European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00022.24B.0305.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO (iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO) zurückgewiesen.
Der Gegner der gefährdeten Partei hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Zwischen den Parteien war seit 2019 ein Scheidungsverfahren anhängig, die Ehe ist inzwischen aus dem überwiegenden Verschulden der Frau geschieden. Der Ehe entstammen drei minderjährige Kinder. Die Parteien lebten zuletzt gemeinsam in Wien. Beide Parteien verbrachten vor Kriegsbeginn regelmäßig Zeit in der Ukraine. Der Mann bezog bis 2016 als Miteigentümer einer – dann verstaatlichten – Bank in der Ukraine ein hohes Einkommen, das den Parteien jährliche Ausgaben von rund 400.000 USD sowie luxuriöse Anschaffungen (etwa eines Helikopters oder einer Eigentumswohnung um rund vier Millionen EUR) erlaubte. Nach Verstaatlichung der Bank erzielt er daraus kein Einkommen mehr. Er lebte zuletzt in der Slowakei von 70.000 EUR, die er aus der Ukraine mitgenommen hatte. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine kann der Mann nicht mehr beliebig über sein dortiges Vermögen verfügen. Die Frau zog 2020 aus der ehemaligen Ehewohnung in Wien aus. Sie lebte zuletzt von der Notstandshilfe.
[2] Im August 2019 teilte die Frau dem Mann – der seit 2018 schwer erkrankt war – per SMS mit, sich scheiden lassen zu wollen. Sie verließ vorübergehend die gemeinsame Wohnung, ließ die Kinder mit dem Kindermädchen allein und war für mehrere Tage nicht erreichbar. Der Mann fand die Kinder einige Tage später (nach Rückkehr von einer Geschäftsreise) ohne die Mutter vor. Die Frau hatte im Schlafzimmer eine „Installation“ hinterlassen, bei der sich ein Messer „eigenartig aufgebahrt bei den Bildern der drei Kinder befand“ und einer Statue eines Mädchens beim Hals angesetzt war. Der Mann flog daraufhin mit den Kindern in die Ukraine und verweigert der Frau seither den Kontakt zu diesen.
[3] Die Frau schickte dem Mann in der Folge unzählige Kurznachrichten mit Gewalt- und Morddrohungen (etwa: „lebendig zerschneiden“, „Gedärme rausholen“, „lebendig alle Eingeweide herausnehmen“, „der Tod wird kommen“ „reiß Dir das Gedärm heraus und hänge es zum trocknen auf“ „mit einen Hammer den Schädel brechen“, „ich möchte hören wie dein Schädel knistert“, „wandelnder Leichnam“, „für die Kinder bin ich bereit zu töten“). Sie drohte ihm auch damit, seine Wohnung in Brand zu stecken und seine angebliche Freundin (eine außereheliche Beziehung des Mannes steht jedoch nicht fest) mit Säure zu überschütten. Die Frau griff den Mann auch tätlich an und attackierte dabei auch andere Personen. Sie verkaufte wertvolle Uhren des Mannes ohne seine Zustimmung und zerstörte ua seinen Plattenspieler sowie mehrere seiner Gemälde. Außerdem stellte sie ihm in derber Weise Geschlechtsverkehr mit anderen Männern und Frauen in Aussicht.
[4] Die Frau begehrte vom Mann vorläufigen Unterhalt in Höhe von monatlich 33.000 EUR ab Jänner 2020.
[5] Das Erstgericht wies den Antrag unter anderem deshalb ab, weil die Frau ihren Unterhaltsanspruch verwirkt habe.
[6] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 ZPO (iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO) auf:
[8] 1. Gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB steht dem haushaltsführenden Ehegatten nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts kein Unterhaltsanspruch zu, wenn dessen Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre. Eine solche Verwirkung des Unterhalts tritt ein, wenn dessen Geltendmachung und Gewährung wegen des Verhaltens des an sich unterhaltsberechtigten Ehegatten grob unbillig wäre (RS0009759; RS0009766). Eine vollständige Unterhaltsverwirkung setzt dabei regelmäßig den völligen Verlust des Ehewillens des unterhaltsberechtigten Ehegatten voraus. Dieser muss sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinweggesetzt haben (9 Ob 65/23h mwN; RS0009759 [T3, T6, T15]). Entscheidend ist, ob der an sich Unterhaltsberechtigte aus eigenem Verschulden den Ehewillen weitgehend und dauernd aufgegeben hat (RS0009759 [T16]). Ob ein Fehlverhalten eine Unterhaltsverwirkung rechtfertigt, ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen (RS0009759 [T13]; RS0047080), wobei dem Gericht ein nicht zu enger Beurteilungsspielraum zusteht (1 Ob 161/21i mwN). Eine erhebliche Rechtsfrage wird dadurch regelmäßig nicht begründet.
