OGH 1Ob511/87

OGH1Ob511/8718.2.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Gamerith, Dr.Hofmann und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Justine R***, Angestellte, Wien 23., Schwarzwaldgasse 39, 2. Gerwin R***, Angestellter, Wien 23., Stenographengasse 2/5/6, 3. Johanna W***, Angestellte, Wien 18., Martinstraße 28/6, sämtliche vertreten durch Dr.Wolfgang Lenneis, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei T***-C*** "B***-W***", Wien 13., Geylinggasse 24, vertreten durch Dr.Willibald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 2. Oktober 1986, GZ 41 R 476/86-41, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 30. Mai 1986, GZ 3 C 443/83-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 5.000,37 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon 443,67 S Umsatzsteuer und 120 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 29. Juni 1982 verstorbene Franz L***, der Alleineigentümer der Liegenschaft Wien 23., Kaserngasse 3, war, vermietete mit Vertrag vom 30.März 1957 der beklagten Partei die auf diesem Grundstück errichtete Tennishalle. Das Vertragsverhältnis wurde ausdrücklich den Bestimmungen des Mietengesetzes unterstellt;

als Bestandzins wurde ein wertgesicherter Pauschalbetrag von 1.000 S monatlich zuzüglich der Kosten für Elektrizität und Wasser vereinbart. Der Mietvertrag wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen;

der Vermieter verzichtete für die Dauer von fünf Jahren ab Vertragsschluß auf die Aufkündigung des Vertrages. Für die Folgezeit wurde eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 31.März eines jeden Jahres vereinbart. Nach Lösung des Bestandverhältnisses mit einem Mieter gab Franz L*** mit Vertrag vom 31.März 1964 der beklagten Partei auch fünf Tennisplätze, zwei im rechten Trakt gelegene Räume sowie weitere Flächen der Liegenschaft mit Ausnahme des Grundstücksteils an der Rückseite der Gebäude in Bestand. Als Mietzins wurde ein wertgesicherter Betrag von 3.750 S vierteljährlich zuzüglich anteilsmäßiger Betriebskosten und bis 30. September 1969 auch ein Betrag von 5.184 S jährlich (Rückzahlungsraten für die Kanalisation) vereinbart. Der Vermieter verzichtete für die Dauer des Bestandes der beklagten Partei auf eine Aufkündigung des Bestandvertrages, insbesondere nach den Bestimmungen des § 19 Abs. 2 MG. Vorbehalten wurde die Berechtigung, das Bestandverhältnis gemäß § 1118 ABGB mit sofortiger Wirkung zur Auflösung zu bringen. In Punkt X des Vertrages wurde vereinbart, daß der Vertrag auf die Erben und Rechtsnachfolger der Vertragsteile übergeht und den Rechtsnachfolgern zu überbinden ist. Am 23.Dezember 1968 wurde ein Bestandvertrag über das im rechten Seitentrakt befindliche Bestandobjekt, bestehend aus zwei Zimmern und Nebenräumen, abgeschlossen. Es wurde ein Bestandzins von 500 S monatlich, ein Kündigungsverzicht sowie die Überbindungsverpflichtung wie im Vertrag vom 31.März 1964 vereinbart.

Der Erstklägerin wurde der Nachlaß nach Franz L*** zur Gänze eingeantwortet, der Zweitkläger wurde als Vermächtnisnehmer Eigentümer eines Viertelanteils der Liegenschaft, ebenso die Drittklägerin auf Grund eines mit der Erstklägerin abgeschlossenen Schenkungsvertrags.

