraftfahrG. 1937, 121/Ge der Beilagen - Haus der Bundesgesetzgebung - zu § 4; ferner die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des KraftfahrG. 1929, Nr. 121 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, III. GP., S. 7 zu § 2 Abs. 5; nicht anders die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des KraftfahrG. 1946, Nr. 199 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, V. GP.; Ehrenzweig, Deutsches (Österreichisches) Versicherungsvertragsrecht, S. 359). Darauf ist es zurückzuführen, daß im Versicherungsvertragsgesetz (§§ 156 ff., besonders 158b ff.) die Rechtsstellung des Geschädigten der Versicherungsgesellschaft gegenüber selbständig gemacht und teilweise sogar vom Bestand der Ansprüche des Versicherungsnehmers unabhängig gestaltet worden ist (vgl. SZ. XXVI 93).
Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 KraftfahrG. 1946 hat aber neben dem Schutz des Geschädigten auch den des Halters und des Lenkers des Kraftwagens im Auge. Der Halter soll im allgemeinen öffentlichen Interesse nicht in die Lage kommen, durch einen Unfall mit unerschwinglichen und existenzvernichtenden Schadenersatzforderungen belastet zu werden.
Der Lenker eines Kraftwagens, der nicht zugleich dessen Halter ist, wird entgegen der Ansicht der Beklagten so wie der Halter selbst vom Versicherungsschutz umfaßt. Dies geht aus § 10 Abs. 1 und 2 (Umfang der Versicherung) der allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrhaftpflichtversicherung (AKHB) hervor. § 67 VersVG. (Übergang von Ersatzansprüchen des Versicherungsnehmers auf den Versicherer) ist daher im Verhältnis zum Kraftwagenlenker bei der Kraftwagen-Haftpflichtversicherung nicht anwendbar. Wenngleich der Lenker des Kraftwagens nicht selbst Versicherungsnehmer ist, kommt der Vorteil aus der Versicherung seines Auftraggebers, den durch einen Unfall entstandenen Schaden nicht aus der eigenen Tasche bezahlen zu müssen, auch ihm als Versicherten zugute. Auch er soll nicht in die Lage kommen, durch oft außerordentlich hohe Schadenersatzansprüche in seinem Beruf vernichtet zu werden. Der soziale Zweck der Haftpflichtversicherung soll sich gerade auch beim unselbständigen Lenker eines Kraftwagens, der weder in positiver noch in negativer Richtung mit Berufsrisken belastet werden darf, bewähren.
Die Norm des § 3 Abs. 1 KraftfahrG. 1946 (§ 57 KraftfahrV. 1947) dient somit in erkennbarer Weise den Interessen aller am Kraftfahrverkehr beteiligten Personen, die durch einen Unfall in Mitleidenschaft gezogen werden können. Wenn die Bezirkshauptmannschaft G. diese Norm übertrat, handelte sie gegen die vom Gesetz geschützten Interessen dieser Personen. Zwischen der rechtswidrigen Zulassung des Lastkraftwagens des Robert P. zum Verkehr und der durch das Fehlen der Haftpflichtversicherung eingetretenen Schädigung der am Unfall Beteiligten besteht daher ein Rechtswidrigkeitszusammenhang. Die Meinung des Berufungsgerichtes, kein Staatsbürger habe gegen den Staat Anspruch auf normgemäßes Handeln, ist in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Wie der Oberste Gerichtshof schon in seinen Entscheidungen SZ. XXVII 129, 1 Ob 839/54 und JBl. 1956 S. 101 ausgesprochen hat, besitzt zwar kein Staatsbürger das Recht, aus normwidrigen Handlungen eines Behördenorgans Schlußfolgerungen abzuleiten, die mit dem Zweck der Norm in keinem Zusammenhang stehen. Soweit aber die Norm dem Schutze dieser Staatsbürger dient, sind sie berechtigt, den ihnen durch die Rechtswidrigkeit schuldhaft verursachten Schaden vom Staate ersetzt zu verlangen.
