Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Dem Oberlandesgericht Linz wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Im Vorverfahren wurde das Begehren der Kläger auf Feststellung, dass den Beklagten ein Fischereirecht an näher bezeichneten Gewässern links der T***** nicht zukomme, vom Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht abgewiesen, weil den Klägern der Nachweis des Bestehens eines eigenen Fischereirechts im strittigen Bereich nicht gelungen sei.
Die Kläger begehrten nun die Wiederaufnahme dieses Verfahrens unter Berufung auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Am 25. 10. 2007 sei ihnen ein Sachverständigengutachten über die historische Entwicklung der Fischereirechte in der T***** samt Nebengewässern bekannt geworden, das in einem von sieben der insgesamt acht Wiederaufnahmskläger gegen die Republik Österreich und die Wiederaufnahmsbeklagten als Nebenintervenienten geführten Prozess eingeholt worden sei. Dieses Gutachten sei zum Zeitpunkt der Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren naturgemäß noch nicht zur Verfügung gestanden. Seine Berücksichtigung hätte zu einer Veränderung der Tatsachengrundlage und damit zu einer Bestätigung des Ersturteils im wiederaufzunehmenden Verfahren geführt. Im Gutachten seien zahlreiche Hinweise dafür angeführt worden, dass die fraglichen Gewässer schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu den „F***** Fischwässern" gehört hätten. Diesem Sachverständigengutachten seien erstmals auch drei (näher dargestellte) Urkunden zugrunde gelegt worden, die den Klägern nicht bekannt gewesen und ihnen auch bei ihren seinerzeitigen Recherchen im Landesarchiv nicht untergekommen seien. Es sei ihnen auch nicht bekannt, woher die angesprochenen Urkunden beigeschafft bzw dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt worden seien. Die Unkenntnis dieser Urkunden sei den Klägern jedenfalls nicht als Verschulden zuzurechnen, zumal diese sich auch nicht in den durchgesehenen Akten der zuständigen Bezirkshauptmannschaft befunden hätten. Kenntnisse der ursprünglichen Sechstklägerin aus einem von ihr geführten Rechtsstreit seien den Wiederaufnahmsklägern nicht zuzurechnen.
Die Beklagten beantragten die Abweisung der Wiederaufnahmsklage. Die im als Wiederaufnahmsgrund herangezogenen Sachverständigengutachten angestellten Schlussfolgerungen könnten keinen Wiederaufnahmsgrund bilden. Diese Qualität könnte allenfalls vom Sachverständigen aufgefundenen und den Klägern bisher nicht bekannten Urkunden zukommen. Aus den insoweit in Betracht kommenden Unterlagen sei jedoch für den Standpunkt der Kläger nichts zu gewinnen. Die Wiederaufnahmsklage sei auch verfristet, weil das fragliche Sachverständigengutachten in einem Verfahren, in dem die ursprüngliche Sechstklägerin beklagte Partei gewesen sei, im April 2005 den Prozessparteien zugestellt worden sei. Angesichts der engen Verbindung zwischen der ehemaligen Sechstklägerin und bestimmten anderen Klägern sei davon auszugehen, dass die Kläger und deren Rechtsvertreter spätestens im April 2005 über das Vorhandensein dieser Urkunden informiert gewesen seien.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Oberlandesgericht Linz die Wiederaufnahmsklage ab, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten hätten die Kläger die vierwöchige Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO eingehalten. Diese beginne erst, wenn der Wiederaufnahmskläger die neuen Beweismittel soweit kennt, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann. Er müsse in der Lage sein, einen form- und inhaltsgerechten Beweisantrag zu stellen. Die bloße Kenntnis des Vorhandenseins einer Urkunde, die allenfalls zugunsten des eigenen Standpunkts sprechen könnte, verpflichte noch nicht zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage bei sonstiger Verfristung. Unabhängig von der Frage der Zurechenbarkeit der Kenntnis von in einem anderen Verfahren hervorgekommenen Urkunden an die Wiederaufnahmskläger