OGH 1Ob315/99a

OGH1Ob315/99a14.1.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Jan C*****, Rumänien, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 333.432,67 S sA infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 94.110,92 S sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Juni 1999, GZ 14 R 98/99f-85, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 2. März 1999, GZ 26 Cg 4/98p-79, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.072 S bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt aus Anlass einer "Gendarmerierazzia" eine Schussverletzung. Die beklagte Partei hat ihm für die Schäden aus diesem Vorfall aus dem Titel der Amtshaftung einzustehen.

Der Kläger begehrte zuletzt nur noch den Zuspruch von 333.432,67 S sA an Verfahrenskosten. Er brachte vor, die Bemessungsgrundlage zur Ermittlung des Anwaltshonorars für seine Vertretung im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat betrage gemäß § 5 Z 38 lit a AHR 300.000 S. Der Berechnung sei § 8 Abs 1 AHR zugrunde zu legen. Diese Kostensumme sei dann um ein Drittel zu kürzen.

Die beklagte Partei wendete ein, der Ersatzanspruch des Klägers für den Vertretungskostenaufwand vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat sei nach TP 3 B RATG zu berechnen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 237.091,50 S sA statt und wies das Mehrbegehren von 96.341,17 S ab. Nach dessen Ansicht richtet sich der Ersatzanspruch des Klägers nach TP 3 B RATG. Das entspreche der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Wien.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es dem Kläger 196.831,25 S sA zusprach und das Klagemehrbegehren von 136.601,42 S abwies. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, die Frage nach der Honorierung von Vertretungsleistungen vor einem Unabhängigen Verwaltungssenat sei weder im Rechtsanwaltstarifgesetz noch in den Autonomen Honorar-Richtlinien für Rechtsanwälte geregelt. Der Berufungssenat judiziere allerdings in ständiger Rechtsprechung, dass solche Leistungen gemäß TP 3 B RATG zu entlohnen seien. Das sei die "rechtsähnlichste" Norm zur Schließung einer Gesetzeslücke. Dem komme nach wie vor "hohe Überzeugungskraft" zu. Diese Ansicht werde durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. September 1991 91/19/0162 nicht widerlegt, weil das, was für das Verwaltungsverfahren gelte, "nicht notwendig auf die Frage der schadenersatzrechtlichen ... Haftpflicht" zutreffe. Die im Erkenntnis erörterte Honorierung beziehe sich nicht auf die mit einem Rechtsanwalt vereinbarte Entlohnung, sondern auf den Kostenersatz durch Dritte. "Verfahrensinterne Kostenersatzregeln und verfahrensexterne Schadenersatzansprüche" seien "keineswegs deckungsgleich". Das vom Kläger als Stütze für seinen Prozessstandpunkt herangezogene Erkenntnis sei ferner zu einer "seit der Novelle BGBl 1995/471 nicht mehr geltenden Fassung des § 79a AVG ergangen". Der Kläger habe im Berufungsverfahren selbst zugestanden, keinen auf Umsatzsteuer bezogenen Ersatzanspruch zu haben. Insofern sei das Klagebegehren in teilweiser Abänderung des Ersturteils abzuweisen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Honorierung anwaltlicher Vertretungsleistungen vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen des vom Berufungsgericht genannten Grundes zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Soweit für anwaltliche Leistungen ein gesetzlicher Tarif besteht, sind gewöhnlich dessen Ansätze als angemessenes Entgelt anzusehen. Danach ist in erster Linie das Rechsanwaltstarifgesetz maßgebend. In Ermangelung eines gesetzlichen Tarifansatzes sind die Autonomen Honorar-Richtlinien für Rechtsanwälte (AHR) als kodifiziertes Gutachten über die angemessene Honorierung anwaltlicher Leistungen von Bedeutung (9 Ob 111/98h; AnwBl 1995, 520 = ecolex 1994, 162; SZ 62/102 ua).

1. 1. Vom erkennenden Senat wurde bereits ausgesprochen, dass Verfahrenskosten aufgrund einer Beschwerde an einen Unabhängigen Verwaltungssenat gegen die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, die über den in diesem Verfahren zugesprochenen pauschalen Aufwandersatz - im Anlassfall 18.950 S - hinausgehen, jedoch zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer faktischen Amtshandlung zweckmäßig aufgewendet werden mussten, in angemessener Höhe aus dem Titel der Amtshaftung ersatzfähig sind (1 Ob 2355/96x; JBl 1996, 58). Zufolge der unter 1. erläuterten Bedeutung der AHR ist weiters geklärt, dass eine Honorarforderung nach deren Ansätzen angemessen ist und deshalb auch einem Amtshaftungsanspruch zugrunde gelegt werden kann (SZ 65/125).

1. 2. Welche Kosten der Kläger für seine anwaltliche Vertretung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat über den ihm schon nach der Aufwandersatzverordnung UVS BGBl 1995/855 zuerkannten pauschalierten Betrag nach Gesichtspunkten der Angemessenheit aufzuwenden hatte, ist aus dem Rechtsanwaltstarifgesetz nicht ableitbar. Mangels eines Tarifansatzes stellt sich die Frage nach einer Gesetzeslücke, die durch Analogie geschlossen werden kann.

