OGH 1Ob34/94

OGH1Ob34/9423.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Pimmer als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Alfred K*****, vertreten durch Dr.Dietrich Hafner, Rechtsanwalt in Waidhofen/Ybbs, wider die Antragsgegnerin Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen Festsetzung der Ersatzpflicht gemäß § 31 WRG, infolge Revisionsrekurses des Antragstellers gegen den Beschluß des Landesgerichtes Steyr als Rekursgerichtes vom 8.August 1994, GZ 1 R 85/94-20, womit aus Anlaß des Rekurses der Antragsgegnerin der Beschluß des Bezirksgerichtes Enns vom 15.März 1994, GZ Nc 36/91-16, als nichtig aufgehoben und der Antrag des Antragstellers, von der Auferlegung einer Ersatzpflicht gemäß § 31 WRG Abstand zu nehmen, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird mit der Maßgabe bestätigt, daß er zu lauten hat:

„Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Antrag des Antragstellers, 'von einer Auferlegung der Ersatzpflicht hinsichtlich des Betrages von S 78.023,61 Abstand zu nehmen', abgewiesen wird.

Die Parteien haben die Kosten des Rekursverfahrens jeweils selbst zu tragen.“

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsrekursverfahrens jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft L***** vom 16.8.1989 wurde der Antragsteller, gestützt auf § 31 Abs.3 WRG, verpflichtet, Kosten im Betrage von S 78.023,61 für die Entsorgung des in einer Jauchegrube im Anwesen K*****, befindlichen Ölschlamms zu ersetzen. Dieser Bescheid enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, wonach binnen zwei Wochen nach Zustellung bei der Bezirkshauptmannschaft L***** schriftlich oder telegrafisch Berufung eingebracht werden könne (AS 7). Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 30.8.1989 zugestellt (AS 9).

Am 12.9.1989 langte bei der Bezirkshauptmannschaft L***** die vom 10.9.1989 datierte Berufung des Antragstellers gegen den vorhin genannten Bescheid ein. Begründet wurde sie damit, daß der Antragsteller nicht Verursacher der Gewässerverunreinigung gewesen sei.

Am 24.4.1991 übermittelte der Landeshauptmann von OÖ. die Berufung des Antragstellers und verschiedene Bestandteile des Verwaltungsaktes an das Erstgericht. Er vertrat im Begleitschreiben die Auffassung, in analoger Anwendung des Art.II der WRG-Novelle 1988, BGBl 1988/693, sei die als Anrufung des Gerichtes im Sinne des § 117 Abs.4 WRG aufzufassende Berufung samt den maßgeblichen Aktenunterlagen zuständigkeitshalber dem Bezirksgericht Enns abzutreten (AS 1).

Das Erstgericht stellte mit Schreiben vom 30.4.1991 (AS 75) die vom Landeshauptmann übermittelten Unterlagen (einschließlich der Berufung) mit dem Bemerken zurück, daß derzeit keine Veranlassung für ein gerichtliches Verfahren bestehe. Art.II der WRG-Novelle 1988 sei ausschließlich auf Berufungsverfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle (1.1.1989) anhängig waren, anzuwenden. Für die Bekämpfung des Bescheides vom 16.8.1989 sei daher § 117 Abs.4 WRG maßgeblich. Die Berufung könne nicht als Antrag an das Gericht auf Einleitung des Verfahrens gemäß § 117 Abs.4 WRG aufgefaßt werden.

Das Erstgericht leitete den Antragsteller am 15.5.1991 an, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrags gemäß § 117 Abs.4 WRG zu stellen. Dieser brachte dabei vor, die unrichtige Rechtsmittelbelehrung im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft L***** stelle ein unvorhergesehenes Ereignis und damit einen Wiedereinsetzungsgrund dar. Für den Fall der Wiedereinsetzung stellte er den Antrag, „von einer Auferlegung der Ersatzpflicht hinsichtlich des Betrages von S 78.023,61 Abstand zu nehmen“ (AS 77).

Am 4.6.1991 langte beim Amt der Oö. Landesregierung eine Eingabe des Antragstellers vom 15.5.1991 ein, womit er die Berufung gegen den eingangs bezeichneten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft L***** zurückzog.

