Normen
ZPO §210 (2)
ZPO §265
ZPO §477 (1) Z8
ZPO §210 (2)
ZPO §265
ZPO §477 (1) Z8
Spruch:
Nicht jeder Verstoß gegen die Protokollierungsvorschriften steht unter Nichtigkeitssanktion. Es kommt darauf an, ob Mundlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens beeinträchtigt wurden.
Entscheidung vom 31. Oktober 1968, 1 Ob 219/68.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Der Kläger, Ernst M., war seit dem Jahr 1957 mit Elisabeth geb. P., verheiratet; am 8. November 1966 verübte diese Selbstmord.
Im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens nach Elisabeth M. wurden zwei formgerechte eigenhändige Privattestamente kundgemacht.
Das erste Testament ist mit 25. Jänner 1966 datiert und beginnt mit dem Satz: "Alleinerbe ist mein Mann - Architekt Ernst M. ...".
Das zweite Testament wurde am 8. November 1966 unmittelbar vor dem Selbstmord errichtet und lautet: "Alles was ich besitze gehört meiner Mutter Frau Else P. ...".
Ernst M. gab auf Grund des Testamentes vom 25. Jänner 1966 die bedingte, Else P. auf Grund des Testamentes vom 8. November 1966 die unbedingte Erbserklärung ab; beide Erbserklärungen wurden zu Gericht angenommen; gemäß § 125 AußStrG. wurde Ernst M. die Klägerrolle zugewiesen. Im vorliegenden Prozeß belangte er nun Else P. auf Ungültigerklärung des Testamentes vom 8. November 1966. Else P. ist im Revisionsstadium gestorben. Dem Kläger steht darum als Prozeßpartei nunmehr die Verlassenschaft nach Else P. gegenüber.
Der Erstrichter gab dem auf die Behauptung der Testierunfähigkeit im Sinn des § 566 ABGB. gestützten Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht zog zur Begutachtung des Geisteszustandes der Elisabeth M. bei Errichtung des angefochtenen Testamentes einen neuen Sachverständigen (§ 488 (3) ZPO.) und zwar Univ.-Doz. Dr. Karl H. zu. Es verwarf eine bei der fortgesetzten Berufungsverhandlung vom 14. Juni 1968 nach Erstattung des Gutachtens abgegebene Erklärung des Klägers, Doz. Dr. H. als befangen abzulehnen, als verspätet, wies weitere Beweisanträge des Klägers zufolge Klärung des Sachverhaltes ab und wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, nach dem unbedenklichen Gutachten des Sachverständigen Doz. Dr. H. lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß bei Elisabeth M. zum Zeitpunkt der Errichtung des angefochtenen Testamentes eine Geisteskrankheit oder eine vorübergehende geistige Störung (Sinnesverwirrung oder Sinnestäuschung) bestanden habe.
Die Verwerfung der Ablehnungserklärung begrundete das Berufungsgericht damit, daß der Kläger zur Verhandlung vom 14. Juni 1968 mit einem fertig gearbeiteten Elaborat über die Ablehnung des Sachverständigen und die hiefür geltend gemachten Gründe erschienen sei, dieses aber bis nach der Vernehmung des Sachverständigen zurückgehalten habe. Daraus erhelle, daß ihm die Ablehnungsgrunde schon vor dieser Verhandlung bekannt gewesen seien, sodaß er die Ablehnung spätestens vor Beginn der Befragung des Sachverständigen und nicht erst nachher zu Protokoll hätte erklären müssen; er habe das Ablehnungsrecht gemäß § 355 (2) ZPO. verwirkt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Protokoll über die fortgesetzte Berufungsverhandlung vom 14. Juni 1968 enthält nach Beurkundung der Ausführungen des Sachverständigen Doz. Dr. H. folgende Stelle:
"Der Klagsanwalt lehnt nunmehr den Sachverständigen ... als befangen ab und beruft sich hiebei auf die in der zum Verhandlungsprotokoll gegebenen Beilage angegebenen Gründe.
Der Sachverständige erklärt, daß er die in der Beilage angeführten angeblichen Äußerungen über den Kläger in dieser Form nicht gemacht habe. Ebenso sei er vom Beklagtenvertreter in dieser Sache in keiner Weise bedroht worden".
