OGH 1Ob41/10a

OGH1Ob41/10a20.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Michael W*****, vertreten durch Dr. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, sowie 2.) Katharina W*****, und 3.) Matthias W*****, beide vertreten durch Dr. Philipp Pelz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Feststellung einer Grundstücksgrenze (Streitwert 21.750 EUR) sA, infolge außerordentlicher Revision der zweit- und drittklagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. Jänner 2010, GZ 5 R 1/10x-22, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 7. Oktober 2009, GZ 25 Cg 83/07f-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.) Davon, dass das Berufungsurteil so mangelhaft abgefasst wäre, dass es dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit zuließe, kann keine Rede sein. Der insoweit geltend gemachte Nichtigkeitsgrund liegt daher nicht vor.

2.) Als Mangel des Berufungsverfahrens wird geltend gemacht, dass es das Berufungsgericht nicht der Mühe wert befunden habe, die von den Revisionswerbern beantragte Berufungsverhandlung durchzuführen. Nach § 480 Abs 1 ZPO in der - hier anzuwendenden - Fassung des BBG 2009, ist eine mündliche Berufungsverhandlung nur mehr anzuberaumen, wenn es der Berufungssenat - etwa aufgrund der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache - für erforderlich hält. Ist eine abschließende Sacherledigung auch ohne eine solche Berufungsverhandlung möglich, stellt es keinen Verfahrensmangel dar, die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigen.

Aber auch bei Vorliegen eines Verfahrensverstoßes hätte der Revisionswerber nachvollziehbar die Relevanz eines solchen Mangels darzulegen, also auszuführen, zu welchem anderen Ergebnis das Berufungsgericht gelangt wäre, wäre ihm der angebliche Verfahrensmangel nicht unterlaufen. Auch im Zusammenhang mit dem (unberechtigten) Vorwurf, das Berufungsgericht habe das rechtliche Gehör der Kläger verletzt, wird nicht dargelegt, welchen Einfluss es gehabt hätte, wenn sie über ihre schriftliche Berufung hinaus auch noch in einer Berufungsverhandlung Erklärungen hätten abgeben können.

3.) Soweit sich die Revisionswerber auf (vermeintliche) Mängel des Verfahrens erster Instanz berufen, übersehen sie, dass derartige Mängel vor dem Revisionsgericht dann nicht mehr geltend gemacht werden können, wenn diese vom Berufungsgericht verneint wurden (vgl nur RIS-Justiz RS0106371). Dass das Berufungsgericht die in der Berufung enthaltene Verfahrensrüge etwa nicht prozessordnungsgemäß erledigt hätte, behaupten die Revisionswerber nicht.

4.) Die Frage der Auslegung des Prozessvorbringens einer Partei durch das Berufungsgericht stellt regelmäßig keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage dar (vgl nur RIS-Justiz RS0042828), sofern diesem nicht eine erhebliche Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Eine solche liegt hier nicht vor.

Die Kläger hatten im Verfahren erster Instanz ursprünglich vorgebracht, sie bzw ihre Rechtsvorgänger hätten seit der Errichtung einer Ufermauer im Jahr 1959 die strittige Grundfläche mehr als 40 Jahre lang gutgläubig genutzt und den Flächenanteil im Ausmaß von 145 m2 ersessen, „soferne sie nicht von allem Anfang an Eigentümer dieses Flächenteils gewesen sind“. Dieser Teil stelle kein öffentliches Wassergut dar, weil er nicht in einem Hochwasserabflussgebiet liege und es sich auch nicht um ein wasserführendes oder verlassenes Bett eines öffentlichen Gewässers handle. Gegebenenfalls hätten die Rechtsvorgänger der Kläger auch durch den Bau der Ufermauer Eigentum durch Bauführung an dieser Fläche erlangt. Nach über fünf Jahrzehnten eine Änderung der in der Natur anlässlich der Herstellung der Uferschutzmauer klar definierten Grenze herbeiführen zu wollen, widerspreche zudem dem Grundsatz von Treu und Glauben. Das von der Beklagten eingewandte Ersitzungsverbot sei nicht anwendbar, sodass ungeachtet dessen, dass sich diese Fläche seit jeher im Eigentum der Kläger bzw ihrer Rechtsvorgänger befunden habe, weitere Ausführungen entbehrlich seien.

Die Beklagte hatte im Verfahren stets die Auffassung vertreten, die strittige Fläche stelle einen Teil des öffentlichen Wasserguts dar und sei von der Ersitzung ausgeschlossen; ein entsprechender Grenzpunkt aus dem Jahr 1957 sei nach wie vor vorhanden. Der Rechtsvorgänger der Kläger habe die Ufermauer nur unter der Auflage errichten dürfen, dass die Grenze zwischen dem öffentlichen Wassergut und seiner Liegenschaft in der Natur festgestellt werde. Der Lageplan eines Zivilingenieurs sei im Jahr 1960 erstellt worden und habe die heute strittige Fläche als öffentliches Wassergut ausgewiesen. In der Folge konkretisierten sie ihr Vorbringen zur (ursprünglichen) Ausdehnung des öffentlichen Gewässers dahin, dass der regelmäßig wiederkehrende ordentliche Höchstwasserstand des Sees im Bereich der klägerischen Uferparzelle im Jahr 1958 noch bis zur Katastralmappengrenze gegangen sei; der damalige Vermesser habe den heute strittigen Grenzstreifen als „Schwemmland“ ausgewiesen.