habe somit auch keine Verpflichtung zur Nachforschung bestanden, ob allenfalls auch die Beantwortung eines Fragebogens des oberösterreichischen Fischereivereins durch den Vorstand einer bestimmten Gemeinde aufgefunden werden könne. Im Wiederaufnahmeverfahren sei allerdings zu prüfen, ob den neuen Beweismitteln die konkrete Eignung zukommt, allenfalls eine für die Kläger günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen. Eine abschließende Beurteilung, ob aufgrund der Neuerungen die angefochtene Entscheidung abgeändert werden müsse, könne im Aufhebungsverfahren nicht erfolgen, denn dazu müsste das gesamte vorliegende Tatsachen- und Beweismaterial einschließlich der im Vorprozess erzielten konkreten Beweisergebnisse gemeinsam verwertet werden. Dies sei jedoch nicht schon im Aufhebungsverfahren, sondern erst im Erneuerungsverfahren möglich. Aus „nachstehenden" - in der Folge näher dargelegten - Erwägungen eigneten sich die neuen Beweismittel nicht konkret dazu, zu einer Änderung der Tatsachenfeststellungen des Vorprozesses zu führen. Wie der Oberste Gerichtshof bereits im Vorprüfungsverfahren betont habe, könnten nur die neuen Urkunden, nicht aber das Sachverständigengutachten als solches einen Wiederaufnahmsgrund darstellen, gehe es doch um die Würdigung des Urkundeninhalts, wofür der Sachverständige nur unterstützende Hilfe zu der letztlich den Gerichten obliegenden Beweiswürdigung leisten könne. Die bei der Auslegung der „neuen" Urkunden auftretenden Auslegungsprobleme zeigten, dass im für die Wiederaufnahmskläger günstigsten Fall Urkunden mit unklarem Inhalt vorlägen. Der Urkundeninhalt sei wegen des Alters der Urkunde von 119 Jahren auch durch eine Vernehmung des Urkundenverfassers nicht mehr zu klären. Lasse aber der Urkundentext mehrere Auslegungen zu, darunter auch die (im Urkundentext gedeckte) vom Berufungsgericht vertretene und den Standpunkt der Wiederaufnahmskläger nicht bestätigende Auslegungsvariante, so ergebe sich schon daraus, dass es der Urkunde an der konkreten Eignung zur Beeinflussung der Beweiswürdigung im Hauptverfahren fehle. Die Wiederaufnahmsklage sei daher „als Ergebnis der im Aufhebungsverfahren vorgenommenen beschränkten Beweiswürdigung" abzuweisen, da sich aus den vom Sachverständigen verwerteten neuen Urkunden keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür ergäben, dass sich zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Urkunden das von den Klägern herangezogene Fischereirecht auch auf den Bereich nördlich der T***** erstreckt habe. Im für die Wiederaufnahmskläger günstigsten Fall läge mit dem Schreiben des Gemeindevorstands eine die Beweiswürdigung im Hauptverfahren in keiner Richtung beeinflussende unklare Urkunde vor. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, da es sich bei der Frage, ob einem neuen Beweismittel die Eignung zukommt, eine Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen, um eine im Revisionsverfahren nicht bekämpfbare Frage der Beweiswürdigung handle.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision der Kläger ist zulässig (vgl dazu auch Jelinek in Fasching/Konecny2 IV/1 § 535 Rz 2) und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.
Entgegen der Auffassung der Revisionsgegner ist die Klage nicht deshalb verfristet, weil „davon auszugehen" sei, dass die Kläger und deren Rechtsvertreter „spätestens im April 2005" über ein Gutachten informiert waren, das in einem Verfahren eingeholt wurde, an dem die ehemalige Sechstklägerin beteiligt war. Deren Kenntnis ist den nunmehrigen Wiederaufnahmsklägern jedenfalls nicht zuzurechnen. Bloße Vermutungen sind keine ausreichende Grundlage für die Beurteilung, wann eine Partei iSd § 534 Abs 2 Z 4 ZPO in der Lage war, bestimmte Beweismittel bei Gericht vorzubringen.
Zutreffend machen die Revisionswerber einen im Wiederaufnahmeverfahren (Aufhebungsverfahren) unterlaufenen Verfahrensmangel geltend, der letztlich zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen muss.
