Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.400,04 EUR (darin enthalten 233,34 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung
Die W***** AG (im Folgenden: Entwicklungsgesellschaft) errichtete am nördlichen Wiener Donauufer ab 1995 Wohn- und Bürogebäude samt zugehöriger Infrastruktur. Eines dieser Gebäude ist der *****‑Tower. Nordöstlich von diesem Gebäude verläuft die dem Fußgängerverkehr dienende C*****‑Promenade, von der an der Nordwestecke die Fußgängerzone der M*****‑Promenade abzweigt, welche die nordwestliche Gebäudekante des *****‑Towers entlangführt. Die Baubewilligung für dieses Gebäude wurde mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 8. 7. 1999 erteilt. Dieser bewilligte mit Bescheid vom 16. 5. 2007 die Errichtung einer Veranstaltungshalle in Holzkonstruktions-bauweise südwestlich des *****‑Towers. Jedenfalls ab 2005 wurden Beschwerden über die Windsituation im Bereich des *****‑Towers, insbesondere der C*****‑Promenade an die Volksanwaltschaft herangetragen und waren Gegenstand von Medienberichterstattung. Diese Beschwerden wurden auch der Beklagten bekannt. Die Entwicklungsgesellschaft gab aufgrund dieser Beschwerde eine Windkomfort-untersuchung in Auftrag. Das untersuchte Gebiet lag um die C*****‑Promenade als zentralem Fußgängerweg. Nach den Ergebnissen dieser Untersuchung waren die Windgeschwindigkeiten bereits ohne die Beeinflussung durch die Bebauung in einem für den Komfort der Passanten sensiblen Bereich. Die Untersuchung identifizierte zwei „Hotspots“, im Sinn einer relevanten Überschreitung der Komfortschwelle. Einer dieser „Hotspots“ befand sich in der C*****‑Promenade vor dem *****‑Tower. An dieser Stelle wird die Komfortschwelle an 120 Tagen pro Jahr überschritten und es wird der Wind durch das Zusammenspiel des Turms mit einem Wohngebäude überdies verstärkt. Der Gutachter kam zum Ergebnis, dass im Allgemeinen die Gebäude im Untersuchungsgebiet im Vergleich zu anderen urbanen Gebieten kein erhöhtes Gefährdungspotential hatten. Zur Verbesserung der Windkomfortsituation wurden Spoiler entlang der C*****‑Promenade in Kombination mit einer Schutzwand beim Eingang zum *****‑Tower empfohlen. Diese Maßnahmen wurden nicht sofort umgesetzt, weil nach Ansicht der Entwicklungsgesellschaft dadurch die Feuerwehrzufahrt behindert worden wäre.
Die Klägerin bewohnt eine Wohnung in der durch die M*****‑Promenade erreichbaren, südwestlich des *****‑Towers gelegenen L*****‑Straße. Ihr war bekannt, dass es bezüglich der Windsituation öffentliche Informationsveranstaltungen und Fernsehbeiträge gegeben hatte. Der Wind störte sie nicht besonders. So ging sie auch bei Wind laufen. Am 20. 11. 2008 ging sie gegen 9:00 Uhr morgens vom damals nicht versperrten Durchgang auf der Fußgängerebene an der südwestlichen Kante des *****‑Towers kommend in Richtung M*****‑Promenade, um zu ihrem Wohnhaus zu gehen. Dabei verlor sie durch eine Windböe den Halt und wurde durch den Wind aus dem Gleichgewicht gebracht, sodass sie in Richtung der gegenüberliegenden Mauer gezogen wurde und mit Schulter und Kopf an die Betonwand prallte. Dabei erlitt sie Verletzungen.
An diesem Tag betrugen die höchsten Böengeschwindigkeiten an der Station Hohe Warte zwischen 8:00 Uhr und 9:00 Uhr vormittags 110 bzw 115 km/h, die höchste mittlere Windgeschwindigkeit 62 km/h. Auch im Bereich der Donaucity war mit etwa gleich hohen Windgeschwindigkeiten zu rechnen. Im Bereich der Donauplatte samt Bebauung ergab sich eine maximale mittlere Windgeschwindigkeit von 86 km/h. Dabei besteht die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen durch den Wind umgeworfen werden, dies umso mehr, als der Wind räumlich in Engstellen nicht gleichmäßig auftritt.
