OGH 1Ob2355/96x

OGH1Ob2355/96x16.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag.Franz S*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Berger, Dr.Christine Kolbitsch, Dr.Heinrich Vana und Dr.Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 263.854,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse S 95.757,80 sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichts vom 18.Juli 1996, GZ 14 R 24/96-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 2.November 1995, GZ 31 Cg 18/94-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.072,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 8.5.1991 versuchten der Kläger und etwa 30 weitere Personen, die Zufahrt zu einer Baustelle zu blockieren, um die bevorstehende Verbauung des Areals zu verhindern. Zu diesem Zweck erkletterte er gemeinsam mit anderen Demonstranten den Arm eines auf einem LKW-Anhänger befindlichen Baggers. Den Aufforderungen von Beamten der Alarmabteilung der Bundespolizeidirektion Wien, den Bagger zu verlassen, leisteten die Demonstranten nicht Folge. Der nach vergeblicher Abmahnung rechtmäßig ausgesprochenen Festnahme widersetzte sich der Kläger, indem er passiven Widerstand leistete. Er wurde deshalb von mehreren Polizeibeamten unter Anwendung von Körperkraft vom Baggerarm herabgehoben und schließlich zu einem etwa 60 m vom Bagger entfernten Fahrzeug getragen. Bei der Entfernung vom Bagger erlitt der Kläger Verletzungen im Bereich des Hinterkopfs, des Rückens und des Steißbeins. Beim Wegtragen zum Fahrzeug erlitt der Kläger eine dorsalseitige Absprengung der Radiusgelenkfläche des linken Handrückens; wegen dieser Verletzung wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (in der Folge UVS) mit Bescheid vom 11.12.1991 rechtskräftig festgestellt, daß der Kläger einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterworfen worden sei, der "Verwaltungsakt" - in diesem Umfang - für rechtswidrig erklärt. Der UVS sprach dem Kläger an Verfahrenskosten S 16.970,-- zu. Mit dem Klagevertreter, der ihn auch vor dem UVS vertrat, hatte der Kläger die Entlohnung nach den Allgemeinen Honorarrichtlinien (AHR) vereinbart.

Der Kläger begehrte mit seiner Amtshaftungsklage den Zuspruch von Schmerzengeld im Betrag von S 35.600,-- und der vor dem UVS aufgelaufenen Verfahrenskosten von S 245.224,-- abzüglich der ihm zugesprochenen Kosten von S 16.970,--. Er begründete sein Begehren damit, daß die zuvor beschriebene Amtshandlung rechtswidrig gewesen sei.

Die beklagte Partei wendete ein, der Kläger habe seine Verletzung selbst verschuldet. Die Verfahrenskosten hätten nicht der Beseitigung seines Schadens gedient, überdies sei bereits eine abschließende Kostenfestsetzung im Verfahren vor dem UVS erfolgt.

Das Erstgericht sprach dem Kläger S 130.757,80 zu und wies das Mehrbegehren von S 133.096,20 ab. In Bindung an den Bescheid des UVS sei davon auszugehen, daß dem Kläger die Verletzung am linken Handgelenk im Zuge einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung zugefügt worden sei. Der ihm zustehende verschuldensunabhängige Schadenersatzanspruch umfasse auch jene Kosten, die er zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Amtshandlung zweckmäßigerweise und in angemessener Höhe habe aufwenden müssen. Die nach § 6 AHR bzw TP 3 b RAT zu ermittelnden Verfahrenskosten beliefen sich auf S 112.547,80. Unter Abzug der vom UVS bereits zugesprochenen S 16.790,-- stehe dem Kläger ein restlicher Kostenbetrag von S 95.757,80 zu. An Schmerzengeld sei ein Betrag von S 35.000,-- angemessen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil im klagsstattgebenden Teil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. (Der abweisliche Teil der Entscheidung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.) Das Amtshaftungsgericht sei an das Erkenntnis des UVS gebunden. Auf die Intensität der der Amtshandlung anhaftenden Rechtswidrigkeit komme es nicht an. Jene Kosten, die der Feststellung der Rechtswidrigkeit dienten, seien zuzuerkennen. Sie dienten der Schadensbeseitigung, weil mit dem Erkenntnis des UVS die durch die rechtswidrige Handlung bewirkte wirtschaftliche und berufliche Rufschädigung behoben werde. Eine solche Rufschädigung werde nämlich auch durch die im Zuge der Festnahme erfolgte Art des Abtransports und der dabei zugefügten Verletzungen verursacht. Die Verletzung des Klägers ließe in den Augen der Allgemeinheit auf dessen besonders intensiven Widerstand gegen behördliche Anordnungen und nicht auf einen unzulässigen und im Ergebnis herabwürdigenden Polizeigriff schließen. Es sei nicht maßgeblich, ob sich rückblickend einzelne Vorwürfe des Klägers im Zuge des Verfahrens vor dem UVS als unberechtigt herausgestellt hätten.

