OGH 1Ob147/99w

OGH1Ob147/99w8.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Klaus H*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters David Christopher H*****, Florida, USA, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in Murau, gegen den Beschluß des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 6. April 1999, GZ 2 R 143/99z-19, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Murau vom 5. März 1999, GZ 3 P 49/97m-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Minderjährige entstammt der zwischen dem Revisionsrekurswerber und Gerda H***** im Jahre 1995 geschlossenen, noch aufrechten Ehe. Die Mutter ist österreichische Staatsbürgerin, der Vater Staatsangehöriger der USA; das Kind ist im Besitz beider Staatsbürgerschaften. Zunächst lebte die Familie gemeinsam in St. Petersburg in den USA. Im März 1997 fand die Übersiedlung in die Heimatgemeinde der Mutter in Österreich statt. Der Vater beabsichtigte schließlich, wieder in die USA zurückzukehren; die Mutter wollte allerdings mit dem Kind in Österreich bleiben. Sie wandte sich deshalb im Oktober 1997 an das Erstgericht, weil sie befürchtete, der Vater werde das Kind gegen ihren Willen in die USA mitnehmen. Mit Zustimmung des Vaters erging am 31. 10. 1997 der in Rechtskraft erwachsene Beschluß, das Obsorgerecht des Vaters wurde dahin eingeschränkt, daß der Aufenthalt des Kindes ausschließlich durch die Mutter bestimmt werde. Dem Vater wurde untersagt, das Kind ohne schriftliche Zustimmung der Mutter außerhalb des österreichischen Bundesgebiets zu verbringen (ON 4). Ende 1997 kehrte der Vater allein in die USA zurück, das Kind blieb bei seiner Mutter in Österreich. Am 16. 3. 1998 flog die Mutter mit dem Kind zum Vater nach Florida und nahm dort Aufenthalt, weil sie sich mit dem Vater über die weitere Lebensgestaltung aussprechen wollte. Sie hatte für sich und das Kind Rückflugtickets für den 24. 3. 1998 gelöst. Der Vater wollte das Kind bei sich in den USA behalten, die Mutter bestand darauf, daß es mit ihr nach Österreich zurückkehre. Unter diesem Aspekt nahm der Vater ohne Wissen der Mutter den Reisepaß und die amerikanische Sozialversicherungskarte des Kindes an sich, so daß eine Rückkehr der Mutter mit dem Kind nach Österreich - vorerst - unmöglich war. Die Mutter verblieb im gemeinsamen Haushalt mit dem Vater, nahm im April 1998 eine Berufstätigkeit auf, und das Kind wurde ganztägig in einem Kindergarten versorgt. Im August 1998 wurde der Mutter von der österreichischen Botschaft in Washington ein Reisepaß für das Kind ausgestellt und kehrte am 13. 9. 1998 mit ihm - ohne das Einverständnis des Vaters herbeizuführen - nach Österreich zurück.

Der Vater begehrte mit seinem auf die Bestimmungen des Haager Übereinkommens vom 25. 10. 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl 1988/512 (in der Folge HKÜ), gestützten Antrag die Übergabe des Kindes, wogegen sich die Mutter aussprach.

Das Erstgericht ordnete die sofortige Rückgabe des Kindes an den Vater an. Die Mutter habe das Kind widerrechtlich nach Österreich gebracht, weil auch dem Vater nach dem im Bundesstaat Florida geltenden Recht das (mit der Mutter gemeinsame) Sorgerecht zugestanden sei. Dieses Sorgerecht habe der Vater auch in der Zeit zwischen März und September 1998 ausgeübt. Die Obsorgebefugnis des Vaters sei aufgrund der Rückkehr des Kindes zum Vater und die tatsächliche Ausübung der Obsorge auch durch diesen nicht mehr - auch nicht durch die am 31. 10. 1997 verfügte Obsorgeeinschränkung - beschränkt gewesen. Das Kind habe in der genannten Zeitspanne seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Wohnsitz des Vaters in Florida gehabt. Es lägen keine Gründe vor, die - entsprechend Art 13 HKÜ - einer sofortigen Rückgabe des Kindes entgegenstünden. Die Mutter hätte die Rückkehr des Kindes nach Österreich demnach vor dem örtlich zuständigen amerikanischen Pflegschaftsgericht betreiben müssen.

