OGH 1Ob39/16s

OGH1Ob39/16s31.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** S*****, vertreten durch Mag. Georg Derntl, Rechtsanwalt in Perg, gegen die beklagte Partei Dr. F***** S*****, vertreten durch Dr. Jürgen Nowotny, Rechtsanwalt in Linz, wegen 15.228,56 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. November 2015, GZ 3 R 143/15t‑61, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 21. August 2015, GZ 3 Cg 33/13b‑57, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00039.16S.0331.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.253,88 EUR (darin 208,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Klägerin wurde vom Beklagten zahnärztlich behandelt, wobei dieser die gewünschte Zahnprothese insgesamt drei Mal anfertigte, da die Klägerin wiederholt über Passungenauigkeiten und Beschwerden geklagt hatte. Die ursprüngliche Behandlung des Fehlbisses der Klägerin ‑ vor Anfertigung einer Metallgerüstprothese ‑ mit einer bestimmten Schiene entsprach den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und erfolgte fachgerecht. Die Metallgerüstprothese konnte im Mund der Klägerin spannungsfrei eingebracht und wieder herausgenommen werden. Der Metallkörper lag gut an der Schleimhaut an und verursachte keine Kompressionsblässe. Die von der Klägerin beschriebenen Schmerzen beim Tragen dieser Metallgerüstprothese haben keine äußerlich erkennbare Ursache. Aus neurologischer Sicht leidet die Klägerin an einem atypischen Gesichtsschmerz, der durch eine Somatisierungsstörung bedingt ist. Dieser Gesichtsschmerz ist vollständig durch diese Störung erklärbar, bei der Schmerzen bald verstärkt, bald ohne organisch fassbaren Befund wahrgenommen werden. Bei einer solchen Störung können auch nach einer fachgerecht durchgeführten zahnärztlichen Behandlung unvorhersehbare und wiederkehrende Schmerzen auftreten. Darüber, dass es trotz sorgfältigster Behandlung und lege artis hergestellter Metallgerüstprothese zu Schmerzzuständen kommen kann, hat der Beklagte die Klägerin vor der Behandlung nicht aufgeklärt. Er wies lediglich auf ein mögliches Fremdkörpergefühl hin.

Die Klägerin begehrte nun die Rückzahlung des geleisteten Honorars, Schmerzengeld in Höhe von 10.000 EUR sowie die Kosten für eine neue Aufbissschiene, Fahrtkosten und Spesen im Gesamtbetrag von 15.228,56 EUR sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für ihre künftigen Schäden aufgrund fehlerhafter Behandlung und Verletzung seiner Aufklärungspflicht. Es sei dem Beklagten nicht möglich gewesen, eine Prothese anzupassen, die ihr keine erheblichen Schmerzen bereitet. Er habe sie auch nicht über die mit der Behandlung verbundenen Risiken und Komplikationen, insbesondere über die mit dem Tragen der Prothese einhergehenden Schmerzen aufgeklärt.

