Spruch:
Wer einen Liegenschaftsanteil auf Grund eines Übergabsvertrages außerbücherlich erworben hat, kann gegen die anderen Miteigentümer Ansprüche aus dem Rechtsgrund der Eigentumsgemeinschaft geltend machen.
Entscheidung vom 27. Februar 1952, 1 Ob 169/52.
I. Instanz: Kreisgericht Korneuburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Erstgericht wies die auf Zahlung von 11.550 S gerichtete Klage ab. Mit Übergabsvertrag vom 11. Feber 1946 hätten die Übergeber Karl und Josefa G. die ihnen gehörige Hälfte der Liegenschaft EZ. 158 Grundbuch U. dem Erstkläger als Übernehmer überlassen. Dieser habe im Übergabs- und Ehevertrag vom gleichen Tage mit der Zweitklägerin, seiner Ehegattin, eine allgemeine, schon unter Lebenden wirksame Gütergemeinschaft vereinbart. Da aber der Erstkläger erst am 31. August 1949 und die Zweitklägerin überhaupt nicht grundbücherlich als Miteigentümerin einverleibt worden seien, könnten sie vom Beklagten, dem zweiten Hälfteeigentümer der Liegenschaft, keinen Ersatz für die Verwendung des gemeinsamen Kalksteinbruches in den Jahren 1946 und 1947 verlangen.
Infolge Berufung der Kläger bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil. Wenn auch die schrankenlose Durchführung des Eintragungsgrundsatzes abzulehnen sei, könne die Klagslegitimation des Karl und der Josefa G. nicht bejaht werden. Denn nach dem Punkt "Sechstens" des Übergabsvertrages sollte die Übergabe samt Nutzung und Lasten an die Kläger erst im Zeitpunkt der Vertragsgenehmigung vor sich gehen. Wenn auch eine solche Genehmigung nicht erforderlich gewesen sein sollte, sei doch nicht behauptet worden, daß übergeben worden wäre, nachdem die Kläger vom Fehlen der Genehmigungsbedürftigkeit Kenntnis bekommen hätten.
Der Oberste Gerichtshof hob über Revision des Klägers auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht hat die schrankenlose Durchführung des Eintragungsgrundsatzes mit Recht abgelehnt. Denn sie würde unbillige Ergebnisse herbeiführen. Insbesondere können die Rechte des außerbücherlichen Erwerbers einer Liegenschaft, dem diese übergeben worden ist, nicht zugunsten des noch im Grundbuch einverleibten Voreigentümers vernachlässigt werden. Einem solchen außerbücherlichen Erwerber, der sich auf Grund eines Übergabsvertrages mit Recht für den wahren Eigentümer hält und den publizianischen Rechtsschutz genießt, muß auch das Recht zugestanden werden, aus dem Rechtsgrund der Eigentumsgemeinschaft gegen den Miteigentümer Ansprüche zu stellen.
Mit Recht verweisen die Revisionswerber darauf, daß die vom Berufungsgericht herangezogene Vertragsbestimmung "Sechstens" der Vorsicht eines der unsicheren Zeit des Jahres 1946 entsprechend ängstlichen Urkundenverfassers entsprungen sein mag, da doch keine der Parteien behauptet hat, eine besondere Vertragsgenehmigung sei nötig gewesen. Wenn also eine solche Genehmigung unnötig war, bedurfte es des Punktes "Sechstens" nicht und die Klausel wäre wirkungslos. Es ist deshalb nicht möglich, aus diesem Punkt die rechtliche Schlußfolgerung zu ziehen, die Parteien hätten, um den Übergabsvertrag wirksam zu machen, nachträglich die im Punkt "Sechstens" vorgesehene Übergabe durchführen müssen. Wenn die tatsächliche Übergabe - wie nach den bäuerlichen Gebräuchen anzunehmen ist - anläßlich der Vertragsabschlüsse vom 11. Feber 1946 stattgefunden hat, bedurfte es mangels Wirksamkeit der erwähnten Vertragsbestimmung keiner weiteren Rechtshandlung, um Nutzung und Lasten auf die Kläger übergehen zu lassen.
Die Untergerichte haben, von ihren unrichtigen Rechtsansichten ausgehend, Beweise über den Zeitpunkt der Übergabe der Liegenschaftshälfte an die Kläger nicht aufgenommen. Dies wäre aber für die Frage der aktiven Klagslegitimation nach dem oben Gesagten notwendig gewesen.
Wenn sich im ergänzten Beweisverfahren die Richtigkeit dieser Behauptung herausstellt, wird die aktive Klagslegitimation nicht zu bezweifeln sein und das Erstgericht wird den geltend gemachten Ersatzanspruch zu prüfen haben.
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