Das Rekursgericht änderte über Rekurs der Mutter die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, daß es den auf Rückgabe seines Kindes gerichteten Antrag des Vaters abwies. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Ziel des HKÜ sei es, die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen. Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gelte als widerrechtlich, wenn dadurch das einer Person nach dem Recht des Staates, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zustehende Sorgerecht verletzt und dieses im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt worden sei oder worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Der Vater habe durch das Ansichnehmen der Dokumente des Kindes letzteres widerrechtlich in den USA zurückgehalten. Es mache keinen Unterschied, ob das Kind gegen seinen Willen in die USA verbracht oder nach einem für kurze Zeit beabsichtigten Besuch gegen seinen Willen dort festgehalten worden sei. Daß das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Florida genommen habe, wenngleich es sich dort unfreiwillig aufgehalten habe, sei zu bejahen. Dem Vater sei aber unmittelbar vor dem Verbringen des Kindes nach Österreich das Sorgerecht nicht zugestanden. Das Recht des Bundesstaates Florida sehe vor, daß das Sorgerecht für ein Kind den Eltern gemeinsam zustehe, aber nur, falls nicht von einem Gericht anderes verordnet sei. Im vorliegenden Fall habe das Erstgericht der Mutter mit Beschluß vom 31. 10. 1997 allein das Recht zugestanden, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen. Die Rückführung des Minderjährigen nach Florida scheitere daher am fehlenden Sorgerecht des Vaters.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber wendet sich lediglich gegen die vom Rekursgericht vertretene Ansicht, ihm sei im Zeitpunkt der Verbringung des Kindes aus den USA nach Österreich im September 1998 das Sorgerecht für das Kind nicht zugestanden. Zweifelsohne sollte der Beschluß des Erstgerichts vom 31. 10. 1997, mit welchem dem Vater untersagt wurde, den Minderjährigen ohne schriftliche Zustimmung der Mutter außerhalb des österreichischen Bundesgebiets zu verbringen, und mit welchem vor allem das Obsorgerecht des Vaters dahin eingeschränkt wurde, daß der Aufenthalt des Kindes ausschließlich durch die Mutter bestimmt werde (ON 4), aus damaliger Sicht der Absicht des Vaters entgegenwirken, das Kind in dessen Heimat (Florida) zu verbringen. Der Schutz des Kindes vor solchen Vorkehrungen sollte aber gewiß nicht bloß bis zur geplanten Ausreise des Vaters in die USA beschränkt bleiben, hätte es doch sonst der Verfügung, es sei ausschließlich der Mutter vorbehalten, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, nicht bedurft. Als eindeutiger Zweck der Verfügung ist dem zitierten Beschluß zu entnehmen, daß das Kind mangels Zustimmung der Mutter zur Verbringung jedenfalls bei ihr in Österreich zu bleiben habe. Soweit die allein zur Bestimmung des Aufenthaltsorts des Kindes befugte Mutter im März 1998, also wenige Monate nach Erlassung des angefochtenen Beschlusses und kurze Zeit nach der Rückkehr des Vaters in die USA, diesem mit dem Kind nachreiste, um eine Regelung der weiteren Lebensgestaltung herbeizuführen, wobei sie beabsichtigte, nach achttägigem Aufenthalt gemeinsam mit dem Kind wieder nach Österreich zurückzukehren, wäre es verfehlt, rein formell darauf abzustellen, daß nicht der Vater den Minderjährigen aus Österreich "verbracht" habe. Wie schon das Gericht zweiter Instanz zutreffend darlegte, kann es keinen Unterschied machen, ob das Kind vom Vater ohne Einwilligung durch die Mutter in die USA verbracht oder ob es gegen deren Willen von ihm dort festgehalten wurde. Vielmehr hat der Vater durch das Zurückhalten des Kindes widerrechtlich gehandelt, weil er das ausschließlich der Mutter zustehende Recht zur Bestimmung des Aufenthaltsorts des Kindes verletzt hat (Art 3 lit a HKÜ). Soweit der Revisionsrekurswerber meint, aus dem Inhalt der Mitteilung der Zentralen Behörde der USA (ON 11) sei abzuleiten, daß die Obsorge für das Kind beiden Elternteilen gemeinsam zugekommen sei, ehe es im September 1998 nach Österreich (zurück-)gebracht wurde, übersieht er den letzten Satz dieser Mitteilung, nach der in Florida zwar tatsächlich das Recht der Eltern zur gemeinsamen Sorge für das Kind besteht, aber nur dann, falls nicht von einem Gericht etwas anderes verordnet wurde. Gerade im vorliegenden Fall ist eine solche "andere Verordnung" getroffen worden, mit der das Sorgerecht des Vaters dadurch eingeschränkt wurde, daß das Recht zur Bestimmung des Aufenthalts des Kindes ausschließlich der Mutter vorbehalten wurde. Das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, ist ein Teilbereich des sogenannten "Sorgerechts" (iSd Art 5 lit a HKÜ); in diesem Teilbereich war das Sorgerecht schon vor dem Verbringen des Kindes nach Österreich allein der Mutter zuerkannt worden, so daß eine Verletzung des Sorgerechts in diesem Teilbereich nicht stattgefunden haben kann (vgl EvBl 1998/145). Voraussetzung für die Anwendung von Art 3 HKÜ ist die Verletzung eines tatsächlich ausgeübten Obsorge- oder Mitobsorgerechts. Da das Mitobsorgerecht des Vaters nicht auch die Befugnis einschloß, den Aufenthaltsort des Kindes mitzubestimmen (vgl SZ 65/64), konnte es durch die Wahl eines ihm nicht genehmen Aufenthaltsorts des Kindes durch die Mutter nicht verletzt worden sein (vgl SZ 70/27). In dem vom Vater behaupteten "Entführungszeitpunkt" ist dessen für die Anwendung des HKÜ auf den vorliegenden Fall in Anspruch genommene Sorgerecht (vgl ZfRV 1998, 208) somit zu verneinen.

In Anbetracht dieser Rechtsausführungen ist auf die vom Rekursgericht im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung dargelegte Ansicht, es sei ein "gewöhnlicher Aufenthalt" des Minderjährigen in den USA begründet worden (vgl dazu ZfRV 1996, 246; IPRax 1992, 176; EvBl 1988/120; SZ 60/212; IPRax 1986, 385), nicht weiter einzugehen.

Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

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