Ein Analogieschluss ist nur im Falle einer planwidrigen und daher ungewollten Gesetzeslücke geboten (EvBl 1999/78; EvBl 1997/113; NZ 1996, 347 [Hoyer]; SZ 55/51; SZ 49/45 uva). Das bloß rechtspolitisch Erwünschte vermag dagegen der ergänzenden Rechtsfindung durch Analogiebildung nicht als ausreichende Grundlage zu dienen (EvBl 1999/78; NZ 1996, 347 [Hoyer]; F. Bydlinski in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 7 mwN). Eine Gesetzeslücke ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn Wertungen und Zweck der konkreten gesetzlichen Regelung die Annahme rechtfertigen, der Gesetzgeber habe einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen. Das Gesetz müsste also, gemessen an seiner eigenen Absicht und Teleologie ergänzungsbedürftig sein, ohne dass diese Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspräche (EvBl 1999/78; 5 Ob 42/98g = ecolex 1998, 464 [Hausmann]; Posch in Schwimann, ABGB2 Rz 2 zu § 7 ABGB mwN aus der Rsp).

Da Leistungen eines Rechtsanwalts als berufsmäßigen Parteienvertreters typischerweise entgeltlich erbracht werden und das Rechtsanwaltstarifgesetz deren angemessene Honorierung durch die Regelung von Bemessungsgrundlagen und Entlohnungsansätzen sicherstellen will, ist das Gesetz - vor dem Hintergrund der voranstehenden Erwägungen - gemessen an seiner eigenen Absicht und Teleologie in Ansehung der im Anlassfall bedeutsamen angemessenen Entlohnung anwaltlicher Leistungen ergänzungsbedürftig, ohne dass eine solche Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspräche (idS zuletzt etwa 9 Ob 111/98h; AnwBl 1995, 520 = ecolex 1994, 162).

2. Der Kläger gründet seinen Ersatzanspruch nicht auf eine freie Entgeltvereinbarung mit seinem Rechtsanwalt. Er ist aber der Ansicht, dass ihm die beklagte Partei seinen Vertretungskostenaufwand auch in Höhe einer allfälligen "freien Honorarvereinbarung" zu ersetzen hätte, wenn eine solche Absprache getroffen worden wäre. Der Amtshaftungsanspruch sei, gemessen an dem aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. September 1999, 91/19/012, für Vertretungsleistungen vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat ableitbaren angemessenen Honorar ohnehin in "freiwilliger Selbstbeschränkung" um ein Drittel gekürzt worden. Als Ansatz sei § 8 Abs 1 AHR heranzuziehen. Danach sei für die Vertretung vor übernationalen Tribunalen und vor dem Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof, für Beschwerden, Gegenschriften und die Verrichtung von mündlichen Verhandlungen der doppelte Betrag der TP 3 C RATG angemessen.

2. 1. Wie bereits aus dem Begründungsversuch des Klägers folgt, enthalten auch die AHR keinen Ansatz, aus dem die angemessene Entlohnung für Vertretungsleistungen, die ein Rechtsanwalt vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat erbringt, ableitbar wäre. Der Amtshaftungsanspruch des Klägers lässt sich daher nicht nach der schon unter 1. und 1. 1. erläuterten Rechtslage klären, wonach das angemessene Honorar für anwaltliche Vertretungsleistungen in Ermangelung eines gesetzlichen Tarifansatzes unter Heranziehung der AHR ermittelt werden kann.

Soweit sich der Kläger für die Richtigkeit seines Rechtsstandpunkts auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. September 1991 91/19/062 beruft, übersieht er, dass sich dessen Ausführungen nur auf den angemessenen pauschalierten Aufwandersatz für anwaltliche Vertretungsleistungen vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat beziehen. Nur insofern wurde ausgesprochen, der Kostenersatz habe sich an der Verordnung des Bundeskanzlers über die Pauschalierung der Aufwandersätze vor dem Verwaltungsgerichtshof zu orientieren, "wobei unter Bedachtnahme auf den Grundsatz einer Abstufung des Kostenersatzes im Verfahren entsprechend der Unter- bzw Überordnung der angerufenen Behörden und der damit verbundenen verschiedenen Mühewaltung die in der ... zitierten Verordnung angeführten Pauschalsätze um ein Drittel (gerundet) zu kürzen" seien.