Durch die im Unfallzeitpunkt gegebene Bebauung durch den *****‑Tower und die Veranstaltungshalle war die Windsituation gegenüber der natürlichen deutlich verändert und verstärkt, dies im Sinn eines Wind‑„Hotspots“, was durch geringfügige spätere bauliche Maßnahmen deutlich verringert werden konnte. Die festgestellte mittlere Windgeschwindigkeit von 62 km/h hat in Richtung West‑Nord‑West eine Wiederholungsfrequenz von etwa fünf Jahren.
Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die der beklagten Partei auch bekannt gewordenen Beschwerden über die Windsituation vor dem Unfall der Klägerin ausdrücklich auch auf die M*****‑Promenade (den Unfallort) bezogen.
Die Klägerin begehrte von der Stadt Wien gestützt auf § 1319a ABGB und das AHG Schadenersatz. Die Vorinstanzen erachteten ihr Begehren als nicht gerechtfertigt. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil den Fragen, ob ein Wegehalter für atypische Windverhältnisse Vorkehrungen zu treffen habe und die Behörde aufgrund des Zwecks der Bauordnung, allgemein vor Gefahren für Leib und Leben zu schützen, auch Prüfungen im Hinblick auf den Windkomfort vorzunehmen habe, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Wird durch den mangelhaften Zustand eines Weges ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so haftet derjenige für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat (§ 1319a Abs 1 Satz 1 ABGB). Ob der Zustand eines Wegs mangelhaft ist, richtet sich gemäß § 1319a Abs 2 Satz 2 ABGB danach, was nach der Art des Wegs, besonders nach seiner Widmung, für seine Anlage und Betreuung angemessen und zumutbar ist. So ist es etwa aufgrund besonderer Bedingungen im Hochgebirge fast ausgeschlossen, eine Straße stets in völlig gefahrlosem Zustand zu erhalten, was jedem Benützer bekannt sein muss (RIS‑Justiz RS0023748).
Unter grober Fahrlässigkeit im Sinn des § 1319a ABGB ist eine auffallende Sorglosigkeit zu verstehen, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlicher Weise verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist (RIS‑Justiz RS0030171). So haftet der Wegehalter nach § 1319a ABGB unter anderem, sofern atypische Gefahrenquellen nicht beseitigt oder als solche kenntlich gemacht werden (1 Ob 260/05z = SZ 2006/14 mwN).
Nach den in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs dargelegten Kriterien zum Sorgfaltsmaßstab eines Wegehalters ist die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, der beklagten Wegehalterin im konkreten Fall keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten, zumindest gut vertretbar.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen herrschten am Unfallstag außergewöhnliche Windverhältnisse mit mittleren Windgeschwindigkeiten, wie sie nur etwa alle fünf Jahre vorkommen. Die Unfallstelle liegt in einem Gebiet, das grundsätzlich auch ohne die Bebauung (insbesondere durch Hochhäuser) stark dem Wind ausgesetzt war. Die Negativfeststellung zu fehlenden Beschwerden über die Windsituation an der Unfallstelle geht zu Lasten der Klägerin, die auch das Vorliegen der in § 1319a ABGB geforderten groben Fahrlässigkeit beweisen müsste (RIS‑Justiz RS0124486). Die Windkomfortuntersuchung wurde von der Erschließungsgesellschaft in Auftrag gegeben, nicht von der beklagten Partei. Dass diese das Gutachten einschließlich der darin vorgeschlagenen, letztlich im Jahr 2009 von der Auftraggeberin umgesetzten Maßnahmen kannte, wurde nicht festgestellt. Zudem bezogen sich die Maßnahmen zur Verbesserung des Windkomforts im Gutachten lediglich auf die in der Nähe der späteren Unfallstelle gelegene Promenade. Schon aus diesem Grund ist der Vorwurf der Klägerin schwer verständlich, dass die beklagte Partei Vorschläge des Gutachters zur Durchführung von Windkomfortmaßnahmen jahrelang schlicht ignoriert habe.
