OGH 1Ob153/21p

OGH1Ob153/21p7.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1. Dr. M***** G***** und 2. Dr. U***** G*****, vertreten durch die Dr. Michael Göbel Rechtsanwalts GmbH, Wien, gegen den Antragsgegner R***** W*****, vertreten durch die tws rechtsanwälte og, St. Pölten, wegen 600 EUR, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. Juni 2021, GZ 12 R 104/20g‑13, mit dem der Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 28. Oktober 2020, GZ 3 Nc 1/20m‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00153.21P.0907.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Antragsteller sind je zur Hälfte Eigentümer einer aus acht Grundstücken bestehenden Liegenschaft mit einer Gesamtfläche von knapp 40.000 m². Die Liegenschaft ist Teil eines Genossenschaftsjagdgebiets. Jagdausübungsberechtigte sind der Antragsgegner, der als Jagdleiter fungiert, sowie zwei weitere Personen.

[2] Auf der Liegenschaft der Antragsteller befindet sich ein Wohnhaus. Die Grundstücke bestehen im Wesentlichen aus naturbelassenen Wiesen, alten Obstbäumen und Waldbäumen. Ein Obstbau findet nicht statt. Die Liegenschaft ist mit einem Maschendrahtzaun eingegrenzt, der im Norden an der Grenze zum Nachbargrundstück auf einer Länge von ca 50 m von umfallenden Bäumen umgerissen wurde und seit ca zwei Jahren auf dem Boden liegt. Im März 2019 drangen Wildschweine auf die Liegenschaft und richteten auf nicht kultivierten Flächen einen Schaden von – unstrittig – 600 EUR an.

[3] Mit Bescheid vom 8. 11. 2019 lehnte die zuständige Bezirkshauptmannschaft den Antrag der Antragsteller auf Zuerkennung eines Ersatzes für den Wildschaden dem Grunde nach ab.

[4] Mit ihrem rechtzeitig beim Erstgericht eingebrachten Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrten die Antragsteller, den Antragsgegner zur Zahlung von 600 EUR zu verpflichten. Im März 2019 sei es zu großflächigen Beschädigungen an ihrer Liegenschaft durch Wildschweine gekommen. Beginnend vom äußersten, waldseitigen Rand der Liegenschaft seien etwa 2.000 m² Rasenfläche durch Umwühlen der Grasnarbe zerstört worden. Betroffen seien „freie“ Rasenflächen am waldseitigen Liegenschaftsteil abseits des Hauses, die keinen Hausgarten im Sinn des § 17 Abs 1 NÖ Jagdgesetz 1974 darstellten. Der Antragsgegner hafte als Jagdausübungsberechtigter für den eingetretenen Wildschaden.

[5] Der Antragsgegner wendete – soweit im Revisionsrekursverfahren von Relevanz – ein, die geschädigten Flächen stellten den Garten des Wohnhauses dar. Es bestehe ein naher örtlicher Zusammenhang zwischen dem Wohnhaus und dem Garten. Bei den betroffenen Grundstücken handle es sich um einen Hausgarten im Sinn des § 17 Abs 1 NÖ Jagdgesetz 1974, weshalb die Jagd dort ruhe. Gemäß § 101 Abs 1 Z 2 NÖ Jagdgesetz 1974 bestehe für den Wildschaden keine Haftung.

[6] Das Erstgericht wies den Antrag – die Eigenschaft eines umzäunten Hausgartens bejahend – ab.

[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller Folge und sprach ihnen den Ersatz von 600 EUR zu. Bei einer aus naturbelassenen Wiesen und Bäumen bestehenden Gesamtfläche von fast 4 ha könne nicht mehr von einem zum Haus dazugehörigen „Hausgarten“ im Sinn des § 17 Abs 1 NÖ Jagdgesetz 1974 gesprochen werden.

[8] Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil insbesondere die Auslegung des Begriffs „Hausgarten“ in § 17 Abs 1 NÖ Jagdgesetz 1974, speziell, ob ein solcher nur vorliege, wenn ein Mindestmaß an gärtnerischer Gestaltung gegeben sei und eine bestimmte Größe nicht überschritten werde, einer Klärung durch den Obersten Gerichtshof bedürfe.

[9] Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Antragsgegners ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG iVm § 24 Abs 1 EisbEG iVm § 116 Abs 2 NÖ Jagdgesetz 1974) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Gemäß § 101 Abs 1 Z 2 NÖ Jagdgesetz 1974 (LGBl 6500‑0 zuletzt geändert durch LGBl 2020/2; kurz: nö JagdG) ist der Jagdausübungsberechtigte verpflichtet, in seinem Jagdgebiet den an Grund und Boden, an land‑ und forstwirtschaftlichen Kulturen oder an deren noch nicht eingebrachten Erzeugnissen, vom Wild verursachten Schaden (Wildschaden), soferne dieser nicht auf Grundstücken eingetreten ist, auf denen die Jagd gemäß § 17 Abs 1 und 2 ruht, nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu ersetzen. Zum Schadenersatz ist derjenige verpflichtet, der zur Zeit der Entstehung des Schadens jagdausübungsberechtigt – hier unstrittig (auch) der Antragsgegner – war (Abs 2 leg cit). Gemäß § 17 Abs 1 nö JagdG ruht die Jagd unter anderem in Häusern und Gehöften samt den dazugehörigen, durch Umfriedung vollständig abgeschlossenen Höfen und Hausgärten.