Die Kläger begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, die unbebaute Fläche (mit Tennisplatzareal, PKW-Abstellplatz und Grünfläche) der Liegenschaft Wien 23., Kaserngasse 3, sowie die im rückwärtigen Gebäudeteil ebenerdig gelegenen Räumlichkeiten, nämlich Bad-, Umkleide- und Duschräume, sowie die Tennishalle und im rechten Gebäudeteil den zur Kaserngasse am nächsten gelegenen Raum (Bar für Tennisspieler) am 31.März 1984 geräumt zu übergeben. Sie führten zur Begründung ihres Begehrens aus, die von Franz L*** in Bestand gegebene Liegenschaft befinde sich in einer hervorragenden Wohngegend, sie repräsentiere einen Wert von 10 Mio S. Durch das Bestandverhältnis sei die Liegenschaft völlig entwertet und zufolge des Kündigungsverzichts auf ewige Zeit blockiert. Der von der beklagten Partei bezahlte Bestandzins von jährlich 16.640 S stehe in keinem Verhältnis zum Wert der Liegenschaft. Es liege eine Diskrepanz vor, die Sittenwidrigkeit und daher die Nichtigkeit des Vertrages begründe. Die beklagte Partei habe den Leichtsinn, die geschäftliche Unerfahrenheit und die Verstandesschwäche des Franz L*** ausgenützt und sich für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen lassen, die im auffallenden Mißverhältnis zur eigenen Leistung stehe. Der beklagten Partei falle auch List zur Last, was ebenfalls die Anfechtung des Vertrages rechtfertigte. Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Der mit Franz L*** abgeschlossene Mietvertrag unterliege den Bestimmungen des Mietrechtsgesetzes, der vereinbarte Kündigungsverzicht sei rechtswirksam, eine Kenebelung des Vermieters liege nicht vor, weil ihm die Möglichkeit der Auflösung des Vertrages aus wichtigen, in der Person des Mieters gelegenen Gründen dennoch zustehe. Franz L*** sei Geschäftsmann und als solcher weder leichtsinnig noch geschäftlich unerfahren gewesen. Bei Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Leistungen sei auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Franz L*** habe bei Abschluß der Mietverträge auf die damals schlechte finanzielle Situation des Vereins Bedacht genommen; er habe auch die Wertsicherungsbeträge nicht gefordert, um dem Verein Investitionen zu ermöglichen. Die Forderung eines höheren Mietzinses stehe den Klägern auf Grund der Wertsicherungsvereinbarung frei. Der Vorwurf listigen Verhaltens sei haltlos.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Die behauptete Geschäftsunfähigkeit des Franz L*** im Zeitpunkt des Abschlusses der Verträge sei nicht erwiesen. Die Vereinbarung eines Kündigungsverzichts sei nicht sittenwidrig, ebensowenig die übernommene Verpflichtung zur Überbindung des Vertrages an die Rechtsnachfolger. Auch Wucher liege nicht vor. Das Beweisverfahren habe für unwirtschaftliche Eigenschaften des Franz L*** und die Ausbeutung solcher Eigenschaften durch die beklagte Partei keinen Anhaltspunkt ergeben. Die bewußte Inkaufnahme eines krassen Mißverhältnisses der Leistungen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses begründe keinen Wucher. Es sei nicht auszuschließen, daß das allenfalls gegebene Mißverhältnis der beiderseitigen Leistungen von Franz L*** aus einem gewissen Idealismus in Kauf genommen worden sei. Von einem objektiven Mißverhältnis der beiderseitigen Leistungen bei Begründung der Vertragsverhältnisse könne aber auch deshalb nicht gesprochen werden, weil im Jahre 1964 Tennisplätze noch nicht so gut vermietbar gewesen seien wie heute, der Tennissport noch keine Modeerscheinung dargestellt habe und finanziell potente Vereine selten gewesen seien. Worin die behauptete List der Funktionäre der beklagten Partei gelegen sein solle, sei nicht näher ausgeführt worden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge. Es sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteigt. Wucher liege nicht vor, weil sich Franz L***, wie das Beweisverfahren ergeben habe, bewußt gewesen sei, daß er von der beklagten Partei einen höheren Bestandzins hätte verlangen können; er habe dies jedoch wegen der finanziellen Lage des Vereins, und weil ihm "seine Tennisplätze" viel bedeutet hätten, nicht getan. Franz L*** habe sich sogar noch zu einem Zeitpunkt, als er gelähmt gewesen sei, auf den Platz führen lassen; die Tennisplätze seien sein Lieblingsthema gewesen. Ein gewisses Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung sei Franz L*** bewußt gewesen. Eine Aufklärungspflicht der beklagten Partei über die mögliche Zinshöhe habe nicht bestanden, zumal die Freiplätze schon vor der Vermietung an die beklagte Partei vermietet gewesen seien, so daß objektiv eine Gefährdung der Interessen des Franz L*** bei einer neuerlichen Vermietung nicht zu befürchten gewesen sei. Die Bedeutung des Kündigungsverzichts müsse jedem Geschäftsfähigen klar sein, so daß auch keine Aufklärungspflicht bestanden habe. Für die Annahme einer Arglist fehlten jegliche Anhaltspunkte.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revision der Kläger kommt Berechtigung nicht zu.

Unter den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung führen die Rechtsmittelwerber aus, daß die Vorinstanzen die Einholung eines Sachverständigengutachtens über das behauptete Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung unterlassen hätten. Die extreme Diskrepanz zwischen dem Wert der Leistung und der Gegenleistung, die auch im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gegeben gewesen sei, rechtfertige die Annahme der Sittenwidrigkeit der Verträge. Diesen Ausführungen ist jedoch nicht zu folgen. Ein Verstoß gegen die guten Sitten iS des § 879 Abs. 1 ABGB liegt vor, wenn etwas offenbar widerrechtlich ist, ohne gegen ein ausdrückliches gesetzliches Verbot zu verstoßen, also zwar nicht gesetz-, aber grob rechtswidrig ist (MietSlg. 34.121, 31.094, 31.091; SZ 44/68; SZ 39/113). Falls ein gesetzliches Verbot fehlt, kann Sittenwidrigkeit im Sinn dieser Bestimmung nur dann angenommen werden, wenn die Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei einer Interessenkollision ein grobes Mißverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt (MietSlg. 34.121, 31.094, 31.091; JBl. 1972, 200; Gschnitzer in Klang Komm2 IV/1, 183). Nach ständiger Rechtsprechung läßt die bloße Ungleichheit vertraglicher Leistungen für sich allein einen Schluß auf die Sittenwidrigkeit nicht zu (MietSlg. 37.064, 31.094, 31.091; EvBl. 1960/221). Wenn das Gesetz die Unangemessenheit einer Leistung zum Tatbestandselement für einen Nichtigkeitsgrund macht (§ 879 Abs. 2 Z 4 ABGB), der aber zu seiner Verwirklichung des Vorliegens weiterer Tatbestandselemente bedarf, ist es unzulässig, aus dem bloßen Vorliegen dieses einen Tatbestandselements allein ebenfalls eine Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts abzuleiten; die Bestimmung des § 879 Abs. 2 Z 4 ABGB wäre dann überflüssig (MietSlg. 37.064, 31.091; Krejci in Rummel, ABGB, Rdz 91 zu § 879). Der Sachverhalt rechtfertigt auch nicht die Annahme, daß bei Franz L*** unwirtschaftliche Eigenschaften vorgelegen wären, die ihn an einer entsprechenden Wahrnehmung seiner Interessen gehindert hätten (SZ 44/71; SZ 27/19; MietSlg. 20.076; Krejci aaO Rdz 214 zu § 879). Die idealistische Einstellung des Franz L***, die auch die Revisionswerber anerkennen und ihn dazu bewogen haben mag, einen geringeren als den an sich zulässigen Bestandzins zu fordern, stellt noch keine unwirtschaftliche Eigenschaft dar, zumal nicht behauptet wurde, daß sich Franz L*** in solchen wirtschaftlichen Verhältnissen befunden hätte, daß er auf Einkünfte aus der Vermietung der Liegenschaft angewiesen gewesen wäre. Die Frage, ob im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorlag, ist dann nicht zu prüfen. Auf die spätere Entwicklung des Äquivalenzverhältnisses kommt es nicht an. Beim Wuchertatbestand handelt es sich um die gestörte Freiheit der rechtsgeschäftlichen Willensbildung (Krejci aaO Rdz 214), so daß auch bei einem Dauerschuldverhältnis stets nur das Äquivalenzverhältnis im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgebend sein kann. Die Gültigkeit eines Kündigungsverzichts, der zur Knebelung des Bestandgebers geführt hat, wurde in Rechtsprechung und Lehre auf die Lebenszeit der Vertragsteile eingeschränkt (MietSlg. 20.365; Klang in seinem Komm2 V 11); es wurde aber auch die Rechtsansicht vertreten, daß der Erbe im Gegensatz zum rechtsgeschäftlichen Übernehmer den Kündigungsverzicht des Erblassers gegen sich gelten lassen müsse, da er in dessen Rechtsverhältnis eintrete (MietSlg. 24.264). Im vorliegenden Fall wurde der Kündigungsverzicht für die Zeit des Bestandes der beklagten Partei vereinbart, was gewiß eine längere Bindung des Vermieters bedeutet als im Falle der Beschränkung auf die Lebenszeit eines physischen Bestandnehmers. Die Nichtigkeit einer solchen Klausel hätte aber, da auf die vorliegenden Verträge, wie der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt hat (6 Ob 592/86 vom 12.Juni 1986), das Mietrechtsgesetz Anwendung findet, nur die Ungültigkeit der Klausel, nicht aber die des gesamten Vertrages zur Folge (vgl. MietSlg. 32.102, 31.095 u.a.).

Eine (vorsätzliche) Verletzung der Aufklärungspflicht fällt der beklagten Partei nicht zur Last. Grundsätzlich ist bei Verkehrsgeschäften eine solche Aufklärungspflicht nur unter besonderen Voraussetzungen anzunehmen (JBl. 1982, 36; vgl. Bydlinski, JBl. 1980, 393). Gegenüber einem im Geschäftsleben stehenden Vermieter ist eine Aufklärung darüber, daß er sich bei Vermietung seiner Liegenschaft unter Kündigungsverzicht weitgehend der Dispositionsmöglichkeiten über die Liegenschaft begibt, nicht erforderlich. Demnach fällt der beklagten Partei, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, auch List nicht zur Last. Demzufolge ist der Revision der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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