OGH 1Ob48/17s

OGH1Ob48/17s29.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Univ‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** T*****, vertreten durch Dr. Ronald Rast und Dr. Thomas Rast, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 30.400 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2016, GZ 14 R 140/16k‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 15. Juli 2016, GZ 33 Cg 21/15y‑10, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00048.17S.0329.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichts (einschließlich der Kostenentscheidung) wiederhergestellt.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.109,90 EUR (darin 1.362 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erwarb am 23. 1. 2003 über ein österreichisches Kreditinstitut Fondsanteile um einen Betrag von 49.965,79 EUR. Nachdem diese Wertpapiere nach dem Aufdecken betrügerischer Machenschaften nicht mehr verkäuflich waren, begehrte er mit einem an die Finanzprokuratur gerichteten Aufforderungsschreiben vom 16. 5. 2014 Schadenersatz in Höhe von 142.630,56 EUR samt Zinsen. Die Beklagte lehnte am 13. 8. 2014 sämtliche Ersatzansprüche ab und verzichtete auf den Einwand der Verjährung, wenn die Amtshaftungsklage bis 31. 12. 2015 eingebracht würde, unter dem Vorbehalt, „dass die jeweilige Forderung am heutigen Tag noch nicht verjährt ist“.

Mit seiner am 19. 10. 2015 erhobenen Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte ihm für jenen Schaden haftet, den er wegen der Unterlassung der Verhängung eines Vertriebsverbots hinsichtlich der Wertpapiere im Mai 2001 und/oder im September 2002 dadurch erlitten hat, dass er am 23. 1. 2003 derartige Papiere gekauft hat (in eventu: und seine Forderung in Höhe von 76.577,44 EUR sA gegen den in Liquidation befindlichen Emittenten nicht zur Gänze befriedigt wird). Er brachte dazu im Wesentlichen vor, der Fonds habe lediglich dazu gedient, ein von seinem Initiator betriebenes „Ponzi‑Schema“ am Leben zu erhalten, im Rahmen dessen „Frischgeld“ für die Gewinnauszahlungen an frühere Anleger und zur persönlichen Bereicherung des Initiators und seiner Mittäter verwendet und eine Handelstätigkeit mit Wertpapieren bloß vorgetäuscht worden sei. Obwohl aus dem Kapitalmarktprospekt ersichtlich gewesen sei, dass bei der Verwaltung des Fonds gegen den Grundsatz der Trennung von Verwaltung und Verwahrung verstoßen werde, habe die Finanzmarktaufsicht in unvertretbarer Weise kein Vertriebsverbot verhängt. Wäre dies (pflichtgemäß) – spätestens im Mai 2001 – geschehen, wäre der Schaden des Klägers nicht eingetreten, weil er die Anteile nicht hätte kaufen können. Er hätte dann andere Wertpapiere erworben und Renditen von 91.468,87 EUR erzielt. Der Kläger sei aufgrund einiger bereits abgeschlossener Vergleiche sicher, dass ihm im Rahmen der Liquidation der Fondsgesellschaft ein Geldbetrag ausbezahlt werde, dessen Höhe jedoch nicht feststehe, sodass mit Feststellungsklage vorgegangen werden müsse.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil den Organen der Finanzmarktaufsicht kein unvertretbares Fehlverhalten vorgeworfen werden könne. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil über Berufung des Klägers auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf, weil der hypothetische Kausalverlauf noch nicht ausreichend festgestellt worden sei und auch zum behaupteten Mitverschulden des Klägers eine Tatsachengrundlage fehle. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil die Frage der Vertretbarkeit der Aufsichtsmaßnahmen der Finanzmarktaufsicht angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsstreits für zahlreiche Anleger die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO erfülle.

Der dagegen erhobene Rekurs der Beklagten ist zulässig und im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im Anschluss an ihren bereits im Verfahren erster Instanz erhobenen Verjährungseinwand beruft sich die Rekurswerberin insbesondere auf den Ablauf der absoluten 10‑jährigen Verjährungsfrist des § 6 Abs 1 Satz 2 AHG, die mit der Entstehung des Schadens zu laufen beginne. Der reale Schaden des Klägers sei bereits mit dem Erwerb der „falschen“ Anlage eingetreten. Er liege darin, dass der Anleger nicht ein risikoloses, sondern ein risikobehaftetes Papier erworben hat. Der Kläger habe nach seinem Vorbringen statt einer sicheren Anlage allgemein risikobehaftete Wertpapiere erworben. Der Eintritt des Schadens nach § 6 Abs 1 Satz 2 AHG sei somit bereits mit dem Erwerb der insofern „falschen“ Anlage am 23. 1. 2003 anzusetzen.

