OGH 1Ob144/23t

OGH1Ob144/23t20.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. mj V*, geboren * 2006, und 2. mj L*, geboren * 2006, beide wohnhaft bei der Mutter Dipl.‑Ing. S*, diese vertreten durch Dr. Helene Klaar, Dr. Norbert Marschall, Rechtsanwälte in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Dipl.‑Ing. Dr. G*, vertreten durch die Hornek Hubacek Lichtenstrasser Epler Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. Juli 2023, GZ 45 R 186/23w‑295, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00144.23T.0920.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen setzten die Kontakte des Vaters zu seinen bald 17‑jährigen Zwillingstöchtern zur Gänze aus, entzogen ihm die Obsorge für die beiden und übertrugen sie der Mutter allein. Außerdem wiesen sie den Antrag einer Halbschwester der Minderjährigen auf Festsetzung regelmäßiger Kontakte ab. Dem lag insbesondere die Feststellung zugrunde, dass die Zwillinge den Kontakt zum Vater mit Vollendung des 14. Lebensjahrs abgebrochen und seither (trotz Belehrung nach § 108 AußStrG) stetig abgelehnt haben.

Rechtliche Beurteilung

[2] 1. Entscheidungen über die Obsorge und das Kontaktrecht stellen, sofern dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde und keine Verletzung der leitenden Grundsätze der Rechtsprechung vorliegt, solche des Einzelfalls dar, denen keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zukommt (RS0115719 [T1, T7, T15]; RS0007101; RS0097114).

[3] Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt der Vater keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[4] 2. Er meint, eine Übertragung der alleinigen Obsorge an die Mutter gefährde das Wohl der Kinder. Dabei geht er aber nicht von den getroffenen Feststellungen aus, nach denen eine Gefährdung der Minderjährigen im mütterlichen Haushalt nicht festgestellt werden konnte, die beiden sich dort vielmehr wohl fühlen und gut gefördert werden, und auch nicht festgestellt werden konnte, dass die stark verfestigte ablehnende Haltung der Minderjährigen zu ihrem Vater auf einer subtilen Beeinflussung durch die Mutter beruht. Demgegenüber beschränken sich die Rechtsmittelausführungen zu einem Großteil auf Zitate aus einer Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe, die so nicht Teil des festgestellten Sachverhalts wurde.

[5] 3. Im Übrigen beruft sich der Vater darauf, er habe dem Gericht zwischenzeitig mitgeteilt, dass die Mutter die Minderjährigen von der bisherigen Schule abgemeldet habe und noch weiter von der Außenwelt abschotten wolle. Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger habe aufgrund dieser Entwicklungen auch eine Gefährdungsabklärung eingeleitet.

[6] Dem ist zu erwidern, dass auch im Außerstreitverfahren in dritter Instanz das Neuerungsverbot gilt (RS0119918); der Entscheidung sind die Umstände zum Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz zugrunde zu legen (RS0006928). Ungeachtet des Neuerungsverbots ist der Maxime des Kindeswohls im Obsorge‑ und Kontaktrechtsverfahren zwar dadurch zu entsprechen, dass neue Tatsachen auch dann zu berücksichtigen sind, wenn sie erst nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetreten sind (RS0122192; vgl RS0048056). Das bezieht sich allerdings nur auf unstrittige und aktenkundige Umstände (RS0048056 [T7]), nicht aber auf Umstände, die erst noch durch ein Beweisverfahren zu klären wären (6 Ob 47/22p mwN). Die vom Vater behaupteten Tatsachen (Schulabmeldung der Zwillinge und deren Gründe) sind weder unstrittig noch aktenkundig.

[7] 4. Der Vater hat bereits im Rekursverfahren als Mangelhaftigkeit gerügt, dass das Erstgericht kein Gutachten zur Frage der Instrumentalisierung der Minderjährigen durch die Mutter eingeholt hat.

[8] Das Rekursgericht hat diesen Rekursgrund entgegen seiner Meinung nicht nur mit dem Argument verworfen, er sei nicht gesetzmäßig ausgeführt. Darüber hinaus hat es dem Rechtsmittelwerber das im Außerstreitverfahren herrschende Beweisaufnahmeermessen entgegengehalten (vgl RS0006319; RS0006272). Damit und mit dem aktenkundigen Wunsch der Jugendlichen, nicht mehr mit (weiteren) Psychologen sprechen zu wollen, setzt sich der Vater gar nicht auseinander.

[9] Die Frage, ob im Einzelfall zusätzlich ein Sachverständigengutachten erforderlich ist, ist im Übrigen eine vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbare Frage der Beweiswürdigung (RS0007236 [T9]; RS0115719 [T10]).

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