OGH 1Ob253/08z

OGH1Ob253/08z31.3.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Jakob G*****, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Mag. Harald G*****, vertreten durch Dr. Winfried Sattlegger, Dr. Klaus Dorninger, Dr. Klaus Steiner, Mag. Marcus Bumberger, Mag. Klaus Renner, Mag. Roland Zimmerhansl, Mag. Kurt Ehninger und Dr. Peter Huemer, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. September 2008, GZ 42 R 318/08p-U94, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 29. April 2008, GZ 27 P 6/05v-U88, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Minderjährige lebte bis zum Jahr 2005 mit seinen Eltern in zwei zusammengelegten Wohnungen, die im Zuge der Aufhebung deren Lebensgemeinschaft im Juli 2005 durch eine Glastür getrennt wurden. Seither gibt es keinen gemeinsamen Haushalt mehr. Mit Beschluss vom 19. 10. 2005 übertrug das Erstgericht die Obsorge für den Minderjährigen einstweilig der Mutter alleine und verpflichtete mit Beschluss vom 13. 8. 2007 den Vater ab 19. 10. 2005 zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 526 EUR.

Am 15. 6. 2007 beantragte der Vater namens des Minderjährigen, die Mutter für die Zeit vom 1. 8. bis 24. 10. 2005 zu einem monatlichen Unterhalt von 675,50 EUR zu verpflichten. Der Minderjährige habe in dieser Zeit ausschließlich in der Wohnung des Vaters gelebt und sei von ihm versorgt worden. Die Mutter habe für diesen Zeitraum keinen Unterhalt, insbesondere auch keinen Naturalunterhalt geleistet. Die Mutter wandte dagegen ein, der Minderjährige habe auch in ihrer Wohnung ein Kinderzimmer gehabt; er habe zwar während der Woche beim Vater genächtigt, sei aber im Übrigen von ihr versorgt worden. Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab. Es stellte fest, dass der Vater erst nach dem 14. 10. 2005 einen Kühlschrank angeschafft und cirka Ende November 2005 einen kleinen Herd mit zwei Kochplatten gekauft habe. Davor habe in dem von ihm benutzten Wohnungsteil keine Kochgelegenheit bestanden. Der Minderjährige habe im entscheidungswesentlichen Zeitraum beim Vater genächtigt, sei aber tagsüber von der Mutter versorgt und verpflegt worden, die auch mit ihm gemeinsam die Hausübungen erledigt habe. Die Mutter habe in dieser Zeit das Schulgeld für den Minderjährigen von 263,20 EUR monatlich gezahlt und alleine die Ausgaben für Lebensmittel und Bekleidung des Minderjährigen bestritten. Sie habe daher ihren Unterhalt geleistet.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Vater sei keine gemeinsame Obsorge mehr vorgelegen. Bei einem Unterhaltsantrag gegen den obsorgeberechtigten Elternteil sei die Frage der Interessenkollision zu prüfen. Die bloße Behauptung einer Unterhaltsverletzung könne nicht automatisch eine Verpflichtung zur Bestellung eines Kollisionskurators auslösen. Eine solche Bestellung habe nur dann zu erfolgen, wenn die Unterhaltsverletzung tatsächlich vorliege. Dies habe das Erstgericht aber nicht feststellen können. Beide Elternteile hätten im maßgeblichen Zeitraum „in einem wesentlichen Ausmaß" Naturalunterhaltsleistungen für das Kind erbracht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist zulässig, aber nicht berechtigt:

1. Bei aufrechter Haushaltsgemeinschaft und gemeinsamer Obsorge besteht in Bezug auf den Kindesunterhalt kein Antragsrecht eines Elternteils, sondern ist die Übertragung der Obsorge an den antragstellenden Elternteil erforderlich. Keinesfalls kann ein Elternteil die Vertretung des Kindes in Unterhaltsbelangen gegenüber dem anderen nur durch Setzung der ersten Verfahrenshandlung in Anspruch nehmen (Gitschthaler, Unterhaltsrecht² Rz 433/1). Der Antrag auf Festsetzung der Unterhaltspflicht in Geld ist auch als solcher auf Entziehung der elterlichen Rechte und Pflichten zu verstehen (Gitschthaler aaO Rz 433/5).

2. Wenn die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben und somit feststeht, welcher Elternteil die Kinder pflegt und erzieht und daher vom anderen namens des Kindes Unterhalt in Geld begehren kann und welcher zur Geldalimentierung verhalten ist, oder wenn dies sonst nach der Gestaltung der Lebensverhältnisse der Eltern eindeutig ist, kann auch ohne Anordnung des Gerichts gemäß § 176 Abs 1 ABGB die alleinige Wahrnehmung der Rechte des Kindes in Unterhaltsbelangen durch einen Elternteil in Betracht kommen (Gitschthaler aaO Rz 434/1).