Das zuletzt dargelegte Vorbringen der Beklagten wurde von den Klägern nicht bestritten. Wenn das Berufungsgericht unter Berücksichtigung dieses Umstands das gesamte Vorbringen der Kläger - unter Berücksichtigung der rechtlichen Konsequenzen der unbestrittenen Einwendungen der Beklagten - dahin ausgelegt hat, dass letztlich nur mehr der Rechtsgrund der Ersitzung aufrecht erhalten worden sei, kann von einer unvertretbaren Fehlbeurteilung nicht gesprochen werden. Die Kläger haben nur ganz allgemein - hilfsweise - behauptet, der fragliche Grundstreifen habe sich bereits immer im Eigentum ihrer Rechtsvorgänger befunden, dazu jedoch kein konkretes Vorbringen - weder zum früheren Zustand dieser Fläche noch zur Art und zum Zeitpunkt des Erwerbs - erstattet. Nachdem sie das Vorbringen der Beklagten, der ordentliche Höchstwasserstand des Sees sei zur Zeit der Herstellung der Ufermauer bis zur (von der Beklagten als Grundstücksgrenze bezeichneten) Katastralmappengrenze gegangen und der Bereich zwischen dieser Grenze und der unstrittig der Beklagten gehörigen eigentlichen Wasserfläche habe sich als Schwemmland dargestellt, nicht bestritten haben, kann dem Berufungsgericht nicht der Vorwurf einer unvertretbaren Auslegung des Prozessvorbringens der Kläger gemacht werden, wenn es annahm, die Kläger hätten ihr ursprüngliches (nicht näher konkretisiertes) Vorbringen zu der ursprünglich behaupteten Ausdehnung ihrer Liegenschaft bis zur später errichteten Ufermauer nicht aufrechterhalten.

Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Errichtung einer Uferbefestigungsmauer in aller Regel nicht in einem Bereich erfolgt, der auch bei höchstem Wasserstand vom jeweiligen Gewässer nicht erreicht wird, weil außerhalb des „Schwemmgebiets“ in der Regel kein Bedarf nach einer Befestigung besteht. Geht man nun von der zutreffenden Rechtsansicht der Beklagten aus, dass sich die Grenze des öffentlichen Wasserguts nach dem regelmäßig wiederkehrenden ordentlichen Höchstwasserstand eines Sees bestimmt (EvBl 1980/201; SZ 62/59 ua), würde jegliches „Hinausschieben“ einer Befestigung in diesen Überflutungsbereich durch einen Seeanrainer einen Eingriff in das Eigentum des Seeeigentümers bedeuten. Selbst wenn im vorliegenden Fall die Ufermauer nur wenige Zentimeter in den durch den regelmäßig wiederkehrenden ordentlichen Höchstwasserstand bestimmten Bereich des öffentlichen Wasserguts „hinausgebaut“ worden wäre, wäre das Klagebegehren abzuweisen gewesen, das (allein) darauf gerichtet war, die Grundstücksgrenze an der in der Natur vorhandenen „seeseitigen Außenbegrenzung der Uferschutzmauer“ festzustellen.

5.) Auch wenn das Berufungsgericht sich bei seiner Bestätigung des klageabweisenden Ersturteils auf die Frage eines allfälligen Eigentumserwerbs durch Ersitzung beschränkt hat, ergibt sich aus den - auch vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen - erstgerichtlichen Feststellungen weiter, dass die nunmehrigen Revisionswerber bei einer Grenzverhandlung am 4. 10. 2004 durch einen Bevollmächtigten die Erklärung abgaben, der „Grundstücksfestlegung“ nach den Katastergrenzen zuzustimmen, wobei eine entsprechende schriftliche Zustimmungserklärung nicht nur von ihrem Bevollmächtigten, sondern auch von einem Mitarbeiter der Österreichischen Bundesforste AG, der Vertreterin der Beklagten hinsichtlich der Verwaltung unter anderem ihrer Seeliegenschaften, unterfertigt wurde. Nach dem Inhalt des Protokolls bestätigten die Grundeigentümer bzw ihre Bevollmächtigten mit ihrer Unterschrift, dass der Grenzverlauf einvernehmlich festgelegt wurde.

Haben nun aber die Revisionswerber im Jahr 2004 durch ihren Bevollmächtigten in Übereinstimmung mit einem Vertreter der Beklagten den Grenzverlauf zwischen ihren Liegenschaften einvernehmlich festgelegt, ist nicht erkennbar, warum sie nun berechtigt sein sollten, sich gegenüber der Beklagten auf einen früheren, angeblich abweichenden Grenzverlauf zu berufen, stünde dem doch eine bindende vertragliche Regelung (Anerkenntnisvertrag bzw Vergleich) entgegen. Gründe, die gegen die Wirksamkeit dieser von der Beklagten ins Treffen geführten Vereinbarung sprechen könnten, haben die Revisionswerber im erstinstanzlichen Verfahren nicht dargelegt. Ihre ursprüngliche Behauptung, sie seien bei der Grenzverhandlung nicht anwesend gewesen, wurde durch die Feststellung ihrer Vertretung durch einen Bevollmächtigten der Boden entzogen.

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