[11] Im Revisionsrekursverfahren ist allein strittig, ob die Grundstücke der Liegenschaft als (durch Umfriedung vollständig abgeschlossener) Hausgarten im Sinn des § 17 Abs 1 nö JagdG anzusehen sind oder nicht. Liegt kein Hausgarten vor, ruht die Jagd dort nicht und den Antragstellern steht der Ersatz des Wildschadens zu.

[12] 2. Der Oberste Gerichtshof hat zu 2 Ob 565/59 (= SZ 33/47) zur inhaltsähnlichen Vorgängerbestimmung des § 17 Abs 1 NÖ Jagdgesetz (LGBl 1947/13), ausgesprochen, als Hausgärten sind nur solche Gärten anzusehen, die mit dem Haus, Hof und Wirtschaftsgebäude in engem Zusammenhang stehen und durch eine Umzäunung eingeschlossen sind. Nach dem dort festgestellten Sachverhalt betrug der Grundbesitz des Klägers 10 ha und der 1 ½ ha große Weingarten war am äußeren Ende der Liegenschaft angelegt. Der Oberste Gerichtshof teilte die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass keine solche räumliche Beziehung zwischen dem Weingarten und dem Haus und den Wirtschaftsgebäuden bestehe, um jenen als Hausgarten im Sinn des § 17 Abs 1 NÖ Jagdgesetz 1947 zu werten. Nach dem Sachverhalt war der die Liegenschaft umgebende Zaun vielfach durchbrochen, zum Teil zerfallen und überhaupt nicht vorhanden. Der Weingarten selbst war innerhalb der Liegenschaft nicht eingezäunt.

[13] Der Entscheidung zu 3 Ob 147/99k lag ein „Gutsanwesen“ mit einer um das Hauptgebäude eingezäunten Rasenfläche samt Pferdespringplatz zugrunde. Der Oberste Gerichtshof führte zu diesem nach dem Oö Jagdgesetz, LGBl 1964/32, zu beurteilenden Sachverhalt bei vergleichbarer Rechtslage aus, nach § 4 lit e leg cit ruhe die Jagd auf Höfen und Hausgärten, die durch eine Umfriedung abgeschlossen sind. Nach dem festgestellten Sachverhalt könne schon wegen der Größe der in Rede stehenden Grundfläche nicht von einem „Hof“ oder „Hausgarten“ gesprochen werden. Dass die eingezäunte Fläche der dortigen Klägerin und ihrer Familie als Erholungsbereich diene, sei irrelevant.

[14] 3. Das Rekursgericht folgte der zitierten Judikatur. In den Bereichen der Wildschäden seien keine kultivierten Flächen vorhanden. Die Beurteilung, bei einer im Wesentlichen aus naturbelassenen Wiesen und Bäumen bestehenden Gesamtfläche von knapp 4 ha könne nicht mehr von einem zum Haus dazugehörigen „Hausgarten“ im Sinn des § 17 Abs 1 nö JagdG gesprochen werden, ist damit nicht korrekturbedürftig, zumal der Antragsgegner nicht aufzeigen kann, dass diese Auslegung mit den gesetzlichen Regelungszwecken in Widerspruch stünde. Ist aber bereits das Vorliegen eines „Hausgartens“ zu verneinen, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Fläche – was für das Ruhen der Jagd weiters erforderlich wäre – durch eine Umfriedung vollständig abgeschlossen war oder ob (auch) dieses Tatbestandselement wegen der nicht unerheblichen Beschädigung des Zaunes nicht erfüllt wäre.

[15] Nach den übereinstimmenden Behauptungen der Parteien wünschen die Antragsteller die Bejagung ihrer Liegenschaft. Wenn es zuträfe, was der Antragsgegner (ohne nähere Ausführungen) im Revisionsrekurs behauptet, dass die Bejagung „nicht möglich“ ist, bestünde nach § 17 Abs 2 nö JagdG die Möglichkeit, dass die Bezirksverwaltungsbehörde über seinen Antrag auf die Dauer der nächstfolgenden Jagdperiode unter bestimmten Voraussetzungen das Ruhen der Jagd – wodurch dort die Jagd im engeren Sinn als auch der Jagd- und Wildschutz nicht mehr ausgeübt werden dürfte (VfGH E 2446/2015 ua [Punkt 4.4.4.] = VfSlg 20.205) – ausspricht. Dass keine Jagdpacht gezahlt werde, ist rechtlich nicht von Bedeutung.

[16] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[17] 5. Kostenentscheidung: Ob § 117 (Abs 3 iVm) Abs 1 nö JagdG, der regelt, dass jede Partei die Kosten ihres Rechtsvertreters selbst zu tragen hat, auch für den Fall der absoluten Anwaltspflicht im Revisionsrekursverfahren (§ 6 Abs 1, § 65 Abs 3 Z 5 AußStrG) gilt, braucht nicht geklärt zu werden, weil die Antragsteller auf die fehlende Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht hinwiesen. Ihre Rechtsmittelbeantwortung diente daher nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, weshalb sie deren Kosten selbst zu tragen haben (vgl nur 1 Ob 123/05b mwN).

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