Mit Beschluß vom 4.3.1992 bewilligte das Erstgericht dem Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Antragstellung gemäß § 117 Abs.4 WRG. Die Versäumung der Frist sei auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung im Bescheid zurückzuführen. Der Wiedereinsetzungsantrag sei rechtzeitig, weil das Hindernis erst durch die am 15.5.1991 erfolgte Rechtsbelehrung beseitigt worden sei.

In der Sache sprach das Erstgericht aus, daß der Antragsteller nicht verpflichtet sei, der Antragsgegnerin S 78.023,61 samt 4 % Zinsen seit 15.5.1991 zu ersetzen. Es könne nicht festgestellt werden, daß die Verschmutzung durch den Gewerbebetrieb des Antragstellers verursacht worden sei.

Das Rekursgericht hob aus Anlaß des Rekurses diesen Beschluß und das diesem vorangegangene Verfahren zur Gänze als nichtig auf und wies den Antrag des Antragstellers, „von einer Auferlegung der Ersatzpflicht hinsichtlich des Betrages von S 78.023,61 Abstand zu nehmen“, zurück; es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Antragsteller habe infolge unrichtiger Rechtsmittelbelehrung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft L***** Berufung erhoben, obwohl gegen Entscheidungen der Wasserrechtsbehörde nach § 117 Abs.1 WRG gemäß Abs.4 leg.cit. eine Berufung nicht zulässig sei. In der Berufung sei ein an das Gericht gerichteter Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 117 Abs.4 WRG nicht zu erblicken. Dementsprechend habe der Antragsteller die unzulässige Berufung auch zurückgenommen. Die Frist des § 117 Abs.4 WRG sei materiellrechtlicher Natur, deren Versäumung sei einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zugänglich. Der Antragsteller habe die im § 117 Abs.4 WRG normierte zweimonatige Frist nicht gewahrt, die vom Erstgericht dennoch bewilligte Wiedereinsetzung sei unwirksam und für die Rechtsmittelinstanz unbeachtlich. Eine Entscheidung des Gerichtes über den von der Antragsgegnerin begehrten Ersatzanspruch komme nicht mehr in Betracht, die Wasserrechtsbehörde habe abschließend darüber abgesprochen. Da die Sache der außerstreitigen Gerichtsbarkeit entzogen sei, sei die Entscheidung des Erstgerichtes und das dieser vorangegangene Verfahren für nichtig zu erklären und der Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.

Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie schon die Vorinstanzen richtig erkannt haben, ist Art.II der WRG-Novelle 1988 ausschließlich auf Berufungsverfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle (1.1.1989) anhängig waren, anzuwenden. Der vom Antragsteller bekämpfte Bescheid datiert vom 16.8.1989. Schon daraus ergibt sich, daß ein Berufungsverfahren am 1.1.1989 in der vorliegenden Angelegenheit nicht anhängig war, weshalb § 117 Abs.4 WRG Anwendung zu finden hat. Danach ist aber gegen Entscheidungen der Wasserrechtsbehörde nach § 117 Abs.1 WRG eine Berufung nicht zulässig. Abgesehen davon, daß der Antragsteller die von ihm erhobene Berufung ausdrücklich zurückgezogen hat, kann die Berufungsschrift auch nicht als Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 117 Abs.4 WRG umgedeutet werden, hat er doch - wenngleich aufgrund unrichtiger Rechtsmittelbelehrung - ausdrücklich eine an die Bezirkshauptmannschaft L***** adressierte Berufung erhoben. Das hat der Antragsteller übrigens auch noch im Zuge seiner Antragstellung beim Erstgericht am 15.5.1991 deutlich zum Ausdruck gebracht, wo er angab, er habe gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft L***** Berufung eingelegt, anstatt das Gericht anzurufen.

Es ist sohin davon auszugehen, daß er erstmals am 15.5.1991 die gerichtliche Entscheidung gemäß § 117 Abs.4 WRG beantragte. Die Entscheidung der Wasserrechtsbehörde tritt aber nur dann außer Kraft, wenn vor Ablauf von zwei Monaten nach Zustellung des Bescheides die gerichtliche Entscheidung beantragt wird. Die Zustellung des Bescheides erfolgte unbestrittenermaßen am 30.8.1989, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung liegt somit weit außerhalb dieser Frist. Deshalb hat auch das Erstgericht den Antragsteller zu seinem Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Frist zur Antragstellung gemäß § 117 Abs.4 WRG angeleitet und ihm die beantragte Wiedereinsetzung bewilligt.