Es könnte auch nicht eingewendet werden, daß der Kläger von der Beklagten schon deshalb keinen Schadenersatz verlangen könne, weil er selbst am Unfall vom 15. Juni 1950 die Schuld trage und dadurch der Kausalzusammenhang unterbrochen sei. Denn die Vorschrift des § 3 KraftfahrG. 1946 will ja gerade auch für den Fall vorsorgen, daß durch einen verschuldeten Unfall ein Dritter geschädigt wird und Ersatzansprüche stellt. Ebensowenig könnte der Kläger deshalb schlechter gestellt werden, weil sein Dienstgeber, der Halter Robert P., am Unterbleiben der Prämienzahlung und an der Irreführung der Bezirkshauptmannschaft G. schuldtragend wäre, wenngleich er selbst davon nichts gewußt hätte. Gegenüber P. wäre wegen des Eintrittes seiner freien Willenshandlung kein Kausalzusammenhang zwischen der rechtswidrigen Handlung und dem Schaden P.s anzunehmen. Dies träfe aber auf den Kläger nicht zu, sofern er vom Unterbleiben der Prämienzahlung nichts wußte. Eine Pflicht, diese Zahlung laufend zu überwachen, könnte dem Kläger mangels wirksamer Durchführbarkeit dieser Kontrolle, aber auch deshalb nicht auferlegt werden, weil er - solange der Kraftwagen von der Bezirkshauptmannschaft zugelassen blieb - annehmen konnte, daß die Versicherungsprämie bezahlt sei. Das Verfahren des Berufungsgerichtes ist in dieser Richtung mangelhaft geblieben, da es - von seiner nichtzutreffenden Rechtsansicht über den Rechtswidrigkeits- und Kausalzusammenhang ausgehend - der Frage der Kenntnis des Klägers vom Unterbleiben der Prämienzahlung keine Bedeutung zugemessen hat. Die Beklagte hat in der Berufungsschrift das Verfahren in dieser Richtung mit Recht als unzureichend bemängelt. Die Vernehmung des Klägers als Partei ist unterblieben, wenngleich der Zeuge P. zur maßgebenden Frage keine bestimmten Angaben machen konnte. Das Berufungsgericht wird diesen Mangel durch Vernehmung der beiden Personen zu beheben und festzustellen haben, ob der Kläger vom Vorgehen P.s Kenntnis hatte (§ 496 Abs. 3 ZPO.).
Der Umstand, daß der Kläger zwar rechtskräftig zum Schadenersatz verurteilt wurde, aber bisher noch nichts bezahlt hat, schließt den Eintritt eines Schadens nicht aus. Denn schon die Belastung des Vermögens des Klägers mit den Schadenersatzforderungen bedeutet den Schaden, für den die Beklagte in der Form aufzukommen hätte, daß sie den Kläger schad- und klaglos hält.
Der Einwand der Beklagten, daß die Klagsforderung verjährt wäre, ist nicht berechtigt. Nach § 6 AmtshaftungsG. verjährt nämlich ein Amtshaftungsanspruch in drei Jahren erst von der Zeit an, zu welcher der Schaden dem Geschädigten bekannt wurde. Erst durch den mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 28. Oktober 1953 abgeschlossenen Rechtsstreit 33 Cg 14/52 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien ist klargestellt worden, welche Schadenersatzbeträge dem Alfred H. zu ersetzen sind, und insbesondere auch, ob die Haftung des Klägers etwa durch ein konkurrierendes Mitverschulden des Alfred H. verringert wird. Vorher kannte der Kläger auch nicht den ungefähren Umfang seiner Verpflichtungen. Zwischen der rechtskräftigen Erledigung des angeführten Rechtsstreites und der Klagseinbringung (19. Februar 1954) sind drei Jahre noch nicht verstrichen. Deshalb ist die Verjährung nicht eingetreten.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)