Spruch:
Der Rekurs (richtig: Revisionsrekurs) wird zurückgewiesen. Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 6.789,42 S bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin 1.131,57 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Der Erstkläger verpachtete im Jahre 1972 das damals ihm allein gehörige und nun im Miteigentum beider Kläger stehende landwirtschaftliche Gut "Das Wirtshaus zum Dorf" in Mittersill, Katastralgemeinde Mühlbach, seinem Bruder, dem Beklagten. Wegen einer vom Beklagten ohne vorherige Zustimmung der Kläger vorgenommenen Abtragung zweier Hochsilos und deren Ersetzung durch einen Fahrsilo kam es zu Unstimmigkeiten der Streitteile. In dem am 14. April 1986 eingeleiteten Verfahren C 41/86 des Bezirksgerichtes Mittersill (im folgenden Vorverfahren) wurde das Räumungsbegehren der Kläger, das auf eine außergerichtliche Aufkündigung des nach der Behauptung auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Pachtvertrages durch die Kläger zum 31. März 1986 gestützt war, mit dem Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 11. Juni 1987, 32 R 139/87 (ON 17 im Vorverfahren), abgewiesen. Das Berufungsgericht ging nach Beweiswiederholung von einem auf bestimmbare Zeit ("für alleweil" = solange der Beklagte als Bauer arbeiten könne und wolle), längstens auf Lebenszeit abgeschlossenen Bestandverhältnis aus; es erachtete im zulässigen Abschluß eines Pachtvertrages auf bestimmte oder bestimmbare Zeit (etwa Lebenszeit) zugleich einen allgemeinen Kündigungsverzicht. Die Revision der Kläger wies der Oberste Gerichtshof zurück.
Die Kläger begehren mit ihrer am 5. Oktober 1987 eingebrachten Klage, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Liegenschaft binnen 14 Tagen räumen und wieder in den vorigen Zustand zu versetzen, insbesondere durch die Wiederherstellung der beiden Hochsilos. Unabhängig davon, ob der Pachtvertrag auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geschlossen worden sei, habe der Beklagte einen Auflösungsgrund gemäß § 1118 ABGB durch erheblich nachteiligen Gebrauch gesetzt, weil er die beiden Hochsilos abgetragen habe, am 15. März 1986 im Beisein eines Dritten den Erstkläger tätlich angegangen sei, ihn bedroht sowie beschimpft und die Zweitklägerin in der Fremdenpension der Kläger vor Gästen lauthals als "Erbschleicherin" beschimpft habe. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er brachte vor, daß die Kläger bereits im Vorverfahren die Abtragung der beiden Hochsilos behauptet, dies jedoch nicht zum Gegenstand ihrer Klage gemacht hätten. Aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung im Vorverfahren sei das nunmehrige Klagsvorbringen jedenfalls "präjudiziert"; es handle sich um die Tatbestandswirkung der Streitanhängigkeit bzw. der Rechtskraft.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren in Urteilsform ab. Es stellte fest, die Kläger hätten von der Abtragung der Silos am 20. April 1985 erfahren und vertrat die rechtliche Auffassung, daß über den hier geltend gemachten Streitgegenstand schon im Vorverfahren rechtskräftig abgesprochen worden sei. Das Berufungsgericht (richtig: Rekursgericht) hob dieses Urteil (richtig: diesen Beschluß) auf. Es sprach unter Beisetzung eines "Rechtskraftvorbehaltes" aus, daß der Wert des Streitgegenstands 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige und führte zur Entscheidungsbegründung im wesentlichen aus: Es bestehe keine Streitanhängigkeit zwischen Kündigungen zu verschiedenen Kündigungsterminen, auch wenn die Parteien und das Bestandobjekt ident seien und als Kündigungsgrund derselbe Sachverhalt vorgetragen werde. Im Vorverfahren sei das Räumungsbegehren auf eine ordentliche Kündigung des Pachtvertrages