Die Revision der beklagten Partei, die nur mehr die Zuerkennung restlicher Verfahrenskosten von S 95.757,80 bekämpft, ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Verfahrenskosten, die einer an einem behördlichen Verfahren beteiligten Person durch rechtlich nicht vertretbare Verfahrensschritte oder Entscheidungen erwachsen sind, stellen einen ersatzfähigen Schaden gemäß § 1 Abs 1 AHG dar. Jene Verfahrenskosten, die zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustands tatsächlich erforderlich waren, sind selbst dann zuzusprechen, wenn die in Betracht kommende Verfahrensordnung keinen Kostenersatz kennt (JBl 1996, 58; RZ 1996/51; SZ 62/6; SZ 59/141). Wie schon das Gericht zweiter Instanz zutreffend ausgeführt hat, war durch die Beendigung der Festnahme der rechtmäßige Zustand im vollen Umfang nicht wiederhergestellt. Wenngleich der Festnahme des Klägers keine Rechtswidrigkeit anhaftet und er seine Freiheit innerhalb angemessener Frist wiedererlangt hat, so blieb er doch mit dem Makel behaftet, unter dem Anschein der Rechtmäßigkeit im Zuge des Abtransports zulässigerweise verletzt worden zu sein. Wenn ein von der Polizei Festgenommener Verletzungen erleidet, dann weist dies tatsächlich in den Augen der Allgemeinheit darauf hin, daß die Verletzung notwendigerweise deshalb erfolgen mußte, weil der Festgenommene zu intensiven Widerstand geleistet habe. Diesen durch die vom UVS festgestellte rechtswidrige Amtshandlung hervorgerufenen Zustand konnte der Kläger in der Tat nur durch Anrufung des UVS und die auf diesem Weg zu erlangende Feststellung der Unrechtmäßigkeit der Amtshandlung beseitigen. Zwischen den Verfahrenskosten, die bei der Bekämpfung eines rechtswidrigen Bescheids aufgewendet werden müssen, und jenen, die zur Wiedererlangung der staatsbürgerlichen Integrität führen, ist kein Unterschied zu erkennen. Letztere Kosten dienen daher der Durchsetzung eines selbständigen, von der Verfassung geschützten Anspruchs und stellen grundsätzlich - unabhängig von der noch zu beurteilenden Angemessenheit - kausale Schadenbeseitigungskosten dar (JBl 1996, 58).

Ersatzfähig sind nur jene Schäden, die zur Schadensbeseitigung adäquat aufgewendet werden mußten (JBl 1996, 58). Im Verfahren über Beschwerden wegen der Ausübung unmittelbarer (verwaltungs-)behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Maßnahmebeschwerdeverfahren) steht gemäß § 79a Abs 1 AVG der obsiegenden Partei der Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei zu. Im Abs 4 wird ausgeführt, was als "Aufwendungen" zu gelten hat, im Abs 7 darauf verwiesen, daß die §§ 52 bis 54 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes (VwGG) auch für den Aufwandersatz gelten (vgl Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6 Rz 548/26, 673). Über die vom UVS zugesprochenen Aufwendungen (S 16.790,--) hinaus sind aber dem Kläger die Kosten seiner Vertretung vor dem UVS zu ersetzen, soweit diese Kosten zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der faktischen Amtshandlungen zweckmäßig und angemessen waren. Die Höhe der von den Vorinstanzen in dieser Hinsicht festgestellten Kosten wird von der Revisionswerberin nicht in Zweifel gezogen. Sie vertritt aber die Ansicht, der Kläger sei als Beschwerdeführer vor dem UVS nur mit einem Teil seiner Beschwerde durchgedrungen, sodaß ihm auch nur ein Teil seiner Verfahrenskosten zu ersetzen sei. Dies könnte indes nur dann der Fall sein, wenn tatsächlich von einer Vielzahl von Beschwerdepunkten nur einer für gerechtfertigt befunden worden wäre oder wenn Kosten aufgelaufen wären, die nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig erschienen, zB die Vertretung durch mehrere Anwälte (vgl ÖJZ 1994, 210 [212]). Schließlich käme eine Reduktion der einem Beschwerdeführer aufgelaufenen Kosten wohl auch dann in Betracht, wenn zur Erledigung mehrerer Beschwerdepunkte, die letztlich erfolglos blieben, ein umfangreiches Verfahren hätte durchgeführt werden müssen, das zu jenem einzelnen Beschwerdepunkt, mit dem sich der Beschwerdeführer durchsetzte, keinerlei Konnex aufwiese. Nichts von alledem trifft vorliegendenfalls aber zu. Der UVS hatte als einzigen Vorfall die zeitlich in einem Zug abgelaufene Entfernung des Klägers von dessen Standort auf dem Baggerarm bis zur Verfrachtung in ein Polizeifahrzeug zu untersuchen. Wenngleich der Kläger der Ansicht war, bei den von den Polizeibeamten ergriffenen Maßnahmen seien mehrere rechtswidrige Handlungen begangen worden und nicht bloß die schließlich vom UVS festgestellte einzige Rechtswidrigkeit vorgefallen, so mußte dieser Senat dennoch den gesamten einheitlichen Vorfall überprüfen, um die Vorgangsweise der Beamten insgesamt auf deren Rechtswidrigkeit hin beurteilen zu können. Wenn auch der Kläger das Verfahren einleitete und sein Antrag sohin für dieses maßgeblich war, so hatte doch der UVS den Gang des Ermittlungsverfahrens gemäß § 39 Abs 2 AVG zu bestimmen und von sich aus für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen (Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3 608). Selbst wenn sich der Kläger bei seinem Antrag darauf beschränkt hätte, lediglich die im Zuge des Wegtragens unterlaufene Rechtswidrigkeit anzukreiden, wäre es dem UVS nicht erspart geblieben, den Vorfall in seiner Gesamtheit zu überprüfen, um verläßliche Rückschlüsse auf das behauptete rechtswidrige Verhalten der Polizeibeamten ziehen zu können. Wenn also die Beamten im Zuge der Aktion großteils maßvoll agierten und lediglich in einem Teilbereich eine rechtswidrige Handlung vorliegt, kann dennoch nicht gesagt werden, daß die im Zuge des Verfahrens vor dem UVS aufgelaufenen Vertretungskosten nicht doch von den Organen des beklagten Rechtsträgers adäquat verursacht worden wären.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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