Gemäß § 117 Abs.6 zweiter Satz WRG finden auf das Verfahren die Bestimmungen des Eisenbahnenteignungsgesetzes 1954, BGBl Nr.71, sinngemäße Anwendung. Gemäß § 24 Abs.1 EisbEG hat das Gericht die Grundsätze des Verfahrens außer Streitsachen anzuwenden. Es besteht daher kein Zweifel, daß für das gerichtliche Neufestsetzungsverfahren nach § 117 Abs.4 und 6 WRG die Bestimmungen des Verfahrens außer Streitsachen „sinngemäß“anzuwenden sind (1 Ob 27/93; Raschauer, Kommentar zum Wasserrecht, Rz 12 zu § 117 WRG).

Gemäß § 17 AußStrG kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den §§ 146 ff ZPO auch im Verfahren außer Streitsachen bewilligt werden. Das dem Prozeßrecht angehörende Institut ist nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung ein Rechtsbehelf gegen die Folgen prozessualer Rechtsversäumnisse; im Bereich des materiellen Rechts ist hingegen schon nach dem klaren Wortlaut des § 1450 ABGB jede Wiedereinsetzung ausgeschlossen (JBl. 1959, 640; 7 Ob 653/78; Fasching, Lehrbuch2 Rz 574). Eine gesetzwidrig bewilligte Wiedereinsetzung wegen Versäumung einer Frist ist unwirksam und daher von der Rechtsmittelinstanz nicht zu beachten (ÖBl 1986, 45; JBl 1983, 493; EvBl 1982/119). Es ist daher die Frage zu prüfen, ob es sich bei der im § 117 Abs.4 WRG normierten Frist um eine materiellrechtliche Fallfrist handelt, sodaß die Folgen ihrer Versäumung durch Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht behoben werden können.

In der Entscheidung 1 Ob 35/91 hat der erkennende Senat die Prüfung dieser Frage dahingestellt gelassen, aber schon darauf hingewiesen, daß das Bundesstraßenrecht als Vorbild für die im § 117 Abs.4 WRG vorgesehene Frist gedient hat. Nach Rechtsprechung und Lehre statuiert § 20 Abs.3 BStG 1971 eine materiellrechtliche Ausschlußfrist, d.h. die Frist ist nur gewahrt, wenn der Antrag am letzten Tag bei Gericht einlangt (7 Ob 588/88; Brunner, Enteignung für Bundesstraßen 90). Wenn nun der Gesetzgeber selbst zum Ausdruck gebracht hat, daß für die Einführung der sukzessiven Gerichtszuständigkeit gemäß § 117 Abs.4 WRG die Regelungen des Bundesstraßenrechtes als Vorbild genommen wurden und daß die vielfach daran geäußerte Kritik mitberücksichtigt worden sei (siehe RV 762 BlgNR 17.GP 11), dann kann nicht daran gezweifelt werden, daß auch die zweimonatige Frist, innerhalb welcher gemäß § 117 Abs.4 WRG die gerichtliche Entscheidung beantragt werden kann, materiellrechtlicher Natur ist.

Die gegenteilige Ansicht Aichlreiters in AnwBl 1989, 595, daß die Frist des § 117 Abs.4 WRG verfahrensrechtlicher Natur sei - Raschauer übernimmt diese Ansicht in seinem Kommentar zum Wasserrecht ohne eigene Stellungnahme oder weitergehende Begründung (siehe Rz 9 zu § 117 WRG) - überzeugt nicht. Selbst Aichlreiter gesteht zu, daß es „fürs erste“ gerechtfertigt erschiene, diese Frist als materiellrechtliche einzuordnen. Dagegen spreche aber, daß eine gesetzliche Fristsetzung „nach ihrem Inhalt, nicht aber danach, in welchem Gesetz sie steht“, einzuordnen sei. Vom Inhalt her erscheine es gerechtfertigt, die im § 117 Abs.4 WRG geregelte Zweimonatsfrist als verfahrensrechtliche Frist einzuordnen, was bedeute, daß die versäumte Frist mit den Mitteln der Wiedereinsetzung restituiert werden könne. Für dieses Ergebnis könne auch die prozedurale Stellung dieser Frist ins Treffen geführt werden, denn mit ihr würden zwei - wenn auch mehr oder weniger getrennte - Verfahrensgänge verknüpft, und komme ihr insofern eine verfahrensrechtliche Brückenfunktion zu.