Der Rekursgegner hält dem entgegen, die absolute Verjährungsfrist sei nicht abgelaufen. Fristbeginn sei nicht die Entstehung, sondern die Wirksamkeit des Schadens beim Kläger. Diese sei frühestens eingetreten, als die Anteile des Klägers nicht mehr handelbar gewesen seien, also im Dezember 2008. Vor diesem Zeitpunkt hätte er seine Anteile uneingeschränkt und ohne Einbuße verkaufen können. Der „Zeitpunkt der Wirksamkeit“ könne aber auch erst später, nämlich bei Feststehen eines (rechnerischen) Schadens eingetreten sein.

Anders als im Bereich des § 1489 zweiter Satz ABGB beginnt im Amtshaftungsrecht die absolute (lange) Verjährungsfrist nicht bereits mit dem schadensverursachenden Ereignis, stellt doch § 6 Abs 1 zweiter Satz AHG ausdrücklich auf die „Entstehung des Schadens“ ab. Wenn in der Rechtsprechung formuliert wird, als Zeitpunkt der Entstehung des Schadens sei jener anzusehen, in welchem der Schaden „wirksam wurde“ (RIS‑Justiz RS0050376), ist damit der Zeitpunkt des realen Schadenseintritts gemeint (vgl nur RIS‑Justiz RS0050376 [T1]), der damit vom Zeitpunkt des schädigenden Handelns oder Unterlassens abgegrenzt werden soll. Sobald also im Vermögen des späteren Amtshaftungsklägers ein Nachteil eingetreten ist, beginnt die absolute 10‑Jahresfrist zu laufen.

Gerade im Bereich der sogenannten Anlegerschäden wird immer betont, dass der „reale“ Schaden (bereits) zu jenem Zeitpunkt eintritt, in dem das Vermögen des Anlegers durch den Erwerb eines unerwünschten Finanzprodukts anders zusammengesetzt ist, als gewollt (RIS‑Justiz RS0120784 [T7, T14a]). Unabhängig davon, ob der Anleger die Papiere (noch) ohne Verlust – oder gar mit einem Gewinn – verkaufen könnte, tritt regelmäßig der Schaden bereits mit dem Erwerb ein, wenn – wie dies auch hier behauptet wird – sich der Kläger damit ein Veranlagungsrisiko eingehandelt hat, dass er nicht eingehen wollte und mit dem er auch nicht rechnen musste.

Warum im vorliegenden Fall der Schaden erst im Dezember 2008 eingetreten sein sollte, als die erworbenen Papiere „nicht mehr handelbar“ gewesen seien, ist gerade vor diesem Hintergrund – und auch wegen des Fehlens entsprechender Prozessbehauptungen in erster Instanz – nicht verständlich. Vor allem hat der Kläger aber offensichtlich bereits bei Formulierung seines Feststellungsbegehrens selbst den bereits mit dem Erwerb der Papiere erfolgten Schadenseintritt erkannt. Er begehrt ja die Feststellung der Haftung für jenen Schaden, den er wegen der Unterlassung eines Vertriebsverbots dadurch erlitten hat, dass er die Fondsanteile gekauft hat. Auch mit seinem Vorbringen, es habe sich von Anfang an um eine betrügerische Konstruktion gehandelt und er hätte die Papiere nicht erworben, wenn die Finanzmarktaufsicht deren Vertrieb wegen des den einschlägigen Anlegerschutzvorschriften zuwiderlaufenden Risikos untersagt hätte, geht der Kläger selbst vom Eintritt eines realen Schadens – durch den Erwerb eines nicht werthaltigen Papiers – am 23. 1. 2003 aus. Da im Amtshaftungsrecht Naturalersatz nicht zusteht und – wie der Kläger selbst ausführt – ein rechnerischer Schaden noch nicht bezifferbar ist, wäre er zur Vermeidung der Verjährung gehalten gewesen, die auf Feststellung der schadenersatzrechtlichen Haftung gerichtete Klage vor dem 23. 1. 2013 zu erheben oder zumindest bis zu diesem Zeitpunkt die Beklagte gemäß § 8 Abs 1 AHG zur Anerkennung der Ersatzansprüche aufzufordern. Sowohl das Aufforderungsschreiben vom 16. 5. 2014 als auch die Klageerhebung am 19. 10. 2015 erfolgten jedoch außerhalb der 10‑jährigen Verjährungsfrist.

Damit ist das im Ergebnis zutreffende abweisende Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs‑ und Rekursverfahrens beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.

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