Es entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass schon im judicium rescindes (Aufhebungsverfahren) eine eingeschränkte Würdigung der vom Wiederaufnahmskläger angebotenen neuen Beweismittel dahin vorzunehmen ist, ob die Nichtberücksichtigung der neuen Erkenntnisquellen einen Verstoß gegen die Forderung nach der Richtigkeit und Vollständigkeit der Entscheidungsgrundlage darstellt (RIS-Justiz RS0044687). Die neuen Tatsachen und Beweismittel sind nicht nur im Hinblick auf ihre abstrakte Eignung, eine Änderung der im Vorprozess erflossenen Entscheidung herbeizuführen, zu würdigen, vielmehr muss auch eine Prüfung dahingehend erfolgen, ob die Nichtberücksichtigung dieser Tatsachen oder Beweismittel im Vorprozess geeignet war, die Beweiswürdigung im Vorprozess zu beeinflussen (RIS-Justiz RS0044510). Dabei ist zu untersuchen, ob dem betreffenden Beweismittel die konkrete Eignung zukommt, allenfalls eine für den Wiederaufnahmswerber günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen (6 Ob 278/98w). Die neuen Tatsachen und Beweismittel müssen nicht unmittelbar auf die rechtliche Beurteilung von Einfluss sein; es genügt auch, wenn sie geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen (RIS-Justiz RS0044411). Dies ist etwa dann zu bejahen, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Sachverständige ein anderes Gutachten abgegeben und das Gericht die Beweise anders gewürdigt hätte, wenn die behauptete neue Tatsache im Hauptprozess bereits bekannt gewesen wäre (5 Ob 103/66).
Wie der erkennende Senat bereits in der im Vorprüfungsverfahren ergangenen Entscheidung zu 1 Ob 59/08w ausgesprochen hat, kann die Frage, ob eine Urkunde allenfalls geeignet ist, auf die endgültige Tatsachenfeststellung Einfluss zu nehmen, letztlich nur im Rahmen der Gesamtwürdigung aller aufgenommenen Beweismittel erfolgen. Dass eine als „neues" Beweismittel angebotene Urkunde isoliert betrachtet keinen ausreichenden Beweiswert hat, weil sie in verschiedener Weise ausgelegt werden kann, steht einer Wiederaufnahme dann nicht entgegen, wenn nicht zugleich mit ausreichender Sicherheit gesagt werden kann, dass sie auch im Zusammenhalt mit den bereits im Vorverfahren aufgenommenen Beweisen nicht geeignet ist, zu für den Wiederaufnahmskläger günstigeren Tatsachenfeststellungen zu führen. Das Fehlen eines ausreichenden Beweiswerts kann sich im Aufhebungsverfahren etwa ergeben, wenn ein Zeuge bei seiner Vernehmung erklärt, zum maßgeblichen Sachverhalt keine Wahrnehmungen gemacht zu haben, wenn sich eine Urkunde als verfälscht und damit beweismäßig wertlos erweist, oder wenn eine Zeugenaussage in sich so unglaubwürdig ist, dass abschließend beurteilt werden kann, dass sie bei der Beweiswürdigung nicht zugunsten des Wiederaufnahmsklägers ausschlagen kann.
In allen übrigen Fällen, also insbesondere auch dort, wo eine bestimmte Urkunde sowohl in die eine als auch in die andere Richtung ausgelegt werden kann, kann hingegen regelmäßig nicht gesagt werden, dass diese auch „konkret" nicht geeignet wäre, - in einer „Gesamtschau" mit den übrigen Beweisergebnissen - allenfalls zu einer für den Wiederaufnahmskläger günstigeren Sachverhaltsfeststellung als im Vorverfahren zu führen. Auch wenn die Urkunde für sich allein unklar ist, kann sie gegebenenfalls doch unter Berücksichtigung anderer Beweisergebnisse zu einer vom Ergebnis des Vorverfahrens abweichenden Gesamtwürdigung und damit letztlich zu einer Änderung der Entscheidungsgrundlage auf Tatsachenebene führen. Wenn daher im Aufhebungsverfahren die fraglichen Urkunden, insbesondere das Schreiben der Gemeindevorstehung, ohne Bezugnahme auf die sonst aufgenommenen Beweismittel isoliert „gewürdigt" wurden, liegt darin ein Verfahrensmangel, soll doch dem Wiederaufnahmskläger die Wiederaufnahme regelmäßig nur dann versagt werden, wenn bereits im Aufhebungsverfahren abschließend gesagt werden kann, dass das neue Beweismittel keinen für ihn günstigen Einfluss auf die Beweiswürdigung gehabt hätte, wenn es bereits im Vorverfahren zur Verfügung gestanden wäre.
Die bisher unterlassene (eingeschränkte) „Gesamtwürdigung" wird im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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