Der Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, er habe die Klägerin lege artis behandelt. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem von ihr geschilderten Beschwerdebild und seinen Behandlungsmaßnahmen läge nicht vor. Er habe ihr jedoch mitgeteilt, dass es sich um einen Eingriff handle, welcher durch Einsetzen eines Fremdkörpers bis zur Gewöhnung eine Irritation auslösen könne. Im Wissen dieser Umstände habe die Klägerin in die Behandlung eingewilligt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ausgehend vom eingangs dargestellten Sachverhalt und der weiteren Feststellung, dass die Klägerin sich auch bei „entsprechender Aufklärung“ für eine Metallgerüstprothese entschieden hätte, verneinte es zuerst einen ärztlichen Behandlungsfehler. Ob den Beklagten eine Pflicht zur Aufklärung darüber getroffen hätte, dass es trotz sorgfältigster Behandlung und lege artis hergestellter Prothese zu massiven Schmerzzuständen der Klägerin kommen könne, müsse nicht erörtert werden, weil nach dem festgestellten Sachverhalt auch eine solche Aufklärung nichts daran geändert hätte, dass die Klägerin in die Behandlung eingewilligt hätte. Darüber hinaus seien die Gesichtsschmerzen nicht durch die prothetische Versorgung, sondern durch ihre Somatisierungsstörung verursacht worden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die Revision letztlich für zulässig. Es verwarf den Einwand der Berufungswerberin, die Feststellung über ihre hypothetische Einwilligung bei ausreichender Aufklärung sei als überschießend nicht zu berücksichtigen. Diese Feststellung halte sich im Rahmen des Beklagtenvorbringens, das so zu verstehen sei, dass sich der Beklagte letztlich auch auf eine hypothetische Zustimmung der Klägerin berufen habe. Einen Behandlungsfehler mache die Klägerin nicht mehr geltend. Die Revision sei allerdings zulässig, weil es angezeigt erscheine, die Anforderungen an das Vorbringen zum Einwand der hypothetischen Zustimmung vom Höchstgericht für solche Fälle klarstellen und präzisieren zu lassen, in denen sich der beklagte Arzt ohnehin auf eine gehörige Aufklärung beruft; zu entscheiden sei insbesondere, ob vom Einwand des Beklagten, die Patientin habe nach gehöriger Aufklärung zugestimmt, welche aber im Prozess letztlich nicht erweislich sei, das Vorbringen zu einer hypothetischen Zustimmung bei gehöriger Aufklärung mitumfasst ist.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist nicht zulässig, weil darin keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage erörtert wird.

Gegenstand der Revision sind ausschließlich die behauptete Verletzung einer Aufklärungspflicht des Beklagten sowie die Zulässigkeit und Verwertung der Feststellung über die hypothetische Zustimmung der Klägerin durch die Vorinstanzen. Einen Behandlungsfehler macht die Klägerin ‑ wie schon im Berufungsverfahren ‑ nicht mehr geltend. Da sie nicht konkret darlegt, inwieweit sie eine (weitergehende) Aufklärung durch den Beklagten vermisst, muss davon ausgegangen werden, dass sie auf jenen Aufklärungsgegenstand Bezug nimmt, zu dem die Vorinstanzen wegen der angenommenen hypothetischen Einwilligung nicht weiter Stellung genommen haben.

Nach den in der Judikatur gebildeten Grundsätzen soll die ärztliche Aufklärung den Einwilligenden instandsetzen, die Tragweite seiner Erklärung zu überschauen (RIS‑Justiz RS0026413). Der Arzt muss den Patienten, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische adäquate Verfahren informieren sowie, das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risiken entstehen können und der Patient eine Wahlmöglichkeit hat (RIS‑Justiz RS0026426 [T1]). Der konkrete Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, wobei nicht auf alle denkbaren Folgen der Behandlung hinzuweisen ist, und bildet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0026529 [T18, T20, T21, T30]; RS0026763 [T5]).

Im vorliegenden Fall wird dem Beklagten vorgeworfen, nicht darüber aufgeklärt zu haben, dass es auch bei fachgerechter Behandlung zu unvorhersehbaren und auch wiederkehrenden (massiven) Schmerzzuständen kommen kann. Berücksichtigt man nun, dass die Somatisierungsstörung der Klägerin eine Anomalie darstellt, wäre eine Aufklärungspflicht nur dann zu bejahen, wenn diese Störung bei einer größeren Anzahl von Menschen auftritt und damit beim Aufklärungsgespräch ins Kalkül zu ziehen wäre oder der Arzt sonst ‑ in der Regel durch den Patienten ‑ Informationen über das Bestehen einer solchen Störung erhalten hat. Beides wird von der Revisionswerberin nicht behauptet. Über Behandlungsrisiken, die sich nur ganz selten und unter ganz bestimmten Umständen verwirklichen, ist aber nicht aufzuklären (vgl nur 7 Ob 228/11x = RIS‑Justiz RS0026763 [T6]; RS0026529 [T16]; RS0026230; 1 Ob 14/12h ua).

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen, weshalb sein Schriftsatz als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme zu qualifizieren ist.

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