3. Wenn sich der Antrag des Kindes auf Unterhaltsfestsetzung (oder -erhöhung) gegen den als Vertreter berufenen Elternteil richtet, liegt ein Fall des § 271 ABGB vor und muss für das Kind grundsätzlich ein Kollisionskurator bestellt werden (Gitschthaler aaO Rz 435/2). Schon zu § 271 ABGB aF war es herrschende Meinung, dass die Kuratorenbestellung das Vorliegen einer Kollision sowohl im formellen als auch im materiellen Sinn voraussetzte. Kollision im formellen Sinn liegt vor, wenn der aufgrund des Gesetzes oder behördlicher Verfügung Vertretungsbefugte in bestimmten Angelegenheiten nicht nur zu vertreten, sondern auch im eigenen oder im Namen Dritter zu handeln hätte. Kollision im materiellen Sinn ist gegeben, wenn bei Kollision im formellen Sinn zusätzlich noch ein Interessenwiderspruch besteht (RIS-Justiz RS0058177; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ 1. Ergbd §§ 271, 272 Rz 1; Weitzenböck in Schwimann, ABGB³ §§ 271, 272 Rz 4). Ziel der Neufassung des § 271 ABGB war es, im Sinne der bereits herrschenden Judikatur klarzustellen, dass eine Kuratorenbestellung nur in Fällen der materiellen Kollision zu erfolgen hat. Eine inhaltliche Änderung erfuhr die Regelung dadurch nicht, weshalb die bis dahin ergangene Lehre und Rechtsprechung weiterhin anwendbar blieb (Stabentheiner aaO Rz 2; Weitzenböck aaO Rz 1).

Ein Kollisionsfall im Sinn des § 271 ABGB setzt weiterhin voraus, dass eine konkrete Gefährdung der Interessen des Minderjährigen vorliegt. Maßgeblich dafür ist nach der Judikatur, dass aufgrund eines objektiven Sachverhalts eine gesetzmäßige Vertretung des Minderjährigen wegen eines zu befürchtenden Widerstreits an Interessen nicht zu erwarten ist.

Gemäß § 271 Abs 2 ABGB idF KindRÄG 2001 bedarf es der Bestellung eines Kurators nicht, wenn eine Gefährdung der Interessen des minderjährigen Kindes oder der sonst nicht handlungsfähigen Person nicht zu besorgen ist und deren Interessen vom Gericht ausreichend wahrgenommen werden können. Dies gilt im Allgemeinen in Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des Kindes nach den §§ 140 und 148 ABGB.

4. Im vorliegenden Fall hatte der Vater zum Zeitpunkt der Antragstellung die Obsorge über das Kind nicht mehr inne und war daher zur Antragstellung im Unterhaltsverfahren nicht legitimiert (RIS-Justiz RS0087662). Im Antrag eines Elternteils, den obsorgeberechtigten Elternteil zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen zu verpflichten, ist grundsätzlich auch jener enthalten, zum besonderen Sachwalter für die Geltendmachung und Durchsetzung der Unterhaltsansprüche des Kindes bestellt zu werden (RIS-Justiz RS0034795; 3 Ob 290/98p ua). Schreiten beide Elternteile gegeneinander namens des Kindes ein und begehren, den jeweils anderen Teil zum Unterhalt zu verpflichten, treten sie zwangsläufig in einer Doppelfunktion auf, weshalb nach der Judikatur ein besonderer Sachwalter zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche bestellt werden muss und hiefür weder Vater noch Mutter in Betracht kommen (Gitschthaler aaO Rz 435/1).

Hier wurde der Unterhaltsantrag erst rund zwei Jahre nach der behaupteten Unterhaltsverletzung im Rahmen umfassender und jahrelanger Streitigkeiten über die eigene Unterhaltsverpflichtung des Vaters mit der Behauptung gestellt, die Mutter habe im fraglichen Zeitraum keinen Naturalunterhalt geleistet, sondern dieser sei zur Gänze vom Vater getragen worden. Die Bestellung des Vaters zum „besonderen Sachwalter" zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche kam nach dem oben Gesagten nicht in Frage. Eine Gefährdung der Interessen des Minderjährigen, die die Bestellung eines Kollisionskurators gemäß § 271 ABGB notwendig machen würde, ist unter den konkreten Umständen nicht zu besorgen, weil auch nach dem Vorbringen des Vaters der (Natural-)Unterhalt des Minderjährigen ohnehin zur Gänze - wenn auch vom Vater - befriedigt wurde.

Die weiteren Ausführungen im Rechtsmittel zu den Feststellungen der Vorinstanzen und dem zu diesen führenden Verfahren sind nicht entscheidungsrelevant. Eine Beschwer insofern, als der Antrag ab- und nicht zurückgewiesen wurde, behauptet auch das Rechtsmittel nicht. Darauf muss daher nicht eingegangen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte