OGH 1Ob178/20p

OGH1Ob178/20p20.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei E*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei K*****-GmbH, *****, vertreten durch die Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft, Dornbirn, wegen 237.231,06 EUR sA (AZ 10 Cg 9/17g) und 654.774,15 EUR sA (AZ 10 Cg 2/18d), über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. August 2020, GZ 2 R 88/20d‑98, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 5. Mai 2020, GZ 10 Cg 9/17g‑94, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00178.20P.1020.000

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die klagende und widerbeklagte Partei (im Folgenden: Klägerin) ist Lieferantin der im Bekleidungshandel tätigen beklagten und widerklagenden Partei (im Folgenden: Beklagte). Sie begehrt Zahlung von 237.231,06 EUR sA für gelieferte Bekleidung. Die Beklagte fordert mit der Widerklage ihrerseits insgesamt 654.774,15 EUR sA an Schadenersatz wegen schuldhafter Vertragsverletzung und ihr aufgrund einer Warenrücknahmeverpflichtung zustehende Beträge. Die Differenzen zwischen den Streitteilen resultieren aus einer Uneinigkeit über die Auslegung ihrer Vereinbarung(en). Die Vorinstanzen folgten dazu im Wesentlichen dem Standpunkt der Klägerin.

Rechtliche Beurteilung

1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Das Berufungsgericht hat – anders als die Beklagte, die in ihrer außerordentlichen Revision einzelne für ihren Standpunkt sprechende Teile des Sachverhalts auswählt – die Feststellungen des Erstgerichts in ihrer Gesamtheit und unter Hinweis auf die Vertrauenstheorie einer Würdigung nach § 914 ABGB unterzogen: Die Beklagte strebte in den Vertragsverhandlungen die Gewährung eines „reinen“ Warenretourenrechts an. Dem stellte sich die Klägerin entschieden entgegen; jede Partei wollte zu „ihren“ AGB abschließen. Der ausverhandelte Rahmenvertrag verwies unter anderem auf die Geltung der „allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen“ der Klägerin (Pkt 4. des Rahmenvertrags) und (in Pkt 5.) darauf, dass die Rahmenvereinbarung (erst) mit beiderseitiger Unterschrift in Kraft trete, sofern sie (bei fristgemäßer Leistung einer Zahlung, mit der bisherige Differenzen ausgeräumt werden sollten) gemeinsam mit dem Franchise-Vertrag für einen bestimmten Store und der Teilnahmevereinbarung zum sogenannten „F*****-Programm“ unterfertigt werde. Aus der Kenntnis des Geschäftsführers der Beklagten von den Teilnahmebedingungen zum „F*****-Programm“ (über das Recht zur Warenrückgabe/Warentausch), die der Teilnahmevereinbarung dazu angeschlossenen waren und deren Unterfertigung, schloss das Berufungsgericht in einer Gesamtschau mit dem Ablauf der Verhandlungen darauf, wie die Klägerin diese Unterfertigung hatte auffassen dürfen (nämlich aufgrund der Vorgeschichte der wechselseitigen Ablehnung der fremden „AGB“ als Ausdruck der Akzeptanz dieser Teilnahmebedingungen mit Geltung für das F*****-Programm im Sinne eines Verhandlungskompromisses). Der Vorwurf der Beklagten, das Berufungsgericht sei insoweit von gar nicht festgestellten Sachverhaltselementen ausgegangen, ist damit unberechtigt.

2. Die einzelfallbezogene Beurteilung rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechtfertigt eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs nur dann, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit die Korrektur einer unhaltbaren, durch die Missachtung fundamentaler Auslegungsregeln zustande gekommenen Entscheidung geboten ist (RIS‑Justiz RS0042776 [T22]). Hingegen liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht etwa schon dann vor, wenn auch die vom Rechtsmittelwerber angestrebte Vertragsauslegung als vertretbar angesehen werden könnte (vgl RS0042776 [T2, T23]). Der Beurteilung, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, kommt in der Regel keine darüber hinausgehende Bedeutung zu (RS0042776).