Bei der vom Klagevertreter zum Protokoll gegebenen Beilage handelt es sich um einen nicht unterschriebenen Aufsatz von der Länge etwa einer Schreibmaschinenseite der üblichen Kanzleigröße mit einzelnen handschriftlichen Ergänzungen. Der Aufsatz enthält Sachverhaltsvorbringen und Beweisanerbieten bezüglich der behaupteten Befangenheit des Sachverständigen Dr. H.
Der Kläger, der diese Beilage anläßlich der Ablehnungserklärung selbst dem Berufungsgericht überreicht hat, macht nun geltend, dem Berufungsgericht sei Nichtigkeit gemäß § 477 (1) Z. 8 ZPO. unterlaufen.
Es steht außer Frage, daß der vom Berufungsgericht eingehaltene Vorgang mit dem Gesetz nicht im Einklang steht. § 265 ZPO. kennt als Protokollierungserleichterung lediglich die Feststellung zu Protokoll durch eine von der Partei in der Verhandlung selbst verfaßte Niederschrift. Ob dazu ein schon vor der Verhandlung vorbereiteter Aufsatz in der Form verwendet werden darf, daß ihn die Partei bei Gericht als Text der zunächst mündlich abgegebenen Erklärung zum Zweck der Selbstbeurkundung unterschreibt, kann dahingestellt bleiben, weil im vorliegenden Fall weder eine solche Beurkundung durch die Partei noch die im § 265 (3) ZPO. vorgeschriebene gerichtliche Kontrolle der Richtigkeit des Textes erfolgte. Ein Blatt, wie es der Kläger bei der Berufungsverhandlung vom 14. Juni 1968 vorlegte, vermag eine Niederschrift im Sinn des § 265 ZPO. nicht zu ersetzen.
Die Tragweite der Bestimmungen der §§ 210 (2) 2. Satz, 265 und 477
(1) Z. 8 ZPO. wird von Judikatur und Literatur nicht einhellig beurteilt (vgl. dazu GlUNF. 1919, ZBl. 1926 Nr. 164 mit Kritik Petscheks, SZ. XVIII 69 = ZBl. 1936 Nr. 307, Sperl S. 384, Neumann
S. 974, Petschek, Zivilprozessuale Streitfragen S. 34 f., Fasching
II S. 994 und III S. 222 f.). Die Literatur, vor allem Petschek, vertritt die Ansicht, daß nicht jeder Verstoß gegen die Protokollierungsvorschriften unter Nichtigkeitssanktion steht. Dieser Ansicht ist beizutreten. Es kommt nicht auf die formale Verletzung der Protokollierungsvorschriften, sondern darauf an, ob die Mundlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens, deren Verwirklichung und Schutz diese Vorschriften dienen, durch den unterlaufenen Verstoß beeinträchtigt wurden. Hätte das Berufungsgericht über die Ablehnungserklärung des Klägers meritorisch entschieden, wäre es also sachlich darauf angekommen, was er hinsichtlich einer Befangenheit des Sachverständigen ins Treffen führte, hätte Nichtigkeit angenommen werden müssen. Das Berufungsgericht hat die Frage der sachlichen Berechtigung der Ablehnungserklärung wohl gestreift, sie dann aber aus formalen Gründen ungeprüft gelassen, die Ablehnungserklärung vielmehr als verspätet verworfen. Es kam dabei nur darauf an, daß dem Kläger alle Gründe, die er für die Befangenheit des Sachverständigen ins Treffen führen wollte, schon vor der Verhandlung bekannt waren, weil er sie sonst in dem vorgelegten schriftlichen Aufsatz nicht schon vor der Verhandlung hätte festhalten können. Daß die Ablehnungserklärung gerade auf diese Gründe gestützt werden sollte, hat der Kläger laut Protokoll jedenfalls noch mündlich vor dem Berufungsgericht vorgetragen. Da es auch für die Überprüfung der Richtigkeit der vom Berufungsgericht aus formalen Gründen getroffenen Erledigung der Ablehnungserklärung nicht darauf ankommt, was der Kläger im einzelnen bezüglich der Befangenheit des Sachverständigen vorbringen wollte, sondern nur darauf, ob die Ablehnungserklärung verspätet oder nicht verspätet war, sind Mundlichkeit und Unmittelbarkeit der Berufungsverhandlung durch den dem Berufungsgericht unterlaufenen Protokollierungsverstoß nicht beeinträchtigt worden.
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