[9] 2. Das Rekursgericht ging von diesen Grundsätzen aus. Dass es bei deren Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte, ist nicht ersichtlich.
[10] 3. Die Rechtsmittelwerberin hält der angefochtenen Entscheidung primär entgegen, dass ein ehewidriges Verhalten nach Auflösung des gemeinsamen Haushalts zu keinem Verlust des Unterhaltsanspruchs mehr führen könne. Nach jüngerer Rechtsprechung entbindet aber auch eine Zerrüttung der Ehe nicht generell von der Prüfung der Frage, ob ein Ehegatte seine Unterhaltsansprüche (danach) – auch unter Berücksichtigung des Maßstabs des § 74 EheG – verwirkt hat (zum Unterhaltsanspruch während aufrechter Ehe etwa 3 Ob 152/16y; 9 Ob 7/20z; 9 Ob 50/18w; s auch 3 Ob 43/11m; zum nachehelichen Unterhalt vgl RS0123713).
[11] 4. Dem Argument der Frau, ihre Drohungen, Beleidigungen, Tätlichkeiten und Vermögensschädigungen seien bloß eine (nachvollziehbare) Reaktion darauf gewesen, dass der Mann die Wohnung mit den Kindern verlassen habe, hielt einerseits schon das Rekursgericht zutreffend entgegen, dass ihr Verhalten jedes noch tolerierbare Ausmaß weit überschritten und sie sich über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinweggesetzt habe. Andererseits übergeht die Revisionsrekurswerberin, dass der Auszug des Mannes mit den Kindern seinerseits eine Reaktion darauf war, dass sie die Wohnung ohne die Kinder (vorübergehend) verlassen und diese nur mit dem Kindermädchen zurückgelassen hatte, mehrere Tage nicht erreichbar war und eine (auch für die Kinder) bedrohliche „Installation“ mit einem Messer, einer Kinderstatue und Bildern der eigenen Kinder hinterlassen hatte. Auch dass der Mann der Frau in der Folge den Kontakt mit den Kindern verweigerte, stellte eine Reaktion auf das Verhalten der Frau – vor allem auf ihre Gewalt- und Morddrohungen – dar. Dass sie dabei keine Rücksicht auf die Kinder nahm, ergibt sich etwa auch aus folgender vom Erstgericht festgestellter Nachricht: „[…] ich werde die Sache schnell erledigen – es werden dann halt vaterlose Kinder sein [...] Macht ja nichts, sie werden schnell vergessen haben. Sie sind ja aus dem Reagenzglas“.
[12] 5. Soweit die Revisionsrekurswerberin darauf hinweist, dass ein rechtsmissbräuchlich geltend gemachter Unterhaltsanspruch auch bloß gemindert werden könnte (RS0121740), legt sie nicht dar, warum die Voraussetzungen für eine solche bloße Unterhaltsminderung hier zwingend vorlägen.
[13] 6. Ob die nach § 94 Abs 2 ABGB für einen Unterhaltsanspruch vorausgesetzte Haushaltsführung hier dadurch erfolgte, dass die Frau im Haushalt nur bestimmte Leitungs- und Organisationsaufgaben wahrnahm, kann dahingestellt bleiben. Auch auf ihr Argument, es stünde schon aufgrund der „wesentlich verschieden hohen Einkommen“ ein Unterhalt zu, muss aufgrund der von den Vorinstanzen vertretbar angenommenen Unterhaltsverwirkung nicht eingegangen werden.
[14] 7. Die Revisionsrekursbeantwortung des Gegners der gefährdeten Partei, deren Erstattung vom Obersten Gerichtshof nicht freigestellt wurde, war nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig und ist daher nicht zu honorieren (§ 508a Abs 2 Satz 2 iVm § 521a Abs 2 ZPO, 78 EO und § 402 Abs 4 EO).
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