War das Gefahrenpotential der Verletzung von Passanten durch sturmartige, in dieser Intensität nur etwa alle fünf Jahre auftretende Böen für die beklagte Partei nicht augenscheinlich, leuchtet auch die Forderung der Revisionswerberin nach einer Sperre des Durchgangs oder der Anbringung von Warnschildern nicht ein. Im Zusammenhang mit der zuletzt genannten Maßnahme stellte sich zudem die Frage nach dem Sinn eines Warnschildes, das in einem den Benutzern, somit auch der Klägerin als windexponiert bekannten Gebiet allgemein auf die Gefahren derartiger Witterungseinflüsse hinweist.
Die Revisionswerberin vermisst die Anbringung des Gefahrenzeichens nach § 50 Z 10a StVO („Seitenwind“) oder die tatsächliche Aufstellung eines Windsacks (nach dieser Norm) und sieht in der zitierten Bestimmung ein Schutzgesetz zu Gunsten von Verkehrsteilnehmern, denen die Anpassung an die Gefahr ermöglicht werden soll. Die Verletzung dieses Schutzgesetzes solle unabhängig vom Vorliegen der in § 1319a ABGB geforderten Fahrlässigkeit ihr Begehren rechtfertigen.
Mit diesem Argument übersieht sie, dass im Zusammenhang mit der gewünschten Anbringung von Verkehrszeichen zwei Rechtsgründe für die Haftung der beklagten Partei in Betracht kommen, nämlich die privatrechtliche als Wegehalterin und die hoheitliche als Rechtsträger im Sinn des § 1 AHG. Die unterlassene Aufstellung von Gefahrenzeichen löst allerdings ‑ von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen ‑ Amtshaftung nicht aus (1 Ob 29/95m = RIS‑Justiz RS0087642). Zur Instandhaltung einer Straße (durch den Wegehalter) gehört auch die Kenntlichmachung einer Gefahrenstelle durch Aufstellen von Gefahrenzeichen, wozu der Straßenerhalter auch ohne behördlichen Auftrag berechtigt ist. Die Unterlassung einer solchen Kennzeichnung ist nur dann grob fahrlässig, wenn sie sich nach den Umständen des Einzelfalls als ungewöhnliche, auffallende Sorglosigkeit heraushebt (2 Ob 293/98x mwN); was die Vorinstanzen auf durchaus vertretbare Weise verneint haben.
Zudem sollen nach § 49 Abs 1 StVO Gefahrenzeichen ankündigen, dass sich in der Fahrtrichtung auf der Fahrbahn Gefahrenstellen befinden (Satz 1). Die Lenker von Fahrzeugen haben sich in geeigneter Weise, erforderlichenfalls durch Verminderung der Geschwindigkeit, der angekündigten Gefahr entsprechend zu verhalten (Satz 2). Der Begriff der „Fahrbahn“ wird in § 2 Abs 1 Z 2 StVO als der für den Fahrzeugverkehr bestimmte Teil der Straße definiert. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ereignete sich der Unfall aber im Bereich einer Fußgängerebene bzw Fußgängerzone. Die Revisionswerberin bezeichnet die Unfallstelle auch selbst als Gehweg (vgl § 2 Abs 1 Z 11 StVO). Ihre Behauptung, dieser Gehweg werde auch fallweise zu Lieferzwecken oder von der Feuerwehr befahren, ist eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung. Ob die fallweise Nutzung eines Gehwegs durch Liefer‑ oder Feuerwehrfahrzeuge diesen tatsächlich bereits zur Fahrbahn im Sinne des § 2 Abs 1 Z 2 StVO mutieren ließe, muss somit gar nicht erörtert werden.