Dem Kläger wurde für seine Vertretung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat ein pauschaler Aufwandersatz, der im Grundsatz dem zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs entspricht, bereits zuerkannt. Er begehrt aus dem Titel der Amtshaftung nunmehr aber auch den Ersatz jener Differenz, die er seinem Rechtsanwalt mangels einer konkreten Honorarvereinbarung nach Kriterien der Angemessenheit bezahlen zu müssen glaubt. Seine Methode, ein Modell des Verwaltungsgerichtshofs für die Pauschalentlohnung mit der angemessenen Entlohnung von Einzelleistungen vor einem übernationalen Tribunal oder vor einem Gerichtshof des öffentlichen Rechts nach den AHR zu mischen, um damit den Aufwandersatz für jede Einzelleistung zu maximieren, bildet indes keine taugliche Analogiegrundlage. Es ist vielmehr nach der Wertigkeit der Vertretungsleistung im hierarchisch gegliederten Rechtsschutzsystem zu fragen. Diesen Ausgangspunkt hält der Kläger einerseits - gestützt auf das für seinen Prozessstandpunkt in Anspruch genommene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs - für "zweifellos zutreffend", andererseits setzt er aber anwaltliche Vertretungsleistungen vor einem Unabhängigen Verwaltungssenat mit solchen vor einem Höchstgericht gleich und meint ferner, der Verwaltungsgerichtshof habe "nicht auf Art und Umfang der anwaltlichen Leistung als solche" abgestellt.

2. 2. Dass der Unabhängige Verwaltungssenat kein Höchstgericht im Sinne des § 8 Abs 1 AHR ist, muss nicht weiter begründet werden. Schon deshalb ist die angemessene Entlohnung der Einzelleistungen eines Rechtsanwalts vor einem Unabhängigen Verwaltungssenat aus § 8 Abs 1 AHR nicht ableitbar. Das Beschwerdeverfahren vor einem Unabhängigen Verwaltungsenat gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG in Verbindung mit § 67c-g AVG ist einem gerichtlichen Verfahren erster Instanz vergleichbar, das zunächst dem Zweck dient, die für die Lösung relevanter Rechtsfragen wesentlichen, jedoch zwischen den Verfahrensparteien strittigen Tatsachen auf dem Boden bestimmter Verfahrensvorschriften zu klären. Bezieht sich ein solches Verfahren - wie hier - auf einen vom Beschwerdeführer behaupteten Eingriff in ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht in einem bestimmten Zweig der Rechtspflege, so kann allein dieser Umstand für die Angemessenheit der Entlohnung anwaltlicher Leistungen - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht von Bedeutung sein, weil eine solche Rechtsgutverletzung zwar für den Betroffenen schwer wiegt, aber nicht auch zugleich die Schwierigkeit der zur Verteidigung von Grundrechten in einem bestimmten Zweig der Rechtspflege erforderlichen anwaltlichen Leistungen indiziert. Die Feststellung eines Grundrechtseingriffs und die allfällige Beseitigung seiner nachteiligen Folgen im Verwaltungsverfahren spielt vielmehr bei Klärung der angemessenen Entlohnung anwaltlicher Vertretungsleistungen im Vergleich mit anderen rechtlichen Interessen, deren Durchsetzung ein Rechtsanwalt namens seines Mandanten vor anderen Behörden besorgen soll, keine Rolle, weil grundrechtsrelevante Fragen und Problemstellungen in allen Zweigen der Rechtspflege - sohin auch im Zivilprozess - auftreten und die behördliche Entscheidung inhaltlich determinieren können. Dem Kläger ist also in diesem Punkt - kurz zusammengefasst - zu erwidern, dass anwaltliche Leistungen, die etwa in einem Amtshaftungsprozess zur Durchsetzung eines Schadenersatzanspruchs des Mandanten zufolge einer Grundrechtsverletzung erbracht werden oder in einem anderen Zivilprozess der Lösung entscheidungswesentlicher Fragen zur mittelbaren Wirkung oder gar unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht (siehe zur Problemstellung nur Aicher in Rummel, ABGB2 Rz 30 ff zu § 16; Posch in Schwimann, ABGB2 Rz 3 ff zu § 16 je mwN) dienen, nicht schon deshalb geringerwertig sein können, weil sie Gegenstand eines zivilgerichtlichen Verfahrens sind. Das Rechtsanwaltstarifgesetz ist aber, was auch der Kläger nicht bestreiten wird, auf solche Zivilprozesse gleichfalls anzuwenden. Die Befassung mit der Verletzung von Grundrechten durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wirft überdies keine nur schwer zu klärenden Rechtsfragen auf, weil sich der Rechtsanwalt an einer umfassenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte orientieren kann. Insofern liegt das Schwergewicht der anwaltlichen Leistungen vor einem Unabhängigen Verwaltungssenat vielmehr auf der Sachverhaltsebene, geht es doch in einem mehr oder weniger umfangreichen Beweisverfahren vorerst um die Ermittlung jener Fakten, die eine Grundrechtsverletzung vor dem Hintergrund der Rechtsprechung erst indizieren können.

Aus allen voranstehenden Erwägungen folgt zusammenfassend, dass die Entlohnung anwaltlicher Einzelleistungen in Vertretung eines Mandanten im Verfahren über eine Beschwerde wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor einem Unabhängigen Verwaltungssenat jedenfalls ohne Unterschreitung der Angemessenheitsgrenze honoriert werden, wenn deren Ausmessung - wie im angefochtenen Urteil - unter analoger Heranziehung der TP 3 B RATG erfolgt.

Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO.

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