OGH 1Ob290/99z

OGH1Ob290/99z23.11.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Michelle W*****, geboren am *****, und des mj Kevin W*****, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 18. August 1999, GZ 45 R 540/99s, 541/99p-99, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 29. April 1999, GZ 14 P 430/97m-72, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die beiden Kinder befinden sich in Pflege und Erziehung der mütterlichen Großmutter. Die Mutter ist seit 1. 1. 1998 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 1.650 S je Kind verpflichtet, der Vater zu einer solchen von je 2.250 S ab 1. 11. 1997. Mit Beschlüssen des Erstgerichts vom 1. 10. 1998 wurden den Kindern für die Zeit vom 1. 7. 1998 bis 30. 6. 2001 Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe gewährt.

Das Erstgericht stellte die den beiden Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse mit 1. 7. 1998 ein, weil die mütterliche Großmutter Verwandtenpflegegeld beziehe und dies die Zuerkennung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG ausschließe.

Das Rekursgericht behob über Rekurs der Minderjährigen diese Beschlüsse ersatzlos und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Die Pflege und Erziehung der Kinder durch deren Großmutter sei nicht als Maßnahme "der vollen Erziehung der öffentlichen Jugendwohlfahrt" anzusehen, sodass weiterhin Anspruch auf Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse bestehe. Bei der den Minderjährigen gewährten Pflege und Erziehung durch die Großmutter handle es sich weder um eine Erziehung im Rahmen einer Pflegefamilie noch in einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung iSd § 28 JWG. Von einer vollen Erziehung könnte nur dann gesprochen werden, wenn eine Erziehungsmaßnahme durch den Jugendwohlfahrtsträger auf Grund der jugendwohlfahrtsrechtlichen Bestimmungen getroffen worden wäre, was hier nicht der Fall sei. Im übrigen werde Pflegegeld nach § 27 Abs 6 Wr JWG in geringerer Höhe ausgezahlt als das gemäß § 27 Abs 1 bis 5 zu gewährende Pflegegeld. Schon allein deshalb könne von einer vollen Erziehung iSd § 2 Abs 2 Z 2 UVG nicht gesprochen werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Bundes ist nicht berechtigt.

Nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nicht, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Diese Einschränkung soll - so die Materialien i JAB (199 BlgNR 14. GP, 5) - sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt wird (RV 172 BlgNR 17. GP, 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG, RpfSlgA 1999/2, 81 [83]).

Grundlegende Voraussetzung für die Möglichkeit der Versagung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Bestimmung ist jedenfalls, dass die Unterbringung "auf Grund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe) erfolgt, dh es ist eine entsprechende Anordnung mit Kostenfolgen erforderlich (Neumayr aaO). So genügt es etwa nach der Rechtsprechung nicht, dass bloss die Obsorge für das Pflegekind nach § 186a ABGB Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 TirJWG LGBl 1991/18); (nur) in einem solchen Fall kann dann - konsequenterweise - auch die Unterlassung einer Antragstellung auf Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrechterhalten (ÖA 1996, 127/UV 91).

Wird die Obsorge den Eltern entzogen und - wie hier - der mütterlichen Großmutter übertragen, dann liegt keine "Maßnahme der vollen Erziehung" nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht vor. Einerseits ging die Initiative zu diesem Schritt nicht von der Jugendwohlfahrtsbehörde aus, andererseits liegen der Obsorgeübertragung ausschließlich dem Wohl des Minderjährigen (§ 178a ABGB) entsprechende familienbezogene Erwägungen zu Grunde (ON 12). Die Übernahme (eigentlich: der Verbleib) der Kinder im Wohnungsverband ihrer mütterlichen Großmutter und deren rechtliche Gestaltung als Fall einer Obsorgeübertragung war daher gerade keine "Maßnahme der vollen Erziehung", sollte doch eine solche durch die Belassung des Kindes innerhalb der Familie (im weiteren Sinn) gerade vermieden werden. Schon daraus folgt, dass die Voraussetzungen einer vollen Erziehungsmaßnahme iSd § 2 Abs 2 Z 2 UVG nicht gegeben sind.

Dazu kommt, dass im hier zu beurteilenden Fall - entgegen der zu 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung - auch gar keine bescheidmässige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung vorliegt. Während nämlich nach § 27 Abs 1 WrJWG Pflegeeltern (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung - eine solche liegt nicht vor - auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt, diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird (so auch die - nicht veröffentlichten - Materialien zum WrJWG, § 27, S 57), statuiert § 27 Abs 6 WrJWG, dass (sonstigen) Personen, die mit den von ihnen betreuten Kindern bis zum dritten Grad verwandt oder verschwägert sind - unter welchen Personenkreis somit auch die Großmutter der Kinder fällt - vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des Richtsatzes gewährt werden kann. In den bereits genannten Materialien zum WrJWG heißt es zu § 27 Abs 6 wörtlich:

"Gemäß Abs 6 kann der Magistrat dem im Gesetz angeführten Personenkreis nach freiem Ermessen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung Beiträge bis zur Höhe des Pflegegeldes gewähren; darauf besteht kein Rechtsanspruch; die Bedürfnisse des Pflegekindes sind jedoch primär von seinem Einkommen und durch die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche (Unterhaltsvorschüsse) gegenüber beiden Elternteilen zu decken. Über die Gewährung eines solchen Pflegebeitrags ergeht eine formlose schriftliche Verständigung".

Diese rechtliche Ausgestaltung als nicht bescheidmäßiger Gewährungsakt der Privatwirtschaftsver- waltung entspricht übrigens auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Zusammenhang mit dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG, BGBl 1993/110), wonach Zuerkennungen von Pflegegeldern in der Zeit bis zum 30. 6. 1995 (BGBl 1995/131) über die Stufe 2 hinaus mittels bloßer Mitteilungen (der gewährenden Pflegegeldträger) ebenfalls ohne Bescheidcharakter erfolgten; derartige, über der Stufe 2 liegende Pflegegelder wurden daher vom zuständigen Sozialversicherungsträger bloß als Träger von Privatrechten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (SSV-NF 10/110 uva).

Daraus folgt, dass jedenfalls den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloss auf Grund von "Kann-Bestimmungen" und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrundeliegt, sodass die in der Entscheidung 7 Ob 5/99g vertretene Rechtsansicht jedenfalls für das WrJWG bei neuerlicher Abwägung sämtlicher rechtlicher Gegebenheiten insoweit nicht als tragendes Argument für eine Einstellung derartiger Unterhaltsvorschüsse auf Grund solcher Pflegegeldgewährungen herangezogen werden kann (siehe zur vergleichbaren Sachlage auch 7 Ob 224/99p). Eine Einstellung nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG könnte vielmehr nur dann erfolgen, wenn auch eine rechtliche Verpflichtung des jeweiligen Landes zur Gewährung solcher Pflegegelder (wie beispielsweise in Niederösterreich und in Tirol; siehe hiezu RZ 1997/28 und RZ 1994/10) bestünde, worauf schließlich auch die oben bereits wiedergegebenen Gesetzesmaterialien hinweisen; bloß freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger nämlich nur wirtschaftlich, aber eben nicht "nach der Rechtslage". Dass dies - je nach anzuwendendem Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung ebenfalls nur der Gesetzgebung und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Rechtsprechung obliegen kann (vgl 1 Ob 78/99y; 7 Ob 224/99p).

Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

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