Die Klägerin stützt ihren Schadenersatzanspruch ausdrücklich auf das AHG. Die beklagte Partei habe für jene Gebäude, deren Errichtung zu gefährlichen Wind‑„Hotspots“ geführt hätte, zu Unrecht Baubewilligungen erteilt sowie vor der Bebauung 1995 den Flächenwidmungsplan geändert, ohne jeweils den Einfluss der Bebauung oder der bewilligten Bauprojekte auf die Windverhältnisse zu untersuchen. In der Revision bezieht sie sich zu diesem Anspruch auf mehrere Bestimmungen der Wiener Bauordnung (Wr BauO), in denen sie Schutzgesetze zu erkennen vermeint, deren Übertretung zur Haftung des beklagten Rechtsträgers für ihre Schäden (Körperverletzung) führen soll.
Die in der Revision zitierten Bestimmungen regeln aber schon nach ihrem eindeutigen Wortlaut keine Verpflichtung der Baubehörde, vor Bewilligung eines Bauvorhabens das Entstehen von Windverhältnissen, die die Sicherheit von Passanten gefährden könnten, zu untersuchen:
So regelt § 128 Wr BauO idF Wr LGBl 1996/42 die Verpflichtung gegenüber der Behörde, nach Fertigstellung bewilligungspflichtiger Neu‑, Zu‑ und Umbauten, sonstiger baulicher Anlagen und Bauabänderungen sowie Anlagen, eine Fertigstellungsanzeige zu erstatten.
Nach § 89 Abs 1 erster Satz Wr BauO idF der Techniknovelle 2007, LGBl 2008/24, müssen Objekte und all ihre Teile entsprechend dem Stand der Technik so geplant und ausgeführt sein, dass sie bei Errichtung und Verwendung tragfähig sind. § 105 Wr BauO, idF LGBl 2008/24 betrifft den Schutz der Benutzer des Bauwerks vor ihre Gesundheit gefährdenden Emissionen, wie beispielsweise gefährliche Gase, Partikel oder Strahlen. § 113 leg cit in der zitierten Fassung betrifft den Schutz vor Aufprallunfällen und herabstürzenden Gegenständen. Diese Bestimmungen sind im Sinne des Art V Abs 1 TechnikNov 2007 erst am 12. 7. 2008 in Kraft getreten und daher für die angeblich rechtswidrig erfolgte Erteilung der Baubewilligungen in den Jahren 1999 und 2006 ohnehin nicht von Bedeutung.
Welche Relevanz alle zitierten Bestimmungen der Wr BauO für einen Amtshaftungsanspruch einer Fußgängerin, die in einer Fußgängerzone von einer plötzlichen Windböe erfasst und verletzt wurde, haben sollten, bleibt unerfindlich.
§ 1 Abs 2 Wr BauO idF LGBl 1996/10, sieht vor, dass bei der Festsetzung und Abänderung der Flächenwidmungspläne und der Bebauungspläne insbesondere auf folgende Ziele Bedacht zu nehmen ist: ... Erhaltung bzw Herbeiführung von Umweltbedingungen, die gesunde Lebensgrundlagen, insbesondere für Wohnen, Arbeit und Freizeit sichern, und Schaffung von Voraussetzungen für einen möglichst sparsamen und ökologisch verträglichen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen sowie dem Grund und Boden (Z 4); größtmöglicher Schutz vor Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Staub und Gerüche (Z 5).
In der zuletzt zitierten Bestimmung sieht die Revisionswerberin eine Norm, welche die Gesamtbevölkerung vor einzelnen, nur demonstrativ aufgezählten Immissionen schützen solle. Nach ihrer Auffassung sollen Starkwinde schwerer als „Gerüche“ wiegen. Ob solche Winde überhaupt zu den in § 1 Abs 2 Z 5 leg cit aufgezählten Immissionen zählen können, kann aber schon deshalb dahingestellt bleiben, weil § 1 Abs 2 nach Art III Abs 2 Wr BauO, Wr LGBl 1996/42, erst mit 1. 9. 1996 in Kraft getreten ist, und daher für einen Amtshaftungsanspruch, der auf die angeblich rechtswidrige (weil ohne Untersuchung der Auswirkungen auf die Windverhältnisse vorgenommene) Änderung der Flächenwidmung im Jahr 1995 gestützt wird, nicht relevant ist.
Da die Revision somit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen vermag, ist sie als nicht zulässig zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO.
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