Der jeweils sorgfältig und ausführlich begründeten, übereinstimmenden Auffassung beider Vorinstanzen, dass nach dem objektiven Erklärungswert der wechselseitig abgegebenen Erklärungen das Warenretouren/Warentausch-Programm einen eigenständigen Regelungskomplex bildete, der nach den eigenen Teilnahmebedingungen auch für sich geregelt sein sollte, soweit nicht dazu im Einzelnen angesprochene und ausverhandelte Punkte (Prozentsätze) durch diese Herausnahme im Verhandlungsweg einer Vereinbarung im Rahmenvertrag unterworfen wurden, mit der Konsequenz, dass sich die Kündigungsregelung im Rahmenvertrag nicht auf das F*****-Programm bezog, liegt keine klare Verkennung der Auslegungsgrundsätze, die einer Korrektur im Einzelfall bedürfte, zu Grunde.

3. Auch wenn sich die Streitteile darauf „verständigt hatten“, dass bei Widersprüchen zwischen der Rahmenvereinbarung und sonstigen Vertragsbedingungen die Rahmenvereinbarung vorgehen sollte, wird dadurch die Frage nicht gelöst, welcher Regelungsgegenstand inhaltlich von welchem Vertragswerk erfasst sein sollte. Die Rahmenvereinbarung betraf weit mehr als das – dem spezielleren Regelwerk unterworfene – Warentauschprogramm (so unterlagen abseits der Regelung weiterer Punkte auch gar nicht alle Waren dem Warentauschprogramm). Nur dann, wenn der Rahmenvertrag über die (ausverhandelte) Abänderung des ausnutzbaren Prozentsatzes zum F*****-Programm hinaus auch die Beendigung des spezielleren Warentausch-Programms hätte regeln sollen, sich dessen beidseitige Kündigungsregelung also auch auf dieses Programm bezog (was die Vorinstanzen mit nachvollziehbaren Argumenten verneint haben), wäre ein zu beachtender und nach dem Konzept des Vorrangs der Rahmenvereinbarung zu lösender Widerspruch vorgelegen. Die von der Beklagten behauptete „Klarheit“ des zur Ansicht der Vorinstanzen gegenteiligen Auslegungsergebnisses ergibt sich keineswegs „eindeutig“ aus dem Gesamtkontext und dem langwierigen Ablauf der Verhandlungen. Die jeweiligen Regelungen über die (beiderseitig mögliche) Kündigung des Rahmenvertrags bzw über die einseitige Beendigung des F*****-Programms selbst sind nach der (eingehend begründeten) Auffassung des Berufungsgerichts nicht unklar (im Sinne des § 915 Satz 2 zweiter Halbsatz ABGB). Die Argumention dazu scheitert daran, dass § 915 ABGB erst heranzuziehen ist, wenn eine Auslegung nach § 914 ABGB nicht möglich ist (vgl RS0017752 [bes T2, T5, T6]).

4. Im Allgemeinen kommt der Frage, ob eine Klage schlüssig ist, – vom hier nicht vorliegenden Fall auffallender Fehlbeurteilung abgesehen – keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0116144, RS0037780). Ob eine (weitere) Aufschlüsselung zumutbar ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (RS0037907 [T16]). Die Darlegung des Berufungsgerichts, es sei der in den Tabellen jeweils ausgewiesene, von der Beklagten bezahlte Betrag auf die angeführten einzelnen Forderungsaußenstände der Reihe nach, bis er sich erschöpft, aufzuteilen, sodass sich die nach Erschöpfung des Betrags verbleibenden Positionen und Beträge als offene Forderung ergäben, kann die Beklagte nicht entkräften.

Schließlich ist auch nicht zu erkennen, warum es nicht möglich sein sollte, den Rechtskraftumfang zu bestimmen bzw zu beantworten, über welche der eingeklagten Forderungen endgültig abgesprochen wurde. Gegenstand des Zuspruchs sind alle noch unbeglichenen Kaufpreisansprüche aus den den einzelnen angeführten Rechnungen zugrunde liegenden Warenlieferungen. Aus diesen kann die Klägerin sohin in Zukunft nichts mehr fordern.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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