European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00232.20D.0128.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – nicht zulässig. Das ist kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):
[2] 1. Im Revisionsverfahren geht es nur noch um das von den Vorinstanzen – wegen Ersitzung eines Wegerechts – übereinstimmend abgewiesene Begehren auf Feststellung, es bestünde „kein Servitutsrecht“ der beklagten Gemeinde an der Liegenschaft des Klägers.
[3] Ersitzung erfordert gemäß § 1463 ABGB Redlichkeit. Redlichkeit nach § 326 ABGB verlangt nicht den Glauben, Eigentümer zu sein, sondern nur den Glauben an einen gültigen Titel, also an die rechtmäßige Zugehörigkeit einer Sache im weiteren Sinn bzw – bei Dienstbarkeiten – an ein bestimmtes Nutzungsrecht an einer fremden Sache (RIS‑Justiz RS0010172). Maßgeblich für die Redlichkeit ist der gute Glaube an die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung (hier der Nutzung eines Wegs), also das Vertrauen auf einen gültigen Titel (2 Ob 37/20k; 1 Ob 76/20p je mwN). Zwar schließt auch leichte Fahrlässigkeit – anders als ein entschuldbarer Irrtum – in der Beurteilung der Frage, ob der Besitz in fremde Rechte eingreift, den guten Glauben aus (vgl RS0010189), jedoch wird die Redlichkeit grundsätzlich vermutet (vgl RS0010185 [T5]) und es ist der Ersitzungsgegner derjenige, der die Fehlerhaftigkeit und die Unredlichkeit des Besitzes zu beweisen hat (RS0010175 [T2]; RS0010185; RS0034251).
[4] 2. Die Beurteilung der Frage, ob in einem bestimmten Fall die konkret zu berücksichtigenden Umstände die Qualifikation des Verhaltens des Besitzers als redlich oder unredlich fordern, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und stellt daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0010185 [T7]; RS0010184 [T13]; zum Wegerecht einer Gemeinde s RS0011698 [T4]); dies umso weniger, als sich der Oberste Gerichtshof in der Vergangenheit mit Fragen der Redlichkeit bei Streitigkeiten über die Ersitzung einer Servitut bereits häufig befasst hat (s nur die in der Sache erledigten Rechtsmittel in den zu RS0010184 und RS0010185 gleichgestellten Entscheidungen) und vom Höchstgericht dazu die Leitlinien bereits entwickelt worden sind.
[5] 3. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, da „gesicherte (jüngere) höchstgerichtliche Rechtsprechung“ zur Frage fehle, ob „ein vorheriger lastenfreier Verkauf in allen Fällen unabhängig vom konkreten Wissen und auch bei festgestelltem guten Glauben der Gemeindemachthaber“ die Ersitzung einer Servitut hindere. Warum aber überhaupt „in jedem Fall“ bei Zusage der Lastenfreiheit in einem Kaufvertrag die gutgläubige Ersitzung einer bestimmten (eben etwa auch nur einer strittigen Teil‑)Fläche eines Grundstücks durch den Verkäufer ausgeschlossen sein sollte (also ganz unabhängig davon, welche Ereignisse sich nach dem Kauf zutragen), deutet weder das Berufungsgericht an, noch legt dies der Revisionswerber dar. Die Anfechtung der berufungsgerichtlichen Entscheidung ist aber nur möglich, wenn das Rechtsmittel die unrichtige Lösung einer im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage geltend macht (RS0048272).
[6] In der Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe dem ihm obliegenden Beweis der Unredlichkeit der beklagten Gemeinde nicht erbracht, liegt im hier zur Beurteilung anstehenden Rechtsstreit kein klarer Fehler bei Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffs der Unredlichkeit, der auch im Einzelfall zu korrigieren wäre (vgl RS0044088).
[7] Die Behauptung, es sei ein „nahezu identer Fall“ bereits anlässlich der Entscheidung zu 6 Ob 550/77 entschieden worden, ignoriert die – bereits vom Berufungsgericht hervorgehobenen – maßgeblichen Unterschiede im Vergleich mit dem vorliegenden Sachverhalt. Wohl wurde auch im damaligen Fall von einer Zusage der Lastenfreiheit durch die verkaufende Gemeinde ausgegangen und lag ebenfalls eine nach dem Verkauf anschließende (Weiter-)Nutzung (eines Teils) der verkauften Liegenschaft in einer bestimmten Weise vor (hier als Spazier- und Radweg, damals ging es um eine Schiabfahrt). Die – dem seinerzeit entschiedenen Fall aber fehlende – Besonderheit des vorliegenden Sachverhalts liegt darin, dass der Käufer, der das Grundstück als Bauplatz erworben hatte und darauf ein Haus errichtete, zwar einerseits darauf beharrte, dass er auch diesen Bereich (mit‑)gekauft habe, andererseits aber in der Folge seinen Zaun nicht an dieser von ihm verfochtenen Grundgrenze (dem Beginn der Böschung zum Bach), sondern so errichtete, dass der 4–5 m breite (ebene) Grundstreifen mit dem Weg entlang des Baches weiterhin passierbar und damit zur regelmäßigen (und mehr als 30 Jahre unbeanstandeten) Pflege durch die Gemeinde und Nutzung für Radfahrer und Spaziergänger frei blieb. Wenn das Berufungsgericht bei dieser besonderen Sachlage keine Umstände erkannte, die ab dem Zeitpunkt der Zaunerrichtung den guten Glauben der Vertreter der Gemeinde an die Berechtigung zur Nutzung des Wegs entfallen ließen, liegt darin keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.
[8] 4. Die Kritik des Klägers zur Verneinung eines lastenfreien Erwerbs durch ihn (wegen der Offenkundigkeit der Servitut) stellt sich als Versuch dar, an den Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist (RS0042903 [T5, T7] ua), Fragen der Beweiswürdigung heranzutragen. Die Beweiswürdigung der Vorinstanzen kann aber nicht mehr bekämpft werden (RS0043414 [T11]; RS0069246 uva). Wenn zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich auch keine rechtlichen Feststellungsmängel bestehen (RS0053317 [T1, T2, T3]).
[9] 5. Da die Revision insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage ausführt, ist sie als nicht zulässig zurückzuweisen.
[10] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat nicht auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen und auch nicht deren Zurückweisung beantragt, sodass ihre Revisionsbeantwortung nicht als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme angesehen werden kann und dafür kein Kostenersatz zusteht (vgl RS0035962).
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