gestützt und die schon dort behauptete eigenmächtige Abtragung zweier Hochsilos lediglich als Motiv für die Aufkündigung und nicht als Grund für die vorzeitige Auflösung des Pachtvertrages iS des § 1118 ABGB geltend gemacht worden; dieser Sachverhalt habe daher nicht zu den rechtserzeugenden Tatsachen gehört, während er hier zur Begründung einer auf § 1118 erster Fall ABGB gestützten vorzeitigen Auflösung des Bestandvertrages herangezogen werde. Es bestehe daher keine Bindung an die rechtskräftige Entscheidung im Vorverfahren. Hinsichtlich des Wiederherstellungsbegehrens sei eine Bindung schon im Hinblick auf die Verschiedenheit des Begehrens im Vorverfahren zu verneinen. Die Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft habe daher nicht eintreten können, weshalb das Verfahren an Feststellungsmängeln leide. Das Gericht zweiter Instanz führte weiters aus, die Aufhebung eines Bestandvertrages trotz Kündigungsverzichtes oder eines Vertrages auf Lebenszeit sei möglich. Soweit in den erstgerichtlichen Feststellungen die Auffassung anklinge, die Kläger hätten sich der Geltendmachung des Auflösungsgrundes nach § 1118 erster Fall ABGB bereits verschwiegen, könne dem nicht gefolgt werden. Zwar müßten Auflösungsgründe nach § 1118 ABGB ohne unnötigen Aufschub geltend gemacht werden; das Recht, Vertragsauflösung zu begehren, gehe durch grundlose Nichtausübung während einiger Zeit verloren, wenn daraus gemäß § 863 ABGB ein schlüssiger Verzicht gefolgert werden dürfe. Hier könne weder in Ansehung der von den Klägern beanstandeten baulichen Veränderungen noch des behaupteten unleidlichen Verhaltens von einer Verwirkung des Auflösungsrechtes nach § 1118 ABGB ausgegangen werden. Den Klägern sei es unbenommen gewesen, zunächst mit dem gelinderen Mittel der ordentlichen Kündigung eine Beendigung des Bestandverhältnisses zu erwirken, und erst, als die Gefahr eines Prozeßverlustes im Vorverfahren absehbar gewesen sei, die vorliegende Klage zu erheben. Die Kläger hätten zunächst abwarten dürfen, ob eine ordentliche Kündigung zu dem von ihnen angestrebten Ziel einer Vertragsauflösung führe, ohne sich eines Auflösungsgrundes nach § 1118 erster Fall ABGB, aus dem das Räumungsbegehren abgeleitet werde, verschwiegen zu haben. Zum Wiederherstellungsbegehren könne aus im einzelnen dargestellten, im Verfahren dritter Instanz nicht relevanten Gründen noch nicht abschließend Stellung genommen werden.
Das Gericht zweiter Instanz erachtete den "Rechtskraftvorbehalt" im Hinblick auf die iS des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO qualifizierte und abschließend behandelte Rechtsfrage, ob sich die Kläger der Geltendmachung der hier behaupteten Auflösungsgründe nach § 1118 ABGB bereits verschwiegen haben, aus verfahrensökonomischen Gründen zweckmäßig.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den zweitinstanzlichen Aufhebungsbeschluß gerichtete Rekurs (richtig: Revisionsrekurs) des Beklagten ist nicht zulässig. Auszugehen ist davon, daß der Erstrichter die vom Beklagten erhobene Einrede der Rechtskraft als berechtigt erachtete, dennoch aber, wie das Gericht zweiter Instanz an sich zutreffend erkannte, darüber nicht nach § 261 Abs. 1 ZPO mit Beschluß, sondern mit Urteil entschied. Wird die Einrede für berechtigt erkannt, dann ist für eine Sachentscheidung kein Raum. Für die Beurteilung, ob ein Urteil oder ein Beschluß vorliegt, ist aber nicht die tatsächlich gewählte, sondern die vom Gesetz vorgeschriebene Form der Entscheidung maßgebend. Sie bestimmt auch die Möglichkeiten der Anfechtung. Hat daher das Erstgericht die Klage wegen Rechtskraft unrichtigerweise in Urteilsform zurückgewiesen oder aus diesem Grunde abgewiesen, so steht dagegen nur der Rekurs zu. Die von den Klägern gegen das erstgerichtliche "Urteil" erhobene "Berufung" wäre daher vom Gericht zweiter Instanz als Rekurs zu behandeln gewesen, zumal die unrichtige Benennung die Behandlung in der dem Gesetz entsprechenden Weise nicht hindert (SZ 49/40 mwH) und die Rekursfrist (§ 521 a Abs. 1 Z 3 iVm § 521 Abs. 1 ZPO) eingehalten wurde. Das Gericht zweiter Instanz hätte demgemäß als Rekurs- und nicht als Berufungsgericht zu entscheiden gehabt. Die vom Gericht zweiter Instanz gewählte Entscheidungsform als Beschluß ist nicht zu beanstanden, wohl aber die Tatsache, daß die Prozeßeinrede der Rechtskraft nicht abgewiesen, sondern die angefochtene Entscheidung "aufgehoben" wurde. Ein echter Aufhebungsbeschluß liegt nämlich nur vor, wenn eine bestimmte Frage, über die eine selbständige Entscheidung zu ergehen hat, vom Gericht zweiter Instanz noch nicht abschließend erledigt wird, sondern hierüber eine neuerliche Entscheidung des Erstgerichtes ergehen soll. Eine in Wahrheit abändernde Entscheidung ist gegeben, wenn eine selbständig zu entscheidende Frage vom Gericht zweiter Instanz anders als vom Erstgericht entschieden wird und sich nur als Folge davon die Notwendigkeit der Fortsetzung des Verfahrens ergibt (vgl. dazu ausführlich Fasching IV 441 ff). In Wahrheit hat daher das Gericht zweiter Instanz die erstgerichtliche Entscheidung dahin abgeändert, daß es die vom Beklagten erhobene Prozeßeinrede der Rechtskraft abwies (§ 261 ZPO). In diesem Sinn wurden in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes Rekurse gegen Beschlüsse der zweiten Instanz zugelassen, mit denen Zurückweisungsbeschlüsse der ersten Instanz ohne Rechtskraftvorbehalt "aufgehoben" wurden, die wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges (SZ 49/128 ua) oder wegen Rechtskraft (SZ 48/113) ergangen waren.
Da nach dem bindenden Ausspruch des Gerichtes zweiter Instanz der Wert des Beschwerdegegenstands bei beiden Begehren jeweils 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt, war bei der abändernden Entscheidung ein Ausspruch des Rekursgerichtes notwendig, ob gegen seine Entscheidung der ordentliche oder nur der außerordentliche Rekurs zulässig sei (§ 528 Abs. 2 iVm §§ 526 Abs. 3, 500 Abs. 3 ZPO). Einen solchen Ausspruch hat das Gericht zweiter Instanz zwar unterlassen und einen nur für aufhebende Entscheidungen vorgesehenen Rechtskraftvorbehalt (§ 519 Abs. 1 Z 3 ZPO für das Berufungsverfahren bzw. § 527 Abs. 2 ZPO für das Rekursverfahren) beigesetzt, der aber inhaltlich als Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses iS des § 528 Abs. 2 ZPO gewertet werden kann, weil eben die Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 ZPO für gegeben erachtet wurden.
Zulässig ist der Rekurs nach § 502 Abs. 4 ZPO aber nur dann, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage materiellen Rechtes abhängt, der zur Wahrung der Rechtssicherheit, Rechtseinheit und Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, was sich nach objektiven Umständen bestimmt (7 Ob 701/86). Auf die angebliche Rechtskraftwirkung des Urteiles im Vorverfahren kommt der Rechtsmittelwerber nicht mehr zurück, sodaß es mit dem Hinweis auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes sein Bewenden haben kann.
Die Rechtsausführungen der zweiten Instanz zur Verschweigung des Anspruchs nach § 1118 ABGB sind aber verfrüht, weil im Zwischenverfahren über die Prozeßeinrede der Rechtskraft ausschließlich über diese und nicht über die Sache materiell und das Erstgericht bindend abzusprechen war. Schon deshalb kann von einer erheblichen Rechtsfrage keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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