Dem ist entgegenzuhalten, daß die Entscheidung der Wasserrechtsbehörde gemäß § 117 Abs.1 WRG nur dann außer Kraft tritt, wenn vor Ablauf von zwei Monaten nach Zustellung des Bescheides die gerichtliche Entscheidung beantragt wird. Wird ein solcher Antrag nicht gestellt, dann kann eine Partei die Unwirksamkeit der Entscheidung der Wasserrechtsbehörde nicht mehr herbeiführen, was bedeutet, daß sie sich eines allfälligen Rechts verschwiegen hat. Ihr allenfalls bestandenes materielles Recht ist verlorengegangen. Fristen des materiellen Rechtes sind aber Zeiträume, an deren Beachtung das Gesetz bestimmte materielle Rechtsfolgen knüpft. Dient eine schriftliche Verfahrenshandlung (gleichzeitig auch) der Wahrung einer solchen Frist, muß sie spätestens am letzten Tag dieser Frist bei Gericht eingelangt sein. Ob eine bestimmte Frist dem Verfahrens- oder dem materiellen Recht zuzurechnen ist, hängt dabei - in Übereinstimmung mit Aichlreiter - nicht etwa davon ab, in welcher Rechtsvorschrift sie angeordnet ist, sondern ob an ihre Einhaltung verfahrens- oder materiellrechtliche Folgen geknüpft sind (1 Ob 665/90; Fasching, Lehrbuch2 Rz 548). Demgemäß sind insbesondere Fristen, deren Beachtung Erfolgsvoraussetzung von Rechtsschutzanträgen im Verfahren außer Streitsachen sind, dem materiellen Recht zuzurechnen (vgl. 1 Ob 665/90 und 7 Ob 653/78 in den durchaus vergleichbaren Fällen des § 10 LPG bzw. § 9 Abs.1 des Vermögensabwicklungsgesetzes). Eine „verfahrensrechtliche Brückenfunktion“ kommt der Antragsfrist naturgemäß in allen Fällen der sogenannten sukzessiven Kompetenz zu, welcher Natur auch immer die Frist sein mag. Ist die Antragsfrist gemäß § 117 Abs.4 WRG eine materiellrechtliche Fallfrist, deren Versäumung durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht behoben werden kann, so konnte auch die vom Erstgericht rechtswidrigerweise bewilligte Wiedereinsetzung die unbestrittenermaßen eingetretene Versäumung der Frist nicht heilen (1 Ob 665/90; Fasching aaO Rz 549).

Zur Entscheidung des vom Antragsteller gestellten Antrags war das Erstgericht als Außerstreitgericht zuständig. Der Antragsteller ist seines Anspruchs selbst - sofern er überhaupt einen solchen hatte - verlustig gegangen, weshalb der von ihm gestellte Antrag nicht zurück-, sondern abzuweisen ist. Eine Verfahrensnichtigkeit liegt nicht vor, weil der Antrag der außerstreitigen Gerichtsbarkeit - im Gegensatz zur Ansicht des Rekursgerichtes - nicht entzogen ist.

Dem Revisionsrekurs ist nicht Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung mit der aus dem Spruch ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen.

Die Kosten des Rekurs- und des Revisionsrekursverfahrens hat jede Partei selbst zu tragen. Der Antragsgegnerin steht mangels gesetzlicher Grundlage ein Kostenersatzanspruch nicht zu, dem Antragsteller gebührt für sein erfolgloses Rechtsmittel kein Ersatz (SZ 60/17; 6 Ob 538/94; 1 Ob 578/93; 1 Ob 546/89 uva; § 117 Abs.6 WRG iVm § 44 EisbEG).

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